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1. Sitzung, 15. 10. 1998

Da einige im 5. Andere in höheren Semestern sind, ist zuerst die Neuregelung in den speziellen Soziologien zu diskutieren. Im Anschluss daran wird das Thema der Bildungsevaluierung expliziert, und zwar an Hand einer einer Gegenüberstellung von Bildung und Evaluierung, wobei unterschieden wird in Bildung im engeren und Bildung im weiteren Sinne einerseits, und in Evaluierung speziell und generell. Damit entsteht eine Vierfeldertafel, die vielleicht nicht unanfechtbar, aber geeignet ist, eine erste Strukturierung vorzunehmen.

Sektor A: Bildungsevaluation im engeren Sinn enthält die Aktivitäten der Beurteilung der Lern-und Lehrtätigkeiten im Unterricht. Also einerseits das derzeit vordergründige Thema der Lehrerbeurteilung durch Schüler/Studierende, andererseits die Beurteilung der Schüler durch die Lehrenden, wie sie seit eh und jeh praktiziert worden ist. Damit steht das ganze Prüfungs- und Selektionssystem der institutionalisierten Bildung zu Diskussion. Die Gesellschaft reproduziert sich über Evaluierungspraktiken, die den Charakter des Selbstverständlichen haben und soziale Ungleichheiten perpetuieren. Sektor B: Bildungsevaluation im weiteren Sinne bezieht sich auf die Evaluierung von Bildungseinrichtungen, Bildungsprogrammen, Bildungspolitiken von Ländern, Staaten, Interessenvertretungen etc. Damit ist die Frage der Uni-rankings angesprochen, der Konkurrenz zwischen einzelnen Schulen, ob dies Sinn macht oder als Unsinn zu bezeichnen ist. Sektor C: hier könnte man die Techniken der Evaluierung einordnen, während im Sektor D: die Theorie(n) der Evaluierung zu plazieren wären.

Damit ist klar, dass es nötig ist, sich damit zu beschäftigen, wovon man spricht, wenn man von Bildung spricht. Dazu das neue Buch von Giesecke. Als Einstieg in die Evaluierung generell die Einführung von Rossi et al. geeignet, anschließend Fallbeispiele, wie sie sich in Zeitschriften als Kurzfassungen von Forschungsprojekten finden. In der nächsten Sitzung berichtet ein Diplomand über seine Erfahrungen mit einer Evaluierung, die Gegenstand seiner Diplomarbeit gewesen ist.



 

2. Sitzung, 22. 10. 1998

Zu Beginn wird das Procedere fixiert: Vorerst zur Planung der nächsten Sitzungen, Geschichte und Theorie der Evaluierung, dann einige Angaben zum heutigen Schwerpunkt, der Evaluierung eines Aus- und Weiterbildungsprojektes im Mühlviertel, die eben im Rahmen einer Diplomarbeit abgeschlossen worden ist.

Zur Geschichte: vgl. I. Richter, Die unorganisierbare Bildungsreform, München 1975 bezieht sich auf den amerikanischen Hintergrundkontext, der u.a. zur Etablierung von Evaluationspraktiken im Bildungswesen geführt hat. Die einzelnen Kapitel (Einleitung - Zur politischen Funktion traditioneller Organisationsformen im amerikanischen Bildungswesen - Versuche des Kampfes gegen Ungleichheit - Accountability - Bedeutung für die BRD) werden zur Vorbereitung aufgeteilt und nächstes Mal gemeinsam bearbeitet. Gleichzeitig Anregung, im Rahmen dieser LV ein Referat zu „Was heißt studieren und wozu Studienordnungen"? zu erarbeiten.

Hauptteil: Darstellung und Diskussion der Evaluierungsarbeit über eine Ausbildungsinitiative im Mühlviertel: Beschreibung von verschiedenen Evaluationstypen - methodische Probleme / Theorien und Probleme, die sich bei deren Anwendung ergeben. Lebhafte Diskussion, die nicht zu Ende geführt werden kann wegen Zeitknappheit. Daher wird vorgesehen, Ende November, weil dem Berichterstatter erst dann wieder möglich ist, die Diskussion fortzusetzen. O.N.



 

3. Sitzung, 29. Okt. 1998

Die erste halbe Stunde gilt noch einmal dem Thema der Diskussion der Evaluierung des Aus- und Weiterbildungsprojektes, das in der letzten Sitzung von G.L. vorgestellt worden ist.

Im Anschluß daran beschäftigen wir uns mit den ersten drei Kapiteln aus I. Richter, Die unorganisierbare Bildungsreform. Es geht dabei vor allem um die frühen Bemühungen in den Vereinigten Staaten, die Bildungsbedingungen zu verbessern. Die ersten drei Kapitel gelten folgenden Themen: Localism - die politische Funktion der Organisationsformen von Schule; Versuche des Kampfes gegen die Ungleichheit der Bildungschancen; und die Orientierungen an den Vorstellungen der Konstruktion einer Great Society. Also Beschreibungen von Prozessen und Initiativen, die im europäischen Kontext durchaus ihre Parallelen haben. Von Interesse ist, was nicht alles versucht worden ist, und was daraus geworden ist. Für nächstes Mal noch das Kapitel über die Accountability, wie es zur Orientierung an Effizienzkriterien und den Bestrebungen der Effizienzmessungen gekommen ist.

Mit Absichten und Resultaten der Organisationsreformen befaßt sich auch H. Giesecke in seinen "Pädagogischen Illusionen". Da derzeit Diskussionen um die Reform des Studienplanes im Gange sind, werden diesbezügliche Thesen Gieseckes zum Überdenken bis zum nächsten mal zur Verfügung gestellt. Es handelt sich dabei um folgende aufs wesentliche verkürzte Ansichten (in: Pädagogische Illusionen 1998, S. 121f.) zum Stellenwert/Funktion von Studienordnungen im allgemeinen:

1. Studienordnungen teilen auf, was von der Sache her nicht aufzuteilen ist, und deshalb fällt für die Studierenden nun auseinander, was früher im Zusammenhang bearbeitet werden konnte. Dies hat nicht nur zur Zerstückelung in Teilstudiengebiete, sondern vielfach zu einer intellektuell armseligen Beschneidung des Lehrangebotes geführt.

2. Durch Studienordnungen wurden faktisch die Unterschiede zwischen den Veranstaltungsformen - Vorlesungen und Seminare - aufgehoben.

3. Die Studienordnungen sollten das Studium übersichtlich machen und Leerläufe vermeiden. Von Anfang an waren sie jedoch in erster Linie das Produkt von Marktabsprachen. Sie dienten überdies mehr den Bedürfnissen der Administration als jenen der Lernenden.

4. Die unterschiedlichen Interessen an den Studienordnungen haben diese nicht verbessert, sondern nur verschult, sodaß die studentische Eigenleistung, nämlich das Studieren außerhalb der Lehrveranstaltungen, darin gar nicht mehr vorkommt.

5. Die Zerstückelung der Inhalte macht das Studium so unübersichtlich, daß ein neuer Bedarf entsteht: Beratung und Betreuung.

6. Studienordnungen minimieren den Wettbewerb unter den Lehrenden.

7. Studienordnungen führen zu einer von der Sache her nicht erforderlichen Spezialisierung der Lehraufträge.

8. Nicht wenige verstehen die "Praxisorientierung" als Ersatz für systematische geistige Ansprüche und weisen diese mit dem Hinweis zurück, sie seien für das spätere berufliche Handeln nutzlos. Marktgerecht kommen nicht wenige Lehrende dem durch die Senkung des Niveaus entgegen.

Überlegungen zur Studienordnung sind nützlich im Zusammenhang mit der Frage, was "Studieren" bedeutet. O.N.



 

4. Sitzung, 5. Nov. 1998

Zunächst Fortsetzung der Lektüre über "Die unorganisierbare Bildungsreform", die beiden letzten Kapitel, über die Anfänge der Versuche, Bildungsprozesse zu rationalisieren, d.h., den Zusammenhang von Mitteln und Zielen nach wirtschaftlichen Kriterien zu messen
(vgl. Accountability I, Accountability II, Bedeutung).
Abschließend wird die Frage gestellt, warum hier das Thema der "Unorganisierbarkeit" angesprochen wurde.
Heute wird vielfach vergessen, daß Bildungseinrichtungen nicht Maschinen der Wissensvermittlung sind, sondern daß ihnen daneben noch andere Funktionen zukommen: Tradierung der Kultur, soziale Selektion und soziale Integration. Die Unorganisierbarkeit dürfte damit zusammenhängen, daß es nur beschränkt sinnvoll ist, von Änderungen im Organisatorischen, d.h. im Mesobereich, allzuviel zu erwarten, wenn dabei Makro- und Mikro-Kontext ausgeblendet bleiben, wie dies oft der Fall ist.

Im Anschluß daran das Thema Studien- und Prüfungsordnungen als Gegenstand der Evaluierung. Dies setzt voraus, sich darüber klar zu werden, was "Studieren" bedeutet. Als Anregung dazu wird der Text "Abstraktion und Emotion", eine Meinungsäußerung zum Thema (vgl. NZZ v. 20. Okt. 98) ausgeteilt, um darüber bis zum nächsten Mal ein bißchen nachzudenken.

O.N.



 

5. Sitzung, . . 1998

Der letztes Mal ausgeteilte Text ist der NZZ Beilage „Studium und Beruf" v.20. Okt. 1998, S. B entnommen. Da er sich als geeignet erwiesen hat, verschiedene Zusammenhänge zu klären, sei er hier im vollen Wortlaut angeführt. Es ist einer von fünf „Standpunkten", d.h. Meinungsäußerungen von in der Öffentlichkeit stehenden Persönlichkeiten, die den Diskurs über der Veränderungsrichtung der Universitäten letztlich in nicht unmaßgeblicher Weise mitbestimmen

Abstraktion und Emotion An den Universitäten sollen die Studierenden das Lernen lernen. Sie sollen lernen, wie sie zu Informationen gelangen und ihre Aufnahmefähigkeit systematisieren. Hochschulabsolventen müssen abstrahieren und Denkstrukturen verstehen können. Nur Wissen zu speichern ist ein falscher Ansatz, der zu falschen Ergebnissen führt. Die Menschheit verdoppelt ihr Wissen jährlich. Deshalb kann es nicht darum gehen, sich Wissen anzueignen. Der richtige Ansatz ist, sich an Zielen zu orientieren.

Die Aufgabe der Professoren besteht darin, daß sie ihre Welt und jene der Studierenden zusammenbringen. Um das zu garantieren, müßten Vermittlungsmechanismen optimiert und den Professoren klare und meßbare Leistungsvorgaben gestellt werden.

Parallel zur "digitalen" Komponente des Speicherns und Erarbeitens existiert eine emotionale Ebene. Diesbezüglich besteht bei den Universitäten Nachholbedarf. Emotionale Intelligenz wird nicht vermittelt. Den Studierenden frühzeitig zu zeigen, daß sie Stärken und Schwächen haben und daß sie sich danach richten, wäre bereits ein bedeutender Fortschritt. Hochschulen müßten den Studierenden beibringen, wie sie bedürfnisgerecht kommunizieren und effizient im Team arbeiten. Die Bedeutung der emotionalen Komponente wird zunehmen. Wer nicht abstrahieren und Zeichen interpretieren kann, der geht in einer zunehmend digitalisierten Welt unter - das gilt für jede und jeden. Um abstrahieren zu lernen und emotionale Intelligenz zu entwickeln, sollten Studierende öfters aus dem als in den Hörsaal gehen.

Günter Conrad
Vorsitzender der GL
Von Andersen Consulting Schweiz
An diesen Text lassen sich eine reihe von Fragen stellen:
Was sind die wichtigsten Aussagen? Gliederung? Sprache?

Die Diskussion drehte sich vor allem um folgende Begriffe/Inhalte:
deskriptiv - normativ; dann weiter performativ, präskriptiv ect., Positivität u. Wertbesetztheit
abstract - konkret: Abstraktion und Bestimmung des Wesens; Nominalismus - Realismus etc.
digital - analog: digitales Wissen - analoge Erkenntnis
emotionale vs. kognitive Intelligenz

Auf jeden Fall bietet dieser Text Stoff für längere Diskussionen und ist insofern instruktiv, als er zeigt, was hinter in gehobener Sprache daherkommenden Formulierungen verbergen kann und wie notwendig es ist, zwischen Information und sprachlicher Pollution zu unterscheiden.
O.N.



 

6. Sitzung, . . 1998

Wir beginnen noch einmal bei der gemeinsamen Lektüre vom letzten Mal und fragen nach den wesentlichen Inhalten, der Gegenüberstellung von Abstraktion und Emotion. Anschließend Klärung der Begriffe von Effizienz und Effektivität, die auch im Zusammenhang mit Evaluierungen eine zentrale Rolle spielen. Beide beziehen sich auf die Lernziele, wobei hier zu berücksichtigen ist, dass die Mehrdimensionalität des Zielbegriffes in der deutschen Sprache nicht so ohne weiteres zum Ausdruck kommt.

Im Englischen wird unterschieden zwischen
goals u.
objectives
im Französischen wird unterschieden zw.
fins
objectives generaux u.
objectives operationelles

In der Lernzielforschung werden im allgemeines 3 Kategorien von Lernzielen unterschieden: kognitive (Bloom 1956), sozio-affektive (Krathwohl 1970) und psycho-motorische (A. Harrow 1977). Jedes dieser Ziele läßt sich auflösen in Untergruppen, sodaß sich folgender Überblick ergibt.

kognitive Ziele

6. Evaluieren

5. Synthesen bilden

4. Analysieren

3. Anwenden

2. Verstehen

1. Wissen

sozio-affektive Ziele



5. Charakterbildung

4. Organisation 4.1 Konzeptualisation

3. Valorisation

2. Antwort

1. Aufnahme

psychomotorische Ziele

6. Ausdruck

5. Geschicklichkeit

4. Physische Fähigkeiten

3. Wahrnehmungsfähigkeit

2. Natürliche Bewegungen

1. Reflexe

Im Originaltext (vgl. Y. Abernot, S. 61 f) sind diese drei Taxonomien in umgekehrter Weise dargestellt. Hier sind sie umgekehrt, weil jeweils die oberen Ränge zum Ausdruck bringen, was Inhalt dessen ist, was mit dem Bildungsbegriff mitassoziiert wird, aber sich jedem einfachen Definitionsversuch entzieht. O.N.



 

7. Sitzung, . . 1998

Fortsetzung des Themas der Lernzielformulierung. Letztes Mal wurden die kognitive und die sozio-affektive Dimension behandelt, noch nicht aber die psycho-motorische. Dies wird nun nachgeholt und dann das Ganze noch einmal zu reflektieren versucht. Was ist das Prinzip dieser Gliederung in drei Dimensionen? Spiegelt sich darin die alte Unterscheidung der menschlichen Grundfähigkeiten in Verstand-Wille-Gefühl? Sowohl die Grundstruktur wirft Fragen auf wie auch die einzelnen Momente innerhalb der drei Taxonomien nicht so ohne weiteres klar sind. Was heißt Wissen? Was heißt Verstehen? Mit allen diesen Begriffen sind zu viele Kontroversen verbunden, um sie als unproblematisch und als leicht handhabbar einordnen zu können.

In einem praktischen Block gehen wir der Frage nach, in welcher Art und Weise in der universitären Praxis den Forderungen der Lehrzielformulierung entsprochen wird. Als geeignetes Material bietet sich die ETCS-Broschüre an, eine Zusammenstellung der (bzw. von) Lehrveranstaltungen, die vor allem der Information ausländischer Studenten im Rahmen der Austauschprogramme zur Verfügung gestellt ist. Hier sind alle wichtigen Informationen knapp zusammengefaßt, Themen Stunden, Inhalte, und explizit auch: die Ziele der Lehrveranstaltungen. Wir bilden zwei Gruppen, um dieser Frage nachzugehen, wie die Lehrziele formuliert sind.
Ergebnis: Bei manchen Zielangaben werden Ziele mit Aufbau der Lehrveranstaltung verwechselt, bei anderen Inhalte beschrieben etc. Deutliche Lernzielformulierungen finden sicht, wie eine erste Durchsicht ergeben hat, bei Angeboten von seiten der Psychologen.
Was bedeuten unklare Zielangaben? Das könnte bedeuten, dass der Uni-Betrieb mehr von Routinen und Traditionen lebt als von klaren Zielformulierungen. Es ergibt sich daraus aber die Frage, was evaluiert wird, wenn sich Evaluierung mit der Messung der Zielerreichung beschäftigt, und die Ziele eher diffus und implizit denn explizit und klar sind? Ist da nicht mit erheblichen Validitätsproblemen zu rechnen? O.N.



 

8. Sitzung, . . 1998

Zunächst Rückblick auf die letzte Sitzung: Formulierung der Lernziele in drei verschiedenen Dimensionen, wie es im Lehrbuch steht, und dann Konfrontation mit der Praxis, ersichtlich aus dem ECTS Informationspaket 1998/99 der JK-Univ. (ECTS = European Transfer Credit System ?). Es wurde letztes Mal festgestellt, dass die Theorie nur in beschränktem Maße in der Praxis sichtbar wird. Dafür kann es verschiedenen Gründe geben.

Im Anschluss an die Problematik, die sich aus der Notwendigkeit ergibt, Lernziele formulieren zu müssen, Beschäftigung mit dem Lernbegriff, u. zw. inbes. in Anlehnung an G. Bateson. Seine Subjekhypothese: der Mensch ist ein informations- bzw. symbolverarbeitendes System. Diese Konzeption erlaubt es, auch unbewußte Bereiche des Menschen miteinzubeziehen und bestimmte Einseitigkeiten empiristischer un rationalistischer Lernkonzepte zu vermeiden. Lerntheorien sind als auch als spezifiche Explikation der Subjekt-Objekt-Beziehungen anzusehen. Diese Subjekt-Objekt-Beziehungen sind jeweils kulturell vorgegeben, d.h. es gibt eine Vorstrukturierung der Art, Wirklichkeit wahrzunehmen und Erfahrungen zu verarbeiten. Für diesen Sachverhalt verwendet Bateson das Konzept der Interpunktionsweise. Eine erste Strukturierung des Erfahrungsstromes ergibt sich aus der Konstanz bestimmter Kontexte.

In Anlehnung an die logische Typenlehre von Whitehead & Russsel (1910 - 1913) unterscheidet Bateson fünf Ebenen des Lernens, auf deren Hintergrund es möglich ist, manche mit dem Lernen verbundenen Probleme und Paradoxien besser verstehen zu können.
Lernen 0: ist die unterste Ebene, es liegt kein Lernen im Sinne einer Verhaltensänderung vor. Reiz und Reaktion sind starr miteinander verbunden (z.B. Reflex).
Lernen I: deckt sich weitgehend mit dem, was Inhalt der klassischen Lerntheorien ist. Bestimmte Reize bedingen bestimmte Reaktionen innerhalt bestimmter Kontexte, mit denen Interpunktionen , d.h aber auch eine bestimmte Auswahl von Reaktionsweisen bereits mitgegeben sind. Es geht hier also um die spezifische Wirksamkeit der Reaktion durch Korrektur von Irrtümern der Auswahl innerhalb einer Menge von Alternativen.
Lernen II befaßt sich Lernen I mit den Elementen einer feststehenden Menge, zwischen denen zu wählen ist, so geht es bei der nächsthöheren Ebene um die Veränderung dieser Mengen selbst. Mit der Veränderung der Interpunktionen, die der Strukturierung der Erfahrung dienen, ändert sich die Art des Lernens: das Lernen des Lernens. Es geht hier also um die Änderung von Gewohnheiten (des Handelns, der Wahrnehmung, den Denkens) und des Beziehungsverhaltens, was bei Freud als Primärprozeß konzipiert ist, also auch nicht-rationale Strukturen miteinbezieht. Frühere Gewohnheiten werden durch andere ersetzt. Solches Lernen ist schwierig, aber möglich.
Lernen III: ist die Veränderung im Prozeß des Lernens II, z.B. eine korrigierende Veränderung im System der Mengen von Alternativen, unter denen eine Auswahl getroffen wird. Subjekttheoretisch ist. Subjektivität auf der Ebene II ist bewußtseinsorientiert und egologisch, auf der Ebene III ist das Subjekt stärker auf ökologische Kreisläufe ausgerichtet und in sie eingebunden. Auf der Ebene III geht es also um die Überwindung jener egologischen und bewußtseinszentrierten Subjektivität, die Bateson als Individualität bezeichnet. Auf der Ebene II wird das Universum über singuläre Gewohnheiten, d.h. reduktiv angeeignet. Bei steigender Komplexität geht es darum, dass dem Subjekt eine Pluralität von Weltzugängen zur Verfügung steht. Auf der Ebene III wird der Zwecksetzungsimperialismus der instrumentellen Vernunft überwunden und erfolgt eine Öffnung für Metaphorische, Unbestimmtes, Durchbrechung der kategorialen Muster zugunsten neuer Interpretationen der Wirklichkeit. Lernen auf dieser Ebene ist schwer und nur in seltenen Fällen erreichbar.
Lernen IV: Ist eine logisch formale Ableitung aus der Tyypenlehre, der in der Realität nichts korrespondiert. Wäre eine Veränderung von Lernen III, die aber vermutlich kaum vorkommt. Dennoch schreibt Bateson, dass „der Evolutionsprozeß Organismen hervorgebracht hat, deren Ontogenese sie zum Lernen III bringt". Auf den Ebenen 0 - III steigt jeweils die Flexibilität des Subjektes an, mit immer komplexer aggregierten Informationseinheiten umzugehen.

Literatur: W. Marotzki, Zum Verhältnis von Lernprozeß und Subjekthypothese, in: Zeitschrift für Pädagogik 34 (1988) 3, 331 - 335; G. Bateson, Ökologie des Geistes, Frankfurt/M, 1981

Von derartigen Überlegungen her läßt sich leichter eine Brücke zur Bildungsthematik finden: zu diversen Formulierungen, dass Bildung heute passée ist, dass es das nicht mehr gibt, wie auch zu den Versuchen, die Kategorie der Bildung durch zeitgemäßere Ausdrücke wie: Qualifikation, Sozialisation, Wissenschaftlichkeit, Identität u.a. zu ersetzen. Vgl. dazu den Beitrag O. Hansmann, Kritik der sogenannten „theoretischen Äquivalente" von Bildung, in: Hansmann/Marotzki (Hg.) Diskurs Bildungstheorie. Systematische Markierungen. Rekonstruktion der Bildungstheorie unter Bedingungen der gegenwärtigen Gesellschaft, Weinheim 1988, S. 24-54 O.N.



 

Gemeinsame Textlektüre: Spinoza, Untersuchung, wie man seinen Verstand verbessert und am besten zu wirklicher Erkenntnis kommt, in: Günther Horst (Hg.) Denken mit Diderot, Frankfurt/M 1995, 92 - 110.
Kurze Einführung zu Spinoza in Anlehnung an das Schwerpunktheft des „magazine littéraire" Nr. 370, Nov. 1998, wo unter der Überschrift „Spinoza, ein Philosoph für unsere Zeit", eine Reihe von Beiträgen zu finden sind, u.a. v. Gilles Deleuze, Toni Negri .
In der angegebenen Quelle finden sich auch kurze Texte von Montaigne, Descartes, Diderot und Kant, die allesamt in der Ahnengalerie des Denkens über Bildung eine prominente Rolle spielen. Die Lektüre dieser Texte kann die Vorstellungen anreichern, wie ein Lernen jenseits der Lernebene II bei G. Bateson (s. Protokoll der letzten Sitzung) strukturiert ist.
In dieser Sitzung werden die ersten Seiten des Textes gelesen und diskutiert. O.N.


9. Sitzung, . . 1998

Wir lesen in dieser Sitzung weiter im Text von Spinoza, den wir in der letzten Woche begonnen haben.
Zum besseren Verständnis zuvor einige Überlegungen zum Leben, der Zeit und dem Werk von Spinoza. O.N.



 

10. Sitzung, . . 1998



 

11. Sitzung, 29. Okt. 1998

Anknüpfungspunkt: Die Lektüre des Textes von Spinoza und, zumindest ansatzweise, jene von Montaigne (über die Erziehung), als Übergang zu den Überlegungen, die Giesecke im ersten Kapitel anspricht: warum die Bildung in Mißkredit geraten ist. Zweiter Schwerpunkt: ein vorbereitetes Papier eines Teilnehmer zur Evaluierung, in Anlehnung an das Handbuch von Hellstern. O.N.



 

12. Sitzung, 21. Jaenner. 1999

u.a. die drei Verwendungsweisen von Evaluierung a) Evaluierung der Lernleistungen der Schüler/Studierenden durch die Lehrenden; so wird Ev. In zahlreichen neuen Publikationen im französischsprachigen Raum verwendet b) Evaluierung im Sinn von Messung der Lernfortschritte, durch Erfassung des Wissensstandes zu Beginn und am Ende einer Lernphase und c) Evaluierung im heute im Vordergrund stehenden Sinne: Erfassung der Schüler-/Studentenbeurteilungen der Lernleistungen der Lehrenden.



 

13. Sitzung, 28. Jaenner. 1999

Ausgangspunkt ist heute der Beitrag von Ludwig v. Friedeburg, <84>Einleitung: Qualität von Lehre und Studium" aus der Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie 16 (1996) 2, 115 - 118 (Schwerpunktheft). Hier schreibt v. Friedeburg u.a.: <84>Die Qualität von Lehre und Studium kann nur durch die Selbstevaluation der Fachbereiche verbessert werden". Also Überlegungen dazu, wie eine solche ausschauen könnte, was gar nicht so einfach zu sein scheint. Welche hard facts lassen sich zusammentragen?
Ansätze zu einer Selbstevaluation durch Gegenüberstellung von Zielen und Mitteln, Zielen und Ressourcen, Zielen und Methoden. Schon die Zielformulierung erweist sich als dorniges Feld. Das Ende des Semesters stoppt unsere Arbeit. Wann, in welchem Kontext findet sie eine Fortsetzung?