Soz.Ganymed.Org
Zur Doppelorientierung universitärer Studien
und ihrer organisatorischen Umsetzbarkeit

ZUR DOPPELORIENTIERUNG UNIVERSITÄRER STUDIEN
UND IHRER ORGANISATORISCHEN UMSETZBARKEIT

Université Coopérative Internationale und SOWI-Curricula im Vergleich



Überlaufene Universitäten, wenig attraktive Studienprogramme, deren Arbeitsplatzrelevanz und praktische Brauchbarkeit immer fragwürdiger werden, dies alles bedingt ein zumindest latentes Wachstum unbewältigter Probleme und Konflikte an den universitären Schulen herkömmlichen Zuschnitts. Zu ihrer Eindämmung wird dann der Studienbetrieb reorganisiert, die gesetzliche Grundlage novelliert, doch kaum jemand, der den Universitätsbetrieb von innen her kennt, gibt sich der Illusion hin, dass damit auch die anstehenden Widersprüche zu bewältigen wären. Sie werden bestenfalls verdeckt und verschoben. Also eine recht anschauliche Illustration des Entropiegesetzes (vgl. J. Rifkin 1985), demzufolge eine erhöhte Zufuhr von Energie in einem Bereich mit dem Ziel, hier mehr Ordnung zu schaffen, in anderen Bereichen mehr Entropie erzeugt und Unordnung zurücklässt. Technokratische Eingriffe zur Verbesserung der Lerneffizienz und Rationalisierung der Curricula werden daher auch im Universitätsbereich weder lang- noch mittelfristig zur Einlösung der proklamierten Ansprüche führen, solange sich der Gesetzgeber darauf beschränkt, auf der Basis des mechanistischen Weltbildes bekannte Unzulänglichkeiten zu korrigieren statt sich auf das Risiko innovativer Konzepte einzulassen.

Im folgen wird daher zunächst einmal an die deklarierte Doppelorientierung der österreichischen Hochschulpolitik erinnert (1), ihre Vereinbarkeit diskutiert (2) und die organisatorisch-iuridischen Vorgaben der sozialen Realität im Bildungsbereich gegenübergestellt (3). Im Anschluss daran wird (4) das Strukturmodell der österreichischen SOWI-Studienrichtungen mit dem Modell der Université Coopérative Internationale verglichen. (Vgl. Hörburger 1983), dessen Vorteile herausgestellt (5), aber auch die Grenzen voreilig generalisierter Übernahmeerwartungen aufgezeigt (6). Dennoch sollte klar werden, welche Richtung allfällige Versuche einer Humanisierung des Lernens einzuschlagen haben.

1. Die doppelte Zielsetzung der Hochschulpolitik

Nach gängigem Verständnis ist Politik dem Ausgleich konfligierender Interessen und der zweckdienlichen Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens verpflichtet. Im politischen Bereich wird entschieden, hier ist das Steuerungszentrum für Gegenwart und Zukunft. Dass dabei planende Gestaltung für die Zukunft viel zu kurz komme, ist ein oft zu hörender Kritikpunkt an der heutigen politischen Praxis.

Eine erfreuliche Ausnahme von dieser Beschränkung auf das politische Tagesgeschäft scheinen die Überlegungen des Ministers für Wissenschaft und Forschung zur "Hochschul- und Forschungspolitik in Europa bis zum Jahre 2ooo" zu sein, die er bei der Konferenz "U 2ooo" des Council of Europe am 7. November 1983 präsentierte. Prämisse seiner Ausführungen ist, dass bei den besonderen Bedingungen einer anhaltenden wirtschaftlichen Krise Veränderungen unvermeidlich sind, aber eine bestimmte ökonomische Situation nicht ausschlaggebend sein darf für eine restriktive Konzeption der Bildungspolitik, deren Wirksamkeit erst in größeren Zeiträumen sichtbar wird. Dennoch läßt der Bundesminister keinen Zweifel über die Notwendigkeit einer engen Koordination von Universität und Wirtschaft offen und plädiert für eine intensivere praktische Kooperation der beiden Bereiche. Als eine ideale Form der Kooperation wird auf den Austausch von Personal aus den beiden Bereichen hingewiesen: Industrieforscher gehen an die Universität, Universitätslehrer in die Wirtschaft, also eine Ausweitung des bereits lancierten Pilotmodells "Wissenschafter für die Wirtschaft".

Wer aus diesem Naheverhältnis zur Wirtschaft eine Unterordnung der Wissenschaft unter die ökonomischen Erfordernisse ableiten wollte, würde den Minister jedoch völlig missverstehen. Denn ausdrücklich lehnt er eine "Erziehungsdiktatur" ab, die mit einer solchen Subordination verbunden wäre und bekennt sich zur Freiheit der Wissenschaft als Motor der kritischen Kompetenz. Die Studiengänge können deswegen auch nicht eindimensional auf berufliche Qualifikation ausgerichtet sein, mag darin auch realistischerweise eine sehr wichtige Komponente zu sehen sein. Neben dieser Berufsvorbereitung, die grundlagenorientiert, interdisziplinär und mehrfach qualifizierend gestaltend sein soll, gilt es auch die Fähigkeit zu erwerben, ähnliche Fachgebiete und Probleme zu verstehen und außerdem noch sich selbst weiterzubilden. Zu den normativen Desideraten gehört also ausdrücklich die Aneignung von Fähigkeiten, "die durch Wissensvermittlung allein nicht zu erwerben (sind). Mut, Aufgeschlossenheit, Flexibilität, Engagement sind Komponenten, denen wir in unserem Bildungssystem leider zu wenig Beachtung schenken. Und doch sind sie Teil der Bildung durch Wissenschaft" (H. Fischer).

Forschung und Wissenschaft stehen daher nach den Vorstellungen des Bundesministers auf zwei Beinen: Sie sind einerseits bezogen auf die Gesellschaft bzw. auf die Wirtschaft und anderseits auf den Menschen. Dementsprechend ist auch Bildung, als Resultat wissenschaftlicher Auseinandersetzung, janusgesichtig: Die eine Dimension verweist auf die Belange der Gesellschaft, die andere auf die Belange des einzelnen Subjekts, die Konstitution seiner Identität.
Damit stellen sich zwei Fragen: Die erste richtet sich auf die Vereinbarkeit der beiden Ziele, die zweite auf ihre organisatorische Umsetzbarkeit, denn Politik, soll sie wirksam werden, bedarf planender und steuernder Eingriffe und Entwürfe, konkretisiert sich in administrativen Vorgaben.

2. Die Vereinbarkeit der beiden Zielrichtungen

Bedenken gegen eine problemlose gleichzeitige Erreichbarkeit der beiden vorgegebenen Ziele werden aus verschiedenen Quellen genährt. Die naheliegendste ist zunächst einmal das Wissen um die bildungsökonomischen Kalkulationen, die zu Beginn der wirtschaftlichen Expansion der Nachkriegszeit zu einer beträchtlichen Ausweitung der Bildungsmöglichkeiten führten. Es handelt sich um Investitionen in den Faktor Arbeit, also die Bildung von Humankapital, um Engpässe im Wirtschaftswachstum zu vermeiden. Die Kritik der Bildungsökonomie (HASS, 198o) reagierte auf der artige Bestrebungen ökonomischer Funktionalisierung des Bildungssystems mit dem Verweis auf den Tauschwertcharakter, den Bildung unter diesen Voraussetzungen annimmt. Sie wird damit einseitig auf die Gesellschaft orientiert. Als bildungsrelevant erscheint nur noch, was auf dem Arbeitsmarkt mit entsprechenden Äquivalenten honoriert wird. Das von der Wirtschaft Erwünschte und Diktierte wird zur allein verbindlichen Prämisse, die menschlichen Belange werden reduziert zur Quantité négligable, zu beiläufigem Zufallsprodukt, das nicht von Bedeutung ist, solange es nicht den Primat ökonomischer Interessen tangiert. Heteronomie, die Unterordnung unter von außen kommende Zwänge beschränken die Möglichkeitsräume autonomer, auf den Menschen ausgerichteter, identitätsrelevanter Bildungsprozesse.

Bedenken jüngeren Datums gegen die Formel von der Bildung durch Wissenschaft sind eng verbunden mit der Legitimationskrise der Wissenschaft. Damit ist die nicht mehr länger bagatellisierbare Tatsache angesprochen, dass die Grundlage des menschlichen Zusammenlebens in Mitleidenschaft gezogen ist, ja sogar die weitere Existenz der Gattung Mensch, ironischerweise gerade am vermeintlichen Höhepunkt des bisherigen Fortschrittes, in Frage gestellt wird. Dass diese Krisen der Gegenwartsgesellschaft letztlich auch von der Wissenschaft mitbedingt sind, liegt offen zutage. Mag sich diese Wissenschaft nun - zumindest ansatzweise - auch in den Dienst der Korrektur der entstandenen Schäden stellen, so genügt dies noch lange nicht zu ihrer Rehabilitierung. Denn zur äußeren Infragestellung gesellt sich die innere, bedingt durch die Verschmälerung der Basis der Selbstbegründung, was die Grenzen zwischen Wissenschaft und Ideologie mehr und mehr verschwimmen läßt.

Eine konfliktfreie Vereinbarkeit gesellschaftsbezogener und individuenbezogener Belange erscheint also nicht für sehr wahrscheinlich. Die bekannte Formel von Tauschwert und Gebrauchswert der Bildung findet eine Neuauflage in der Dichotomie von Profitgesetzlichkeit und Lebensgesetzlichkeit (DUHM, 1983, S. 2o) und kann ein schwer zu bestreitendes Maß an Plausibilität für sich verbuchen.

Die allzu eingängige Gegenüberstellung von Tausch und Gebrauch, von Profit und Leben besticht zwar durch Einfachheit, wird jedoch der schillernden Komplexität sozialer Gegebenheiten in keiner Weise gerecht, ebensowenig wie andere bekannte Dichotomien. Um beim Beispiel der Bildung zu bleiben: das Konzept der neuen Arbeiterklasse, das vor einigen Jahren entwickelt wurde (z.B. MALLET), impliziert die Annahme, dass mit der Höherqualifizierung der Arbeitskraft im Sinne des Profits gleichzeitig generellere Qualifikationen vermittelt werden, die sich dann gegen die Profitabsichten zu richten vermögen. Lernprozesse lassen sich nicht bis ins letzte technisch steuern und kontrollieren, weder im Positiven noch im Negativen. Damit ist gesagt, dass sich die Erreichung von Lernzielen weder mit technokratischen Mitteln sicherstellen noch der Lernprozess auf vorgegebene Zielgrößen beschränken läßt. Die Eigenständigkeit der Lernsubjekte, die in Planungsentwürfen lediglich als Objekte figurieren, entzieht das reale Geschehen einer im Detail verbindlichen Programmierbarkeit.

Die Frage der Vereinbarkeit berufsbezogener, auf die wirtschaftlichen Erfordernisse ausgerichteter Bildungsgänge und mehr auf Selbständigkeit in der Lebensgestaltung orientierte Bildungsabsichten ist also keineswegs mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten. Die Vorstellung eines friedlichen Nebeneinanders konfligierender Ziele dürfte ebenso unrealistisch sein wie die Annahme, dass das eine der Ziele erreichbar wäre unter völligem Ausschluss des anderen. In welchem Ausmaß jedoch die beiden Ziele wirtschaftlicher Relevanz und lebensbedeutender Bildung de facto erreicht werden, ist weder auf dem Wege theoretischer Spekulation noch auf dem legistischer Festsetzungen auszumachen. Dazu bedarf es wohl eines Blickes auf das reale Geschehen, wie es sich im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten als gelebte Lehr- und Lernpraxis präsentiert.

3. Organisatorisch- administrative Vorgaben und Bildungsrealität

Im politischen System formulierte Ziele sind zu übersetzen in handlungsrelevante Vorschriften, die das Tun dar einzelnen steuern. Daher die als 'Organisationsgesetze' bezeichneten normativen Festsetzungen, deren besondere Eigenart darin besteht, Rahmen der sozialen Organisation und gleichzeitig Kodex der ge- und verbotenen Handlungen zu sein. Nur technokratischem Realitätsverständnis kann die Ambivalenz dieser Eigenart verborgen bleiben: Organisation legt die Zweck-Mittel-Relationen fest und koordiniert das Tun der vielen zu einem einheitlichen Zusammenhang, wobei jedoch die Form gesetzlicher Textierung eine jederzeit juristisch ein-

klagbare Normierung und Fixierung dessen unterstellt, was an realen Prozessen abläuft. Nur als juridische Fiktion läßt sich an der Vorstellung festhalten, damit wäre bereits im voraus darüber verfügt, was sich de facto dann ereignet. Die jedem Gesetz vorausliegenden Hintergrundstrukturen sozialer Normierung werden allzu leicht übersehen und damit auch die Tatsache, dass alles, was an Spontaneität und Selbstverpflichtung sozial wünschenswert, ja unerlässlich ist, sich gesetzlichen Regelung geradezu entzieht. Eine solchen stehen nur jene Momente offen, die eindeutiger Kontrollierbarkeit zugängig sind, was klar quantifizierbare Kriterien voraussetzt.

Derartige quantifizierbare Anforderungen sind die Eingangsvoraussetzungen eines Studiums, dessen Dauer und Inhalte, allerdings unter Beschränkung auf die kognitiven Aspekte. Was darüber hinausgeht, entzieht sich direkter und unmittelbarer Beeinflussbarkeit durch gesetzliche Reglementierung. Die indirekten und mittelbaren Einflüsse der Bildungsgesetzgebung beziehen sich mehr auf den Bereich dessen, was an Möglichkeitsräumen offengelassen ist, damit die Eigenaktivität der Bildungssubjekte sich zu entfalten vermag. Bezeichnenderweise läßt sich das der Bildung entsprechende Tätigkeitswort sowohl transitiv wie auch intransitiv verwenden: 'Jemanden' bilden und daneben im Sinne von 'sich' bilden. Alles was mit 'sich bilden' zu tun hat, läßt sich vom Gesetz her nur insofern beeinflussen, als dafür Möglichkeitsräume geschaffen werden, dass die Eigenaktivität und Kreativität sich zu entfalten vermögen.

Bezogen auf die Doppelorientierung der Bildung, ihre Janusköpfigkeit, die der Minister deutlich anspricht, bedeutet dies, dass einer eindeutigen gesetzlichen Regulierung nur das kognitiv-quantifizierbare Verwertungswissen zugänglich ist, die Orientierung am Leben, der eigenen Weiterentwicklung und Bildung durch Wissenschaft sich jedoch einer einforderbaren Normierung und kontrollierenden Sanktion entzieht. Autonomie lässt sich nicht autoritativ befehlen. Daher die begründete Vermutung, dass ein Übermaß an Verrechtlichung, an die Details der Lernprozesse regulierenden Vorschriften die Dynamik personaler und sozialer Entwicklungsmöglichkeiten einbremst. Mag eine eindeutige rechtliche Regelung auch ihre unbestreitbaren Vorzüge und Vorteile haben, so gibt es zweifellos einen Grenzwert, jenseits dessen rigorose Vorschriften zu dysfunktionaler Übersteuerung umschlagen. Die Feststellung derartiger negativer Effekte würde eine umfassende Evaluation der gegenwärtigen Studienrealität voraussetzen. Eine solche steht nicht zur Verfügung und kann hier auch nicht geleistet werden. Bestenfalls punktuell läßt sich auf bestimmte Momente hinweisen, die in etwa das 'Grau in Grau' der Hochschulrealität, wie sich die derzeitigen Verhältnisse zutreffend kennzeichnen lassen (CHRISTOPH 1982, S. 154), etwas differenzierterer Betrachtung zugänglich machen und Rückschlüsse auf die Verfassung des Gesamtsystems ermöglichen.

Im einzelnen seien diese Momente gruppiert um
a) Eingangsvoraussetzungen: im Normalfall ist Zulassungskriterium das Reifezeugnis einer höheren Schule; in den letzten Jahren wurde in stärkerem Maße von der Möglichkeit der Berufsreifeprüfung bzw. der Studienberechtigungsprüfung Gebrauch gemacht. Unklar ist dabei, welche Selektionsprozesse mit dem Erwerb des Reifezeugnisses einhergehen und inwiefern sein Besitz notwendiges und auch hinreichendes Kriterium der Qualifikation für die Aufnahme eines Hochschulstudiums darstellt.
b) Studiendauer: Damit ist gemeint die Fixierung minimaler und maximaler zeitlicher Vorgaben für ein in einzelne Abschnitte gegliedertes Studium: zur Absolvierung der l. und 2. Diplomprüfung und zum Erwerb des Doktorates. Derartige Regelungen haben zweifellos ihren guten Sinn, dürfen aber nicht zur Vorstellung verleiten, mit der Inskription einer gewissen Anzahl von Semestern allein und der Absolvierung der Pflichtprogramme sei schon den Anforderungen eines Studiums im Hinblick auf die eingangs diskutierte Doppelorientierung genüge getan.
c) Studieninhalte: Die Studieninhalte werden en détail über Studienpläne im Rahmen der Studienordnungen festgelegt. In der Absicht, in möglichst vielen Teilbereichen eine gewisse Vorinformiertheit sicherzustellen, reduziert sich das einführende Studium (bis zur ersten Diplomprüfung) auf Aneignung miteinander unverbundener Teilbereiche, fernab von jeder Lebensrelevanz für die involvierten Studenten. Im zweiten Abschnitt ist eine eingehendere Auseinandersetzung mit dem jeweils speziellen Fachgebiet vorgesehen, doch erfahrungsgemäß zeichnet sich erst gegen Ende dieses Abschnittes die Möglichkeit eines überschauenden Begreifens der Zusammenhänge ab. Aktives Interesse und eigenständige Auseinandersetzung mit einem Gegenstand stellen sich -- wenn überhaupt -- erst mit der eigenverantwortlichen Durchführung konkreter Arbeiten größeren Umfanges (z.B. Forschungsprojekte, eventuell Diplomarbeit bzw. Dissertation) ein.

Natürlich ist die faktische Lähmung der Antriebspotentiale, sich in der Lösung theoretischer und praktischer Probleme zu engagieren, nicht kausal dem Organisationsgesetz zuzuschreiben, auch der Partialisierung der Inhalte könnte durch zielstrebigere Koordinationsbemühungen der Lehrenden zweifellos entgegengewirkt werden. Doch darf die Weigerung, in exkulpierender Weise alle Unzulänglichkeiten der verschulten Studienpraxis einem gegebenen gesetzlichen Rahmen zuzuweisen, nicht so weit gehen, idealisierend die freie Willensentscheidung des einzelnen und seine ethisch-moralische Grundlage in unvertretbarer Weise überzubewerten. Sofern derartige Überlegungen in die Richtung einer dichotomischen Gegenüberstellung von strukturellem Zwang und freien Verhaltensräumen führen, müssen sie auf jeden Fall in einer Sackgasse enden. Weit realistischer wird es sein, die gesetzlich fixierten Rahmenbedingungen von Hochschulstudien in Verbindung mit den gesamtgesellschaftlichen Strukturen (z.B. Ökonomisierung der Lebensbezüge, Konkurrenz und Leistungszwänge, Konsumkultur, etc.) und als deren Konkretisierung in einem partiellen Teilbereich zu sehen.
Feststehen dürfte jedenfalls, dass die beiden Ziele einer berufsvorbereitenden, grundlagenorientierten, interdisziplinären und mehrfach qualifizierenden Wissensvermittlung und darüber hinausgehend das Bemühen um Selbstbildung, die sich auch in der Aneignung von Mut, Aufgeschlossenheit und Engagement manifestiert, nur in Ausnahmefällen erreicht werden. Die Regel folgt anderen Gesetzen: Berufsvorbereitende Wissensaneignung für den Bedarf der Wirtschaft verfällt selbst der ökonomischen Prämisse der Minimierung von Input zur Erreichung eines bestimmten Zieles, der Maximierung von Output bei gegebener Investition an Arbeitsaufwand. Das Verhältnis von Mittel und Zweck wird pervertiert, wenn das Mittel, die Wissensaneignung, an Eigenwert verliert, nur noch veräußerlichtes Moment der Realisierung des Zweckes Hochschuldiplom ist.

Die beiden Ziele der Hochschul- und Forschungspolitik, die der Bundesminister als Richtwerte angibt, bedeuten die Anerkennung heteronomer Zwänge und das Desiderat autonomer Gestaltung in einem.

Was de facto derzeit dominiert, und durch die vor kurzem realisierte Novellierung der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Studiengesetze möglicherweise noch verstärkt wird, ist die bereits angesprochene doppelte Ökonomisierung der Ziele und auch der Mittel, was zu einem bedenklichen Übergewicht der heteronomen Anteile auf Kosten der autonomen führt. Dass einem solchen Zustand entgegenwirkt werden soll, versteht sich von selbst und wird in zukunftsorientierten Dokumenten internationaler Organisationen auch plausibel begründet (HÖRBURGER 1983, S. 23 f). Die Möglichkeiten einer Kurskorrektur dürften jedoch beschränkt und vorerst aufs Experimentieren verwiesen sein, doch zeichnen sich bereits einige Wege ab, auf denen neue Versuche erfolgversprechend zu sein scheinen.

4. Anhaltspunkte einer Kurskorrektur-

Forschung bringt nach den bereits erwähnten Ausführungen des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung anlässlich der Konferenz "U 2000" des Council of Europe nur dann einen echten Fortschritt, wenn sie einerseits auf die Gesellschaft bzw. auf die Wirtschaft und anderseits auf den Menschen bezogen ist. Daher auch die Forderung nach engerer Bindung der beiden komplementären Bereiche aneinander und der Beseitigung aller Barrieren, die einer solchen entgegenstehen.

Einen entscheidenden Schritt zu einer derartigen Zusammenarbeit sieht der Bundesminister in der Förderung der personellen Mobilität zwischen den beiden Bereichen. Durch einen solchen Personalaustausch, in dem Industrieforscher an die Universität gehen, um zu forschen und zu lehren, und Universitätslehrer in der Wirtschaft tätig sind, läßt sich der Informationsfluss zwischen den beiden Bereichen verbessern und gleichzeitig der Praxisbezug in Lehre und Forschung verstärken. Diesbezügliche erste Schritte sind in Österreich bereits gesetzt worden und der Bundesminister artikuliert deutlich sein Interesse an einem Erfahrungsaustausch mit ähnlich gelagerten Versuchen in anderen Ländern.

Diese Aufforderung, sich mit Experimenten und Erfahrungen im Ausland auseinanderzusetzen, maq eine gute Gelegenheit sein, darauf aufmerksam zu machen, dass eine Verbesserung der Effizienz der Hochschulstudien im Sinne ihrer Doppelorientierung auch auf anderen Wegen zu erreichen ist, und diesbezüglich ausländische Erfahrungen zur Diskussion zu stellen.

Das erwähnte österreichische Pilotmodell "Wissenschafter für die Wirtschaft" setzt beim lehrenden Personal an, wobei die herkömmlichen Rahmenbedingungen des Studierenden selbst unverändert beibehalten werden. Die Kluft zwischen verschulter Theorie und theorieferner Praxis soll dadurch überwunden werden, dass sich Praktiker für einen begrenzten Zeitraum im Lehrbetrieb und umgekehrt Universitätslehrer im ökonomisch-sozialen Bereich praktisch betätigen. Da dieses Modell erst in der Erprobungsphase steht, läßt sich noch nichts über seine Erfolge bzw. Misserfolge sagen. Doch scheint es fraglich zu sein, ob sich dadurch die Studiensituation substantiell ändert. Die Lehre mag praxisnäher sein, aber sie bleibt weiterhin Lehre unter schulischen Bedingungen, was bedeutet, dass die Lernenden von der Möglichkeit, eigene Erfahrungen zu machen und zu verarbeiten, abgekoppelt bleiben. Persönliche Biographie, Lebenskontext und Zukunftsperspektive sind nicht studienrelevant und es bleibt offen, ob eine Anreicherung mit geeignetem Anschauungsmaterial und ein zweifellos stärkerer Bezug auf konkrete Problemsituationen des Alltags -- bereits jene geforderte Änderung ist, die einen entscheidenden Schritt in Richtung Realisierung der Doppelorientierung der Studien bedeutet.

Als alternatives Modell, das zunächst allerdings auf die Situation Erwachsener ausgerichtet ist, die als Berufstätige sich einem wissenschaftlichen Studium zuwenden, verdient das Modell der Université Coopérative Internationale (U.C.I.) besondere Beachtung. Sein Grundprinzip ist die Recherche-Action, die von Studienbeginn an intendierte Einheit von Theorie und Praxis. Die entscheidende Neuerung dabei ist die Tatsache, dass nicht nur der Erfahrungsraum der Lehrenden ausgeweitet, sondern auch jener der Lernenden in das Studium einbezogen und für ein solches für konstitutiv erachtet wird.

Konkret bedeutet eine derartige Aufwertung beruflich-lebenspraktischer Erfahrungen der Studierenden selbst, dass Studienwerber, die nicht über derartige Erfahrungen verfügen oder sie nicht eingehend zu bearbeiten bereit sind, von einem derartigen Studiengang einerseits ausgeschlossen sind, anderseits aber, soferne sie diese Vorbedingungen erfüllen, in hohem Maße die Gewähr gegeben ist, die Unvermeidlichkeit einer rein kognitiven Orientierung des herkömmlichen Studierens um die affektiv-partizipative Dimension zu erweitern. Impliziert ist in diesem Modell weiter, dass nur dann ein Studium auf das praktische Leben ausgerichtet sein kann, wenn dieses selbst auch als sein Ausgangspunkt gewählt wird. Dieses Modell geht daher insofern über das vom Bundesminister erwähnte Pilotmodell ,,Wissenschafter für die Wirtschaft" hinaus, als die Verbreiterung der praktischen Erfahrungsbasis sich nicht auf die Lehrenden beschränkt, sondern auch auf die Lernenden ausgeweitet wird. Von den Studierenden erfahrene praktische Probleme sind Ausgangspunkt des Studiums, ein Beitrag zu deren Lösung dessen Ziel. An die Stelle des Prinzips Schule und Fremdsteuerung der Lernenden durch die Lehrenden tritt somit das Prinzip Erfahrung und Selbststeuerung der Lernenden, wobei auf die intellektuellen Ressourcen der Lehrenden je nach Bedarf zurückgegriffen wird.

Ein solches Studienmodell übt fürs erste ohne Zweifel eine gewisse Faszination aus für jene, die Tag für Tag mit der Lebens-ferne und der demotivierenden Abgehobenheit herkömmlicher Studiengänge konfrontiert sind. Offen scheint die Frage zu sein, in welchem strukturellen Rahmen ein solches Modell Gestalt gewinnen und im Hinblick auf die Doppelorientierung wirksam werden kann. Daher zunächst eine skizzenhafte Gegenüberstellung des aktionsorientierten Studienmodells mit den derzeit in Österreich gültigen Strukturbedingungen (für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften) und anschließend einige Bemerkungen zu theoretisch begründbaren Vorteilen einer derartigen Konzeption. Für einen Vergleich der beiden Modelle wird auf die Kriterien Eingangsvoraussetzungen, Studiendauer und Studieninhalte Bezug genommen.

4.1. Das Modell der SOWI-Studienrichtungen an Österreichischen Hochschulen

Eingangsvoraussetzungen: Formale Kriterien wie

An einforderbaren, kontrollierbaren Leistungen wird verlangt

a) Inskription und Präsenzpflicht:
inskriptionspflichtig: 2 x 68 = 136 Semesterwochenstunden davon präsenzpflichtig sind ca. 2 x 2o 40 Semesterwochenstunden 2 Semesterwochenstunden sind ca. 2 x 13 = 26 Arbeitsstunden das sind pro Studienabschnitt ca. 260 präsenzpflichtige Stunden, bis zum Erwerb des Magisteriums also ca. 520 Stunden insgesamt, pro Semester ca. 65 Stunden Anwesenheitspflicht, d.h. Leistungen im Gegenwert von 2 -- 3 Scheinen/Zeugnissen.

b) Prüfungen: Diplomprüfungen pro Abschnitt zu je 5 Teilprüfungen. Diese Diplomprüfungen sind teils schriftlich, teils mündlich, teils schriftlich und auch mündlich abzulegen.

Da nur objektives Wissen exakt messbar und bewertbar ist, beschränken sich Prüfungen weitgehend auf die Wiedergabe bzw. Verarbeitung von kognitivem Wissen.

Wenn am Ende die Verfügbarkeit über kognitives Wissen entscheidend ist über Erfolg und Mißerfolg eines Studiums, so wird auch die Orientierung aufs Kognitive zum dominanten Motiv der Gestaltung des Studiums. Vorherrschend ist also die Perspektive des ,Jemanden-Bildens', jedoch wenig Raum für das ,Sich-Bilden' der Studierenden selbst.

4.2. Das Modell aktionsorientierter Studienorganisation an der Université Coopérative Internationale

Eingangsvoraussetzungen: Materiale Kriterien wie

An einforderbaren, kontrollierbaren Leistungen wird verlangt:

a) jährlich
aa) individuelle Arbeit (travail individuel)
bb) Arbeit unter Anleitung eines Betreuers (travail dirigé)
cc) Arbeit in Gruppen (travail coopérativ)

ad aa) bei Studienbeginn ca. 20-seitige Darlegung des Projektes; pro Jahr dann eine kommentierte Bibliographie der Lektüre, die zum Zwecke der Projektbearbeitung herangezogen wird
ad bb) dirigierte Arbeit: Aussprache mit verschiedenen Dozenten über Schwierigkeiten und Fortschritte in der Projektbearbeitung, Koordination von Erfordernissen der Lebens-- und Projektpraxis ebenso wie theoretische Auseinandersetzungen; Nachweise der theoretischen Arbeit und gutachtliche Stellungnahmen der Dozenten gehen ein in das Studiendossier.
ad cc) Pro Jahr sind vorgesehen

b) Abschlussprüfung zur Erlangung des Diploms vor einer Kommission des Professorenkollegiums der zuständigen Universität nach Vorlage der schriftlichen Projektarbeit (=Magisterarbeit, Diplomarbeit) im Umfang von mindestens 200 Seiten.

4.3. Vergleich der Anforderungen und der Effizienz in den beiden Modellen

a) Die Arbeit der Studenten ist im Modell der UCI deutlicher spezifiziert in der Untergliederung in die Typen individuelle, dirigierte und kooperative Arbeit; die Leistungen werden in jedem Arbeitstyp sowohl objektiviert wie auch kontrolliert und bilden in ihrer Kumulation eine Einheit; im Modell der österreichischen Studiengänge bleibt individuelle Arbeit unkontrolliert und dirigierte Arbeit dem Zufall überlassen, kontrolliert werden lediglich vereinzelte Beiträge zu Übungen/Proseminaren/Seminaren, die Erstellung einer Diplomarbeit und die Qualität der Diplomprüfungen.

b) Direkt vergleichbar ist die Quantität an kooperativer Arbeit in Übungen, Seminaren etc. (nicht jedoch die Qualität):
Im Modell der österreichischen Diplomstudiengänge sind diesim Verlauf von 8 Semestern ca. 520 Stunden.
Im Modell des UCI sind dies im Verlauf von 6 Semestern ca. 514 Stunden.

c) An schriftlicher Arbeit ist zu leisten:

Im Modell der österreichischen Diplomstudiengänge
20 Referate ~ ca. 12 - 15 Seiten, also 24o - 3oo Seiten + Diplomarbeit von ca. 100 Seiten, also insgesamt ca. 400 Seiten

Im Modell des UCI
Lebensbiographie + Projektformulierung, kommentierte Bibliographie des Gelesenen; Beiträge zu kooperativer Arbeit im Umfang von mindestens 3oo Seiten + Diplomarbeit von ca. 2oo Seiten, also ca. 500 Seiten.

Diese etwas penible Gegenüberstellung an objektivierbaren Leistungen dient dem Zweck, eventuellen Befürchtungen, der Verzicht auf für möglichst breite Kreise anwendbare gesetzliche Vorschriften der Studiengestaltung gefährde die Effizienz und Kontrollierbarkeit der Studienleistungen, die Basis zu entziehen. Es zeigt sich im Gegenteil, dass eine Individualisierung der Studienpflichten sehr wohl mit gesellschaftlich erforderlicher Kontrollierbarkeit vereinbar ist. Es besteht Grund zur Vermutung, daß eine individualisierte Kontrolle und Studienberatung durch die Dozenten sogar effizienter ist, der Sache nach genauer und den Lernfortschritten der Studenten zweckdienlicher. Allerdings setzt dies eine andere Akzentsetzung im Rollenverständnis der Lehrenden voraus: sie legen nicht von sich aus fest, was für die Lernenden (und die Gesellschaft) notwendig und nützlich ist, sondern verstehen sich im Dienste der Förderung dessen, was von einem Coopérativ von mündigen Erwachsenen, die voll im Leben stehen, als notwendig und nützlich definiert worden ist.

5. Pluspunkte eines aktionsorientierten Studiums

Eine Gegenüberstellung von herkömmlicher und aktionsforschungsorientierter Studienorganisation darf nicht übersehen, dass die heute geltenden Studienmodelle das vorläufige Endprodukt einer langen Entwicklung sind, einer Vielfalt von Sachzwängen Rechnung tragen, also in ihrer geschichtlichen Gewordenheit und gesellschaftlichen Funktionalität durchaus eine gewisse Rationalität für sich beanspruchen können. Dennoch ist kritisch anzumerken, dass die gegenwärtige Organisation der Hochschulstudien der Verschulung Vorschub leistet und der Anhäufung von (oft zusammenhanglosem) Wissen dient, das von den praktischen Problemen der Lebensbewältigung abgekoppelt ist, Anpassung und Verdrängung prämiiert, Isolierung und Entsolidarisierung der Studierenden mit sich bringt. Dies alles sind gravierende Nachteile, die viel leere Betriebsamkeit, Resignation und Missmut zur Folge haben.

Da sich in diesen unerfreulichen Zuständen der gegenwärtigen Universität in etwa die gesamtgesellschaftliche Verfassung spiegelt, wäre es illusorisch, von einem Alternativmodell her rasche und umfassende Änderungen zu erwarten. Doch wäre es unvertretbar, nicht über Alternativen nachzudenken und sie in begrenzten Versuchen auf ihre praktische Realisierbarkeit und Auswirkung hin zu überprüfen. Auch im betrieblich-produktiven Bereich waren durch Veränderungen der Strukturen der Arbeitsorganisation punktuell erhebliche Fortschritte in der Humanisierung der Arbeit realisierbar. Es wäre hoch an der Zeit, initiativ zu werden in Richtung ‚Humanisierung des Lernens'.

Das oben diskutierte Lernmodell der Université Coopérative International, das vorerst lediglich im Bereich der Sozialwissenschaften Anwendung findet, scheint der derzeit geltenden, geschichtlich gewachsenen Studienorganisation gegenüber folgende erhebliche Vorteile zu haben:

Ausgangspunkt sind die verschiedenartigsten Berufs- und Lebenserfahrungen und die Bereitschaft, sich damit in eigenständiger Reflexion auseinanderzusetzen. Die Mündigkeit des Studenten ist nicht nur verbal anerkannt, sondern material vorausgesetzt.

Die Lerninhalte sind bestimmt von der Notwendigkeit, Erfahrungen zu systematisieren und damit verbundene Probleme lösen zu können; das Studium ist daher um ein steuerndes Zentrum aufgebaut, die Arbeit kontinuierlich und einheitlich um dieses Zentrum gruppiert, wobei die selbständige Organisation des erforderlichen Lernstoffes zu den Aufgaben des/der Studenten gehört.

Damit sind von vornherein Selbsttätigkeit, Eigeninitiative und Engagement integraler Bestandteil des Studiums. Heteronome Einflüsse in der Gestalt entfremdender Sacherfordernisse treten zurück, ebenso die Veräußerlichung der Motivation, die mit der Fixierung auf formale Ziele verbunden ist. Mit der Internalisierung der Lernmotivation verbessern sich die Bedingungen der Aneignung des Gelernten.

Da Berufs und Lebensprobleme der Ausgangspunkt und ihre Lösung das Ziel des Studiums sind, ist die permanente Reflexion der Transfermöglichkeit theoretischen Wissens und die Arbeit am Transfer ein studienbegleitendes Element, ist Praktikabilität ein Maßstab für die Relevanz von Theoretischem.

Mit der Rückbindung des Studiums an die Praxis ist die Bindung an die Gemeinschaft gekoppelt, Gemeinschaftlichkeit charakterisiert nicht nur den Lernprozess selbst in der Gruppe, sondern dessen Ziel in der Veränderung und Weiterentwicklung eines partikulären Sektors der Gesellschaft. Also Solidarität der Lernenden mit dem Ziel des Aufbaues von Solidarität in der Gesellschaft.

Noch auf etwas weiteres ist hinzuweisen:
Ein Studium, dessen Gestaltungsprinzip die Verbindung von Forschung und Aktion ist, entspricht in hohem Maße jener Funktionsbestimmung der künftigen Universität, wie sie bei der Konferenz U-2000 als wesentliches Resultat mehrjähriger Arbeit herausgestellt worden ist: die Universität soll regionales Forschungszentrum mit auf die Region bezogenen Problemstellungen sein (BANNERT 1984, 5. 2) . Mit einer solchen Verschiebung der Perspektive würde eine Voraussetzung für andere recht plausible, aber schwer realisierbare Forderungen geschaffen: der Verbindung von Theorie und Praxis, Öffnung der Universität, Verbindung mit der Erwachsenenbildung, effizientere Umsetzung der Forschungsergebnisse in Projekte, die besser überschaubar und kontrollierbar sind. In dem Maße, in dem universitäre Forschung sich konkreten Problemlagen und Bedürfnissen zuwendet, wird auch das Interesse einer regionalen Öffentlichkeit für Forschungsergebnisse zunehmen, reduziert sich zumindest die derzeit bestehende Diskrepanz von Angebot (an wissenschaftlicher Arbeit) und Nachfrage (nach solchen Produkten) .

6. Abschließende Bemerkungen

Ein solches Programm setzt voraus / entwickelt beim Studenten Mut, Aufgeschlossenheit, Flexibilität und Engagement, also jene Merkmale, die der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung als notwendiges Komplement der Bildung bezeichnet, ,,denen wir aber in unserem Bildungssystem gegenwärtig leider zu wenig Beachtung schenken" (H. Fischer) .

Mehr Beachtung' schenken verlangt zweifellos, in den Organisationsgesetzen eines Studiums dafür Möglichkeitsräume vorzusehen und sich vom verbreiteten Vorurteil zu lösen, der Student tue nur das, wozu er gezwungen ist. Hinter der pessimistischen Unterschätzung der Antriebspotentiale verbirgt sich die kleinkarierte Anthropologie des Taylorismus, die davon ausgeht, dass jede Tätigkeit vom Streben nach unmittelbar materieller Kompensation stimuliert werde, der Spontaneität und Selbstregulation nichts zuzutrauen sei. Wo dafür Räume eröffnet werden, entsteht selbstverantwortete Dynamik .

Von den Verfechtern einer solchen offenen Organisationsstruktur wird nicht unterstellt, daß damit ein für alle anwendbares Modell der Universitätsbildung gefunden sei. Doch gehen sie davon aus, dass für die große Zahl der Erwachsenen, die sich, in ihrem Beruf bleibend, einem Studium zuwenden wollen, weit besser angepasste und auch effizientere Studienbedingungen geschaffen werden. Für diesen Kreis wäre es lohnenswert, ausländische Erfahrungen -- vorerst zumindest versuchsweise -- in den österreichischen Kontext zu übertragen.

Literatur

BANNERT H., Die Universität im Jahre 2000. Abschlussveranstaltung der Konferenz ,,U 2000" des Europarates in Straßburg, in: Bundeskonferenz. Hochschulpolitische Informationen der Bundeskonferenz, Nr. 6/April 1984, S. 2.

CHRISTOPH K., Die Wissenschaft und ihre ,Adressaten' - Probleme sozialwissenschaftlichen Lehrens und Lernens, in:
Leviathan l0 (1982) 4, S. 514 -- 530.

DUHM D., Aufbruch zur neuen Kultur. Von der Verweigerung zur Neugestaltung, München 1982.

FISCHER H., Hochschul- und Forschungspolitik in Europa bis zum Jahre 2000, in: ibw, November 1983, S. 13 - 14.

HASS E., Zum Verhältnis von Arbeit, Qualifikation und Ausbildung. Eine Kritik der Bildungsökonomie, München 1980.

HÖRBURGER R., Die französisch-sprachige Internationale Genossenschaftsuniversität, in: Gunz J. u.a., Aktivierende Sozialforschung als Bildungs- und Entwicklungsprozess, Soziologische Forschungen, Bd. 13, Linz 1983, S. 23 -- 24.

MALLET 5., Die neue Arbeiterklasse, Neuwied--Berlin 1972.



P.S. Ich habe diesen Beitrag der „Zeitschrift für Pädagogik" in Berlin geschickt. Die Ablehnung der Veröffentlichung wurde (von P.M.R.) damit begründet, „dass einiges Ihrer Kritik an den traditionellen Studiengängen gewissermassen ohne für uns nachvollziehbaren Beleg bleibt und dass andererseits das interessante Experiment der Verbindung von praktischen Projekten und theoretischen Studien wiederum bewertet wird, ohne dass uns die empirische Basis für diese Beurteilung ganz klar wird".
In dieser Argumentation werden zwei Momente herausgestellt: Die „Kritik an traditionellen Studiengängen" und „die empirische Basis der Beurteilung" projektorientierter Studien. Beurteilungen und Bewertungen sind immer situations- und subjektbezogen, können also auch divergieren, was als völlig normal anzusehen ist.
Der obenstehende Text wurde verfasst am Beginn der Arbeit mit der ersten Gruppe von Studierenden, die sich für den projektorientierten Weg entschieden hatten. Erfahrungen über die Umsetzbarkeit im österreichischen Kontext konnten wir erst später machen.
Die Zeitschrift „human relations" konzipiert ihr Heft 2 des Jahres 1993 als „SPECIAL Action Research ISSUE". In einer Reihe von Projektberichten wird auf den Nutzen der Aktionsforschung bei betrieblichen lern- und Transformationsprozessen hingewiesen.
An einer Reihe von französischen Universitäten sind seit einer längeren Reihe von Jahren Studiengänge im Sinne der „recherche-action" fester Bestandteil der jeweiligen Abteilungen für Erwachsenenbildung (Département de Formation des Adultes). Sie sind wichtige Schnittstellen für die reichhaltige Berufs- und Lebenserfahrung einzelner Akteure, soziale Innovations- und Transformationserfordernisse und universitären Wissensbeständen. Sie sind auch von Nutzen für alle daran Beteiligten: die einzelnen Akteure, die sozialen Zusammenhänge, in denen diese stehen, und auch die Universitäten, denen damit neue Felder der Rückkoppelung ihrer Aktivitäten an den sozio-ökonomischen Kontext eröffnet werden.

Es ist nicht zu übersehen, dass manche der im üblichen Studium angefertigten wissenschaftlichen Arbeiten (Seminar- und Diplomarbeiten, auch Dissertationen) mitunter in beträchtlicher Nähe zur projektorientierten Arbeitsweise stehen. Deren Förderung kann also nie darin bestehen, derzeit bestehende institutionelle Vorgaben in Frage zu stellen, sondern lediglich darin, sie zu ergänzen.

Versuche, andernorts Bewährtes in den österreichischen Kontext zu transferieren, waren bislang nicht nur mit einer Reihe ungetrübter Erfolgserlebnisse verbunden. Dies soll jedoch kein Grund dafür sein, in derartigen Studiengängen eine Erweiterung der bestehenden Möglichkeiten zu sehen

7. Oktober 2000, Otto Nigsch