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Soziologie der Arbeitslosigkeit

Didier Demazière, Soziologie der Arbeitslosigkeit, Paris 1995

Vorbemerkung: Es handelt sich hier um eine gekürzte Übersetzung von „La sociologie du chomage". Sie enthält eine m.E. gute Einführung in die Problematik der Arbeitslosigkeit und damit verbundene Forschungsfragen . Die Arbeit von Jacques Freyssinet, Le chomage, Paris 1998, ist jüngeren Datums, etwas kürzer gefaßt. Aus der Perspektive der Soziologie dürfte die ältere Arbeit jedoch wichtiger sein. Die beiden Publikationen sind erschienen in der Reihe von REPÈRES (Nr. 179 und Nr. 22) der Èditions La Decouverte & Syros. Wie es auf der Rückseite einer dieser Arbeiten heißt, enthalten sie, „was man wissen muß, um über die gegenwärtige Arbeitslosigkeit in unserem Lande diskutieren zu können" Mir scheint der besondere Nutzen darin zu bestehen, dass die Begriffe in ihrer historischen Entstehung rekonstruiert und damit präzisiert werden, so dass sich daraus ein anderes Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit ergibt. Übersetzung von mir. O.N. 15/12/99.

Gliederung

Einleitung
1. Die Arbeitslosigkeit, eine problematische Kategorie
2. Maße und Grenzen der Arbeitslosigkeit
3. Wege aus der Arbeitslosigkeit
4. Die Paradoxien der Behandlung der Arbeitslosigkeit
5. Leben und existieren in der Arbeitslosigkeit
Schlußfolgerungen



Einleitung

Die Soziologie der Arbeitslosigkeit ist kein klassisches Thema der Soziologie. Es gibt zwar einige Pionierarbeiten, doch im wesentlichen befaßt sich die Forschung damit erst seit den frühen 80er Jahren, dem Zeitpunkt des Anstiegs der Arbeitslosigkeit und der Zunahme der politischen Maßnahmen, um sie zu begrenzen.
Inzwischen ist die Arbeitslosigkeit sozial sichtbar geworden, hat viele Debatten und Analysen ausgelöst. Für die Soziologie ist die Arbeitslosigkeit nicht nur die Absenz von Beschäftigung, sondern auch die Entstehung einer neuen sozialen Kategorie. Also ist Arbeitslosigkeit auch ein soziales Konstrukt, Arbeitslose werden konstruiert durch soziale Regeln und kulturelle Normen.
Diese soziale Gestalt der Arbeitslosigkeit ist es, welche die Soziologie vor allem beschäftigt. Arbeitlosigkeit ist also zu analysieren als Artikulation von

Arbeitslosigkeit ist das Resultat der Dialektik zwischen

Ziel der dieser Arbeit: den Stand der Erkenntnisse darzustellen, die Bezugspunkte der Diskussion zu identifizieren und eine Reihe von noch offenen Fragen anzusprechen.

I. Die Arbeitslosigkeit, eine problematische Kategorie

Arbeitslosigkeit zeigt sich heute als objektive Realität, die von niemandem bestritten wird; sie gilt gleichsam als struktureller Bestandteil der gegenwärtigen Gesellschaft. Dennoch, nicht ist evident, es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Dinge sprachlich zu erfassen.
Arbeitslosigkeit wird hier gesehen als das Produkt einer sozialen Konstruktion, die bestimmte Situationen des nicht-Beschäftigt-Seins in Arbeitslosigkeit transformiert, jedoch andere von dieser Bezeichnung ausschließt. Arbeitslosigkeit ist also eine Art des Bezeichnens, des Kategorisierens von bestimmten Situationen. Die soziale Form, die wir Arbeitslosigkeit nennen, entwickelt und verändert sich. Das erste Objekt einer Soziologie der Arbeitslosigkeit ist daher die Analyse der Prozesse der Konstruktion dieser Position auf dem Arbeitsmarkt:
Wie sie entsteht, als eine spezifische Situation identifiziert, offiziell anerkannt und von nicht betroffenen Personen angewandt wird. Nach der schrittweisen Institutionalisierung der Arbeitslosigkeit seit dem Ende des 19. Jahrhunderts werden die Umrisse dieser Kategorie in der gegenwärtigen Periode sichtlich unschärfer.

1. Die Konstruktion der Kategorie der Arbeitslosigkeit

Die Zuerkennung der Eigenschaft, arbeitslos zu sein, ist nur möglich, weil es eine entsprechende rechtliche Kategorie gibt. Diese ist jedoch neueren Datums, sie entsteht mit der Entwicklung der industriellen Gesellschaft und der Lohnarbeit, stabilisiert sich mit dem Auftauchen bestimmter Politiken und spezialisierter Institutionen.

Ohne Arbeit, ohne Beschäftigung

Noch im 18. Jahrhundert gab es den Ausdruck Arbeitslosigkeit gar nicht; damals sprach man von Armen, Bedürftigen, Bettlern: jene, die sich nicht selbst erhalten konnten und der Hilfe bedürften,
- sei es privat (traditionelle Armenpflege der Kirche)

- sei es öffentlich (auf Kosten der Gemeinde oder des Staates).

Diese Bezeichnungen drücken den Mangel an Ressourcen aus, die Unfähigkeit, selbst für seine Bedürfnisse zu sorgen, nicht aber auf die Vorenthaltung von Arbeit (oder Beschäftigung, damals ein unbekannter Ausdruck).
Arbeitslosigkeit im modernen Sinne des Wortes entsteht mit der Veränderung der Arbeitsbeziehungen: mit der Kodifizierung der Lohnarbeit und den damit gegebenen Beziehungen.

Arbeitslosigkeit, das Komplement (Gegenstück) zum Lohnverhältnis

Fluktuationen in der Aktivität wurden keineswegs als Arbeitslosigkeit identifiziert. Solange die Beziehungen zwischen Unternehmer und Arbeiter in hohem Maße personalisiert gewesen sind und nicht vertraglich fixiert waren wie im modernen Arbeitsvertrag, wurden Diskontinuitäten in der Arbeit nicht als Arbeitslosigkeit, sondern als arbeitsfreie Zeit betrachtet.

Die Verrechtlichung der Arbeitsbeziehung vollzieht sich gleichzeitig mit der Rationalisierung und Mechanisierung der industriellen Produktion. Diese Veränderungen führten zur Festlegung einer abgegrenzten Arbeitszeit, die nichts mit anderen Tätigkeiten zu tun hatte, meßbar und kontrollierbar gewesen ist. Von da an können die Unternehmer das Volumen der Arbeit regulieren, die weniger produktiven Individuen schlechter bezahlen oder auch entlassen.
Die Konstruktion der Lohnarbeit bedingt auch eine andere Art des ohne Arbeit-seins. Man ist nicht mehr nur vorübergehend ohne Arbeit, sondern die Arbeitslosigkeit bedeutet einen definitiven Bruch in der Beziehung zwischen Arbeiter und Unternehmer, die einen Übergang von einer wenig deutlichen Unterscheidung zwischen Aktivitäten und Mangel an Betätigung zu einer Verselbständigung der Vorenthaltung (Privation) von Aktivitäten markiert.

Die Erfindung der Arbeitslosigkeit (Saleis et al 1986) ist also an die Entstehung des Lohnarbeitsverhältnisses gebunden, nicht genau zu datieren, kristallisiert sich jedoch an der Wende vom 19. Zum 20. Jahrhundert heraus.

Die Krise der 30er Jahre und die moderne Arbeitslosigkeit

Während dieser Krise war die soziale Konstruktion der Kategorie noch nicht abgeschlossen, sodaß sich ihre Auswirkungen auf die Zahl der Arbeitslosen nicht genau bestimmen läßt. Vielmehr hat eine Analyse der Daten von damals lediglich auf eine hohe Korrelation zwischen dem Niveau der Arbeitslosigkeit in einzelnen Departements und dem Ausmaß an Industriealisierung und Urbanisierung hingewiesen. Daher ist die Arbeitslosigkeit dieser Jahre stark unterschätzt, weil Kleingewerbe im ländlichen Raum und Frauenarbeit gar nicht gezählt worden ist. Dies zeigt, daß erst die Kodifizierung der Arbeit zur Arbeitslosigkeit im modernen Sinne geführt hat. Erst nach und nach haben die Unter/Nicht-Beschäftigten sich als Arbeitslose deklariert und sind als solche anerkannt und registriert worden.

Institutionen für die Arbeitslosen

Wenn die Regulierung der Produktion zur Eliminierung jener führt, die als unfähig oder unproduktiv eingestuft werden, so geht mit den eine Änderung der Sozialpolitik einher und auch der Bezeichnungen jener, die ohne Arbeit sind.

Arbeitslosigkeit statt Armut

Während des ganzen 19. Jahrhunderts wurden die einfachen Klassen von den anderen und der bürgerlichen Ordnung als "gefährliche Klassen" wahrgenommen. Mehr noch als die Armut hat das Nichts-Tun der Besitzlosen beunruhigt. Aus diesen Gründen trägt die öffentliche Unterstützung Merkmale einer Logik der Bestrafung: neben der Hilfe sollten ihnen auch eine Betätigung gegeben werden, wobei ihnen die Verantwortung für ihre Beschäftigungslosigkeit zugeschoben worden ist. Arbeit ist nicht ein Recht, sondern vielmehr eine Pflicht. "Wer nicht arbeitet, wird für einen Delinquenten gehalten" (Bart 1988).

Im 19. Jahrhundert verschwindet nach und nach die traditionelle öffentliche Unterstützung, und es setzt sich nach und nach die Unterscheidung zwischen den dauerhaft Armen (Elende, Bettler, Vagabunden) und den Gelegenheitsarmen durch: vorübergehend nicht beschäftigte Arbeiter. Diese wurden für gefestigte (stabilisierte) Arbeiter gehalten, die ohne Schuld arbeitslos sind, im Gegensatz zu den instabilen Arbeitern, deren selbstgewollte Instabilität sanktioniert wurde, und den Armen ohne jede Bezugnahme auf die Arbeit. Die Verselbständigung einer Kategorie der Arbeitslosigkeit gegenüber jener der Armut führte zur Etablierung einer neuen Norm: Arbeitslosigkeit impliziert eine schuldlose Arbeitsunterbrechung aus ökonomischen Gründen. Doch die theoretischen Unterscheidungen bleiben theoretisch so lange, bis sie in den Institutionen ihren Niederschlag finden.

Die Hilfen für Arbeitslose

Nach 1880 beginnen die Gewerkschaften auf berufsbezogener Basis Kassen zur Unterstützung der Arbeitslosen zu gründen. Damals war gewerkschaftliche Hilfe nicht an besondere Umstände gebunden: sie wurde ausbezahlt bei fehlender Arbeit, Krankheit, Streik, Ausschluß ...
Anfang des 20. Jahrhunderts etablierte der Staat das Prinzip der kostenlosen Weitervermittlung für anerkannte Arbeitslose: dies wurde den Gemeinden zur Pflicht gemacht wie ebenso die Auszahlung von Subventionen. Von Anfang an gibt es also diese Aktivitäten zur Wiedervermittlung für jene, die als Arbeitslose anerkannt worden waren. Dies spielte eine große Rolle bei der Objektivierung der Arbeitslosigkeit. Dies ermöglichte es auch auf die Individuen einen Druck auszuüben und ihre Adaptierung zu erzwingen. Die Schaffung von Ämtern der Arbeitsvermittlung institutionalisiert daher die Unterscheidung zwischen vorübergehend Arbeitslosen, Arbeitern mit bestimmten Rechten, und den anderen, die der Hilfe und der caritativen Unterstützung bedürfen. Die Spezifikation von Einrichtungen und Interventionen stützt direkt die Verfestigung der Kategorie der Arbeitslosen.

Das Modell des Arbeitslosen der 30er Jahre

Jeder konnte Hilfe erwarten, solange er vom Amt als Arbeitsloser anerkannt wurde. Die Ämter stützten sich auf eine Definition von Arbeitslosigkeit, die verschiedene Kriterien berücksichtigte: Alter, Familienstand, ungewollter Verlust der Arbeit und Moralität. Dies führte zu einer selektiven Verteilung der Unterstützungen zur Arbeitssuche. Eine Analyse von Akten der unterstützten Arbeitslosen ergibt folgendes Modell: männlich, mittleren Alters, nationale Zugehörigkeit, Haushaltsvorstand, verheiratet, also Merkmale, wie sie auch dem Modell-Arbeiter kennzeichnen.

Daneben lassen sich noch zwei weitere Kategorien identifizieren:
a) anerkannte Arbeitslose, aber nicht entschädigt: Frauen und Jugendliche, die noch zu Hause wohnen

b) nicht als arbeitslos anerkannte Personen: Singles, Alte oder Ausländer.

Diese sind zweimal zurückgewiesen: zuerst von der Arbeitswelt, dann aber auch von der Vermittlung.

Durch ihre Praktiken institutionalisieren die Ämter die Kodifizierung der Arbeitslosigkeit. Die Regulierungen des Arbeitsverhaltens, die soziale Kontrolle der Arbeitslosen und ihrer Aktivitätszyklen, dies alles soll verhindern, daß Beschäftigungslose, die nicht arbeiten wollen, nicht zu falschen Arbeitslosen werden. Mit der Ausbreitung des Lohnarbeitsverhältnisses verändert sich auch die soziale Definition von Arbeitslosigkeit. Die Kriterien der beruflichen Vergangenheit und der früheren Bindung an einen Betrieb verlieren an Bedeutung, entscheiden wird, Verfügbarkeit (disponibilité) und die Suche nach Beschäftigung. Prinzip der Kodifizierung der modernen Arbeitslosigkeit: die soziale Anerkennung der Ansprüche der einzelnen Individuen, auf dem Arbeitsmarkt präsent zu sein.

Arbeitslosigkeit, ein rechtlicher Status

Dieses Modell gewinnt an Bedeutung nach dem Zweiten Weltkrieg, in Verbindung mit einer Wirtschaftsplanung, die den Mangel an Arbeitskräften lösen will. Die Verfassung von 1946 (in Frankreich) schließt diesen Prozeß ab, indem sie den Arbeitslosen definiert als einen verfügbaren Beschäftigungssucher, was als Gegenstück zur staatlichen Verpflichtung anzusehen ist, Vollbeschäftigung sicherzustellen.
Statt einer Pflicht ist die Beschäftigung ein Recht, aus der Arbeitslosigkeit wird in gleicher Weise ein Recht, das zu einem rechtlich fixierten Status führt. Diese Anerkennung des Arbeitslosen als Rechtssubjekt impliziert auch eine soziale Abstützung.

Die öffentliche Aufgabe der Vermittlung und der Kontrolle

Nach dem Krieg setzt sich eine dirigistische Konzeption durch, und die Rolle der Vermittlungsämter beschränkt sich den Arbeitslosen gegenüber auf Kontrollaufgaben. Um dem entgegenzuwirken, wurde 1967 das ANPE, ein Bundesamt für Beschäftigung gegründet. Dieser neue Organismus übernimmt die administrativen Aufgaben, doch die Vermittlung wird als prioritär bezeichnet. Nachfolgende Reformen verbinden enger die Inskription (Meldung) mit der Suche nach Beschäftigung, damit also jene Arbeitslosen zu eliminieren, die sich von dieser Norm entfernen. Institutionelle Kodifizierung der Arbeitslosigkeit und Administrative Kodifizierung sind also vor allem Formen der sozialen Kontrolle einer Bevölkerung deren Inaktivität Beunruhigung erzeugt. Die Politisierung der Zahlen über die Arbeitslosigkeit bestätigt diese Tendenz nur.

Die Kodifizierung des Arbeitslosen als Beschäftigungssuchenden

Diese Qualifizierung verpflichtet zur Suche nach Arbeit und impliziert eine Kontrolle der als arbeitslos anerkannten Personen. Jede Einschreibung ist nur vorläufig und bedarf der wiederholten Erneuerung. Eine Nichtbeachtung dieser Vorschriften führt zu einer automatischen Streichung von der Liste, damit auch der Vorteile, die mit dem Status der Arbeitslosigkeit verbunden sind. Aufgabenschwerpunkt des Amtes sind jene, die wirklich eine Beschäftigung oder Ausbildung suchen, kurz alles, was der beruflichen Wiedereingliederung dient. Unter diesem Titel hat das Amt die Qualität des Arbeitssuchenden zu beurteilen und seine Akte der Suche nach Arbeit zu überprüfen. Der Aufwand für die Verwaltung der Akten steht in keinem Vergleich zu jenem, welche der Verbesserung der Informationen über den Arbeitsmarkt dienen. Ein alter Direktor des Amtes: Verfeinertes statistisches Zahlenmaterial über die Arbeitslosigkeit und Informationen über die Beschäftigung selbst stehen in einem groben Mißverhältnis.

Eine Institutionalisierung der Arbeitslosigkeit?

Diese Fassung der Arbeitslosigkeit in einer sozialen/institutionellen Form steht in einem Wechselverhältnis mit dem individuellen Verhaltensweisen. Mit dem Ende der 60er Jahre steigt die Zahl der Arbeitslosen, bedingt einerseits durch die Verbesserung der sozialen Entschädigung, andererseits durch die Eröffnung zusätzlicher regionaler Arbeitsämter, womit die Schalter näher zu dem Kunden kommen. Damals bestand noch ein Mangel an Arbeitskräften, für Einschreibungen (Meldungen) beim Amt wurde geworben. Gegen Monatsende hat sich der Indikator für die Nachfrage nach Beschäftigung jeweils stark verändert, verringert. Diese Veränderung der Verhaltensweisen haben sich weiter verstärkt: zuerst bei jenen, die am besten entschädigt werden, (aus ökonomischen Gründen Entlassene), dann bei jenen, die keine soziale Absicherung haben (Familienväter), schließlich bei jenen, die nicht in gleicher Weise daran interessiert sind, sich zu melden oder gemeldet zu bleiben (wiedereinsteigende Frauen, Jugendliche auf der Suche nach der ersten Beschäftigung). Diese Tendenzen wurden als Anzeichen der Institutionalisierung der Arbeitslosigkeit interpretiert: Arbeitslosigkeit ist identisch mit der offiziellen Anerkennung durch die Vermittlungsämter (Marchand Thelot 1983). Nach dieser These wirkt sich die Unterbeschäftigung mehr und mehr als Arbeitslosigkeit aus, wobei die Arbeitssuchenden sich bereitwilliger vor den lokalen Ämtern deklarieren. Dennoch gibt es seit den 80er Jahren, mit der Verknappung der Beschäftigung, auch Gegentendenzen. Die Einschreibung bedeutet also die Kategorisierung/Kodifizierung einer individuellen Situation in einer institutionellen Form. Diese Institutionalisierung bedeutet, daß die juridische Definition genauer geworden ist, gleichzeitig aber auch die Konturen der sozialen Kategorie der Arbeitslosigkeit verschwimmen, unschärfer werden.

2. Die Ausmaße der Arbeitslosigkeit

Heute, in einer Zeit rasch ansteigender Arbeitslosigkeit ändern sich auch rasch die Kategorien zur Erfassung der Arbeitslosigkeit und die Neubestimmung der sozialen Lagen (der sozialen Statusse).

Arbeitslose und Nicht-Arbeitslose, eine unscharfe Grenze

Die Erfassung der Arbeitslosigkeit nach juridischen Standards bedeutet jedoch nicht das Ende der Debatte über die Zuerkennung dieses Status an Personen ohne Beschäftigung, um so mehr, als sich die Positionen in der Nähe der Arbeitslosigkeit vervielfachen.

Die Figur des falschen Arbeitslosen

Die Kontrolle der Nutznießer impliziert im Ansatz bereits das Bild von den falschen Arbeitslosen. Offensichtlich ideologische Konnotationen, dennoch Versuche oder empirisch-operationelle Überprüfung. Eine Studie vom Ende der 60er Jahre (aus der Lorraine) filtert besondere Fälle heraus, die 70 Prozent der Nachfrage darstellen (Jugendliche unter 21, Ältere als 50 Jahre und mehr, Behinderte, freiwillig gegangene) und 30 Prozent "repräsentative Meldungen" festgehalten, was dann zur Unterscheidung der beiden Gruppen der Willigen (volontaires) und der nur Wollenden (Wünschenden) (velléitaires). Diese Dichotomie stützt sich auf eine Abschätzung der Beschäftigbarkeit, die sich gleichzeitig auf den Zustand der Nicht-Beschäftigung, den Willen zu Arbeiten (größer oder kleiner) die Möglichkeiten es zu tun, die eine Funktion der Fähigkeiten und Arbeitsangebote sind. Das Fehlen des Willens zur Arbeitssuche und die Unfähigkeit Arbeit zu finden: dies sind zwei komplementäre Kriterien der Disqualifikation. Die falsche Arbeitslosigkeit ist also eine symbolische Kategorie zum Zwecke, die Arbeitslosenzahlen mit Argwohn zu betrachten.

Nähe zur Arbeitslosigkeit: für die Älteren

Frühpensionierungen sollen für inopportun gehaltene Bewerbungen vom Arbeitsmarkt entfernen. Also bestimmte Anreize für solche, deren Beschäftigung bedroht ist. Davon wurden zwischen 1972 und Mitte der 80er Jahre eineinhalb Millionen Arbeitnehmer betroffen, bis aus Kostengründen davon Abstand genommen würde: ein Frührentner kostet drei mal mehr als ein Arbeitsloser. Für die Betriebe war dies eine Möglichkeit der Verjüngung und Verbilligung der Belegschaft, für die Gewerkschaften eine soziale Errungenschaft (früheres Arbeitsende). Daher eine ambivalente Beziehung zur Kategorie der Arbeitslosigkeit: wer über 55 ist und seine Arbeit verliert, für den ist der Rückzug vom Arbeitsmarkt die soziale Norm. Seit 1984 gilt folgende Vereinbarung: gegen die Zusicherung einer Entschädigung verzichtet der Arbeitslose auf die Suche nach Arbeit (bis zur Rente). Für die Arbeitslosenzahlen bedeutet dies: sie bewahren den Status eines Arbeitslosen, sind aber von Arbeitssuche dispensiert, verlieren also das Merkmal eines Nachfragers nach Arbeit (1994: 300.000 Personen in Frankreich). Dies verschiebt die Kodifizierung der Arbeitslosigkeit in Richtung "Wahrscheinlichkeit eine Beschäftigung zu finden". Also ein Beitrag zur Aufweichung der Kategorie der Arbeitslosigkeit.

Von Nachfragern nach Arbeit zu "nur Eingeschriebenen"

Die Beziehungen zwischen dem Amt (ANPE) und den Arbeitslosen tragen ebenfalls dazu bei, die Grenzen der Kategorie der Arbeitslosigkeit zu modifizieren, denn sie hat vor allem den Zweck, individuelle Situationen zu qualifizieren (definieren). Einen beträchtlichen Teil der Gemeldeten pflegen die Beamten die Hilfen zum Zugang zur Beschäftigung vorzuenthalten. Dies waren zum Beispiel 1987 an die 700.000 Langzeitarbeitslose; den anderen wird geboten: Ausbildung, Orientierung, Evaluation, seltener: eine Beschäftigung.
Es kommt also zur Fragmentierung des Status des Arbeitslosen in verschiedene soziale Status(se) (soziale Lagen), in bestimmte Arten sich mit diesen Status(en) zu beschäftigen. Einerseits die Figur des kodifizierten klassischen Arbeitslosen, andererseits die nur Gemeldeten, die keine Ansprüche auf Hilfen zur Wiedereingliederung haben, daher gleichzeitig ausgeschlossen und in der Arbeitslosigkeit eingeschlossen sind. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es einen mittleren Bereich, in dem die wachsende Zahl der Programme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wirksam werden können. Der Prozeß der sozialen Konstruktion der Kategorie der Arbeitslosigkeit ist also keineswegs abgeschlossen: ein neues normatives Modell scheint zu entstehen, das sich auf die Abschätzung der Chancen, eine Beschäftigung zu finden stützt. Damit verbundene Unsicherheiten berühren nicht die soziale Kategorisierung.

Arbeitslosigkeit, eine verbindliche Kategorie?

In den Diskussionen um die Arbeitslosigkeit tauchen stets neue Kategorien auf: Langzeitarbeitslose, Arme, Ausgeschlossene (Exkludierte). Es erhebt sich also die Frage nach der Stellung der Arbeitslosigkeit in der gegenwärtigen Gesellschaft.

Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit

Vor 100 Jahren wurde die Langzeitarbeitslosen nicht zu den Arbeitslosen gerechnet, heute schaut es so aus, daß der Archetypus des Arbeitslosen der Langzeitarbeitslose ist. Den Begriff der Langzeitarbeitslosigkeit hat 1968 die OECD eingeführt, um eine Arbeitslosigkeit länger als sechs Monate eigens zu bezeichnen. Anfang der 80er Jahre wurde ein Zeitraum von zwölf Monaten festgelegt, also eine Zeitspanne, jenseits derer sich die Situation der Betroffenen erheblich verschlechtert. Die Verbreitung dieser Kategorie ist jedoch der Verkündigung besonderer politischer Maßnahmen zuzuschreiben, welche die Langzeitarbeitslosigkeit der Arbeitslosigkeit gegenüber verselbständigen. De facto ist die Kategorie der Langzeitarbeitslosigkeit eine administrative Konvention. Doch sie tangiert die Bedeutung von Arbeitslosigkeit: Langzeitarbeitslosigkeit weist hinsichtlich des Produktionsbereiches eine periphere Stellung zu.

Arbeitslosigkeit und die neue Armut

Die (neue) Armut wurde in den 80er Jahren in der Öffentlichkeit (Medien) wieder entdeckt, also ein Anzeichen einer Krise der Repräsentationen der Nicht-Beschäftigung, welche mit der ökonomischen Krise einhergeht. Ideologische Funktion des Ausdrucks neuer Arbeitslosigkeit: Hinweis darauf, daß die Armut eliminiert gewesen ist; die "alten Armen" wurden nicht mehr als Arme identifiziert, sondern als Invalide, Alte, Waisen, sozial Bedürftige. Die neue Armut begründet vor allem einen Gegensatz zur alten Armut. Der Ausdruck verweist auf den Zusammenhang von Armut und nicht zu beeinflussenden ökonomischen Gegebenheiten. Gesetzlich wird diese Situation berücksichtigt durch RMI (revenu minimum d' insertion), womit die alte Logik der Hilfestellung außer Kraft gesetzt wird. Während die Kategorien der Arbeitslosigkeit und der Armut relativ stabil sind, sind jene der Langzeitarbeitslosigkeit und der neuen Armut unscharf, durchlässig.

Arbeitslosigkeit und Exklusion

Exklusion ist ein seit Anfang der 80er Jahre in den Medien geläufiger Begriff. Er hat in den Jahren seither seine Bedeutung geändert, bezeichnet heute
- eine Situation ökonomischer Knappheit (Prekarität)

- eine Situation sozialer Isolation

- eine Situation des Bruches in den Sozialbeziehungen (bedingt durch den Mangel an Arbeit)

Verwendung und Extension des Begriffes sind sehr variabel, insofern damit auch alle Beschäftigungslosen, Obdachlosen etc. gemeint sind; also kein bestimmter Inhalt, sondern eine Möglichkeit der Sprache, analytische Schwierigkeiten und damit verbundenes Unbehagen zu maskieren (verbergen). Dennoch ist die Verwendung nicht sozial neutral: man spricht von den Ausgeschlossenen nicht aber: ich bin ausgeschlossen.
Die Exkludierten sind nicht ausgebeutet, sondern ignoriert. Sie nützen dem System nichts; der Kampf gegen die Exklusionen ist Aufgabe der Inkludierten; Exklusion begrenzt die stimmen- und sprachlosen Orte, artikuliert sich in der Sprache der anderen. Exklusion ist demnach vorerst eine Kategorie des politischen Diskurses. Unklar ist, ob dieser Ausdruck dazu dient, die gegenwärtigen Entwicklungen besser zu verstehen und ihnen entgegenzuwirken. Es gibt noch keine engagierte Debatte diesbezüglich, was die klare Bedeutung von Exklusion ist, die ohne objektive Übersetzung und subjektive Rechtfertigung bleibt. Also Schwierigkeiten, diese Position in der sozialen Struktur zu lokalisieren.

Wo ist die Arbeitslosigkeit, wo sind die Arbeitslosen?

Die Entstehung der Kategorie der Arbeitslosigkeit ist im Detail nachgezeichnet. Offen ist die Frage der Arbeitslosigkeit in der sozialen Struktur: was ist der Status des Arbeitslosen, wo ist der Status der Arbeitslosen gegenüber anderen sozialen Statuslagen einzuordnen? De facto werden die gesellschaftlichen Vorstellungen (Repräsentationen) nachhaltig von den statistischen Kategorien beeinflußt, wie zum Beispiel bei aktiven Beschäftigten, Inaktiven und aktiven Nichtbeschäftigten (Arbeitslose im statistischen Sinne). Diese Taxonomien sind wenig stringent, um die Situation einzelner, die ohne Arbeit sind, in der sozialen Situation zu bestimmen. Daher ein Versuch, eine Statushierarchie zu erstellen

a) Beschäftigung mit stabilem und ständigem Status: (Archetyp, öffentlicher Angestellter/Beamter).
b) Beschäftigung ohne Status: prekäre, vorübergehende Beschäftigung

c) von der Beschäftigung abgeleiteter Status, die gewisse Rechte auf eine Beschäftigung sicherstellen (Arbeitslose mit Entschädigung, Frühpension, Arbeitsinvaliden); vergangene Beschäftigung; künftige Beschäftigung (Praktikanten, kurze Arbeitseinsätze)

d) Status, abgeleitet aus der Sozialversicherung

e) jene ohne Status, d.h. bei Absenz jedes Anspruchs auf nationale Solidarität und auf einen sozialen Beitrag. Diese Taxonomie, orientiert an der Entfernung zu einer ständigen Beschäftigung, stellt die Heterogenität der juridischen Positionen der Arbeitslosen heraus, da es keinen allgemeinen Status gibt, sind die einzelnen Arbeitslosen auf die verschiedenen Positionen verstreut.

Diese Verteilungen machen soziologische Analysen der Arbeitslosigkeit delikat, dies noch um so mehr, als die sozialen Positionen der Arbeitslosen heterogen sind. Hinsichtlich der Rechte auf soziale Absicherung sind die Positionen variabel, ebenso hinsichtlich der Beziehung zur Beschäftigung: Verankerung in einer anerkannten beruflichen Vergangenheit bis zu Logik der Exklusion ohne Zukunftsperspektive. Es gibt also eine ständige Spannung zwischen dem historischen Prozeß der Kodifizierung der Arbeitslosigkeit und der Bewegung an den Rändern der Kategorie der Arbeitslosigkeit. In den letzten Jahren haben sich die Zwischenlagen (zwischen Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Inaktivität) vervielfacht, was es erschwert, die Folgen der Beschäftigungskrise zu erkennen und den Sinn der gelebten Erfahrung zweideutig gemacht. Wenn sich die Formen der Arbeitslosigkeit diversifiziert haben, so haben sich die Formen außerhalb des Bereichs der Beschäftigungen ihre klare Erkennbarkeit eingebüßt (sind opak geworden).

Die Soziologie ist also bei der Analyse der Bedeutungen der Kategorie der Arbeitslosigkeit mit zunehmenden Schwierigkeiten konfrontiert. Die zuverlässigsten Untersuchungen sind also aus einer historischen Perspektive entstanden:
- über die Erfindung der Arbeitslosigkeit

- über die Geburt des Arbeitslosen

- über die Quellen der Arbeitslosigkeit.

Die Artikulationen im Zusammenhang mit der Erforschung der Arbeitslosigkeit sind erst noch zu konstruieren. De facto ist die gegenwärtige Zeit gekennzeichnet durch eine "Krise der Arbeitslosigkeit", durch eine Zweideutigkeit, die sich ergibt aus den Transformationen der Formen und Manifestationen der Arbeitslosigkeit wie auch der Begriffe, Kategorien und mobilisierten Repräsentationen, um diese mehr und mehr fließende Realität zu verstehen. Daher ist es wichtig, besser die Entwicklungen zu erfassen, welche die Arbeitslosigkeit beeinflussen und die betroffenen Bevölkerungsgruppen tangieren.

II. Maße und Grenzen der Arbeitslosigkeit

Zunächst zur Bedeutung dieser Thematik: das Maß der Arbeitslosigkeit gilt als einer der fundamentalen Indikatoren für den Zustand einer Wirtschaft und einer Gesellschaft. In der Perspektive des Verhältnisses der Gesellschaft zu den Statistiken der Arbeitslosigkeit sind diese jeher ein Objekt der Analyse als ein Mittel der Analyse. Jenseits der statistischen Übereinkünfte häufen sich die Manifestationen des Entzuges (privation) von Beschäftigung, mit der Vervielfachung unbestimmter Situationen löst sich der Begriff der Arbeitslosigkeit auf. Zwischen den juridischen und statistischen Definitionen und den Situationen der Beschäftigungslosen tun sich tiefe Gräben auf. Die Analyse der Zählvorgänge ist daher ein wichtiger Schritt dazu, die Entwicklungen zu erfassen, welche die Arbeitslosen in der Gesellschaft einnehmen.

1. Wie sind die Arbeitslosen zu zählen?

Die statistische Erfassung ist keineswegs ein rein technischer Vorgang; denn sie beruht auf sozialen Konventionen, die in statistische Kategorien übersetzt worden sind. Daher ist es nötig, die Urteile über die soziale Legitimität der Suche nach Arbeit, die den Kriterien zugrundeliegen, mit zu berücksichtigen.
Die Schwierigkeit der zahlenmäßigen Erfassung der Arbeitslosigkeit: in einer Gesellschaft, wo sich der soziale Wert eines Individuums von der Beschäftigung herleitet, bleibt Arbeitslosigkeit Ursprung eines Skandals. Daher kommt der Frage der zahlenmäßigen Bestimmung eine große Bedeutung zu für die Repräsentationen und die Diskurse.

Arbeitslosenzahlen als Gegenstand von Kontroversen (Polemiken): diesbezügliche Polemiken sind nicht neu, doch in Anbetracht des Ausmaßes der Arbeitslosigkeit heftiger geworden. Die offiziellen Expertenberichte sind keineswegs in der Lage, Zweifel auszuräumen. Die Variabilität der Definitionen von Arbeitslosigkeit hängt direkt damit zusammen, daß die Arbeitslosen-Statistiken Ziel einer sozialen oder institutionellen Kontrolle sind, die wichtiger ist als andere Kontrollen.

Wer ist arbeitslos und wer nicht? Wann wird man arbeitslos und wann ist man es nicht mehr? Wieviele Arbeitslose gibt es? Sind alle erfaßt und zählbar? Auf diese Fragen gibt es keine definitiven Antworten, weil solche von den akzeptierten Konventionen abhängig sind. So gibt es weder eine "gute" Definition noch ein "exaktes" Maß von Arbeitslosigkeit, sondern so viel Statistiken wie Arten von Konventionen, Arbeitslosigkeit zu begreifen. Die Berechnung der Zahlen impliziert, Schritte vorzunehmen in Situationen, die im Flusse sind. Zugrunde liegt die Hypothese, die gesamte Population ließe sich unterteilen in Inaktive, aktive Beschäftigte und Arbeitslose. Für die Empirie wird es immer schwieriger, die Grenzen zu ziehen zwischen diesen Kategorien. Unfreiwillig Kurzzeitbeschäftigte befinden sich zwischen Aktivität und Arbeitslosigkeit, Inaktivität (aufgrund verschiedener Ursachen) kann eine Form versteckter Arbeitslosigkeit sein.

Diese flüchtigen Grenzen lösen Kontroversen aus und führen zu Bemühungen, die Berechnungsmethoden zu verbessern. Ist ein Beschäftigungsloser in einer Ausbildungsphase ein Arbeitsloser? Ein Beschäftigungsloser, der Schwarzarbeit verrichtet, ein Arbeitsloser? Ein Beschäftigungsloser, der wegen Entmutigung keine Arbeit sucht, ein Arbeitsloser? Ein Beschäftigungsloser, der von Arbeitssuche dispensiert ist, ist er ein Arbeitsloser?

Ein Problem der Anerkennung und der sozialen Legitimität

Unsicherheiten sind also weder Resultat mangelhafter Meßinstrumente noch des politischen Machiavellismus, sondern sie spiegeln die Diskussionen über die Anerkennung der Formen von Beschäftigungslosigkeit als Arbeitslosigkeit. Da es keine wissenschaftlich zweifelsfreie Kategorie gibt, sind Kontroversen unvermeidlich. Eine Festlegung der Grenzen der Arbeitslosigkeit ist daher eine soziale Konstruktion, eine Konvention. Die Arbeitslosenzahlen sind also weder eine einfache Aufaddierung der Personen ohne Arbeit noch die Zählung derer, die sich als Arbeitslos erklären. Die Arbeitslosigkeit ist das Produkt des Zusammenspiels zwischen individuellem Erklärungen oder Ansprüchen (Ego bezeichnet sich als arbeitslos) und sozialer Anerkennung, die organisiert wird durch Vorschriften und soziale Normen (Kompetenz einer legitimen Autorität). Das Ausmaß der sozialen Legitimität der Arbeitssuche ist eine soziale Konstruktion. Die Vorstellungen über die Legitimität ändern sich mit bestimmten sozialen Merkmalen: 80 Prozent halten es für völlig oder ziemlich normal, daß die Frau eines beschäftigten Mannes arbeitslos ist (Sofres 1993); derartige Vorstellungen gehen nicht direkt in die Vorschrift des Zählens ein, doch ist jede Messung von Arbeitslosigkeit eine Bestimmung der legitimen Arbeitslosigkeit, und diese Legitimität ist unterschiedlich nach sozialer Zugehörigkeit. Eine Präzisierung der Berechnungsmethoden läuft also nicht auf eine Denunziation der Statistik hinaus, sondern auf eine Bestimmung der sozialen Kategorisierungen, auf denen jene beruhen.

Die verschiedenen statistischen Konventionen

Die Bestimmung der Arbeitslosigkeit in Frankreich kann sich auf drei statistische Quellen und ebensoviele Definitionen berufen:
a) Arbeitslosigkeit im Sinne der Bevölkerungszählung

b) Arbeitslosigkeit im Sinne der ILO, kalkuliert auf der Basis der Nachfrage

c) Arbeitslosigkeit im Sinne nach den Unterlagen den ANPE

Zu a) erfolgt ca. alle sieben Jahre, berücksichtigt spontane Aussagen, arbeitslos zu sein, ungeachtet dessen, ob sie beim Amt gemeldet sind oder nicht, plus gewisse Inaktive (Mütter, Hausfrauen, Pensionisten), die angeben, Beschäftigung zu suchen. Daher sagt man oft, dies sei das am meisten subjektive Maß, weil es auf dem Gefühl beruhe, zur Kategorie der Arbeitslosen zu gehören.
Zu b) Zählungen im Sinne der ILO beruhen auf Normen, die internationale Vergleiche ermöglichen. Kriterien sind hier: Personen ohne Beschäftigung, verfügbar zur Arbeitsaufnahme, aktive auf der Suche nach einer bezahlten Beschäftigung (oder nicht). Jährliche Erhebungen des statistischen Zentralamtes bei einer Stichprobe von 60.000 Personen; diese Zahlen dienen auch als Grundlage für die monatlichen Extrapolationen, die das Arbeitsministerium bekannt gibt. Wenn diese Untersuchung auch als die verläßlichste hinsichtlich der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt gilt, so wird die Validität doch beeinflußt durch eventuelle Veränderungen des Fragebogens, die bei jeder Erhebung vorgenommen werden. Hinter einem ungleichem Label: Arbeitslosigkeit im Sinne der ILO, verbergen sich also Störungen, Brüche im Ablauf.
Zu c) Statistiken des ANPE sind administrativer Natur: sie ergeben sich aus der Zählung der Nachfrage nach Arbeit, monatlichen Zahlen als Funktion der Verhältnisse zwischen Eintritten und Austritten. Die Zahlen werden saisonbereinigt, d.h. sich wiederholende Fluktuationen zwischen den einzelnen Jahren werden berücksichtigt (z.B. Bruttozahl der Jugendlichen, die sich nach dem jährlichen Abschluß eines Schuljahres als arbeitslos melden). Diese Messung ist ein wertvoller Indikator für die Konjunktur auf dem Arbeitsmarkt. Berücksichtigt werden jedoch nur jene, die nach den geltenden Regeln als Arbeitssuchende anerkannt werden. Das heißt, die produzierten Zahlen sind direkt abhängig von den rechtlichen Regeln der Verwaltung der Arbeitsnachfrage und ihrem Wandel im Zeitablauf. Arbeitslosigkeit im Sinne der ILO und des ANPE sind regelmäßig vorliegende Zahlen. Drei Kriterien liegen zugrunde: ohne Beschäftigung (sein), zur Arbeit verfügbar, wirksame Suche nach Arbeit.

Drei zentrale Kriterien

Die Definition der Arbeitslosigkeit ist abhängig von jener der Beschäftigungslosigkeit, denn arbeitslos sein ist ohne Beschäftigung sein. Im Kontext der Verallgemeinerung des Lohnarbeitsverhältnisses, orientiert am Modell einer Vollzeit- und Dauerbeschäftigung, sind die Grenzen zwischen beschäftigt und beschäftigungslos klar. Sie verschieben sich jedoch mit der Diversifizierung des Status der Beschäftigung und der Ausbreitung besonderer Formen der Beschäftigung.

ILO: Beschäftigungsverlust bedeutet, die Person hat in der Erhebung in der vorangehenden Woche nicht gearbeitet, nicht eine einzige Stunde.

ANPE: die berufliche Vergangenheit spielt keine Rolle bei der Bestimmung von Arbeitslosigkeit, entscheidend ist: die Suche nach Arbeit; es gibt drei Kategorien von Arbeitsnachfrage:

Kategorie 1: Suche nach Vollzeitbeschäftigung auf Dauer
Kategorie 2: Suche nach Teilzeitbeschäftigung auf Dauer

Kategorie 3: Suche nach vorübergehender (temporärer) oder Saisonbeschäftigung.

Die letzten beiden Kategorien werden besonders ausgewiesen; für gewöhnlich bezieht sich die Zahl der Arbeitslosen lauf die Kategorie 1. Arbeitslosigkeit im administrativen Sinne ist also das Gegenteil einer dauerhaften Vollzeitbeschäftigung.

Verfügbarkeit:
laut INSEE: verfügbar ist, wer binnen zwei Wochen im Falle leichter Erkrankung: vier Wochen zur Arbeit bereit ist.

ANPE: hier hat sich die Definition oft verschoben, ist jetzt Gegenstand einer rechtlichen Kodifizierung: wer mehr als 78 Stunden pro Monat beschäftigt ist, gilt als nicht mehr verfügbar.

Derartige Nachfrage wird in Kategorie 5 eingeordnet: Beschäftigte auf der Suche nach einer anderen Beschäftigung. Gilt auch für jene Gemeldeten, die mehr als 40 Stunden in einer Ausbildung stehen, egal ob entschädigt oder nicht.
Diese sind in Kategorie 4: ohne Beschäftigung nicht unmittelbar verfügbar, aber auf der Suche nach Beschäftigung.

Suche nach Beschäftigung:
ILO: empfiehlt flexible Handhabung, je nach den besonderen Eigenheiten nationaler Arbeitsmärkte; in Frankreich: Suche nach Beschäftigung wird erhoben mit einem Bündel von Fragen, praktisch aber gilt: Arbeitssuche in dem der Erhebung vorangehenden Monat. Arbeitsrecht: verpflichtet jeden Disponiblen zur positiven Akten der Suche nach Beschäftigung; es besteht Rechtfertigungspflicht, unter Androhung des Ausschlusses.
ANPE: hat die Aufgabe, die Qualität des Nachfragens abzuschätzen und die Schritte der Suche nach Beschäftigung zu überprüfen; Veränderungen in den Kontrollen verstärken die diskriminierenden Effekte dieses Kriteriums.

Umstände der statistischen Erfassung

ebenso vielfältig wie die statistischen Definitionen sind die Umfänge der Arbeitslosigkeit, die sich aus den jeweiligen Konventionen ergeben. Auch wenn sich die Zahlen Nach ILO und INSEE gleichen, so enthalten sie nicht dieselben Proportionen: z.B. 1979 waren 25 Prozent der einen Untersuchung nicht in den Zahlen den INSEE, 32 Prozent nicht gemeldet bei der ANPE.

Die Unterschiede zwischen den Arbeitslosenzahlen

Ende der 80er Jahre ist der Abstand zwischen den Arbeitslosenzahlen zwischen ILO und ANPE größer geworden, hat sich nun eingependelt in einer Lücke zwischen 200.000 und 350.000.
März 1995: ILO zählte 2.935.000 Arbeitslose, ANPE 3.321.000 Arbeitslose Kategorie 1. Zählt man dazu Arbeitslosigkeit Kategorie 2 und 3 (suche nach vorübergehender Arbeit oder Teilzeit), so wird der Abstand größer: es sind 860.000. Die Bedeutung der Differenzen zwischen den Zahlen läßt sich präzisieren. Ein Teil derer die von der Beschäftigungserhebung gezählt werden, sind nicht beim ANPE eingeschrieben: 1985 385.000, 1993 328.000: die Differenz wird also weniger. Die Meldung beim ANPE wird von der Erhebung immer schlechter erfaßt, obwohl zu diesem Zweck der Fragebogen verbessert worden ist. Dies deutet darauf hin, daß die Schwierigkeiten einer statistischen Erfassung der Arbeitslosigkeit zunehmen. Ähnliche Schwierigkeiten bestehen beim Vergleich der Zahlen ANPE und ILO:

1985 Differenz von 650.000

1993 Differenz von 1.184.000

Die eingeschriebenen Nicht-Arbeitslosen stellen eine heterogene Kategorie dar, die mehrere Gruppen umfaßt: als Aktiv klassifizierte Personen, weil Teilzeitbeschäftigt
als Inaktiv klassifizierte Personen, weil sie nicht disponibel sind oder weil sie nicht aktiv auf Arbeitssuche sind und eine nicht interpretierbare Restgröße. Die rasche Vergrößerung der Differenz ergibt sich daraus, weil die Zahl der Gemeldeten, aber nicht Arbeit suchenden, rasch zunimmt: 1985 75.000, 1993 378.000, also fünf mal mehr. Dies ist schwierig zu interpretieren, doch deutet es auf eine Vergrößerung an den Rändern der Arbeitslosigkeit hin und auf eine Vernebelung der Grenzen zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit.

Die Multiplikation der statistischen Kategorien

Individuelle Situationen und statistische Normen decken sich nur teilweise. Mit der Verfeinerung der statistischen Kategorien zeigt sich die Arbeitslosigkeit und ihr HALO (Hof). Unterscheidung zwischen Subpopulationen, die sich nur teilweise überschneiden:
a) Arbeitssuchende

b) gemeldete Arbeitslose

zu a) Arbeitssuchende werden in zwei Gruppen marginalisiert
aa) die nicht Verfügbaren, aus familiären Gründen oder Gründen der Ausbildung (meistens)

bb) die nicht aktiv Suchenden

zu b) gemeldete Arbeitslose:
aa) jene, die nur gemeldet sind, sonst nichts unternehmen

bb) nur gemeldet, aber als entmutigte Arbeitslose qualifiziert.

Diese genauere Fassung der Kategorien kann zwei widersprüchliche Bedeutungen haben: einerseits lassen sich die statistischen Verfeinerungen als Versuch lesen, unklare oder zweideutige Situationen auszuschließen, um damit sich der Definition der ILO anzunähern, deren Logik darauf gerichtet ist, die wirkliche Arbeitslosigkeit zu begrenzen. Andererseits geht es aber um die Zweideutigkeiten des Begriffes der Arbeitslosigkeit. Nur mit anderen und zahlreichen Indikatoren ließen sich erfassen

jene, die gegen ihren Willen Teilzeitarbeit verrichten müssen,
jene, die alle Hoffnung verloren haben,

jene, die ein Training absolvieren in Ermangelung besonderer Möglichkeiten,

jene, die Löhne unter dem Mindestlohn erhalten etc.

Der Begriff der Arbeitslosigkeit wäre also zu ergänzen durch den der Unterbeschäftigung, was klarmacht, daß das begriffliche Problem der Arbeitslosigkeit vor allem das des Ausdrucks "Aktivität" ist. Eine andere Möglichkeit, diese Verschiebungen im Sinne von Arbeitslosigkeit zu erfassen, besteht darin, die Erscheinung von Arbeitslosigkeit in den letzten Jahrzehnten nachzuzeichnen.

2. Tranformationen der Arbeitslosigkeit

Unabhängig vom Gleichbleiben des Ausdrucks verändert sich die Arbeitslosigkeit selbst. Dabei geht es nicht nur um eine Soziographie der Arbeitslosen, sondern um Fragen zum Begriff der Arbeitslosigkeit, um das Verständnis, in welchem Ausmaß Arbeitslosigkeit ein soziales Problem geworden ist, wie sich die Relationen zur Beschäftigung ändern, wie sich die Bedeutungen und Statusse transformieren.

Arbeitslosigkeit ist ein soziales Problem geworden

Die Zunahme der Arbeitslosigkeit beginnt langsam in den 60er Jahren, als die aktive Bevölkerung rasch zu wachsen begonnen hat: die ersten Generationen des Babybooms kommen auf den Arbeitsmarkt; Exodus aus der Landwirtschaft beschleunigt sich und die Aktivität der Frauen nimmt rasch zu 1962 43 Prozent, 1968 55 Prozent, 1990 70 Prozent. Die wachsenden Beschäftigungsmöglichkeiten erlaubten zunächst, alle zu absorbieren. 1974 Beginn einer neuen Phase, mit einer unglaublichen Zunahme der Arbeitslosenzahlen von 3 Prozent auf 10 Prozent 1987. Leichte Besserung zwischen 1988-1990, 850.000 neue Arbeitsplätze wurden geschaffen. Seit Ende 1990 gibt es wieder eine negative Beschäftigungsentwicklung, Grenze von 3 Millionen Arbeitslosen wurde 1993 überschritten. Beschäftigung und Arbeitslosigkeit sind nicht in einer mechanischen Beziehung miteinander verbunden, denn neue Arbeitssuchende dringen auf den Markt. Dies verweist auf die Vermehrung der Anzahl der nicht deklarierten Arbeitslosen, die sich zeigen, wenn es Beschäftigung gibt.

Die Unterschiede zwischen den Ländern: 1994 gab es in den Ländern der OECD eine durchschnittliche Arbeitslosenrate von 8,7 Prozent; die einzelnen Länder sind dabei unterschiedlich betroffen.

Japan: Arbeitslosenrate stets unter 3 Prozent der aktiven Bevölkerung; Angleichungen an den Arbeitsmarkt: durch Rückzug von ihm, besonders von Frauen, und Flexibilität bei den Löhnen.

USA: Archetyp des liberalen Modells: flexibler Arbeitsmarkt (geringe Entschädigung bei Arbeitslosigkeit, einfache Entlassungsmodalitäten, sehr niedere Mindestlöhne ...), dies erlaubt Schaffung zahlreicher Beschäftigungsmöglichkeiten, und somit den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu begrenzen; ungefähr 6 Prozent, doch spürbar höher als in Großbritannien und Kanada, wo dieselben Prinzipien der Anpassung gelten. Diese Art der Regulierung hat indes nicht einen starken Anstieg der Armut innerhalb der Lohnarbeiterschaft verhindert, ebensowenig die Exklusion, die mit erzwungener Inaktivität verbunden ist.

Das europäische Modell: wenig neue Beschäftigung und rascherer Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Der Arbeitsmarkt ist gekennzeichnet durch die Qualität der sozialen Vorteile (bessere Entschädigung, geregelte Entlassung, höhere Mindestlöhne) und durch eine gewisse Rigidität, welche die Langzeitarbeitslosigkeit begünstigt. Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern sind nicht leicht zu erklären. Trotz Bemühungen der Angleichung der Indikatoren bedingen die sozialen Normen und besonderen rechtlichen Vorschriften eines jeden Landes heterogene Konstruktionen der Arbeitslosigkeit und der Inaktivität, z.B. die geringe Entschädigung der verheirateten Frauen gegenüber ledigen Frauen, (Irland, Großbritannien, Deutschland, Niederlande) kann sie mit der Zeit in die Inaktivität treiben. Diese Mechanismen der Regulation verweisen auf "die nationalen Formen des gesellschaftlichen Lebens", auf soziale Kohärenzen, die jeweils unterschiedlich sind.

Arbeitslosigkeit auf dem Arbeitsmarkt

Die sozialen Bedeutungen der Arbeitslosigkeit verändern sich auch als Funktion ihrer Rolle zur Steuerung der Mobilitäten auf dem Arbeitsmarkt. So nehmen in Frankreich die "besonderen" Formen der Beschäftigung stark zu. Prekäre Beschäftigung ist gleichzeitig eine Vorstufe zur Einstellung wie auch ein Vorspiel zur Arbeitslosigkeit. Wenn die Inhaber einer peripheren Beschäftigung fix eingestellt werden, sind sie meist viel gefährdeter für neue Arbeitslosigkeit als die Inhaber von stabilen Dauerarbeitsplätzen. Die Zahlen zeigen, daß das Auslaufen befristeter Arbeitsverträge der häufigste Grund zum Eintritt in die Arbeitslosigkeit ist. 1976: 17,2 Prozent, 1994 36 Prozent.

Diffusion der Arbeitslosigkeit und Selektivität

Nicht jeder Aktive trägt dasselbe Arbeitslosigkeitsrisiko. Es ist zu fragen, ob der Anstieg der Arbeitslosigkeit, der die Konkurrenz unter den Arbeitssuchenden verschärft, die Selektivität der Arbeitslosigkeit vergrößert oder verringert? Gibt es eine Diffusion der Arbeitslosigkeit oder eine Konzentration auf bestimmte Kategorien der Arbeitskräfte?

Eine hoch selektive Arbeitslosigkeit: bei Berücksichtigung der gebräuchlichsten Merkmale der sozialen Analyse (Geschlecht, Alter, Berufsgruppe) zeigen sich wichtige Differenzen. Bei einer Arbeitslosenrate im Sinne der ILO von 11,1 Prozent, wobei 9,4 Prozent Männer und 13,3 Prozent Frauen sind, verringert sich gleichzeitig die Arbeitslosenrate umgekehrt zum Alter: bis 25: ca. 25 Prozent, also fast ein Viertel
zwischen 25 bis 49 sind dies 10,1 Prozent

und 50 oder älter: da sind es 7,3 Prozent.

Dabei repräsentiert die mittlere Gruppe zwei Drittel der Aktiven

die junge Gruppe ca. 23 Prozent

die ältere Gruppe ca. 11,5 Prozent.

Ungleichheit nach Berufsgruppen:
Höhere Angestellte und Freiberufler, weniger als 5 Prozent

Angestellte 13,9 Prozent (besonders Frauen)

Arbeiter 14,3 Prozent (besonders Männer)

Diese beiden Kategorien stellen 80 Prozent aller Arbeitslosen.

In zu großem Maße der Arbeitslosigkeit betroffen sind: Jugendliche, Arbeiter und Angestellte, Leute ohne Zeugnisse und Frauen. Eine Verbindung dieser Merkmale führt zu enormen Arbeitslosenzahlen: 45,4 Prozent bei jüngeren Frauen ohne Schulzeugnisse.

Reduktion oder Vergrößerung der Ungleichheiten:

Tendenziell geht die Entwicklung auf eine Vergrößerung der Ungleichheiten zu. Neuerdings nimmt die Arbeitslosigkeit auch bei höheren Angestellten und Freiberuflern zu, ebenso bei mittelständischen Berufen.

Arbeitslosigkeit der Krise und Krise der Arbeitslosigkeit:

Entwicklung der Langzeitarbeitslosigkeit ist zweifellos die wichtigste Veränderung. Denn sie ist ein guter Indikator der Entwicklung der sozialen Bedeutung der Arbeitslosigkeit und ihrer Stelle auf dem Arbeitsmarkt.

Verlängerungen der Dauer der Arbeitslosigkeit:

Arbeitssuchende: Zahl von 1975 multipliziert sich bis 1993 mal 3,5
Langzeitarbeitslose: Zahl von 1975 multipliziert sich bis 1993 mal 9,5;

seit Mitte der 80er Jahre repräsentieren Langzeitarbeitslose mindestens ein Drittel der beim AMDE gemeldeten.

Neue Formen der Arbeitslosigkeit und neue Kategorien:

Das klassische Bild vom Langzeitarbeitslosen (Alter, gesundheitlich Beeinträchtigte) gibt es heute nicht mehr, denn es sind auch massiv Erwachsene im mittleren Alter betroffen. Damit entsteht eine neue Beziehung zwischen Arbeitslosigkeit und Beschäftigung: ein Wiederfinden von Beschäftigung ist also schwierig, doch ist weder ein Rückzug aus dem Arbeitsmarkt noch ein dauerhaftes Engagement in kleinen Jobs eine positive Alternative zur Arbeitslosigkeit.
Die Destabilisierung der Kategorie der Langzeitarbeitslosigkeit hat zu neuen Ausdrücken geführt: strukturelle Arbeitslose, Langzeitarbeitslose von sehr langer Dauer, passive Arbeitslose, willentliche Arbeitslose (velléitaires). Die unsichere Beziehung zur Beschäftigung ist eines der wesentlichen Merkmale der Arbeitslosigkeit der Krise, eine Periode chronischer Unterbeschäftigung. Denn sie steht im Widerspruch mit der klassischen Kategorie der Arbeitslosigkeit, verstanden als unfreiwilliger, temporärer Verlust der Beschäftigung; daher läuft dies auf eine Krise der Arbeitslosigkeit hinaus. Mit der Entwicklung der Formen der Arbeitslosigkeit und der Formen der Beschäftigung werden die sozialen Status(e )mehr und mehr zweideutig: die Begleiterscheinungen des Status der Arbeitslosigkeit weiten sich in tiefgehender Weise aus, weitgehend invers zum Prozeß der Ausbreitung der Lohnarbeitsverhältnisse, die zum Entstehen der Arbeitslosigkeit führten. Daher die Frage nach den Bedingungen und Modalitäten, wie aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen ist.

III. Wege aus der Arbeitslosigkeit

Arbeitslosigkeit bedeutet Positionsverschlechterung, bedingt durch den Verlust der Beschäftigung. Wer arbeitslos wird, muß schnell wieder aus dieser Situation heraus, damit daraus nicht ein Dauerzustand wird. Doch nicht alle Arbeitslosen finden gleich schnell wieder eine Beschäftigung, es gibt hier offensichtliche Unterschiede. So hat die Soziologie der Arbeitslosigkeit seit den 60er Jahren diese Unterschiede zu erklären versucht und dazu den Begriff der „Verwendbarkeit" (employabilité, englisch: employability) im Sinne der Fähigkeit, eine Arbeit zu finden, eingeführt. Diese Art, das Problem zu sehen, hat sich noch verstärkt durch zunehmende Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt. Wie entstehen und organisieren sich die Unterschiede zwischen vorübergehend und dauernd, zwischen gelegentlich und wiederholt Arbeitslosen, zwischen solchen, die voraussichtlich arbeitslos werden und es dann lange Zeit sind, zwischen Arbeitslosen, die eine Beschäftigung suchen und solchen, die dies ablehnen?
Hinter solchen Fragen über die Arten und Formen der Arbeitslosigkeit stehen sich verändernde Instrumente der Analyse und Betrachtungsweisen. So hat auch der Begriff der Verwendbarkeit wichtige Veränderungen erfahren: aus einer einfachen statistischen Meßgröße ist ein Begriff für die Prozesse der Mobilität auf dem Arbeitsmarkt geworden.

1. Maße für die Verwendbarkeit des Arbeitslosen

Die „Verwendbarkeit" ist ein Begriff des täglichen Gebrauchs geworden, sodaß jeder Arbeitslose in Situationen der Wiedereinstellung, der Neuorientierung oder Weiterbildung ipso facto als „verwendbar", „nicht verwendbar", „kaum verwendbar", „mittelmäßig verwendbar" eingestuft wird. Dennoch ist die Verwendbarkeit nicht vorwiegend eine Kategorie, um praktische Urteile über die individuellen Situationen der Arbeitslosen zu sanktionieren. Es handelt sich dabei vielmehr um eine statistische Schätzung, die es erlaubt, die relativen Positionen verschiedener Kategorien von Arbeitslosen festzulegen.

Die statistische Erfassung der Verwendbarkeit
Der statistische Ausdruck der Verwendbarkeit und sein Komplementärbegriff der Verletzbarkeit gestatten es, die verschiedenen Ströme auf dem Arbeitsmarkt abzuschätzen. Verletzbarkeit bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, als Teil einer gegebenen Population zu einer bestimmten Zeit arbeitslos zu werden. Verwendbarkeit ist hingegen die Wahrscheinlichkeit, durch Zugang zu einer neuen Beschäftigung die Arbeitslosigkeit hinter sich zu lassen.

Auf einem gegebenen Arbeitsmarkt läßt sich die mittlere Verwendbarkeit durch Indikatoren messen wie z.B. die mittlere Dauer der Arbeitslosigkeit oder der Anteil von Arbeitslosen, die ein Jahr und mehr arbeitslos sind. So kann man dann sagen, daß sich die Verwendbarkeit verkehrt proportional mit der mittleren Dauer der Arbeitslosigkeit und mit dem relativen Gewicht der Langzeitarbeitslosigkeit ändert. Während sich die Ökonomen vor allem für das allgemeine Niveau von Arbeitslosigkeit und Beschäftigung interessieren, geht es den Soziologen mehr um die Beobachtung von Unterschieden zwischen den Arbeitslosen, also um die differentielle Verwendbarkeit, die mit bestimmten Merkmalen der Arbeitslosen verbunden ist.
Die differentielle Verwendbarkeit mißt die Position verschiedener Kategorien von Arbeitslosen, die sich bei der Suche nach Arbeit gegenseitig konkurrenzieren: Alter, Geschlecht, Beruf, Qualifikation etc. Aus dieser Perspektive ergibt sich die Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit der Verwendbarkeit zu bestimmen: eine bestimmte Kategorie von Arbeitslosen ist weniger verwendbar als eine andere, weil der Anteil der Langzeitarbeitslosigkeit zu hoch ist, was bedeutet, daß die mittleren Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden, nieder sind. Die differentielle Verwendbarkeit hat also eher eine Funktion bei der Beschreibung der Selektivität des Arbeitsmarktes als daß sie eine Erklärung für die Mechanismen lieferte, die zu Ungleichheiten führen. Sie liefert aber auch Anhaltspunkte für kontra-selektive politische Interventionen, die sich auf als besonders gefährdete Kategorien richten (Langzeitarbeitslose, Jugendliche).

Variationen der Verwendbarkeit
Eine erste Quelle für die Beschreibung bestimmter Aspekte der Verwendbarkeit von Arbeitssuchenden stellen die Statistiken der Verwaltung dar. Darüber hinaus sind, seit dem Ansteigen der Massenarbeitslosigkeit, weitere Forschungen über die Karrieren von Arbeitslosen angestellt worden. Derartige Langzeitanalysen liefern Information, die in den Statistiken der Verwaltung nicht enthalten sind.

Der Zugang der Arbeitslosen zur Beschäftigung
Längsschnittanalysen über das Schicksal der Arbeitslosen informieren über ihre besonderen Schwierigkeiten, das Niveau ihrer Ressourcen, ihre Praktiken der Arbeitssuche und ihre Ansprüche an eine künftige Beschäftigung. Vor allem dienen sie zur Identifikation jener Faktoren, welche die Wahrscheinlichkeit, eine Arbeit zu finden, d.h. auch die Verwendbarkeit, belasten: Geschlecht, Alter, Dauer der Arbeitslosigkeit etc.
Obwohl die verwendeten Methoden der Stichprobenauswahl unterschiedlich sind, lassen sich die Ergebnisse ihrer Struktur nach dennoch gut vergleichen und einige Konstanten herausarbeiten. Beispielsweise finden Frauen in geringerem Maße als Männer die gesuchte Beschäftigung, unabhängig vom Alter und von der Dauer der Arbeitslosigkeit. Als eine stark diskriminierende Variable zeigt sich das Alter: jenseits von 50 Jahren sinken die Zahlen jener, die wieder eine Beschäftigung finden, bemerkenswert stark, sowohl für Frauen wie für Männer, für jene, die erst arbeitslos geworden oder es schon lange Zeit sind. Die Unterschiede zwischen den Jüngeren (weniger als 25) und den Erwachsenen (25-49) sind weniger stabil. Gleichzeitig verringert sich mit der Dauer der Arbeitslosigkeit die Chance der Verwendbarkeit, unabhängig vom Geschlecht oder vom Alter, lediglich der Rhythmus der damit verbundenen Verschlechterung ändert sich mit den Veränderungen im Profil der Arbeitslosen.
Aus solchen Untersuchungen ergibt sich, daß es einige klassische Größen für die soziologische Erklärung gibt: Geschlecht (benachteiligt Frauen), Alter (Position der einzelnen in ihrem Lebenszyklus) und Dauer der Arbeitslosigkeit (Position auf dem Arbeitsmarkt). Mit Hilfe der gemessenen Korrelationen lassen die Rangplätze der verschiedenen Kategorien von Arbeitlosen in der Warteschlange beschreiben, doch sie geben keinen Aufschluß über die zugrundeliegenden sozialen Prozesse.

Arbeitslosigkeit und die Fragmentierung (fragilisation) der Beschäftigungen
Ein zweites wichtiges Ergebnis aus Verlaufsuntersuchungen der Arbeitslosigkeit ist die Beschreibung von neuen Beschäftigungen im Vergleich mit der früheren Arbeitslosigkeit und die Verschiedenheit der gelebten Situationen. Alle Untersuchungen zeigen, daß die neue gefundenen Beschäftigungen weniger stabil sind als die früheren, die nun abhanden gekommen sind. Alles deutet darauf hin, daß die Arbeitslosigkeit zu einer Neuverteilung der Beschäftigung führt: die Prekarität, zuerst auf die Jugendlichen beschränkt (in Frankreich), dehnt sich auf die über 50-Jährigen aus. Sie wird zu einem Hauptmerkmal jener, die nach der Arbeitslosigkeit wieder eine Beschäftigung finden.

Arbeitslosigkeit und die Verschiedenheit der dadurch bedingten Situationen
Eine neue Beschäftigung ist nicht der einzige Weg zum Ausstieg aus der Arbeitslosigkeit. Die Untersuchungen zeigen, daß daneben auch noch andere Wege eine Rolle spielen: Weiterbildung, Frühverrentung oder der Verzicht auf weitere Suche nach Beschäftigung. Die Situationen variieren als Funktion von Alter, Geschlecht und Dauer der Arbeitslosigkeit zu Beginn der Beobachtungsperiode. Die wiederholte Arbeitslosigkeit betrifft eher die Jugendlichen, aber auch die Kurzzeitarbeitslosen, auch männlichen Geschlechts. Der Rückzug vom Arbeitsmarkt kommt für jene in Frage, wo es für die einzelnen und ihre Umgebung eher in Frage kommt: Frauen und ältere Arbeitslose. Oder wo sich die negativen Merkmale kumulieren: ältere Arbeitslose und Langzeitarbeitslosigkeit. Diese Tendenzen zur Inaktivität finden sich bei bestimmten Kategorien und scheinen gleichzeitig die Übersetzung eines Prozesses der Exklusion auf Dauer zu sein.

Eine faktorielle Konzeption der Verwendbarkeit
In welcher Zeit findet ein Arbeitsloser wieder eine Beschäftigung, und welche Faktoren beeinflussen die Geschwindigkeit der Wiederaufnahme der Beschäftigung? Damit verbunden sind die Fragen der Reklassifizierung und der Qualität der neuen Beschäftigungen.
Die erste Frage führt zu den klassischen Faktormodellen: der Korrelation zwischen einer Position auf dem Arbeitsmarkt und den sozio-demographischen Attributen, die zu einem deskriptiven und explikativen Paradigma führen. Die zweite Frage eröffnet neue Perspektiven, weil sie frühere und spätere (nach der Arbeitslosigkeit) Beschäftigungen miteinander in Beziehung setzt und damit die Konstruktion von beruflichen Laufbahnen ermöglicht: Wiederholung von Formen der Stabilität, Mobilität und Instabilität, aber auch Fragen an die Strategien der Arbeitslosen, ihre Verwendbarkeit sicherzustellen. Derartige Überlegungen führen aber auch zur Analyse der Transformationen des Arbeitsmarktes und der Änderung der Regeln, nach denen er funktioniert und der Rolle der Akteure, bes. der Unternehmer, bei der Konstruktion der Verwendbarkeit der Arbeitslosen. Eine Bestimmung der Verwendbarkeit mit Hilfe eines statistischen Maßes führt demnach zu einer a posteriori fixierten Meßgröße, als Resultat von Prozessen, die der Analyse verborgen bleiben: weder die Strategien der Unternehmer noch die Antizipationen der Arbeitslosen werden dabei in Rechnung gestellt. Ein objektivierter Begriff der Verwendbarkeit impliziert also eine Verdinglichung von Situationen, die eindeutig relationaler und evolutionärer Natur sind. Neuere Analysen führen daher zu anderen Sichtweisen der Konstruktion der Verwendbarkeit.

2. Die sozialen Konstruktionen der Verwendbarkeit

Verwendbarkeit ist eine spezielle Dimension, eng verbunden mit der Struktur der Arbeitslosigkeit und mit allgemeineren Prozessen der beruflichen Mobilität. Aus neuen Untersuchungen geht hervor, daß die Analyse individueller Wege nicht zu trennen ist von der des Arbeitsmarktes und der biographischen Logiken, die her ebenfalls im Spiel sind. In gleicher Weise zu berücksichtigen sind die biographische Dynamik, die zu unterschiedlichen Positionen führt und die strukturellen Entwicklungen, aus der sich die Struktur der Positionen ergibt.

2a Verwendbarkeit und Strategien der Arbeitslosen

Die Unzulänglichkeit der klassischen Variablen
In einer groß angelegten Längsschnittuntersuchung von Arbeitslosen zwischen 1983-1989 wurden 32 Gruppen gebildet mit unterschiedlichen Kombinationen folgender Merkmale: Geschlecht, Alter, Diplom, Dauer der Arbeitslosigkeit und Verhalten bei der Suche nach Arbeit. Dabei zeigt sich als erfolgreiche Merkmalskombination: Männlich, jung, diplomiert und erst seit kurzer Zeit arbeitslos: 68% finden rasch wieder eine Beschäftigung. Die am wenigsten günstige Kombination: höheres Alter, nicht diplomiert, weiblich und passive Arbeitssuche: 7% finden im Verlauf von zwei Jahren eine Beschäftigung. Das heißt, die Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden, sind niemals Null, auch bei einer Kumulation negativer Faktoren. Umgekehrt bedeuten begünstigende Faktoren keineswegs die Absenz signifikanter Zahlen der Verbleibs in der Arbeitslosigkeit. Als einzelne betrachtet kommt den einzelnen Faktoren, positiven wie auch negativen, nur begrenzte Aussagekraft zu. Auch die Kumulierung negativer Faktoren impliziert noch keineswegs eine definitive Verbannung. Dies führt dazu, nach neuen Wegen der Forschung zu suchen, die eine größere Anzahl von Faktoren berücksichtigen, besonders die Kalkulationen (arbitrage) und das Verhalten der Arbeitslosen selbst.

Arbitrage und Arbeitslosenunterstützung
Die klassische Art, die Rationalität der Arbeitslosen zu berücksichtigen besteht darin, ihr Abwägen zwischen Annahme einer verfügbaren Beschäftigung und das Warten auf eine bessere Gelegenheit zu analysieren. Diese Perspektive, der ökonomischen Logik verpflichtet, unterssucht vor allem den Zusammenhang zwischen Entschädigung und Ausstieg aus der Arbeitslosigkeit.
Ökonometrische Analysen haben einen signifikanten Zusammenhang zwischen Höhe und Dauer der Entschädigung und der Dauer der Arbeitslosigkeit herausgestellt. Doch diese Korrelation bedeutet nicht, die Entschädigungen seien eine Ursache von Arbeitslosigkeit, denn die Motive des Ausstiegs aus der Arbeitslosigkeit sind zu heterogen: neue Beschäftigung, Eintritt in die Inaktivität, Weiterbildung, Verzicht auf weitere Arbeitssuche etc. Die Interpretation der diversen Fluktuationen ist schwierig, keineswegs aber nur aus dem Blickwinkel der ökonomischen Rationalität gerechtfertigt. Die Verhaltensweisen bei der Arbeitssuche sind komplex, stehen auch in Beziehung zum Verhalten anderer Akteure (Arbeitgeber...) oder Institutionen (Arbeitsmarktverwaltung).

Welches Gewicht ist der Arbeitssuche beizumessen?
Weitere Forschungen über das Verhalten bei der Suche nach Beschäftigung haben zwei wesentliche Dimensionen unterschieden: die Fähigkeit, die Suche nach Arbeit (oder die Distanz dazu) fokussieren zu können und die Verfügbarkeit (Diponibilität). Die erste bezieht sich auf eine gezielte Vorgangsweise, die zweite auf die Fähigkeit zur Mobilität (geographisch und beruflich). Das von Anfang an gezeigte Verhalten bei der Arbeitssuche ist demnach ein Schlüsselfaktor.

Hohe Verfügbarkeit begünstigt den Erfolg bei Arbeitssuche, und umgekehrt ist eine niedrige Verfügbarkeit bald mit einem Rückzug vom Arbeitsmarkt verbunden. Arbeitslose, die sich in der entschädigten Arbeitslosigkeit einrichten, unterscheiden sich in ihrer Suche nach Beschäftigung nicht von anderen Arbeitslosen.
Da diese Verhaltensweise mit anderen Faktoren wie Geschlecht, Diplom, Dauer der Arbeitslosigkeit etc. verbunden sind, ist zu untersuchen, ob die Arbeitssuche wichtiger ist als der Einfluß der traditionellen Faktoren. Dazu wurden 11 Verhaltensvariablen und 12 Kontextvariablen auf ihren jeweiligen Einfluß hin untersucht.
Dabei hat sich gezeigt, daß der am meisten determinierende Faktor das Alter ist. Zu den Faktoren zweiter Ordnung gehören: Situation im Haushalt, Niveau des Diploms, Dauer der Meldung bei der Arbeitsmarktverwaltung. Risikofaktoren dritter Ordnung sind: Nationalität, sozio-professionelle Kategorie, Umstände der Kündigung, Entschädigung und Gemeindegröße. Die Suche nach Arbeit ist ebenfalls ein Faktor dritter Ordnung und steht nur mit 4 Variablen in Zusammenhang: Mit Weiterbildungsbereitschaft, der Anzahl der Arten der Suche nach Arbeit, Gesundheitszustand und Höhe des erwarteten Lohnes. Die Debatte um den Einfluß der Arbeitssuche bleibt also offen, dies umso mehr, als es schwierig ist, die Verhaltensweisen genau zu messen.

Beschäftigungssuche und Sozialisationsprozesse
Qualitative Untersuchungen bei 35 Arbeitslosen im gleichen geographischen Raum, aus einer zeitlichen Distanz von drei Jahren, sollten hier weitere Aufschlüsse geben. Dabei wurden zwei Dimensionen des Verhaltens unterschieden: Der Grad der Mobilisierung und der Grad der Autonomie. Um wieder eine Beschäftigung finden zu können, scheint grundlegend zu sein die Mobilisierung, während der Autonomie ein komplementärer Effekt für die Verkürzung der Zeit der Suche nach Arbeit zukommt.
Unterschiede im Verhalten der Arbeitslosen ergeben sich aus dem Erlernen von Normen, Werten, d.h., durch die erlernten „sozialen Qualifikationen", welche für die Plazierung auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich gewesen sind. Die Verhaltensweisen der Arbeitslosen ergeben sich aus den Formen der Sozialisation, die ihre Konsumerwartungen, Zukunftsansprüche und ihre Einbettung in soziale Netzwerke strukturieren. Die Verhaltensweisen haben ihre Wurzeln in biographischen und symbolischen Kohärenzen, die sich zumindest partiell in der Zeit vor der Arbeitslosigkeit konstituiert haben.
In einer anderen Untersuchung zur Langzeitarbeitslosigkeit (1990/91) hat sich gezeigt, daß die üblicherweise als Risikofaktoren betrachteten Merkmale wenig aussagekräftig sind, um eine Erklärung für den Verlauf einzelner Karrieren zu liefern. Als zusätzlich wichtige Faktoren wurden identifiziert: die Verbindungen der nun Arbeitslosen mit dem Arbeitsmarkt und dem produktiven Bereich generell: Absenz längerer Zeiten beruflicher Inaktivität, Regelmäßigkeit und Kontinuität der beruflichen Laufbahnen, Ausübung von Gelegenheitsarbeiten während der Zeit der Arbeitslosigkeit. Dies alles begünstigt die Wiedereingliederung und schützt vor Langzeitarbeitslosigkeit. Aus der Kombination dieser Faktoren ergibt sich eine „Nähe zum Arbeitsmarkt", dem Hauptfaktor einer Erklärung der Karriere, auch wenn dieser nicht völlig unabhängig ist von individuellen Merkmalen (bes. Geschlecht). Die Verwendbarkeit konstruiert sich daher in einer zeitlich langen Dauer der beruflichen Laufbahn, weniger aus der Erfahrung der Arbeitslosigkeit, und steht in engem Zusammenhang mit diversen sozialen Praktiken, welche die engen Arbeits- und Berufserfahrungen transzendieren.

Derartige Untersuchungen zur Konstruktion der Verwendbarkeit bereichern jene Ansätze, die nur einzelne standardisierte Variablen isolieren. Darüber hinaus, wenn sich die Sozialisation als Artikulation zweier heterogener Prozesse artikuliert, (a) der Vorwegnahme der Zukunft der einzelnen auf der Grundlage der Vergangenheit und (b) der Interaktion mit signifikanten Akteuren (Entscheidungsträgern), ist es auch wichtig, die Konstruktion der Kategorie der Verwendbarkeit der Arbeitslosen mit dem Arbeitsmarkt selbst in Verbindung zu bringen.

2b Verwendbarkeit und Arbeitsmärkte

Verwendbarkeit ist nicht nur ein individuelles Attribut, sondern auch abhängig von der ökonomischen Umwelt und den strukturellen Kontexten der einzelnen Laufbahnen. Wenn ein lokal dominantes Großunternehmen zumacht und seine hoch produktiven Beschäftigten entläßt, dann können diese in einem lokalen Arbeitsmarkt, der aus dem Gleichgewicht geraten ist, plötzlich „nicht mehr verwendbar" sein. Wenn umgekehrt ein neuer Betrieb mit viel Beschäftigung aufgemacht wird, so werden auch bisher nicht verwendbare Arbeitslose wieder neu eingestellt. Die Verwendbarkeit eines Arbeitslosen ist also nicht mechanisch durch seine sozialen Merkmale determiniert, durch sein Curriculum und seine Suche nach Arbeit. Sie ist in gleicher Weise abhängig von den Strukturen der Beschäftigung, der Logik der Entscheidungsträger, der Dynamik der lokalen Arbeitsmärkte. Natürlich spielt das Gewicht der Vergangenheit eine Rolle, aber ebenso sehr die Ereignisse in der sozioökonomischen Umwelt.

Die Regeln der Organisation des Arbeitsmarktes.
Es ist nützlich, zwei heterogene, aber unterscheidbare Komponenten der Verwendbarkeit zu unterscheiden: eine intrinsische und eine extrinsische Komponente. Die intrinsische Verwendbarkeit ergibt sich aus der bisherigen Laufbahn und den Merkmalen des Arbeitslosen. Sie kann sich verschlechtern bei entsprechenden Reaktionen auf die Erfahrung der Arbeitslosigkeit, bei einem Verlust des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten, einer Störung der sozialen Beziehungsnetze oder einer Erosion der beruflichen Fähigkeiten. Die extrinsische Verwendbarkeit hängt hingegen ab von der ökonomischen Umwelt und den Transformationen des Arbeitsmarktes, ergibt sich aus dem Ungleichgewicht der Beschäftigungen, der damit verbundenen Normen und den Phänomenen der Selektivität.
Eine gründliche Monographie über die beruflichen Laufbahnen nach der Schließung eines Großbetriebes in Creusot-Loire hat im Hinblick auf die weitere Verwendbarkeit der dort früher Beschäftigten zur Identifikation von drei Typen geführt: Wiederbeschäftigte, prekär Neupositionierte und von weiterer Beschäftigung Ausgeschlossene. Diese drei Typen ergeben sich aus der Art der früheren Beschäftigung, der Verarbeitung der Entlassung, der individuellen Wahrnehmung der Distanz zwischen einem protektionistischen inneren Arbeitsmarkt und den Regeln des äußeren Arbeitsmarktes, der durch eine starke Diversifizierung unterschiedlicher Beschäftigungsstatus(e) gekennzeichnet ist.
Derart brutale Änderungen bringen für die einzelnen Individuen neue Notwendigkeiten mit sich. Neue Verhaltensweisen und die Konstruktion der Verwendbarkeit entstehen nicht spontan, sondern aus der Wechselbeziehung zwischen diesen Strategien der Segmentierung und den Karrieren der einzelnen. Die Verwendbarkeit spricht zwei Dimensionen an: die Qualifikationen der Individuen, die eine neue Beschäftigung suchen, und in gleicher Weise die lokalen Veränderungen der kollektiven Umgangs mit den Arbeitskräften vor und nach der Schließung des Unternehmens.
Zum Verständnis der Konstruktion der Brauchbarkeit bedarf es also dieser doppelten Lekture der beruflichen Laufbahnen und der konkreten sozialen Räume, in denen sie sich abspielen. Dementsprechend läßt sich auch die Anfälligkeit für Arbeitslosigkeit analysieren durch die gleichzeitige Betrachtung der Geschichte des Beschäftigten und der Geschichte seiner Arbeit. Die Problematik der Verwendbarkeit läßt sich also nicht durch den Rekurs auf einige einfache und objektivierbare statistische Maße lösen.

Die Rolle des Kontextes und die Strategien der Akteure
Empirische Analysen über den Zusammenhang von makroökonomischen Konjunkturen und der Verwendbarkeit der Arbeitslosen haben ergeben, daß dieser nach wie vor schwierig zu erklären ist. Dies vor allem deswegen, weil sich die diesbezügliche Theoriebildung noch in einem embryonalen Zustand befindet. Die Übersetzung struktureller Kontexte in empirische Indikatoren steht noch in den Anfängen, weil sie sich nicht mit vagen Angaben über Konjunkturen begnügen kann. Dies bedeutet, daß der Arbeitsmarkt räumlich segmentiert ist, daß öffentliche Politik nicht überall gleich angewandt wird, daß die Institutionen des Arbeitsmarktes bei der Administration und Selektion von Arbeitskräften unterschiedliche Strategien verfolgen. Die Umsetzung dieser Elemente in standardisierte Indikatoren hat noch kaum begonnen.

Bisherigen Analysen konzentrieren sich vor allem auf die Prozesse in einem lokalen Raum. So wird mehrheitlich angenommen, daß es einen „lokalen Effekt" gibt, doch seine Analyse bleibt problematisch, und mehr noch seine Auswirkung auf die Verwendbarkeit der Arbeitslosen, die dort wohnen. Vor allem deswegen, weil bislang die Strategegien der Unternehmer, „die verborgene Seite des Begriffs", vernachlässigt worden sind. Diesbezügliche soziologische Untersuchungen sind noch in einem embryonalen Zustand. Ebenso unterbelichtet ist bisher die Relation der Beschäftigung und der damit verbundenen Unsicherheit, denn Gegenstand des Tausches ist nicht die Arbeit, sondern damit verbundene Versprechungen.
Die Erklärung und das Verständnis der Prozesse der Differenzierung der Werdegänge der Arbeitslosen setzt voraus, diese im Zusammenhang mit den Arbeitsmärkten, den familiären Strukturen, den sozialen Netzen, den Logiken der Facharbeiter und der Unternehmer, mit denen sie konfrontiert sind, zu sehen. Ebenso muß man sich Klarheit verschaffen über die Pluralität der Rationalität der Arbeitslosen, ihrer Strategien und der Arten, wie sie ihre Erfahrungen interpretieren.

Eine solche Orientierung führt zu einem Arbeitsprogramm, das sich bereits auf signifikative Forschungsergebnisse stützen kann, denn es gibt bereits zahlreiche soziologische Forschungsarbeiten, die sich aus der Fixierung auf das Gegenüber von Arbeitslosigkeit und Beschäftigung zu lösen versuchen, um die sozialen und symbolischen Vermittlungen zu untersuchen, die bei der Konstruktion der Verwendbarkeit beteiligt sind. Die Entwicklung der mit der Arbeitslosigkeit verbundenen öffentlichen Politik und damit verbundene Evaluierungen weisen ebenfalls in diese Richtung.

IV. Paradoxien der Behandlung der Arbeitslosigkeit

Die Vorkehrungen, die getroffen wurden, um Beschäftigungslosen Hilfe bieten zu können, sind eine wichtige Grundlage für die sozilogische Erforschung der Arbeitslosigkeit gewesen. Die Berücksichtigung administrativer Kategorien wie jene der Langzeitarbeitslosigkeit hat dann auch dazu geführt, dass wichtige theoretische Adjustierungen erfolgt sind.
Wenn sich auch die Forschung bislang wenig mit den Prozessen der Entscheidungsfindung und der Konstitution generellen Politik beschäftigt hat, so ist die kritische Analyse der Kategorien, die jene ebenso strukturieren wie die Evaluierung der mit ihr verbundenen Auswirkungen, doppelt fruchtbar geworden. Denn sie weisen nicht nur auf zahlreiche Paradoxien bei der Behandlung von Arbeitslosigkeit hin, sondern erlauben es auch, die Prozesse der Übersetzung der Handlungsnormen und der Produktion der Kategorisierungen zu identifizieren, die grundlegend sind für die Konstruktion des Status des Arbeitslosen.

1. Beschäftigungspolitik und Behandlung der Arbeitslosigkeit

Die Behandlung der Arbeitslosigkeit ist nicht anderes als eine Dimension der Beschäftigungspolitik, die als die Gesamtheit der öffentlichen Interventionen zum besseren Funktionieren des Arbeitsmarktes zu definieren ist. doch hat sich ihre Bedeutung seit dem Beginn der gegenwärtigen Beschäftigungskrise erheblich erhöht.

Die offizielle Gestaltung der Beschäftigungspolitik
Zur Beurteilung der Beschäftigungspolitik muß man auf die Kategorien der Zählungen und die strukturierenden Begriffe zurückgreifen, die jedoch manchmal schwer zu interpretieren sind. Die öffentlichen Ausgaben für Beschäftigung erlauben es, die finanziellen Anstrengungen zur Behandlung der Arbeitslosigkeit abzuschätzen. Mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit seit Mitte der 80er Jahre geht auch ein rascher Anstieg der Mittel einher, sie zu bekämpfen:
1973 sind dafür (in Frankreich) 0,9% des BIP ausgegeben worden, 1993 jedoch 4,1%. Seit Anfang der 80er Jahre
bewegen sich die Ausgaben zwischen 3% und 4% des BIP.
Tabelle der Entwicklung der öffentlichen Ausgaben für Beschaftigung:

Eine solche Aufteilung ergibt sich daraus, weil die Beschäftigungspolitik zwischen „aktiven" und „passiven" Maßnahmen unterscheidet. Die aktiven sind gegen die Beschränkung von Beschäftigung gerichtet, indem sie die Anpassung der Arbeitskräfte an die Markterfordernisse fördern (durch Bildung, einstellungshilfen, Arbeitszeitgestaltung, Verbesserung der Informationsflüsse), die passiven hingegen darauf, die Auswirkungen des Mangels an Arbeit zu lindern (Entschädigungen, Anpassungen der aktiven Population (Frühverrentung, Rückkehr ausländischer Arbeiter).
Seit Anfang der 80er Jahre wird der Anteil der passiven Ausgaben geringer. Vor allem die Anreize zur Frühpension sind verringert worden. In Entsprechung dazu ist der Anteil der aktiven Ausgaben gestiegen, besonders jene zur Förderung und Schaffung neuer Beschäftigung. Diese Verschiebungen bedeuten nicht, daß die passiven Ausgaben in ihrem Umfang geringer werden, sondern nur, daß die aktiven schneller wachsen.

Diese Entwicklungen sind nicht einfach zu interpretieren, denn der Gegensatz von aktiv und passiv ist nicht so klar wie er zu sein scheint. Das Arbeitslosengeld ist als passive Maßnahme klassifiziert, doch indem es dazu beiträgt, die Konsumation zu stützen, kann es makroökonomisch ein Beitrag zur Schaffung von Beschäftigung sein. Es handelt sich also um eine passive Maßnahme, welche die Wirkung einer aktiven Maßnahme hat. Und umgekehrt können als aktive bezeichnete Instrumente wie passive Maßnahmen funktionieren. Weiterbildungsphasen beispielsweise sind als aktive eingeordnet, während sie in einem Kontext massiver Arbeitslosigkeit nur selten eine Perspektive der Jobfindung eröffnen. Ihre Wirkungen zeigen sich also nur in deiner Verringerung der statistischen Zahlen über die Arbeitslosigkeit.
Die Gestaltung der öffentlichen Beschäftigungspolitik beruht zweifellos auf einer gleich bleibenden Terminologie, die Zeitvergleiche ermöglicht. Doch ist sie nicht frei vor Zweideutigkeiten, denn sie betrachtet die Entwicklung der Funktionen der arbeitsmarktbezogenen Maßnahmen als ein Ganzes und verschleiert die Verschiebungen des Sinns, den diese Maßnahmen haben. Sie lassen sich jedoch einzeln in ihrer jeweiligen Entwicklung betrachten.

Die Chronologie der Behandlung der Arbeitslosigkeit
Die Entwicklungen der verschiedenen Beschäftigungspolitiken sind oft kommentiert worden, besonders von jenen, die damit besonders befaßt sind: der Verwaltung. Dabei besteht immer die Tendenz, großzügig eine gewisse Ordnung in die Maßnahmen hineinzubringen, Perioden zu konstruieren, Brüche zu identifizieren, mag auch die Periode, auf die Bezug genommen wird, unterschiedlich lang sein: 30 Jahre (Ellbaum), 15 Jahre (Cornillau), 12 Jahre, 10 Jahre, 7 oder 6 Jahre. Die Akzente der Periodisierungen werden also recht unterschiedlich gesetzt.
Die Multiplikation der Chroniken der Behandlung der Arbeitslosigkeit, welche die Institutionen und Behörden der Beschäftigungspolitik zur Regulierung der Spannungen auf dem Arbeitsmarkt und zur Reduzierung von Widersprüchen verkündigen, ist ohne jeden Zweifel durch die unablässige Erneuerung der Maßnahmen zu erklären.

Die Spirale der Behandlung der Arbeitslosigkeit
Ende der 70er Jahre wurden die Akzente auf begleitende Hilfen zum Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt gesetzt. Wegen der damit verbundenen Kosten distanzierte man sich von diesem Instrument, um es durch Unterstützung der Suche nach Beschäftigung zu ersetzen. Gleichzeitig suchte man die Zugänge zur Beschäftigung für besondere Kategorien (Junge, Langzeitarbeitslose, isolierte Frauen etc.) zu verbessern.
Hilfen für Jugendliche gibt es vermehrt seit 1982, gleichzeitig wurden damals breit angelegte Weiterbildungsprogramme entwickelt und ein besonderes Netz für Beratung aufgebaut. Besondere Programme für Langzeitarbeitslose gibt es seit 1985, womit sich der Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit verselbständigt. In der Folge wurden die Maßnahmen für diese beiden Problemgruppen diversifiziert, verstärkt und modifiziert.
Nach 1990, in einer Phase des steigender Arbeitslosigkeit, wurden die verschiedenen Formeln der Behandlung der Arbeitslosigkeit weitergeführt, doch der Akzent auf jene Kategorien verlagert, die auf dem Arbeitsmarkt die größten Probleme haben: Ausgesteuerte, Langzeitarbeitslose und Alte, Junge ohne Basisqualifikation etc. Nach offiziellen Kommentaren handelt es sich dabei um programmatische Anpassungen an äußere Zwänge. Ein weiteres Merkmal der jüngeren Periode ist die Reduzierung der Anzahl der Maßnahmen: Vereinfachung und Neufassung des Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit.
Die starke Vermehrung der Maßnahmen, die einander folgen oder ohne offensichtliche Kohärenz sich überlagern, macht es schwierig, die Logik, die der Behandlung der Arbeitslosigkeit zugrunde liegt, zu analysieren. Es ist als ob die Behandlung der Arbeitslosigkeit Teil einer Spirale wäre, gekennzeichnet einerseits durch die Ausschöpfung aller verfügbaren Dispositive und das Gefühl, alles Mögliche versucht zu haben, andererseits aber durch den fortwährenden Kampf gegen eine mehr und mehr akzentuierte Selektivität des Arbeitsmarktes, was dann zur Vermehrung der bevorzugten Adressatengruppen führt.

Drei Logiken der Behandlung?
Wenn auch die Dispositive der Eingliederung und Wiedereingliederung der Arbeitslosen recht vielfältig sind, so werden sie dennoch oft unter 3 Hauptgruppen subsumiert: Ausbildungsphasen, unterstützte Beschäftigung im Profit-Bereich und unterstützte Beschäftigung im Non-Profit-Bereich, was drei verschiedenen Logiken der staatlichen Intervention entspricht.

Die erste Logik richtet sich auf die Merkmale der Nachfrage und sucht die Fähigkeiten des Zuganges zur Beschäftigung zu verbessern. Die diesbezüglichen Maßnahmen versetzen den Arbeitslosen in einen Status der Inaktivität: in einen Teilnehmer an beruflicher Ausbildung. Derartiges war ursprünglich auf Jugendliche zugeschnitten, um Mängel in der Grundausbildung zu kompensieren. Später wurde diese Formel auf Langzeitarbeitslose ausgedehnt.
Die zweite Logik richtet sich auf das Arbeitsangebot und die selektiven Einstellungspraktiken, indem sie für bestimmte Kategorien eine positive Diskriminierung vorsehen: Einstellungshilfen, Senkung der Sozialkosten (Lohnnebenkosten), Übernahme von Ausbildungskosten, dies alles soll die Strategien der Unternehmer bei der Personalrekrutierung beeinflussen. Derartiges versetzt den Arbeitslosen in den Status eines aktiv Beschäftigten. Das Gegenstück dieser Reduzierung der Arbeitskosten ist die Tatsache, am Arbeitsplatz in einer besonders unterstützten Position zu sein.
Eine dritte Gruppe von Interventionen fasst Maßnahmen der Schaffung von Beschäftigung im tertiären Non-Profit-Bereich zusammen, meist in der Gemeinwirtschaft (Sozialökonomie) oder bei territorialen Einheiten. Es handelt sich hier um sozial nützliche Arbeit, 1984 zunächst für Jugendliche gedacht, 1989 dann auch für Langzeitarbeitslose, was diesen dann zu einem Arbeitsvertrag (Teilzeit) verhilft.
Eine solche Klassifizierung bringt bestimmte Schwierigkeiten mit sich, vor allem weil sie die Beziehungen zu den einzelnen juridischen Statuspositionen vernachlässigt, die mit den einzelnen Maßnahmen verbunden sind. Beispielsweise Hilfen zur Eingliederung ins berufliche Leben versetzen den Adressaten in den Status der beruflichen Ausbildung, wobei er gleichzeitig, bei reduzierten Sozialkosten, vom Unternehmen bezahlt wird. Das heißt, mit den verschiedenen Maßnahmen der Behandlung der Arbeitslosigkeit werden die Grenzen zwischen Beschäftigung und Aktivität, zwischen Beschäftigung und Ausbildung neu gezogen, was zu einer Aufsplitterung der sozialen Statuspositionen führt.

Große Bedeutung in quantitativer Hinsicht
Zwischen 1981 - 1994 haben in Frankreich mehr als 17 Millionen an derartigen Maßnahmen teilgenommen, wobei die Fluktuationen auf die verschiedenen politischen Akzentsetzungen zurückzuführen sind. In diesen Zahlen sind die Hilfen zur Frühverrentung und betriebliche Restrukturierungen (Sozialpläne) nicht enthalten.
Jeder Typus einer Maßnahme hat eine eigene Entwicklung. Die Zahlen für unterstützte Beschäftigung im Non-Profit-Bereich sind stark gestiegen, als diese auch Erwachsenen zugänglich gemacht worden ist. Im Profit-Bereich sind die Entwicklungen unterstützter Beschäftigung eher sprunghaft, von den jeweiligen Begünstigungen abhängig.

Der Sinn der Behandlung der Arbeitslosigkeit
Die Geschichte der öffentlichen (Wieder-)Eingliederungshilfen ist kurz, geht auf die Zeit Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre zurück. Doch auch in dieser kurzen Zeit ist die Zahl der Maßnahmen, die gesetzt und dann wieder aufgelassen wurden, so beeindruckend, dass es nicht übertrieben ist, von einer „Überlagerung" und „Zerstückelung" der verschiedenen Dispositive zu sprechen. Diese Instabilität der Programme entspricht den quantitativen Zielen einer auf kurze Zeiträume fixierten Verwaltung, was mit der mehr qualitativen Logik einer auf mittelfristige Zeiträume ausgerichteten Aktion schwer vereinbar ist.
Die ruckartigen Bewegungen in der Politik der Behandlung der Arbeitslosigkeit ist nicht ohne den Zusammenhang mit dem politischen Kalender (Wahlen) zu sehen: viele Maßnahmen sind Reaktionen auf steigende Arbeitslosigkeit mit dem erklärten Ziel, die entsprechenden Zahlen beim Herannahen eines Wahltages zu senken. Die statistische Dimension der Behandlung der Arbeitslosigkeit scheint so im Rhythmus der Erneuerung der Maßnahmen einen zentralen Stellenwert zu haben.
Die Behandlung der Arbeitslosigkeit hat direkte Konsequenzen auf die Zahl der Arbeitslosen, denn die „Begünstigten" sind nicht mehr als Arbeitssuchende ausgewiesen. Dennoch sind die Spielräume nicht allzu groß. Um die Auswirkungen auf die Konturen der Arbeitslosigkeit abschätzen zu können, ist es wichtig, auch jene Kategorien zu prüfen, die für die Gestaltung der Politiken von Bedeutung sind.

2. Die Kategorien der Behandlung der Arbeitslosigkeit

Gegen jede Art des Naturalismus, besonders juridischer Art, welcher die Langlebigkeit bestimmter Institutionen und Konventionen privilegiert, und gegen die bloße Beschreibung der Entwicklung der Maßnahmen, bemühen zahlreiche Forschungen sich darum, die Behandlung von Arbeitslosigkeit von den wichtigsten Kategorien, Repräsentationen und Normen her zu erfassen, welche ihre Struktur bestimmen.

2a Die Arbeitslosigkeit behandeln, die Arbeitslosen wieder eingliedern

Die Dispositive der Behandlung der Arbeitslosigkeit sind auf besondere Gruppen ausgerichtet und stellen eine Politik der „Eingliederung" dar, die sich von der traditionellen Politik unterscheidet, die auf Plazierung (Vermittlung) ausgerichtet gewesen ist. Um diese Kehrwendung zu verstehen, muß man die Entstehung der Institutionen der Plazierung berücksichtigen.

Krise der Beschäftigung, Krise der Plazierung
Die Plazierung bzw. Vermittlung wurde nach 1945 eine öffentliche Dienstleistung, die 1967 zur Errichtung eines nationalen Amtes für Beschäftigung führte. Deren Ziel war, den Arbeitsmarkt in Bewegung zu halten, die Suche nach abhängig Beschäftigten (Lohnarbeitern) zu erleichtern. Der beginnende Mangel an Arbeit in den 70er Jahren führte zu einer Modifikation in den Repräsentationen der öffentlichen Verwaltung.
Die Arbeitslosigkeit begann sich zu ändern: sie war nun nicht mehr nur friktionell und von längerer Dauer. Mit der Arbeitslosigkeit vermehrten sich die Situationen der Prekarität und der Armut, die Grenzen zwischen Arbeitslosen und Armen wurden unscharf. Die Interventionen begannen sich auf jene zu richten, welche die größten Schwierigkeiten hatten. Daher entstanden Diskussionen um die Aufgaben der Arbeitsämter. Für die einen sind die verfügbaren Mittel für die rasche Besetzung offener Stellen und die Transparenz des Arbeitsmarktes einzusetzen, für andere hat der Kampf gegen die Selektivität Vorrang und ebenso die Unterstützung jener, welche über die wenigsten Ressourcen verfügen. Die Verselbständigung der kontra-selektiven Politiken verweist auf die zweite Option, der es vor allem um Eingliederung (Jugendlicher) und Wiedereingliederung geht.

Zwischen Vermittlung und Unterstützung
Eingliederung ist ein „operationelles Konzept" der Behandlung der Arbeitslosigkeit geworden, ein zentraler Begriff, der die Ziele der Maßnahmen transportiert. Doch der Ausdruck ist unscharf und vieldeutig, dient mehr der Verdunkelung als der Klärung des Sinnes der öffentlichen Interventionen, besonders deswegen, weil er sich nicht nur auf die berufliche Wiedereingliederung richtet, sondern auch die soziale, deren Konturen noch unschärfer sind. Die Ziele, die „soziale" und „berufliche" Dimensionen verbinden, richten sich mehr und mehr auf Leute, die schon lange arbeitslos sind und werden sichtbar in Bemühungen um die Mobilisierung der Arbeitslosen. Die soziale Eingliederung gilt häufig als Voraussetzung der beruflichen, daher auch die Tendenzen, erstere mehr zu betonen.
Das Entstehen der Kategorie der Eingliederung übersetzt daher die Veränderung in der Art, wie Arbeitslosigkeit und Beschäftigung aufeinander bezogen sind. Diese Kategorie ist ein Anzeichen dafür, dass der Zugang zur Beschäftigung schwieriger und indirekter geworden ist, die Teilnahme an Maßnahmen, die unterschiedliche Statuspositionen zur Folge haben, unvermeidlich ist. Auch der Eintritt der Jugendlichen ins Berufsleben wird komplizierter, und die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt hängt zunehmend weniger mit automatischen und schnellen Anpassungen zusammen.
Daher hat sich auch die Rolle der Politik der Eingliederung geändert: das Ziel hat sich von der Vermittlung auf die Erhaltung der Verwendbarkeit (employablity) verschoben. Daher ist die Eingliederung, früher eine vorübergehende Zeitperiode, nun auf Dauer installiert, nicht mehr nur ein Zeitabschnitt, sondern ein Zustand.
Dies tangiert auch die Bedeutung der Kategorie der Arbeitslosigkeit selbst: ihre Verbindungen zur Beschäftigung lösen sich auf, sie ist nicht nur eine Antizipation von Beschäftigung. Eingliederung und Wiedereingliederung werden so zu sozial akzeptablen Kategorien, die gleichzeitig einen Widerspruch zum Ausdruck bringen: es gibt nicht für alle Arbeitslosen Beschäftigung, aber gleichzeitig wird am (in Frankreich) verfassungsmäßig garantierten Recht auf Arbeit (Beschäftigung) festgehalten. In diesem Sinne ist die Behandlung der Arbeitslosigkeit durch (Wieder-)Eingliederung in der Nähe des Paradoxen, der Sophismen und Ambiguitäten angesiedelt.
Die Hilfen zur Eingliederung bestimmen also im Kern den Prozess der sozialen Kategorisierung, da sie spezifische Situationen produzieren. Denn auf der einen Seite geben sie der Unterscheidung zwischen gewöhnlichen Arbeitslosen und jenen, die Zielgruppen von Maßnahmen sind, aber für unfähig gehalten werden, unmittelbar eine Arbeit zu finden und daher von der Vermittlung ausgeschlossen sind, eine gleichsam offizielle Gültigkeit. Auf der anderen Seite aber trennen sie diese Arbeitslosen von den „Sozialfällen" und den „Unterstützten", die ausschließlich Adressaten der Sozialpolitik sind. Die Kategorie der „Eingliederung" definiert so eine Position an den Rändern des Arbeitsmarktes, jedoch nicht außerhalb, und an den Grenzen der Arbeitslosigkeit, aber nicht im Bereich der Inaktivität. Doch die Konturen dieser Position sind wiederum sehr verschwommen, denn die „Eingliederung" hat in gleicher Weise Bezüge zur Sozialpolitik, besonders zum Kampf gegen die Armut, durch die Garantie eines Mindesteinkommens zur (Wieder-)Eingliederung (RMI = Révenue Minimum d'Insertion, in Frankreich eine der wichtigsten Maßnahmen).

2 b Die Paradoxien der Individualisierung

Die offizielle Angabe von „Zielgruppen" ist eine selten diskutierte Selbstverständlichkeit, allerdings legitimiert durch die Ziele der Kontra-Selektivität der Behandlung der Arbeitslosigkeit. Diese Ausrichtung hat allmählich zu einer Individualisierung der Maßnahmen geführt, um besser auf die Erwartungen oder vermeintlichen Bedürfnisse der Arbeitslosen eingehen zu können. Aufnahme, Besprechung, Bilanz und Orientierung sind im Laufe der letzten zwanzig Jahre eine strukturelle Komponente geworden, dank der Entwicklung besonderer Netze der Aufnahme und der Intensivierung systematischer Besprechungen bei den lokalen Behörden der Arbeitsvermittlung.
Nach und nach wird die Individualisierung ein Modus der Behandlung der Masse, was bestimmte Zwänge mit sich bringt: Routinisierung der Besprechungen, Verkürzung der Zeitdauer, enge Interpretation der anzubietenden Leistungen. Es geht um die Erarbeitung einer Eingliederungsperspektive, auf der Grundlage einer Expertise, den verfügbaren Maßnahmen in bestimmten Intervallen Leute zuzuweisen. Da es aber keineswegs darum geht, eine Bilanz der Fähigkeiten zu erstellen und den Reichtum der Erfahrungen der einzelnen anzuerkennen, tendiert die Individualisierung eher auf die Identifizierung von Handicaps und Problemen. Sie bringt auch das Risiko mit sich, die Idee zu rechtfertigen, es gebe objektive Merkmale der Verwendbarkeit.

Kollektive Formen und Individualisierung
Ziel der individualisierenden Politik ist es, auf den Prozess der Exklusion durch die Konstruktion einer Eingliederungsperspektive eine Antwort zu geben und die Position der Arbeitslosen vor der Eingliederung selbst akzeptabel zu machen. Individualisierung heißt, Zuflucht zu suchen bei einer sozialen Alchemie, die darin besteht, die Arbeitslosen von einer derzeit unrealistischen Suche nach Arbeit abzubringen und auf ein Projekt der Ausbildung und Eingliederung umzupolen, das den für die Behandlung der Arbeitslosigkeit verfügbaren Mitteln entspricht. Diese Individualisierung scheint eine Antwort auf die Unmöglichkeit zu sein, die Gesamtheit der Arbeitslosen auf Beschäftigung hin zu orientieren: da es nicht möglich ist, sozial und kollektiv die Beziehung zwischen Arbeitsmarkt und den einzelnen Arbeitslosen anzusprechen, überlässt man es den einzelnen, ihren Weg allein zu gehen.
Die Individualisierung markiert einen Übergang vom Recht auf Arbeit, das aus dem klassischen Arbeitslosen ein Rechtssubjekt gemacht hat, zu einem Recht auf Eingliederung, deren Inhalte verschwommen sind, denn es handelt sich um ein Engagement mit unsicherem Ausgang. Zudem gibt die Individualisierung der direkten Interaktion zwischen dem Funktionär und dem Arbeitslosen ein zentrales Gewicht bei der Konstruktion der Eingliederung und der Definition der Zukunft des Arbeitslosen; sie stützt sich auf wenig vorhersehbare Praktiken, weil sie mit besonderen Situationen verbunden sind.
Darüber hinaus läßt sich die Individualisierung der Hilfsmaßnahmen als eine Krise der früheren Praktiken der Regulierung des Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit betrachten, die in kollektiven Formen organisiert gewesen sind. Individuelle Bilanzen erstellen heißt, das Feld der verwendeten Kategorien erweitern, die mit den Vorstellungen vom Arbeitslosen verbunden sind; dies bedeutet auch, einen Raum der Produktion praktischer, offiziöser Kategorien zu eröffnen, die festlegen, was die Arbeitslosigkeit heute ist und was nicht.

Individualisierung, Motivation und Projekt
Die Generalisierung der Praxis einer beruflichen und personellen Bilanz für jene Arbeitslosen, die man mit den größten Schwierigkeiten konfrontiert sieht, enthält auch eine implizite Erklärung für die Arbeitslosigkeit, welche endogene oder intrinsische Faktoren (Verhalten hinsichtlich der Beschäftigung, individuelle Traumata...) Privilegiert. Die Verlagerung des Gewichtes auf die Einzelfälle bringt das Risiko mit sich, die ökonomischen und sozialen Prozesse der Exklusion zu vernachlässigen, was zu einer Stigmatisierung der Arbeitslosen führen kann, und auch zu einer Internalisierung deren eigener Situation.
Die Internalisierung ist ein Prozess, der zur Überzeugung einer Person über sich selbst führt, oder dazu, vor anderen zuzugeben, dass das, was ihr widerfährt, ihr selbst und nicht anderen zuzuschreiben ist. „Das Projektmodell ist ein typisches Beispiel der Internalisierung: zu sagen, das Projekt ist eine Bedingung der Eingliederung, bedeutet gleichzeitig, der Person, die in Schwierigkeiten ist, zu signalisieren, dass diese Situation entstanden ist, weil ihr einiges abgeht, was normale Leute haben" (Coquelle 1994). Aus der Konstruktion eines Projektes eine Norm zu machen, führt dazu, die Kategorie eines Projektes zu einer naturbedingten Kategorie (wie kann man auch nur kein Projekt haben?) zu machen. Der letzte Schritt besteht dann darin, das Fehlen von Arbeit mit der Absenz eines Projektes zu erklären.
Der häufige Rekurs auf den Ausdruck „Motivation", in Besprechungen zwischen dem Beamten und dem Arbeitslosen, entsteht aus derselben anklagenden Logik. Einem Arbeitslosen ein bestimmtes Ausmaß an Motivation zuzuschreiben ist zumindest teilsweise ein Versuch, die Situation zu erklären (er ist zu wenig motiviert, daher hat er keine Arbeit) und ein Urteil hinsichtlich der Verantwortlichkeit zu fällen.
Wenn die beiden Kategorien der „Motivation" und des „Projektes" bei der Eingliederung so zentral geworden sind, so deswegen, weil sie nicht nur moralischer Art sind, sondern weil sie für die Funktionäre im Feld eine Antwort auf die Aufblähung ihres Tätigkeitsfeldes ist und eine Verteidigung gegen die zunehmende Verunsicherung der eigenen Tätigkeit gegenüber, eine Antwort auf die paradoxen Zwänge, denen sie unterworfen sind.
Sind nun Eingliederung und Individualisierung panoptische Kategorien, die es gestatten, die klinischen Imperative der Behandlung der Arbeitslosigkeit (Personalisierung der Diagnosen und der Vorschriften) und die permanente Forderung der sozialen Kontrolle der Arbeitslosen miteinander zu verbinden? Diese Frage verweist auf die Transformation des Status des Arbeitssuchenden zurück: Rechtssubjekt oder Objekt der Fürsorge? Benutzer eines öffentlichen Dienstes oder Zielscheibe sozialer Kontrolle? Akteure im kollektiven Spiel oder von einer öffentlichen Politik bewegte Individualitäten?

3. Die Evaluierungen

Die Evaluierung öffentlicher Hilfen zur (Wieder-)Eingliederung der Arbeitssuchenden ist eine beträchtliche soziale und ökonomische Herausforderung, denn die Legitimität derartiger Aktionen ist mehr oder weniger von ihren Ergebnissen und Auswirkungen abhängig. Die große Bandbreite institutioneller Aufträge zur Evaluierung hat zu einer Diversifizierung der Beobachtungsprotokolle und zu einer Akkumulierung gewisser Erkenntnisse geführt.

3a Wie ist die Behandlung der Arbeitslosigkeit zu evaluieren?

Mit der Entwicklung der Politiken der Behandlung der Arbeitslosigkeit kam es nicht zu einer gleichzeitigen Konstitution einer Instanz der Evaluierung, wie dies beispielsweise bei der Nationalen Kommission zur Evaluierung des RMI der Fall gewesen ist. Die Evaluierungen sind also in geringerem Maße institutionalisiert, und kaum von damit verbundenen diversen Praktiken wie administrative Kontrolle, Berichterstattung oder Forschung unterscheidbar. Evaluation ist also ein verschwommener Begriff mit besonderen Schwierigkeiten seiner Abgrenzung.

Bei der Evaluierung dieser Politik lassen sich fünf Aspekte unterscheiden:

System der Akteure kohärent im Hinblick auf die vorgegebenen Ziele?

Ökonomische Evaluationen sind oft auf die Analyse des Einflusses öffentlicher Hilfen zur Eingliederung im Hinblick auf das globale Niveau von Arbeitslosigkeit und Beschäftigung ausgerichtet. Mehr soziologisch ausgerichtete Ansätze beziehen sich mehr auf die Wirksamkeit (Effektivität) der Ansätze. Dabei geht es darum, die Auswirkungen der Programme für einen Zugang zu Beschäftigung statistisch zu messen, und die Logiken der verschiedenen beteiligten Akteure (Arbeitslose, Ausbildner, Orientierungsberater, Arbeitgeber) zu verstehen, die, indem die öffentliche Politik vor Ort anwenden, ihren Beitrag zur Produktion von deren Wirksamkeit leisten.

3 b Behandlung der Arbeitslosigkeit und Zugang zu Beschäftigung
Die einfachste Art der Evaluierung der Wirksamkeit der Behandlung von Arbeitslosigkeit stützt sich auf die Verlaufszahlen bei Beendigung der Maßnahmen; die Sammlung von Informationen über die Situation der „Begünstigten" durch die Verwaltung, drei oder sechs Monate nach der Beendigung der zu evaluierenden Maßnahme ist oft als Ziffer der Vermittlung interpretiert, welche die Wirksamkeit der Maßnahme als Ganzes erfasst. Doch diese Fakten sind eher nur ein Instrument einer kurzfristigen Beurteilung der Maßnahmen als ein ernstzunehmendes Mittel der Evaluierung ihrer Wirksamkeit: eine solche Evaluierung verlangt spezifische Forschungen über jene, welche die Maßnahmen beenden.

Die Zukunft der „Unterstützten" und offensichtliche Wirksamkeit
Zu Beginn der 90er Jahre wurden in sieben Längsschnittuntersuchungen die Nutznießer von Maßnahmen untersucht, von denen sich drei auf Arbeitslose bezogen, die in den 13. Monat der Arbeitslosigkeit eintraten, und vier auf Jugendliche, welche die Schule abgeschlossen hatten. Die Untersuchung der Situation der Nutznießer der verschiedenen Maßnahmen zu einem bestimmten Datum erlaubt es, die Bruttoeffekte dieser Maßnahmen zu messen.

Verglichen werden folgende Maßnahmen:
für Arbeitslose:
CRE (Contrat de retour à l'emploi) eine Art Vertrag zur Wiedererlangung von Beschäftigung
AIF (Actions d'insertion et de formation) Eingliederungs- und Ausbildungsmaßnahmen
CES (Contrat emploi solidarité) eine Art Beschäftigungsvertrag aus Solidaritätsgründen

für Jugendliche:
CQ ( Contrat de qualification) Qualifizierungsvertrag
SIVP (Stage d'initiation à la vie professionelle) Phase der Gewöhnung ans berufliche Leben
CES (Contrat emploi solidarité) Beschäftigungsvertag aus Solidarität
TUC (Travaux d'utilité collective) Sozial nützliche Tätigkeiten

Die Werdegänge der Teilnehmergruppen an den diversen Maßnahmen sind sehr uneinheitlich:
Bei den Arbeitslosen haben die Teilnehmer an CRE die höchsten Ziffern der Wiederbeschäftigung (64%, davon 63% nicht unterstütze Beschäftigung, und 50% mit einem zeitlich unbegrenzten Arbeitsvertrag). Abgänger von CES sind öfter beschäftigt als jene die an AIF teilgenommen haben (51% und 43%), doch seltener in nicht unterstützter Beschäftigung (18% gegen 34%) und auf begrenzte Zeit (10% gegen 15%). Die Ergebnisse der Maßnahmen für Jugendliche sind ebenfalls gestaffelt: Jene, die an CQ teilgenommen haben, finden am häufigsten eine Beschäftigung (71%), die nicht unterstützt ist (61%), und für unbegrenzte Zeit (43%). Teilnehmer von SIVP sind nur zu 57% in Beschäftigung, davon 35% in nicht subventionierter Beschäftigung und 25% auf unbegrenzte Dauer. Jene, die an CES und TUC teilgenommen haben, sind ebenfalls zu 57% beschäftigt, aber seltener in nicht subventionierter Beschäftigung (28% und 33%) und in zeitlich unbegrenzter Beschäftigung (12% und 17%).

Eine solcher Typ von Evaluierung führt letztlich zu einer Art von Tautologie: jene Maßnahmen, die der klassischen Art von Beschäftigung am ähnlichsten sind, sind auch die zeitlich längsten und am meisten selektiven (CRE und CQ), sie führen zu offensichtlich besseren Resultaten als jene, die dazu eine größere Distanz aufweisen (AIF, aber auch TUC und CES). Vor allem ist zu überprüfen, in welchem Ausmaß die beobachtbaren Ergebnisse der Teilnahme an öffentlich unterstützten Maßnahmen zuzuschreiben sind.

Lassen sich Netto-Effekte identifizieren?
Die Zahlen der Wiederbeschäftigung nach der Teilnahme an Maßnahmen sind nur dann ein Indikator für Effizienz, wenn man den beobachteten Status dieser Teilnahme zurechnen kann, die damit zur wichtigsten erklärenden Variablen wird. Diese Logik setzt voraus, daß sich die Beziehung zwischen beiden für eine bestimmte Population exakt erfassen läßt.

Eine solche Argumentation ist unbefriedigend, weil folgendes methodologische Problem ungelöst bleibt: wie kommt man von der Beobachtung einer Korrelation zwischen zwei Ereignissen im Zeitverlauf zur Behauptung einer Kausalität? Zur Überprüfung der Zurechenbarkeit der Wirkung der Maßnahmen ist es üblich, methodisch mit Kontrollgruppen zu arbeiten, um einen entscheidenden Unterschied herausstellen zu können: sind die Teilnehmer an Maßnahmen öfter in Beschäftigung als Nicht-Teilnehmer?
Es zeigt sich, daß Arbeitslose, die an Maßnahmen teilgenommen habe, öfter wieder in die Arbeitslosigkeit zurückfallen als Junge und Langzeitarbeitslose der gleichen Generation. Nur für Teilnehmer an CRE und CQ gilt diese Regel nicht. Langzeitarbeitslose wechseln häufiger in den Status der Inaktivität. Die Dispositive spielen also eine Rolle beim Verbleib auf dem Arbeitsmarkt. Sie scheinen auch den Zugang Langzeitarbeitsloser zu Beschäftigung zu begünstigen, doch die Zahlen für nicht unterstützte Beschäftigung sind bei beiden Gruppen gleich mit Ausnahme der Teilnehmer an CRE. Für die Jugendlichen wirkt sich die Teilnahme an einer Maßnahme negativ aus, wobei dies nicht gilt für Teilnehmer an CQ.

Es lassen sich also sehr wohl Netto-Effekte messen, die den Bias eliminieren, der durch den Eintritt in eine Maßnahme entsteht. Doch diese Methode ist keine Garantie für die Eliminierung des Bias, der mit verborgenen Variablen verbunden ist, wie beispielsweise das Faktum, daß die Teilnehmer an Maßnahmen unternehmensfreudiger sind als Nicht-Teilnehmer oder im Gegenteil, weniger unternehmensfreudig.

Wie wirksam sind Ausbildungsphasen?
Für die Zurechenbarkeit der Mobilitat zur Ausbildungsphasen wurden auch andere Lösungen vorgeschlagen. Zur Identifizierung allfälliger ursächlicher Beziehungen zwischen Ausbildung und Zugang zu Beschäftigung wurde auf drei mögliche Implikationen hingewiesen, die als einzelne oder kombiniert wirksam werden können:

a: es liegt ein „Bildungseffekt" vor, wenn die gefundene Arbeit der in der Ausbildung erworbenen Qualifikation/Wissen/Können entspricht;
b: ein „Dynamisierungseffekt" liegt vor, wenn die Teilnahme an Maßnahmen beim Arbeitslosen zu einer Verhaltensänderung (Pünktlichkeit, Selbstvertrauen...) geführt hat, die eine Jobfindung erleichtert;
c: der „Kontakteffekt" bedeutet, daß die Teilnahme an der Maßnahme zu einer Beziehung zwischen dem Arbeitslosen und einem Unternehmen geführt hat, die eine Beschäftigung möglich gemacht hat.

Derartige Analysen führen zum Ergebnis, daß ungefähr ein Drittel nach einer Ausbildungsphase gefundenen Beschäftigungen keinerlei Beziehung zur Ausbildung haben, das heißt, keinem der drei identifizierten Effekte entsprechen.

Die Verlaufswege der Arbeitslosen, die keine Beschäftigung finden, bleiben hier unberücksichtigt. Angesichts der niederen Zahlen der neuerlichen Jobfindung (vor allem der Langzeitarbeitslosen) suchen andere Ansätze eventuelle Änderungen von Verhalten und Einstellungen der Teilnehmer zu erfassen, und Effekte der Mobilisierung, der Sozialisierung und der Dynamisierung zu erfassen. Doch da ein zuverlässiger Bezugsrahmen für Vergleiche fehlt, haben solche Evaluierungen vorläufig lediglich experimentellen Status, was alle Möglichkeiten der Kumulativität ausschließt. Wenn das Kriterium „durchlaufener Weg" jenes des „Zugang zu Beschäftigung" ersetzt, so bleibt es meist oberflächlich und ist nicht mehr als ein Annäherungswert.

Die Behandlung der Arbeitslosigkeit in individuellen Verlaufsbahnen

Längsschnittanalysen erlauben es, die Teilnahme an Maßnahmen wie andere Etappen oder Abschnitte des Weges zu betrachten. Es handelt sich nicht mehr darum, die Typen der Eingliederung (in Typen von Beschäftigung) oder der Nicht-Eingliederung zu evaluieren, die auf die Maßnahmen zurückzuführen sind, sondern um die Frage nach ihrer Stellung innerhalb der Mechanismen der Mobilität, welche Rolle sie bei der Konstruktion bestimmter Karrieren spielen. Die Eingliederung gilt nicht mehr als bestimmter Punkt, als Resultat einer der Analyse nicht zugänglichen Vorwärtsbewegung; Eingliederung ist Teil eines Prozesses, bei dem die öffentliche Maßnahme nur eine Komponente unter anderen ist, eher ein exogener Faktor, der den weiteren Weg beeinflusst.
So hat die Beobachtung der Wege von Schulabgängern über dreieinhalb Jahre dazu geführt, drei Typen von Karrieren zu identifizieren, bei denen die Nutzung der Maßnahmen der Eingliederung unterschiedliche Bedeutungen und Funktionen hatten:
a: ein konstanter Weg der Eingliederung, bei dem eventuelle Anfangsschwierigkeiten durch einen bescheidenen Gebrauch der Maßnahmen sich aufgelöst haben;
b: eine Karriere, die markiert ist eine intensive Teilnahme an Maßnahmen, durch die in besonderer Weise tieferliegende Schwierigkeiten, eine Beschäftigung zu finden, zugedeckt werden;
c: eine Karriere, wo dominante Arbeitslosigkeit sich mit häufiger Teilnahme an Maßnahmen abwechselt, welche die Schwierigkeiten des Zugangs zu Beschäftigung nicht zudecken, sondern lediglich die Gefahr der Exklusion weiter hinausschieben. Die Bedeutungen der Teilnahme an Maßnahmen kristallisieren sich erst im Laufe der Zeit heraus und sind nicht auf einen direkten und unmittelbaren Effekt auf die beruflichen Laufbahnen zurückzuführen.

Die Einordnung der Evaluation in den umfassenderen Rahmen der Analyse der beruflichen Laufbahnen gestattet es, die Rolle des Dispositivs der Mechanismen der Regulierung des Arbeitsmarktes, der Mobilität, der Konstruktion der Verwendbarkeit nicht isoliert zu betrachten. Diese Perspektive zeigt auf, daß die Rolle der öffentlichen Dispositive komplexer ist als die „staatliche Konvention" sichtbar werden läßt, welche die Zahlen der Beschäftigung als zentrales Kriterium der Evaluierung vorgibt. Die sogenannten aktiven Maßnahmen haben auch Auswirkungen, die den passiven Maßnahmen vergleichbar sind, indem sie Hilfen für die Arbeitslosen darstellen, die ohne direkten Bezug mit der Erlangung einer Beschäftigung stehen.
Evaluationen in Begriffen der Zahlen über die Beschäftigung geben besser Auskunft über einförmige Verlaufskarrieren als über zusammengesetzte und unterbrochene, indem sie zahlreiche Statusänderungen vermischen. Sie führen zu besseren Ergebnissen für Dispositive nach dem impliziten Modell einer linearen Karriere (CQ und CRE) und nach den formellen Normen, die sich leicht in Zahlen und Kategorien übersetzen lassen: Selektion der Individuen nach allgemeinen Kriterien (Alter, Qualifikation), Integration in großen oder mittleren Unternehmen, die eher unabhängig sind von den lokalen ökonomischen Netzen, die auf Beziehungen des Vertrauens beruhen.
Im Gegensatz dazu scheint die Maßnahme CES (Contrat emploi solidarité, Solidaritätsarbeitsvertrag) einer anderen sozialen Welt anzugehören, wo das Funktionieren und die Wirksamkeit der Maßnahme abhängig ist von der Qualität der Beziehung zwischen Arbeitgeber und in CES Beschäftigten und der Art der Integration desselben in die Organisation, wobei viele schwer erfaßbare Anpassungen der standardisierten Maßnahmen im Spiel sind. Es ist daher wichtig, bei der Evaluierung die Rolle der beteiligten Akteure (Arbeitslose, Ausbildner, Arbeitgeber) zu berücksichtigen, denn diese konstruieren durch ihr Tun ein gemeinsames Gut namens „Eingliederung", daß sich nicht auf den Zugang zu Beschäftigung zurückführen läßt.

3c Behandlung der Arbeitslosigkeit und die Logiken der Akteure

Da viele Evaluierungen die öffentliche Politik bei der Analyse der erreichten Resultate gleichsam als black box behandeln, haben andere Forschungen den Schwerpunkt auf die Aktivitäten und Praktiken jener Akteure gelegt, welche die Dispositive der Behandlung der Arbeitslosigkeit umsetzen.

Die Verwendungslogiken der Unternehmen
Die Frage, wie von den Maßnahmen Gebrauch gemacht wird, stellt sich in systematischer Weise hinsichtlich der Unternehmen, die in einzelnen Maßnahmen involviert sind. Hinsichtlich des CES läßt sich eine fünffache Gebrauchweise feststellen:

a: Verwendung des CES, um den Funktionsbedarf abzudecken
b: eine nur wenig instrumentalisierte Verwendung des Dispositifs
c. eine kategorielle Handhabung, welche externe Unterstützungen mobilisiert
d: Engagement bei der beruflichen Eingliederung einiger ausgewählter Personen
e: als bevorzugtes Mittel zur Absicherung der Dauerhaftigkeit des Organismus.

Die Formen der Appropriation stellen Typen der Beziehung Arbeitgeber/Arbeitnehmer heraus und tragen zur Erklärung der Beeinflussung der Zukunft ehemaliger Arbeitsloser durch die Teilnahme an Maßnahmen bei.

In der gleichen Weise zeigt die Analyse, wie die Unternehmen von den Verträgen zur Qualifikation Gebrauch machen, wiederum fünf Logiken:
a: gruppiert um den Pol Kompetenz, der CQ (Contrat qualification) in die interne Steuerung der Qualifikationen integriert;
b: gruppiert um den Pol Lehre, der aus dem CQ eine recht nahe Ergänzung der Lehre macht;
c: ein passiver Pol, ähnlich dem voranstehenden, wo aber das Unternehmen keinen Einluß auf die Umsetzung der Maßnahme hat;
d: ein Pol „externe Flexibilität", gekennzeichnet durch hohe Zahlen des Abbruchs von Maßnahmen vor deren Beendigung;
e: ein Pol des Transits, wieder eine Variante des voranstehenden, wobei die Unternehmen einen Beitrag zur Stabilisierung der Jugendlichen leisten wollen, diese selbst aber nicht im Unternehmen verbleiben.

Diese Evaluierungen zeigen, daß die Ambivalenz ein inneres Merkmal aller öffentlichen Hilfen zur (Wieder-)Eingliederung ist, was vielfache und widersprüchliche Möglichkeiten ihrer Verwendung eröffnet. In einer normativen Perspektive können derartige Verwendungsweise als perverse oder missbräuchliche Effekte erscheinen, doch sie sind eher ein „Indiz für die Widersprüche, welche den öffentlichen Dispositiven anhaften und die Bedeutung der Texte, die auf ihre Organisation gerichtet sind, verdunkeln" (Bouquillard 1993).

Die biographischen Logiken der Arbeitslosen
Die Analysen der Einstellungen der Arbeitslosen den für sie bestimmten Hilfsmaßnahmen gegenüber sind ebenfalls zahlreich, besonders hinsichtlich der Ausbildungsdispositive. Eine Analyse von Langzeitarbeitslosen, die an AIF (Actions d'insertion et de formations) teilnehmen, arbeitet vier Typen von Einstellungen heraus:
a: die Ausbildung wird als Beschäftigung betrachtet, als vorübergehende Problemlösung in der Erwartung des Eintritts in den Status der Inaktivität;
b: die Ausbildung wird gesucht unter dem Blickwinkel eines leichteren Zuganges zur Beschäftigung (Investition in Ausbildung)
c: die Ausbildung wird abgelehnt, denn sie scheint ungeeignet zu sein, dem Prozess der zunehmenden Marginalisierung entgehen zu können (Widerstand gegen Ausbildung)
d: die Ausbildung wird aus finanziellen Gründen akzeptiert, womit die offizielle Logik verschoben wird (Instrumentalisierung der Ausbildung).

Die Teilnahme von Arbeitslosen an Ausbildungsgängen ist also nicht nur vom Ziel einer Rückkehr in die Beschäftigung her zu erklären. Weiterhin als Arbeitsloser anerkannt zu sein, das zu erhalten, was man als ein Recht betrachtet, finanziellen Schwierigkeiten zu begegnen, sich beschäftigen, um ernst genommen zu werden etc., die Erwartungen der Arbeitslosen sind sehr verschiedene.
In einer ähnlichen Perspektive bringt die Gegenüberstellung der „biographischen Logiken" isolierter Frauen, die an Ausbildungsgängen teilnehmen, mit den Praktiken jener, die sie anheuern, auswählen, beeinflussen und ausbilden, die Mechanismen der Erzeugung von Erfolg des Ausbildungsganges an Licht. Denn er läßt sich organisieren, um die Erwartung einer Frau herum, welche darin eine Möglichkeit sieht, sich von der familialen Umwelt zu emanzipieren, und um die Strategie der Funktionäre, die bestrebt sich, die weiblichen Arbeitskräfte in den Unternehmen zu fördern. Die Analyse bringt also die Interdependenzen zwischen den Logiken verschiedener Akteure ans Licht: derer, die davon profitieren, und derer, die damit berufsmäßig befasst sind.

Die Umsetzung der Dispositive
Die öffentlichen Dispositive und die Handlungen der Administration lassen sich also, was ihre Bedeutung betrifft, in Frage stellen von der Art her, wie sie von den Akteuren interpretiert, transformiert und angeeignet werden. Die Beziehungen zwischen den Maßnahmen und ihren „Nutznießern" sind also nicht auf ein Modell eines direkten und einseitigen Einflusses zu reduzieren. Die Artikulation hat eher umgekehrt anzusetzen: es geht darum, abweichende Arten der Aneignung der Maßnahmen zu identifizieren, ausgehend von den biographischen Logiken der Arbeitslosen.
In gleicher Weise zeigen diese Evaluierungen, daß die Bedeutung der Dispositive auch von den politischen und ethischen Logiken abhängig ist, welche der Aktion der damit beruflich Befaßten zugrunde liegen. Die Entwicklung lokaler Evaluierungen, welche dieselben Beobachtungsprotokolle an verschiedenen Orten verwenden, folgt dieser Linie, denn sie sind darauf gerichtet, jenseits großer sozio-ökonomischer Disparitäten territorial bedingte Unterschiede in der Umsetzung der Sozialpolitik sichtbar werden zu lassen.
Jede Kategorie von Akteuren (administrative Entscheidungsinstanzen, Ausbildungsorganisationen, lokale Abgeordnete, Ausbildner, Arbeitslose) übersetzt die jeweiligen Dispositive als Funktion der eigenen Ziele, ihrer Sichtweise von Beschäftigung, ihrer Vorstellungen über die betroffenen Öffentlichkeiten. Dieser Prozess der Übersetzung öffentlicher Hilfen läuft darauf hinaus, daß jedes „reale Dispositiv" eine ziemliche große Autonomie dem „legalen Dispositiv" gegenüber hat, und weiter, daß es zwischen der offiziellen Politik des Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit und ihrer Umsetzung in konkrete Aktionen eine unüberwindliche Distanz gibt.

Die Identifizierung vielfacher und komplexer Vermittlungen zwischen der Arbeit einer öffentlichen Hilfsmaßnahme und ihrer Effekte auf die individuellen Laufbahnen ist so die Grundlage eines konstruktivistischen Zuganges zur Rolle der Behandlung von Arbeitslosigkeit. Ein solcher Zugang stellt die ausgeübten Funktionen der Maßnahmen (Hilfen für Beschäftigung, Sozialisation, Sozialkontrolle etc.) und den Prozess der Konstruktion der Statuspositionen der Arbeitslosen in Frage, ob sie nun im unscharf definierten sozialen Raum der Eingliederung engagiert sind oder nicht. Gleichzeitig ist die Stellung von Arbeit und Beschäftigung bei der Entwicklung sozialer Identitäten Gegenstand der Frage.

V. In der Arbeitslosigkeit leben und existieren

Soziologen haben sich dafür interessiert, wie Arbeitslose leben und mit dem Fehlen von Beschäftigung fertig werden. In einem Kontext der Massenarbeitslosigkeit können sich derartige Forschungen jedoch nicht auf eine Ethnographie beschränken, die sensibel ist für die Anpassungsleistungen im täglichen Leben der Arbeitslosen, aber blind für die damit verbundenen Konsequenzen für die Bedeutung der Arbeitslosigkeit und die Stellung der Arbeitslosen in einer Gesellschaft, die durch den Mangel an Beschäftigung nachhaltig aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Die Erfahrung der Arbeitslosigkeit ist nicht nur ein individuelles Problem; sie betrifft die ganze Gesellschaft, macht den Platz sichtbar, welcher den Arbeitslosen zugewiesen wird. Wenn sich aus der Arbeitslosigkeit auch ein inferiorer sozialer Status ergibt, so gibt es dennoch verschiedene Arten, sie zu leben; wenn Arbeitslosigkeit auch ohne sozialen Wert zu sein scheint, so impliziert sie nicht notwendigerweise Exklusion; wenn Arbeitslosigkeit auch die sozialen Identitäten destabilisiert, so macht sie nicht notwendigerweise sprachlos und kollektiv handlungsunfähig.

1. Die Arbeitslosigkeit, ein sozialer Status

Forschungen auf der Grundlage von Gesprächen mit Arbeitslosen tendieren dazu, Arbeitslosigkeit als einen Traumatismus zu beschreiben, der alle Aspekte des individuellen, familiären und sozialen Lebens in Mitleidenschaft zieht. Wenn mit Beschäftigung in unserer Gesellschaft Wertschätzung, Würde und soziale Identität verbunden sind, so scheint die Arbeitslosigkeit die Negation aller Wertschätzung, Verlust der Würde und Destruktion der sozialen Identität mit sich zu bringen. Wenn diese Feststellungen ein soziologisches Theorem der Arbeitslosigkeit zu sein scheinen, so tendieren sie auch dazu, ein Postulat zu werden.

1a Die Lasten der Arbeitslosigkeit

Die ersten Untersuchungen über die Folgen des Verlustes der Beschäftigung für die ökonomische Situation der einzelnen und ihrer Familien, für das tägliche Leben und die Moral, wurden im Kontext der Krisen der 30er Jahre angestellt. Diese soziologischen Pionierarbeiten waren darauf ausgerichtet zu verstehen, wie die Arbeitslosigkeit auf jenen lastet, die ihr ausgesetzt sind.

Die Arbeitslosigkeit, das Ende des sozialen Lebens
Die erste soziologische Untersuchung der Arbeitslosigkeit, die als Referenzpunkt fungiert, ist jene in Marienthal. Dort hatte zwei Jahre vor dem Forschungsbeginn die lokale Fabrik zugemacht und den Großteil der Arbeiter bei nur geringer Entschädigung zur Arbeitslosigkeit verurteilt. Die analysierte Situation ist also gekennzeichnet durch Massenarbeitslosigkeit und wenig Möglichkeiten, im Ort eine andere Beschäftigung zu finden. Diese Gemeindestudie hatte vielfältige negative Konsequenzen herausgestellt: Verschlechterung des privaten Lebens, der Lebenshaltung und der familiären Beziehungen; Rückgang der sozialen, politischen und freizeitbezogenen Aktivitäten; Destabilisierung der Zeitwahrnehmung, welche aufhört, den Alltag zu strukturieren; Kontraktion des mehr und mehr eingeengten Lebensraumes.
Die von der Arbeitslosigkeit betroffene Gemeinde wird so zu einer müden Gemeinde, paralysiert mehr durch Fatalismus, Resignation, Mangel an Betätigung und die Absenz von Perspektiven als durch das Elend selbst. Die Arbeitslosigkeit wird gelebt als Verlust des sozialen Status, als Auflösung jeder sozialen Anerkennung, als Destruktion der sozialen Funktionen, welche die einzelnen ausübten, und als das Ende des sozialen Lebens.

Die Arbeitslosigkeit, eine soziale Demütigung
Die erste wichtige Forschungsarbeit auf der Grundlage von Tiefeninterviews mit Arbeitslosen führte zur Definition der Arbeitslosigkeit als Absenkung des Status, erlebt als soziales Scheitern, gekennzeichnet mit dem Stempel der Demütigung (Ledrut 1966). Die Demütigung des Arbeitslosen hat zwei Komponenten. Einerseits ein „sozialer Mangel", das Gefühl, schlecht angesehen, in der Position eines Bittstellers zu sein, eine unverdiente Behandlung zu erfahren, mit Säufern und Faulen verwechselt zu werden. Andererseits eine soziale Scham, d.h. der Eindruck, von den anderen abgesondert zu sein, das Gefühl, selbst schuld daran zu sein an dem, was passiert. Wenn das Gefühl der Demütigung oder der sozialen Erniedrigung auch unterschiedlich intensiv ist, so ist es doch typisch für die Situation der Arbeitslosigkeit.
Die Arbeitslosigkeit beschränkt sich nicht nur auf den Mangel an Beschäftigung oder eine ökonomische Inferiorität, sondern ist soziologisch definiert als „soziale Inferiorität", die mit der Entwertung der Position des Arbeitslosen verbunden ist, und als „soziale Machtlosigkeit" der Arbeitslosen selbst, die in die Isolation gedrängt und der kollektiven Paralysierung überlassen werden. Dies Häufung ungünstiger Umstände bestimmt die „soziale Schwäche" der Arbeitslosen, welche dazu tendiert, im Sinne eines circulus vitiosus zu funktionieren.



Der Soziologe und die Erfahrung der Arbeitslosigkeit
Das „Gesetz der sozialen Schwäche" der Arbeitslosen wie der Befund ihrer kollektiven Apathie bilden den Rahmen des soziologisches Diskurses, wie Arbeitslosigkeit subjektiv erfahren wird: die Arbeitslosigkeit zeigt sich zunächst wie eine „leere Zeit" und ein Verlust des Status. Die Konstanz dieser Feststellungen wirft die Frage der Beziehung des Soziologen zu seinem Gegenstand auf.
Wenn die Aufgabe des Soziologen darin besteht zu verstehen (Bourdieu 1993, in: Das Elend der Welt), so heißt die Arbeitslosen verstehen, eine Erfahrung zu verstehen, die von der eigenen Position recht weit entfernt ist. Lazarsfeld spricht diese Schwierigkeit an, wenn er auf den Schock hinweist, den die Studie von Marienthal ausgelöst hat. „Wissenschaftliche Absichten haben uns nach Marienthal geführt. Wir sind von dort wieder weg mit einem einzigen Wunsch: daß so tragische Forschungsanlässe verschwinden". Diese soziale Distanz zu einem Gegenstand, der dennoch so zentral ist für die Gesellschaft, bringt offensichtlich Risiken des Ethnozentrismus mit sich, wie D. Schnapper (1989) hervorhebt: „Der Akzent, den ich in den vorangehenden Arbeiten auf die statusmäßige Inferiorität der Arbeitslosen gelegt habe, ohne dabei ausreichend den relativ positiven Charakter ( jedenfalls des öfteren erwähnt) hervorzuheben, ist von einem Ethnozentrismus eines Funktionärs gekommen, der sich durch die Haltung der Arbeitslosen selbst bestätigt gefühlt hat: denn diese haben ihre Situation und ihre Erfahrung analysiert im Hinblick auf den höheren Status der Beschäftigung, die sie anstrebten, nicht auf den inferioren Status ohne jeden Bezug zur Beschäftigung, dem sie zu entkommen suchten."

Dennoch, die Schwierigkeiten, die soziale Erfahrung der Arbeitslosigkeit zu verstehen, dürfen nicht zu jener sterilen Einstellung führen, welche die Arbeitslosen zum Sprechen bringen will, sich selbst aber hinter trockenen Ausdrücken versteckt, welche stets in der Forschung und vom Forscher mitproduziert werden (Mathis 1979). Auch wenn mehrere Arbeitslose oder ehemalige Arbeitslose ihren Erfahrungen gemeinsamen Ausdruck verleihen, kann ein autobiographischer Bericht keinesfalls die soziologische Analyse ersetzen, auch wenn es wichtig ist, den Arbeitslosen zuzuhören, weniger deswegen, um unsere Ignoranz oder unser Desinteresse zu verringern, sondern vielmehr, um die Kategorien unseres Denkens zu überprüfen und uns von falschen Sicherheiten frei zu machen.
Wenn schließlich die Pionierarbeiten eine soziologische Sichtweise der Arbeitslosigkeit gefördert und legitimiert haben, welche darin eine destabilisierende und traumatisierende Erfahrung sehen, eine Katastrophe, begleitet von Demütigung, Apathie, Anomie und Besitzverlust, so deswegen, weil sie von einem besonderen Typus eines Arbeitslosen ausgehen: ein männlicher Erwachsener, Familienoberhaupt, aus ökonomischen Gründen entlassen und weil sie Arbeitslosigkeit mehr als einen Zustand denn als zeitlichen Prozess konstituieren.

1b Die Dynamik der Arbeitslosigkeit

Es sind vor allem die Forschungen im Bereich der Sozialpsychologie, welche die Dynamik der Arbeitslosigkeit in den Vordergrund gerückt haben. Die Verlängerungen der Dauer der Arbeitslosigkeit haben neuerdings einige Soziologen dazu veranlasst, sich für dieses Problem zu interessieren, allerdings aus einer offensichtlich anderen Perspektive.

Die Arbeitslosigkeit, ein psychosozialer Übergang
Zahlreiche, vor allem amerikanische Studien haben sich mit den Phasen beschäftigt, durch die sich ein arbeitslos gewordenes Individuum seiner neuen Situation anpasst. Arbeitslosigkeit wird hier wie andere Situationen der Krise betrachtet (Trauer, Trennung, Eintritt in den Ruhestand, Eintritt ins aktive Leben, Geburt eines Kindes, berufliche Beförderung etc.): sie führen beim Individuum zur Auseinandersetzung mit dem Wechsel, zur Transformation der Repräsentationen über die Welt, zu Modifikationen der Selbsteinschätzung und zur Neudefinition der Möglichkeiten.

Aus den vielen Untersuchungen läßt sich eine „Übergangszyklus" herauslesen, der die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit auf die persönlichen Beziehungen, auf die Neubestimmung der sozialen Stellung etc. berücksichtigt. Dieser Zyklus wird nicht in einheitlichen Modellen dargestellt, und manche betonen die Tatsache, daß dieser Übergang von den individuellen Erfahrungen der Subjekte oder von ihrer Zugehörigkeit zu Beziehungsnetzen abhängig sein kann. Schematisch läßt sich dieser Zyklus als Abfolge von drei aufeinander folgenden Abschnitten beschreiben.
Die erste Phase entspricht dem Verlust der Arbeit und dem Eintritt in die Arbeitslosigkeit. Wie groß der Schock auch sein mag, das Individuum zeigt keine unmittelbare Reaktion, denn es kennt nicht alle Implikationen dieses Ereignisses. Denn es unterschätzt seine Tragweite, sucht ein Verhältnis zu Realität, als ob sich nichts ereignet hätte.
Die zweite Phase besteht darin, dass der Bruch bewusst wird. Die Annahme der Realität ist von einem depressiven Pessimismus begleitet. Das Individuum ist niedergeschlagen, ohne Reaktion und ohne Fähigkeit zum Handeln. Es läßt sich gehen und die Gefühle der Zerstörtheit und des Schuldig-Seins dominieren.
Die dritte Phase ist jene, in der das Verlorene wiederangeeignet wird: das Bewusstsein der objektiven konkreten Veränderungen führt zu einer subjektiven Neubewertung der Situation Auf der Suche nach einem Sinn beginnen sich die Arbeitslosen neu einzustellen und anders zu verhalten, einen neuen Bezugsrahmen zu internalisieren und auf die Arbeitslosigkeit einzurichten. Sie erfahren gleichsam eine Umkehr (conversion), die eine neue Interpretation der Welt und der eigenen Stellung in ihr voraussetzt.

Die Validität solcher Forschungen über Phasen der Entwicklung scheint auf den typischen Arbeitslosen beschränkt zu sein, dem Gegenstück des typischen Arbeiters: Erwachsener Mann, entlassen aus ökonomischen Gründen. Doch ein solches Profil ist nicht universell und entspricht eher der Periode der 70er Jahre: es trifft nicht zu auf Frauen, die wieder aktiv sein wollen, nicht auf Arbeitslose, die Weiter- und Umschulungskurse hinter sich haben, nicht auf Junge, die in den Arbeitsmarkt eintreten wollen und auch nicht auf solche, die prekäre Gelegenheitsarbeiten verrichten.
Überdies zeichnet ein derartiger psychosozialer Ansatz den Arbeitslosen ohne Bindungen, ohne soziale Charakteristik und kulturelle Verwurzelung. So wird eine uniforme Figur auf eine psychologische Ebene gehoben, deren Reaktionen einem generalisierten Modell zugerechnet werden. Aus soziologischer Perspektive wären solche Vorstellungen von Reaktionszyklen zu ergänzen durch Überlegungen zur Rolle von Arbeit und Beschäftigung in der Sozialisation der einzelnen Individuen und eine Theoretisierung der Identifikation mit den beruflichen Karrieren und der Implikation in den Aktivitäten.

Führt ein Absinken in die Arbeitslosigkeit zum Fatalismus?
Andere, mehr soziologische Untersuchungen analysieren die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit mehr im Hinblick auf die Langzeitarbeitslosigkeit: führt die Verlängerung der Arbeitslosigkeit die einzelnen nicht zu einer neuen Bewertung und Bestimmung der eigenen Situation, zu Änderungen in der Lebensweise etc., und was ist der Sinn dieser Anpassungen?

So hat eine Untersuchung bei 50 Langzeitarbeitslosen zur Analyse eines Prozesses der Vereinheitlichung der Erfahrungen geführt, die zur einer Ausweitung negativer Selbstwahrnehmung führt, zum Aufbau einer „negativen Identität". Je länger die Arbeitslosigkeit andauert, umso mehr verringert sich der Einfluss der sozialdemographischen Variablen auf die Erfahrung und wird die Leere der Existenz zum gemeinsamen Grundgefühl.
Im Gegensatz dazu weisen andere Forschungen darauf hin, daß die Erfahrungen der Langzeitarbeitslosigkeit verschiedenartig sind. Eine Studie über die Zeitorganisation der Arbeitslosen hebt hervor, daß sich die Zeiten der Langzeitarbeitlosen in gewissen Belangen (geringere Arbeitssuche, mehr Betätigungen in häuslichen Angelegenheiten) verschieden gestalten, in vielen anderen Belangen (Geselligkeit, Freizeit, gegenseitige Hilfe...) sich jedoch nicht unterscheiden. Denn die Ausübung einer beruflichen Beschäftigung ist die Grundlage der zeitlichen Strukturierung. Der Bruch scheint also in der Frühphase der Arbeitslosigkeit größer zu sein als in deren weiterem Verlauf. Eine Analyse jener, die bereits mehr als drei Jahre arbeitslos sind, zeigt auf, daß auch dies eine sehr heterogene Kategorie ist hinsichtlich der Beziehungen zu Arbeit, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit.
Die Diskussion bleibt also offen: Führt die Erfahrung der Langzeitarbeitslosigkeit zu einer homogenen und einheitlichen Identität oder sind unterschiedliche subjektive Logiken auch über diese Zeit hinaus von Dauer?



2. Unterschiedliche Erfahrungen der Arbeitslosigkeit

Der Großteil der qualitativen Untersuchungen auf der Grundlage von Interviews bei einer kleinen Stichprobe zeigt, daß jenseits der Einheitlichkeit des Status des Arbeitslosen die Arten, die Arbeitslosigkeit zu leben, sehr verschieden sind. Diese Verschiedenheit bedeutet nicht die Auflösung der Erfahrungen der Arbeitslosigkeit. Daher werden Typologien gebildet und auch andere Vorschläge gemacht, die Heterogenität der individuellen Erfahrungen zu strukturieren.

2a Konvergierende, aber uneinheitliche empirische Erfahrungen

Die ersten Untersuchungen über die Reaktionen auf Arbeitslosigkeit schenken der Verschiedenheit der Reaktionen wenig Beachtung. In der Gemeinde Marienthal war das dominante Charakteristikum eine allgemeine Erschöpfung, und wenn Lazarsfeld et al. zwischen „Resignierten", „Stabilen", „Verzweifelten" und „Apathischen" unterschieden haben, so fügten sie doch dazu, daß es nicht immer leicht sei, zwischen diesen vier Kategorien zu unterscheiden. Diese Typologie mischt tatsächlich unterschiedliche Elemente zusammen: antizipierende Einstellungen wie die Projektion in die Zukunft oder die Suche nach einer Beschäftigung und tägliche Verhaltensweisen wie die Führung des Haushaltes, häusliche Reinigungsarbeit und die Verwaltung des Geldes. Diese zweite Reihe von Kriterien, die bei Besuchen der Forscher in den Häusern entstanden ist, hat einen nicht zu vernachlässigenden normativen Anstrich, denn er führt zur Feststellung „irrationalen ökonomischen Verhaltens". Weiters gibt es keinerlei Bemühungen zur Erklärung der festgestellten Unterschiede, wohl auch deswegen, weil diese Typologie nur beiläufig erwähnt ist.
Wenn Ledrut (1966) eine für die Arbeitslosigkeit doppelte Erfahrung herausstellt und dabei den abgestiegenen Langzeitarbeitslosen im Auge hat, so kommt er zu keinerlei Typologie: diese typische Lebensform ist im Rahmen zweier begrenzender Werte zu sehen, die nicht zum Feld der Arbeitslosigkeit gehören, denn sie entsprechen den Situationen jener, die noch nicht voll und ganz arbeitslos sind, weil sie noch stark ins Arbeitsleben integriert sind, und, im Gegensatz dazu, den Situationen jener, die nicht mehr voll und ganz Arbeitslose sind.

Drei Arten, der Herausforderung der Arbeitslosigkeit zu begegnen
Seit Ende der 70er Jahre ist die Konstruktion von Typologien eine konstantes Element soziologischer Forschungen. Exemplarisch dafür ist die Arbeit von D. Schnapper (1994), wo drei wesentliche Dimensionen unterschieden werden.

Die erste Dimension besteht in der Fähigkeit, substituierende Tätigkeiten auszuführen und sich in einem anderen Status als dem des Arbeitslosen (Ruhestand, Student, Künstler...) zu engagieren: Arbeitslosigkeit wird also weniger negativ erlebt, je mehr es gelingt, erfüllende Tätigkeiten auszuüben.
Die zweite Dimension ist die Intensität und die Form der Soziabilität: je mehr der Arbeitslose in soziale Netze integriert ist, die mit seinem beruflichen Leben nichts zu tun haben, umso weniger schwer ist es, die Arbeitslosigkeit zu ertragen.
Schließlich stellt die familiäre Integration eine Hilfe in der Krise dar, während umgekehrt familiäre Probleme die Krise zusätzlich verschärfen.
Kombinationen dieser drei Dimensionen führen zu drei Typen von Arbeitslosigkeit: die „totale Arbeitslosigkeit", die „invertierte Arbeitslosigkeit" und „die verschobene Arbeitslosigkeit".
In der Form der „totalen Arbeitslosigkeit" bedeutet Arbeitslosigkeit Statusverlust, Zurückgeworfen-Sein auf sich selbst, Auflösung der früheren Solidaritäten. Damit verbundene Gefühle sind das Empfinden des Scheiterns, Demütigung, generelles Elend, Existenzleere, Angst vor der Zukunft. Also eine marginalisierte soziale Welt und Desozialisierung.

Die Abwendung von der gewöhnlichen Arbeit in hierarchischer Abhängigkeit ist der Ausgangspunkt zu einer Umkehrung des Sinns von Arbeitslosigkeit. Sich in Tätigkeiten für sich selbst zu engagieren. bisher vernachlässigte Dinge tun, künstlerische Aktivitäten aufzunehmen, das Leben eines Studenten zu führen, dies sind nur einige Varianten sinnvoller Zeitverwendung. Die „invertierte Arbeitslosigkeit" ist also in einem Wertsystem verankert, in dem Lohnarbeit und Zwang gegenüber anderen Tätigkeiten der Selbstverwirklichung zweitrangig sind.
Bei der „verschobenen Arbeitslosigkeit" ist die Suche nach Arbeit eine Vollzeitbeschäftigung, ein Äquivalent zur Berufsausübung in verschiedenen Formen. Anstrengungen, Arbeit zu finden, Teilnahme an Weiterbildungskursen, Verbesserung der beruflichen Qualifikationen etc., alles Tätigkeiten, welche die Chancen verbessern, eine Beschäftigung zu finden. Dies führt dazu, der sozialen Entwertung Widerstand entgegenzusetzen, und trotz der Absenz einer beruflichen Betätigung den Status eines Aktiven aufrechtzuerhalten.

Eine Gewissheit: die Variabilität der Erfahrungen von Arbeitslosigkeit
Derartige Rasterungen haben die Funktion von Referenzpunkten für andere Forschungen. Wenn in manchen Forschungen solche Bezüge nicht hergestellt werden, dann deswegen, weil sie von vornherein nur auf bestimmte Kategorien ausgerichtet sind, wie z.B. auf Jugendliche und Langzeitarbeitslose. Die Ergebnisse der Forschung sind also ziemlich uneinheitlich: die Populationen werden unterschiedlich festgelegt, die Ergebnisse immer wieder anders präsentiert, und gegenseitige Bezugnahmen sind selten.
Dennoch besteht ein Konsens darüber, daß Arbeitslosigkeit verschieden erfahren wird: es gibt Unterschiede im Bezug auf sich selbst, der Form des Lebens, der Strategie der Arbeitssuche etc. Es bleiben also die Fragen, wie diese Unterschiede zu interpretieren und zu erklären sind.

2 b Gibt es erklärende Prinzipien?

Es stellt sich die Frage, inwiefern induktive Analysen der Erfahrung der Arbeitslosigkeit zu konvergierenden Erklärrungen über die unterschiedliche Verarbeitungsweisen führen, d.h., zu einer erklärenden Theorie dieser Unterschiede.

Jugendliche Arbeitslose und Arbeitslosigkeit
Die Feststellung einer Beziehung zwischen der Intensität der Erfahrung der subjektiven Entwertung und dem der Arbeit zugeschriebenen Wert geht auf Ledrut zurück und ist später auch von anderen aufgegriffen worden. Diese Hypothese ist wohl auch die Grundlage der Unterscheidung zweier sehr verschiedener Formen der Verarbeitung von Arbeitslosigkeit bei den Jugendlichen: eine „krankmachende Arbeitslosigkeit" und eine „banalisierte Arbeitslosigkeit". Jugendliche, die berufliche Eingliederung suchen, die Arbeit hoch bewerten oder darin zumindest eine soziale und moralische Pflicht sehen, nehmen die Arbeitslosigkeit als „traumatisierende Erfahrung" wahr und als Grund dafür, schuldig zu sein. Umgekehrt sehen Jugendliche, die sich in den Systemen der Arbeitsorganisation nicht wiedererkennen können und damit verbundene Zwänge ablehnen, in der Arbeitslosigkeit keine Exklusion, sondern als Chance, ihre eigenen Projekte realisieren zu können.

Die Banalisierung der Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen ist Gegenstand unterschiedlicher Interpretationen: Für die einen ist dies ein Protest gegen die Ideologie der Arbeit und des sozialen Erfolgs durch den Beruf, also eine Allergie gegen die Arbeit oder die Ablehnung bestimmter Formen von Lohnarbeit, besonders der industriellen Arbeit am Fließband. (Pialoux 1979). Für andere hat diese Banalisierung den Sinn einer Ernüchterung, vor allem bei Jugendlichen aus der Mittelschicht mit Abschlüssen von allgemein bildenden Schulen, deren Zeugnisse auf dem Arbeitsmarkt keinen großen Wert haben. Dahinter verbirgt sich also eine Strategie der Verzögerung des Eintritts ins aktive Leben, als Antwort auf eine drohende Deklassierung und damit verbundener kollektiver Desillusionierung (Bourdieu 1978) Sie ist das Ergebnis der Divergenz zwischen Zukunftsplänen, subjektiven Erfolgswahrscheinlichkeiten und den gegebenen Realisierungsmöglichkeiten. Bei Jugendlichen ohne höhere Bildung, soferne sie große Schwierigkeiten bei der Berufsfindung haben, findet sich diese distanzierte Einstellung zum Arbeitsmarkt aber nicht und ebensowenig eine Banalisierung der Arbeitslosigkeit.

Bedeutung der Arbeitslosigkeit und Bedeutung der Arbeit
Der Mangel an Arbeit hat zur Frage über die Beziehungen zwischen Beschäftigung, Integration und Exklusion und auch zur Frage nach dem Stellenwert der Arbeit in unserer Gesellschaft geführt. Manche behaupten, die Stellung der Arbeit erfahre derzeit einen Wandel, doch die empirischen Belege dafür bleiben dürftig. Von der Krise der Beschäftigung lassen sich nur schwer Schlüsse ziehen auf die Beziehungen der Arbeitslosigkeit zur Arbeit, denn die Befragten sind meist Besitzer eines Arbeitsplatzes und die Arbeitslosen sind nur wenig bereit, die Erfahrungen zu relativieren, die mit Arbeit verbunden sind.

Neuere empirische Untersuchungen unterstreichen den zentralen Stellenwert der Arbeit für Arbeitslose und die Konstituierung ihrer Identität. Nach wie vor ist der Zugang zu einem stabilen Dauerarbeitsplatz gemeinsame Norm und es wäre falsch, von einer Abneigung der Jungen gegen die Arbeit zu sprechen. Unterstützungsempfänger suchen sich von Sozialarbeitern zu distanzieren, um nicht den Status eines Betreuten zu haben. So wollen eine richtige Arbeit, nicht Umschulungen oder nur vorübergehende Beschäftigung. Arbeit ist nach wie vor zentral für die gegenseitige Anerkennung und ein Faktor der Identitätsbildung.

Erfahrung der Arbeitslosigkeit und soziale Gruppen
Die unterschiedlichen Arten, Arbeitslosigkeit zu erfahren, sind kein Zufall. Nach D. Schnapper hängt jeder Typ von Arbeitslosigkeit mit besonderen sozialen Merkmalen zusammen. Die „totale Arbeitslosigkeit" ist eng mit manueller Arbeit verbunden. Jugendlichen mit nicht-manueller Arbeit gelingt es viel eher, die Arbeitslosigkeit zu invertieren und sich in anderen Aktivitäten zu engagieren, damit Deprofessionalisierung und Desozialisation zu vermeiden.
Bei allen Gruppen spielen Alter, kulturelles Niveau, Beziehung zwischen finanziellen Erfordernissen und Familieneinkommen eine große Rolle. Die Erfahrung der Arbeitslosigkeit hängt von der komplexen Kombination heterogener Variabler ab: Stellung im Lebenszyklus, Position in der sozialen Struktur, in einer sozialen Laufbahn, subjektive Vorwegnahme der Zukunft, Beziehungsnetze, sozial mögliche Statuspositionen. Arbeitslosigkeit wischt soziale Unterschiede und vorangegangene Sozialisationen nicht weg. In der Arbeitslosigkeit gibt es also ähnliche Ungleichheiten wie in den Situationen der Arbeit. Die Erfahrung der Arbeitslosigkeit verweist also zurück auf die Prozesse der Konstitution von Identität.

Erfahrung der Arbeitslosigkeit und Konstruktion von Identitäten
Die Erfahrung der Arbeitslosigkeit läßt sich nicht reduzieren auf die Spannung zwischen Suche nacht Arbeit unter Bedingungen einer massiven Arbeitslosigkeit einerseits und der Entwicklung von Ersatzaktivitäten und der Existenz in sozialen Netzen, die mit der beruflichen Welt nichts zu tun haben andererseits. Mit dieser Erfahrung sind auch Prozesse der Sozialisation verbunden, der ständigen Neubewertung des eigenen sozialen Wertes, der Auseinandersetzung mit der eigenen Zukunft, der Konstruktion der Identität und der Internalisierung der gegebenen Möglichkeiten. Doch diese Sozialisation setzt einen Dialog mit sich selbst und den anderen voraus, besonders mit den Experten der Eingliederung. Die gelebte Erfahrung der Arbeitslosen und die dabei bestehenden Unterschiede verstehen erfordert also die Verknüpfung einer „biographischen Transaktion", durch die der Arbeitslose auf dem Hintergrund seiner Vergangenheit seine Möglichkeiten in die Zukunft projiziert, mit einer „relationellen Transaktion", die darin besteht, der Legitimität seiner Erwartungen und Ansprüche bei institutionellen Partnern Geltung verschaffen zu können oder nicht.
Eine Untersuchung bei Jugendlichen ohne Diplom in einer Eingliederungsmaßnahme, welche die Praktiken, Einstellungen und Repräsentationen dieser Arbeitslosen erfassen will, illustriert diesen Ansatz. Dabei wurden vier Typen von „Logiken des Handelns" herausgehoben, welche Rationalitätsformen darstellen, welche in einer kohärenten Form frühere Praktiken (familiäre, schulische, nach-schulische), die erlebte Situation und die künftigen Möglichkeiten miteinander verbinden. Eine erste Dimension, eine „temporelle" oder „biographische", führt zur Unterscheidung von „Jugendlichen ohne Zukunft", die nicht in der Lage sind, berufliche Pläne zu entwickeln und die Bedingungen des Zugangs zu einer Dauerbeschäftigung vorwegzunehmen, und solchen Jugendlichen, welche „Strategien in alle Richtungen" entwickeln, indem sie verschiedene Formen der Beschäftigung mit Gelegenheiten zur Weiterbildung kombinieren und so eine qualifizierte Dauerbeschäftigung vorwegnehmen. Zwischen diesen beiden Polen befinden sich jene, die in Unsicherheit leben, entweder eine prekäre Beschäftigung vorwegnehmen oder eine Ausbildungsphase mit unsicheren Ergebnissen absolvieren. Dieser ersten Achse fügt sich eine zweite hinzu, eine „relationelle". Sie polarisiert zwischen jenen Jugendlichen, die vorrangig eine Zertifizierung im Auge haben, d. h. sich auf eine längere Ausbildungsphase einstellen, weil es in ihrer Umgebung einen Erwachsenen als Bezugsperson gibt und jenen, welche der „instrumentalen Arbeit" den Vorrang einräumen, d.h. lieber jeden kleinen Job annehmen als sich auf Ausbildungsgänge einzulassen, deren Resultate schwer abzuschätzen sind. Eine solche Analyse führt zu vier Typen von Rationalität und macht die guten Gründe klar, die jeder junge Arbeitslose hat, auf eine Beschäftigung zu hoffen oder nicht, eine offene Zukunft vorwegzunehmen oder nicht, eine Ausbildung zu machen oder nicht etc.
So beschränkt sich die gelebte Arbeitslosigkeit nicht auf eine subjektive Erfahrung oder auf die Erfahrung in Primärgruppen (Familie, Nachbarschaft ...). Sie konstituiert sich auch im Kontakt mit Institutionen, besonders administrativen, wo der Arbeitslose benannt, klassifiziert und orientiert wird, wo die „Prüfer" auch ihre Diagnosen über die Verwendbarkeit erstellen. Dies geschieht im direkten Kontakt oder im Verlauf der Interaktionen, wo Identitätskonzepte und soziale Kategorisierungen ausgehandelt werden: Einordnung als einen gleichsam Behinderten oder Quasi-Pensionisten, als Arbeitssuchenden und damit wirklich Arbeitslosen, Zurückstufung in eine schwer erträgliche Übergangsphase oder Anpassung an eine Situation untergründiger Aktivitäten. Arbeitslosigkeit hat also nichts mit einheitlichen Erfahrungen zu tun. Wenn diese Feststellung auch empirisch untermauert ist, so fehlt es noch an soliden theoretischen Erklärungen dieser Unterschiede.

3. Die Arbeitslosen: eine soziale Gruppe?

Die Heterogenität der Erfahrungen der Arbeitslosen führt zu Frage, ob die Arbeitslosen eine Gruppe darstellen Diese Frage läßt sich vertiefen durch die Analyse der Lebensbedingungen und das Studium der kollektiven Handlungen.

3a Äußerst diskriminierte Lebensbedingungen

An deskriptiven statistischen Angaben (Alter, Geschlecht, Bildungsniveau, Qualifikation, Beruf...) über die Arbeitslosen besteht kein Mangel. Doch Informationen über die Bedingungen des Lebens gibt es nur teilweise, meist in bruchstückartiger Form.

Die Einschätzung der Lebensbedingungen von Arbeitslosen ist schwierig
Arbeitslosigkeit bringt auf jeden Fall einen Einkommensverlust mit sich, dessen Bedeutung je nach Höhe und Struktur der Ressourcen des Haushalts verschieden ist. Nach einer Erhebung des statistischen Amtes sind die Gesamtausgaben von Arbeiterhaushalten mit Arbeitslosen um 22% niedriger als jene der Arbeiterhaushalte ohne Arbeitslose. Die relative Verringerung der Ressourcen des Haushaltes tangiert stärker die Ehepartner der Arbeitslosen, Alleinstehende und Langzeitarbeitslose: bei diesen Kategorien ist der Konsum zweimal niedriger als bei entsprechenden Haushalten ohne Arbeitslose. Bei diesem Typ von Haushalten bedeutet die Arbeitslosigkeit, unter prekären Bedingungen zu leben, was auch in die Armut führen kann, auf jeden Fall aber, von sozialen Hilfen abhängig zu sein.
Zwischen 1984-1985 hatten 29% der Haushalte, deren Vorstand arbeitslos war oder seine Tätigkeit unterbrochen hatte, ein „sehr niederes Einkommen" (weniger als die Hälfte im Vergleich zum mittleren Einkommen aller Haushalte), während für Haushalte, deren Vorstand beschäftigt oder im Ruhestand gewesen ist, dieser Wert nur 45% beträgt. Die Arbeitslosen mit dem niedersten Einkommen sind jene Männer mittleren Alters, die gleichzeitig auch Haushaltsvorstände sind. Der Einkommensverlust wird zudem größer, je länger die Arbeitslosigkeit andauert. Ausschluss von Beschäftigung ist eine der wichtigsten Ursachen der Verarmung der Bevölkerung, doch die niederen Einkommen sind mit unterschiedlichen Situationen verbunden: Langzeitarbeitslosigkeit, öftere (rekurrente) Arbeitslosigkeit, prekäre Arbeit, völlige Inaktivität, Pension etc.

Die Entschädigung der Arbeitslosen
Die Arbeitslosenversicherung, an die sowohl Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer Beiträge entrichten, ist des öfteren reformiert worden und hat seit Anfang der 80er Jahre zu Verringerungen der Entschädigungen geführt: Auszahlung niedrigerer Summen, Verkürzung der Dauer, schnellere Degressivität oder Ausschluss bestimmter Kategorien von Arbeitslosen (Jugendliche und Frauen).
Die Bedingungen und Modalitäten der Auszahlung von Arbeitslosengeld sind also, zeitlich betrachtet, instabil. Mit der Reform von 1984 sind an die Stelle einer einheitlichen Entschädigung zwei Ersatzlösungen getreten: Einerseits die Versicherungsregelung für jene Beschäftigten, die vorübergehend keine Arbeit haben; andererseits aber die Solidaritätsregelung für jene, die in den Arbeitsmarkt eintreten wollen, aber noch keine oder nicht genug Beitragszahlungen geleistet haben, oder jene Arbeitslosen, deren Rechte ausgeschöpft sind. Die Entschädigung richtet sich nach der Verfügbarkeit von Ressourcen und der früheren beruflichen Tätigkeit.
Die Einrichtung des RMI (revenue minimum d'insertion) 1989 ist in gewisser Weise eine dritte Art von Entschädigung, denn diese gesetzliche Maßnahme ist für jene gedacht, die alle Rechte auf Versicherungs- und Unterstützungsgelder verloren haben. Das Nebeneinander dieser drei Systeme macht es praktisch unmöglich, sich einen vollständigen Überblick über die Mittel der Arbeitslosen zu verschaffen, vor allem auch deswegen, weil die Grundlage des RMI nicht allein die Kategorie der Arbeitslosigkeit ist.

Die Bedeutung sozialer Solidaritäten
Die Evaluierung der Lebensbedingungen der Arbeitlosen setzt exakte Untersuchungen über die Gesamtheit des Einkommens der einzelnen und der Haushalte voraus. Damit sind erhebliche Schwierigkeiten verbunden, wie sich bei einer Untersuchung in den 80er Jahren ergeben hat. Dabei ist vor allem die Bedeutung der Entschädigung für Langzeitarbeitslose relativiert worden: 80% der jüngeren haben keine Entschädigung erhalten, 50% jener im mittleren Alter und 18% jene, die 50 Jahre und älter sind. Wenn es eine Entschädigung gibt, so stellt sie nur einen kleinen Teil der Mittel des Haushalts dar: ein Drittel für die Alleinstehenden, ein Fünftel für die anderen. Bei der Bestimmung der Einkommenshöhe spielt die familiäre Umgebung die entscheidende Rolle. Fehlt die familiäre Solidarität oder wird sie zu schwach, so führt dies zur Armut, was die Tatsache untermauert, daß der Großteil der Empfänger von RMI Alleinstehende sind, gleichzeitig aber auch Haushaltsvorstände (Vanlerenberghe 1992).
Berücksichtigt man zusätzlich noch die informellen Aktivitäten, so wird die Analyse noch komplizierter. Zusätzliche Aktivitäten, auch in einer legalen und offiziellen Form, können zusätzliches Einkommen bedeuten. Jeder Arbeitslose hat das Recht, bis zu 78 Stunden pro Monat Aktivitäten auszuüben. Daneben gibt es den Bereich der illegalen bzw. „schwarzen" Arbeit. Diesbezüglich gibt es phantastische Gerüchte, vor allem auch deswegen, weil die Reichweite derartiger Praktiken nicht verifizierbar ist.
Schwarzarbeit umfaßt eine große Bandbreite von Aktivitäten: Häusliche Selbst-Produktion, gegenseitige familiäre oder nachbarschaftliche Hilfen auf der Basis der Reziprozität, Dienstleistungen nach dem Muster einer marktbezogenen Leistung etc. Die Partizipationen an einer nicht offiziellen Ökonomie sind äußerst variabel, abhängig von Alter, Geschlecht, Beruf etc. Schwarzarbeit ist ein komplexes Phänomen, das nicht nur Arbeitslose betrifft, sondern auch verschuldete Handwerker sowie Lohnabhängige, die ihr Einkommen zu verbessern suchen. Schwarzarbeit ist auch eine Art, auf dem Arbeitsmarkt präsent zu bleiben, sein Wissen und Können (savoir-faire) zu erhalten, Beziehungen zu pflegen, also viele Aspekte, die mit der Suche nach Arbeit zu tun haben können.
Dies alles zeigt, daß die Arbeitlosen eine statistische Kategorie darstellen, nicht aber eine soziale Gruppe. Das Zusammentreffen von ökonomischer und sozialer Inferiorität wirkt sicher dem entgegen, daß sich die Arbeitslosen als kollektiver Akteur formieren.

3 b Kollektive Mobilisierung ist schwierig

Im Vergleich mit anderen einkommensschwachen Gruppen (Frauen, Studierende, Nordafrikaner...) ist das Schweigen der Arbeitslosen verwunderlich, umso mehr, als beim Überschreiten einer jeden symbolische Schwelle (Millionenzahl) eine soziale Explosion prophezeit wird. Forschungen über das kollektive Handeln der Arbeitslosen sind daher darauf ausgerichtet, den geringen Grad der Mobilisierung zu erklären.

Vom individuellen Notstand zum kollektiven Schweigen
Die Erfahrung der Arbeitslosigkeit führt zu einer Schwächung des kollektiven Bewußtsein, das sich aus der beruflichen Erfahrung ergibt, und zu einer Schwächung der sozialen Netze. Gefühle der Scham und der Schuld stehen dem entgegen, sich in einer kollektiven Identität oder in einer politischen Repräsentation wiederzufinden.
Das Fehlen jeder positiven Besetzung der Lebensbedingungen eines Arbeitslosen steht allen Versuchen der Mobilisierung diametral entgegen. Sich zu engagieren in der Situation des Arbeitslosen würde bedeuten, in dieser Situation verharren zu wollen. Einen Platz, den man verlassen will, kann man schwer verteidigen.
Solche soziologischen Erklärungen stützen sich auf das klassische Konzept der Arbeitslosigkeit: vorübergehend ohne Beschäftigung, entschlossen, rasch aus dieser Lage herauszukommen. Aus dieser Sichtweise kommt das Engagement in einer kollektiven Aktion in die Nähe der Absicht, in der Arbeitslosigkeit verbleiben zu wollen. Dabei wird übersehen, daß die Arbeitslosigkeit ihren Stellenwert verändert hat: sie ist eine permanente Bedingung geworden, eine wichtige Komponente individueller Karrieren. Daher ist die Frage neu zu formulieren: wie kommt man da heraus, wenn gleichzeitig die Zahlen der Arbeitslosen ständig ansteigen? Wie läßt sich eine Beschäftigung finden, wenn gleichzeitig die Positionen zwischen Arbeitslosigkeit und Beschäftigung sich vervielfachen? Dies deutet darauf hin, daß ein Verstehen der subjektiven Bedeutungen der Arbeitslosigkeit nicht ausreichend ist, um das Schweigen der Arbeitslosen zu erklären.

Der soziale Rahmen des kollektiven Schweigens
Die individuelle Erfahrung der Arbeitslosigkeit ist nicht das einzige Hindernis, daß sich die Arbeitslosen in der Öffentlichkeit bemerkbar machen. Paradoxerweise tragen auch die Behandlung der Arbeitslosigkeit und der inflationäre Diskurs über die Arbeitslosen dazu bei. Die Verselbständigung der Kategorie der Arbeitslosigkeit findet ihren Ausdruck in der Konstituierung eines Netzes offizieller Institutionen, der Aufgabe darin besteht zu registrieren, Entschädigungen zu zahlen, zu kontrollieren, und die als Arbeitslose anerkannten Individuen zu vermitteln. Die Verkündigung von Rechten in Verbindung mit dem Verlust der Beschäftigung institutionalisiert die Arbeitslosigkeit, schafft erst das Interesse des Arbeitslosen, sich zu präsentieren, konstituiert offizielle Organe als erste Ansprechpartner der Arbeitslosen.

Überdies bringt die Häufung von direkten Gesprächen mit den institutionellen Akteuren die Arbeitslosen in die Position eines Bittstellers, hängt ihm das Etikett eines Problemfalles um. Diese strukturelle Asymmetrie, unabhängig vom Verhalten der Beamten, definiert den Arbeitslosen durch seine Mängel, Behinderungen, Schwierigkeiten, und nimmt ihm so seinen sozialen Wert. Wenn die Arbeitslosen auch in der Lage sind, strategisch zu handeln, so entwickeln sie Gewohnheiten, sich ständig zu rechtfertigen. Mit der Behandlung der Arbeitslosigkeit geht eine soziale Arbeit der Kategorisierung einher, der Diversifizierung der Positionen, der Differenzierung der Rechte, die dazu führt, den Begriff der Arbeitslosigkeit in verschiedene Situationen aufzusplittern: Kursteilnehmer, Nutznießer dieser oder jener Maßnahme etc.
Arbeitslosigkeit ist gleichzeitig Gegenstand fürsorglicher Aktionen (Verteilung von Nahrung, Kleiderbörsen, Gratissuppen etc.), die parallel mit den Aktionen der Öffentlichkeit ablaufen und letztlich eine Konkurrenz für die Organisationen der Arbeitslosen sind. Denn der Großteil der karitativen Organisationen rechtfertigt ihre Intervention im Bereich der symbolischen Arbeit, die ihre Adressaten als Ausgeschlossene konzipiert, mit Begriffen der Solidarität und der Caritas (Appelle an die Spendenbereitschaft). Die Populationen der Arbeitslosen werden so als hilfsbedürftige, schwache und erniedrigte Populationen kategorisiert. Es liegt auf der Hand, daß derart eingeordnete Personen zur Konstituierung einer sozialen Gruppe von Opfern der Sozialkrise kaum etwas beitragen.
Diese symbolische Konstruktion der Realität strukturiert die Repräsentationen, sowohl der Arbeitslosen wie auch der Beschäftigten, und unterbindet eine autonome und kollektive Selbstartikulation der Arbeitslosen. Sie stößt gelegentlich auch auf Ablehnung der Organisationen von Arbeitslosen, welche die Beschäftigungslosen vertreten wollen und die Verwischung der Grenzen zwischen Armut und Arbeitslosigkeit ablehnen.
Der Großteil der Formen der Mobilisierung im Kontext der Arbeitslosigkeit behindert die Selbstorganisation der Arbeitslosen, denn ihre Grundlage ist die soziale und politische Disqualifikation der Arbeitslosen. Die „Struktur der politischen Möglichkeiten" beeinträchtigt daher das Entstehen einer kollektiven Aktion der Arbeitslosen (Filleule 1993). Die Gewerkschaften sind von dieser Tendenz nicht ausgenommen, denn sie beanspruchen, beschäftige und arbeitslose Lohnabhängige in gleicher Weise zu vertreten (so in Frankreich) und sehen in den Organisationen der Arbeitslosen eine Bedrohung der Einheit der Aktiven. Die großen Aufmärsche der Arbeitslosen in den 30er Jahren sind durch die Gewerkschaften unterstütz, damit auch kanalisiert worden, weil sie damit den Bruch zwischen beschäftigten und unbeschäftigten Arbeitern verhindern wollten. Man muß also „die Analyse des politischen und sozialen Kontextes integrieren, um verstehen zu können, wie die Arbeitslosen zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten jene Ressourcen finden konnten, die ihre Organisation und Mobilisation ermöglichte" (Pignoni 1994).

Überdies konstruiert die dominante soziale Repräsentation die Arbeitslosigkeit als eine Fatalität, die der politischen Aktion entzogen ist. Die Arbeitslosigkeit wird so gesehen als „persönliche Präokkupation, die dazu verpflichtet, die Betroffenheit nur den Bestbekannten mitzuteilen, in der Form vertraulicher Gespräche, nicht aber als ein Stigma, das man vor sich herträgt, um in den Rang eines Partners aufzusteigen, der zu Debatten und Kämpfen aufruft; Arbeitslosigkeit ist so eher eine private als eine öffentliche Angelegenheit, für welche die Träger der Macht verantwortlich wären; Arbeitslosigkeit ist so unter moralischen Gesichtpunkten eher eine Beigabe, deren man sich schämt; so daß es jedenfalls angemessener ist, still zu sein und sich zu verbergen als aufzuzeigen und zu verurteilen" (Garrigou et Lacroix 1987).
Diese Depolitisierung nimmt den Arbeitslosen die Partner für Verhandlungen und Konfrontationen. Die Arbeitslosigkeit entfernt jedes Gegenüber, das wesentlich ist für die Mobilisierung und die Konstruktion einer Beziehung der Stärke. Hier ist der wesentliche Unterschied zwischen der Ausbeutung der Beschäftigten durch die Unternehmer und der Exklusion, denn die Ausbeutung geschieht im Rahmen einer sozialen Beziehung, welche die Ausgebeuteten als nützlich und unverzichtbar für des System der Ausbeutung definiert. Die Exklusion unterscheidet sich davon durch das Fehlen jeder sozialen Beziehung zwischen „Exkludierten" und „Inkludierten", der andere ist gar nicht angesprochen. Die Angabe einer Zielgruppe ist für jede Mobilisierung unverzichtbar, und das Fehlen eines Gegners macht die Mobilisierung gleichsam unmöglich (Bourneau und Martin 1993). Deshalb bemerkte ein Sprecher der Arbeitslosengewerkschaft dazu: „Es ist sehr schwierig zu kämpfen, wenn du den Eindruck hast, keinen Gegner zu haben, denn alle Welt ist gegen die Arbeitslosigkeit"! (Pagat 1987).

Die Bewegungen der Arbeitslosen in Frankreich
Die Geschichte dieser Bewegungen ist alt, aber immer wieder unterbrochen. In der Gegenwart hat sie wieder im Jahre 1982 begonnen, als Maurice Pagat die Gewerkschaft der Arbeitslosen gründete. Das Ziel dieser Initiative ist politischer Art, denn es geht um die Vertretung der Arbeitslosen. Dennoch ist diese Gewerkschaft von seiten des Staates nicht offiziell anerkannt.
In Anbetracht der Schwierigkeiten, Arbeitslose zu mobilisieren, sind an die Stelle von Protestaktionen mehr und mehr Druck erzeugende Aktivitäten (Diskussionen, Pressekonferenzen, Herausgabe von Zeitschriften) getreten, oft auch mit Unterstützung von wichtigen Personen. Von Anfang an hat daher „die Bewegung" eine fehlende Partizipation durch den Rekurs auf eine symbolische Mobilisierung kompensieren müssen.

Trotz einiger Versuche der Koordination bleibt die kollektive Aktion der Arbeitslosen diffus, lokal, zersplittert, und ist in den traditionellen Kanälen der Information wenig sichtbar. Doch eine Untersuchung in Nordfrankreich hat mehr als dreißig Vereinigungen von Arbeitslosen ausfindig gemacht, die meistens auf Gemeindeebene oder auf kleinem Raum agieren und die z.T. keinen Kontakt miteinander haben. Analysen über diese Bewegungen sind ebenfalls nur bruchstückhaft. Diese Arbeiten betonnen die großen Unterschiede in der Entstehung dieser Vereinigungen: teils entstehen sie auf Betreiben einiger Kollegen bei ihrer Kündigung hin, teils durch Einzelpersonen, nachdem sie ein Praktikum abgeschlossen haben, mit Unterstützung von Sozialarbeitern, durch Gewerkschafter, die arbeitslos geworden sind etc. Auch die deklarierten Ziele sind vielfältig: Räume des geselligen Zusammenseins zu organisieren; Kampf für die Befreiung von lokalen Steuern, gegen Ausweisungen, für freie Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, für ein garantiertes Grundeinkommen für alle; Unterstützung im Umgang mit den Ämtern, Hilfe bei der Suche nach Beschäftigung; eine Vertretung der Arbeitslosen in den sie betreffenden Institutionen durchsetzen; Organisation sozialer Aktivitäten (Bauen, Kochen, Kleidung...) etc.

In diesen ersten Analysen zeigt sich ein den Vereinigungen von Arbeitslosen gemeinsamer Zug: alle suchen, unter verschiedenen Umständen, Handlungen zu kombinieren, die den Arbeitslosen Unterstützung bieten, Lösungen zu finden für die persönlichen Schwierigkeiten, die individuellen Situation zu verbessern, oder Aktionen zu setzen mit dem Anspruch, die Rechte der Arbeitslosen zu erhalten, zu garantieren oder zu erweitern, Vorschläge zu einer anderen Verteilung von Arbeit und Reichtum zu machen. Diese Dialektik zwischen „Unterstützung und Forderung" bringt nur schwer zu bewältigende Spannungen mit sich (Pignoni 1994). Auf der einen Seite ziehen die Angebote von Dienstleistungen die Arbeitslosen an, bringen aber das Risiko mit sich, die Laufkundschaft zu vergrößern auf Kosten der stabileren Mitglieder. Auf der anderen Seite ist aber eine Ansprüche artikulierende Aktion nicht ausreichend, viele Arbeitslose zu mobilisieren, bleibt aber ein zentrales politisches Ziel dieser Vereinigungen.

So bleibt die autonome Organisation der Arbeitslosen embryonär und marginal, was aber keineswegs weniger dauerhafte Aktionen (Märsche, Manifestationen...) ausschließt, denn, wenn man den Meinungsforschern glauben schenken will, so erklären sich nahezu zwei von drei Arbeitslosen bereit zur Teilnahme an Protestaktionen. Wie immer dem sei, die Versuche der kollektiven Mobilisierung und des öffentlichen Ausdrucks bestätigen die Transformationen des Status des Arbeitslosen: wenn auch eine entwertete soziale Kondition bleibt, so ist diese doch nicht systematisch als beschämend erlebt und wahrgenommen und kann, in bestimmten Fällen, die Grundlage einer kollektiven Identität darstellen. In diesem Sinne verweist die mehr mikrosoziologische Untersuchung des Gelebten auf die Dynamik der Konstruktion der Identität der Arbeitslosen, stellt die Veränderungen der Stellung der Arbeitslosen in den sozialen Repräsentationen in Frage, und ebenso die Entwicklungen der Stellung der Arbeitslosen in der Organisation der Gesellschaft.

Zusammenfassung

Innerhalb von 10 Jahren sind Arbeitslosigkeit und die Arbeitslosen Gegenstand der Forschung zahlreicher Spezialisten in den Sozialwissenschaften geworden. Die große Bandbreite der Forschungen ist ein Anzeichen dafür, daß eine gewisse kritische Masse erreicht ist und bestätigt, daß sich eine Soziologie der Arbeitslosen nicht auf die Beobachtung des Gelebten und auf die Reaktionen auf den Arbeitsverlust beschränken darf. Längsschnittanalysen, Evaluierung der öffentlichen Politik, Identifikation der Normen, die den Arbeitsmarkt regulieren, Beobachtung der Praktiken und kollektiven Handlungen der Arbeitslosen etc. sind ebenfalls bereits erforschte Bereiche.
Allen diesen Ansätzen ist gemeinsam, daß sie einen fundamentalen Wandel betonen: die Arbeitslosigkeit funktioniert nicht mehr nach dem Modell des unfreiwilligen und vorübergehenden Verlustes der Beschäftigung: der Zugang zu Beschäftigung ist schwieriger, öffentliche Hilfen erweisen sich als wenig wirksam, Selektivität wird immer unkalkulierbarer, die Logiken der Aktion der Arbeitslosen diversifizieren sich etc. Der normative Rahmen, innerhalb dessen über Arbeitslosigkeit nachgedacht wird, löst sich auf, denn er stammt aus einer Epoche der Vollbeschäftigung. Arbeitslosigkeit ist nicht vorübergehender Verlust der Beschäftigung, auch nicht ein ständiger Kampf um eine mehr und mehr rar gewordene Beschäftigung. Sie ist ebensowenig im Gegensatz dazu ein Rückzug als Antwort für die geringen Chancen auf Erfolg bei der Konkurrenz um einen Arbeitsplatz, und auch nicht ein Sich-Einrichten an den Rändern des Arbeitsmarktes oder an den Grenzen unterstützten Daseins.
Dies bedeutet, daß die Soziologie der Arbeitslosigkeit auf die Untersuchung einer Minorität, einer Untereinheit der Gesellschaft beschränkt ist. Die Arbeitslosigkeit tangiert nicht alle Individuen einer Gesellschaft, doch diese selbst in ihrer Gesamtheit. Hier ist ein Hauptmerkmal der Massenarbeitslosigkeit: sie betrifft nicht mehr nur Unglückliche an der sozialen Peripherie; sie bedroht vielmehr die sozialen Regulationen, sie destabilisiert die etablierten Repräsentationen, stellt die Gesellschaft als ganze in Frage.
Arbeitslosigkeit ist vor allem als Konstruktion der Gesellschaft zu betrachten: sie ist das Ergebnis einer Kodifizierung bestimmter Formen der Unterbeschäftigung und impliziert die soziale Anerkennung des legitimen Anspruch auf Beschäftigung. Im Kontext der Krise von Beschäftigung und des Modells der Vollbeschäftigung tauchen Fragen auf, die für bereits beantwortet gehalten worden sind: Was heißt es, arbeitslos zu sein? Wie ist Arbeitslosigkeit zu definieren? Was sind die Grenzen dieser Kategorie? Umgekehrt trägt die Arbeitslosigkeit auch dazu bei, die Gesellschaft zu konstruieren. Sie bedroht die soziale Kohäsion und wirft die Frage nach den Modellen der Gerechtigkeit auf: wo ist die Grenze der Unerträglichkeit hinsichtlich der Anzahl der Arbeitslosen, aber auch der dadurch bedingten Ungleichheiten?

Die Arbeitslosigkeit ist nicht eine Kategorie der Erkenntnis, kein soziologisches Objekt; es ist zweifellos eine größere Errungenschaft gegenwärtiger soziologischer Forschung, die Arbeitslosigkeit als soziale Konvention zu betrachten und die Prozesse der Kodifizierung und der Dekonstruktion zum Gegenstand gemacht zu haben, ebenfalls die Spannungen zwischen der zeitlichen Dauerhaftigkeit dieser Kategorie und dem Entstehen peripherer Kategorien zu thematisieren wie auch die sozialen und subjektiven Folgen der Transformationen des Stellenwertes der Arbeitslosigkeit anzusprechen.

Die Analysen der vielfältigen Konflikte über die Bedeutung der Arbeitslosigkeit können auch zur Erhellung der Veränderungen der Gesellschaft als Ganzes beitragen, und besonders die Entwicklung des Stellenwertes der Arbeit als Vektor der sozialen Anerkennung und der Abstützung der Identitäten. Die Arbeitslosigkeit als problematische Kategorie zu betrachten, schwankend zwischen einem stabilen harten Kern und mehr und mehr verschwommenen Umrissen, ist ein Mittel, die Krise der Beschäftigung zu erhellen, die ebenso sehr eine Krise der Arbeit und eine Krise der Arbeitslosigkeit ist. Mehr als je zuvor besteht die Aufgabe soziologischer Analysen darin, die Mechanismen der Konstruktion und der Transformation der Arbeitslosigkeit zu erläutern, Antworten auf die Frage, was Arbeitslosigkeit ist und was sie wird, bereitzustellen. (O.N. 13. Febr.2000)