Didier Demazière, Soziologie der
Arbeitslosigkeit, Paris 1995
Vorbemerkung:
Es handelt sich hier um eine gekürzte Übersetzung von „La
sociologie du chomage". Sie enthält eine m.E.
gute Einführung in die Problematik der Arbeitslosigkeit und damit
verbundene Forschungsfragen . Die Arbeit von Jacques
Freyssinet, Le chomage, Paris 1998, ist jüngeren Datums, etwas
kürzer gefaßt. Aus der Perspektive der Soziologie
dürfte
die ältere Arbeit jedoch wichtiger sein. Die beiden Publikationen
sind erschienen in der Reihe von REPÈRES (Nr. 179 und
Nr. 22) der Èditions La Decouverte & Syros. Wie es auf der
Rückseite einer dieser Arbeiten heißt, enthalten sie, „was
man
wissen muß, um über die gegenwärtige Arbeitslosigkeit
in unserem Lande diskutieren zu können" Mir scheint der
besondere Nutzen darin zu bestehen, dass die Begriffe in ihrer
historischen Entstehung rekonstruiert und damit präzisiert
werden, so dass sich daraus ein anderes Verhältnis von Sprache und
Wirklichkeit ergibt. Übersetzung von mir. O.N.
15/12/99.
Gliederung
Einleitung
1. Die Arbeitslosigkeit, eine
problematische Kategorie
2. Maße und Grenzen der
Arbeitslosigkeit
3. Wege aus der Arbeitslosigkeit
4. Die Paradoxien der Behandlung der
Arbeitslosigkeit
5. Leben und existieren in der
Arbeitslosigkeit
Schlußfolgerungen
Einleitung
Die Soziologie der Arbeitslosigkeit ist kein klassisches
Thema der Soziologie. Es gibt zwar einige Pionierarbeiten, doch im
wesentlichen befaßt sich die Forschung damit erst seit den
frühen 80er Jahren, dem Zeitpunkt des Anstiegs der
Arbeitslosigkeit und der Zunahme der politischen Maßnahmen, um
sie zu begrenzen.
Inzwischen ist die Arbeitslosigkeit sozial sichtbar geworden, hat viele
Debatten und Analysen ausgelöst. Für die Soziologie
ist die Arbeitslosigkeit nicht nur die Absenz von Beschäftigung,
sondern auch die Entstehung einer neuen sozialen
Kategorie. Also ist Arbeitslosigkeit auch ein soziales Konstrukt,
Arbeitslose werden konstruiert durch soziale Regeln und
kulturelle Normen.
Diese soziale Gestalt der Arbeitslosigkeit ist es, welche die
Soziologie vor allem beschäftigt. Arbeitlosigkeit ist also zu
analysieren als Artikulation von
- iuridischen Vorschriften
- individuellen Ansprüchen
- Institutionen der Regulierung und
- individueller Strategien und Reaktionen.
Arbeitslosigkeit ist das Resultat der Dialektik zwischen
- diskriminierendenden sozioökonomischen
Mechanismen
- individuellen Ansprüchen und
- institutionellen Logiken, läßt
sich also auf verschiedene Arten und Weisen analysieren.
Ziel der dieser Arbeit: den Stand der Erkenntnisse
darzustellen, die Bezugspunkte der Diskussion zu identifizieren und
eine
Reihe von noch offenen Fragen anzusprechen.
I. Die
Arbeitslosigkeit, eine problematische Kategorie
Arbeitslosigkeit zeigt sich heute als
objektive Realität, die von niemandem bestritten wird; sie gilt
gleichsam als
struktureller Bestandteil der gegenwärtigen Gesellschaft. Dennoch,
nicht ist evident, es gibt verschiedene Möglichkeiten,
die Dinge sprachlich zu erfassen.
Arbeitslosigkeit wird hier gesehen als das Produkt einer sozialen
Konstruktion, die bestimmte Situationen des
nicht-Beschäftigt-Seins in Arbeitslosigkeit transformiert, jedoch
andere von dieser Bezeichnung ausschließt.
Arbeitslosigkeit ist also eine Art des Bezeichnens, des Kategorisierens
von bestimmten Situationen. Die soziale Form, die
wir Arbeitslosigkeit nennen, entwickelt und verändert sich. Das
erste Objekt einer Soziologie der Arbeitslosigkeit ist daher
die Analyse der Prozesse der Konstruktion dieser Position auf dem
Arbeitsmarkt:
Wie sie entsteht, als eine spezifische Situation identifiziert,
offiziell anerkannt und von nicht betroffenen Personen
angewandt wird. Nach der schrittweisen Institutionalisierung der
Arbeitslosigkeit seit dem Ende des 19. Jahrhunderts
werden die Umrisse dieser Kategorie in der gegenwärtigen Periode
sichtlich unschärfer.
1. Die Konstruktion der Kategorie
der Arbeitslosigkeit
Die Zuerkennung der Eigenschaft,
arbeitslos zu sein, ist nur möglich, weil es eine entsprechende
rechtliche Kategorie gibt.
Diese ist jedoch neueren Datums, sie entsteht mit der Entwicklung der
industriellen Gesellschaft und der Lohnarbeit,
stabilisiert sich mit dem Auftauchen bestimmter Politiken und
spezialisierter Institutionen.
Ohne
Arbeit, ohne Beschäftigung
Noch im 18.
Jahrhundert gab es den Ausdruck Arbeitslosigkeit gar nicht; damals
sprach man von Armen, Bedürftigen,
Bettlern: jene, die sich nicht selbst erhalten konnten und der Hilfe
bedürften,
- sei es privat (traditionelle Armenpflege der Kirche)
- sei es öffentlich (auf Kosten der Gemeinde oder des Staates).
Diese
Bezeichnungen drücken den Mangel an Ressourcen aus, die
Unfähigkeit, selbst für seine Bedürfnisse zu sorgen,
nicht aber auf die Vorenthaltung von Arbeit (oder Beschäftigung,
damals ein unbekannter Ausdruck).
Arbeitslosigkeit im modernen Sinne des Wortes entsteht mit der
Veränderung der Arbeitsbeziehungen: mit der
Kodifizierung der Lohnarbeit und den damit gegebenen Beziehungen.
Arbeitslosigkeit,
das Komplement (Gegenstück) zum Lohnverhältnis
Fluktuationen
in der Aktivität wurden keineswegs als Arbeitslosigkeit
identifiziert. Solange die Beziehungen zwischen
Unternehmer und Arbeiter in hohem Maße personalisiert gewesen
sind und nicht vertraglich fixiert waren wie im modernen
Arbeitsvertrag, wurden Diskontinuitäten in der Arbeit nicht als
Arbeitslosigkeit, sondern als arbeitsfreie Zeit betrachtet.
Die
Verrechtlichung der Arbeitsbeziehung vollzieht sich gleichzeitig mit
der Rationalisierung und Mechanisierung der
industriellen Produktion. Diese Veränderungen führten zur
Festlegung einer abgegrenzten Arbeitszeit, die nichts mit
anderen Tätigkeiten zu tun hatte, meßbar und kontrollierbar
gewesen ist. Von da an können die Unternehmer das Volumen
der Arbeit regulieren, die weniger produktiven Individuen schlechter
bezahlen oder auch entlassen.
Die Konstruktion der Lohnarbeit bedingt auch eine andere Art des ohne
Arbeit-seins. Man ist nicht mehr nur
vorübergehend ohne Arbeit, sondern die Arbeitslosigkeit bedeutet
einen definitiven Bruch in der Beziehung zwischen
Arbeiter und Unternehmer, die einen Übergang von einer wenig
deutlichen Unterscheidung zwischen Aktivitäten und
Mangel an Betätigung zu einer Verselbständigung der
Vorenthaltung (Privation) von Aktivitäten markiert.
Die Erfindung der Arbeitslosigkeit (Saleis et al 1986) ist also an die
Entstehung des Lohnarbeitsverhältnisses gebunden,
nicht genau zu datieren, kristallisiert sich jedoch an der Wende vom
19. Zum 20. Jahrhundert heraus.
Die
Krise der 30er Jahre und die moderne Arbeitslosigkeit
Während
dieser Krise war die soziale Konstruktion der Kategorie noch nicht
abgeschlossen, sodaß sich ihre Auswirkungen
auf die Zahl der Arbeitslosen nicht genau bestimmen läßt.
Vielmehr hat eine Analyse der Daten von damals lediglich auf
eine hohe Korrelation zwischen dem Niveau der Arbeitslosigkeit in
einzelnen Departements und dem Ausmaß an
Industriealisierung und Urbanisierung hingewiesen. Daher ist die
Arbeitslosigkeit dieser Jahre stark unterschätzt, weil
Kleingewerbe im ländlichen Raum und Frauenarbeit gar nicht
gezählt worden ist. Dies zeigt, daß erst die Kodifizierung
der
Arbeit zur Arbeitslosigkeit im modernen Sinne geführt hat. Erst
nach und nach haben die Unter/Nicht-Beschäftigten sich
als Arbeitslose deklariert und sind als solche anerkannt und
registriert worden.
Institutionen
für die Arbeitslosen
Wenn die
Regulierung der Produktion zur Eliminierung jener führt, die als
unfähig oder unproduktiv eingestuft werden, so
geht mit den eine Änderung der Sozialpolitik einher und auch der
Bezeichnungen jener, die ohne Arbeit sind.
Arbeitslosigkeit
statt Armut
Während
des ganzen 19. Jahrhunderts wurden die einfachen Klassen von den
anderen und der bürgerlichen Ordnung als
"gefährliche Klassen" wahrgenommen. Mehr noch als die Armut hat
das Nichts-Tun der Besitzlosen beunruhigt. Aus
diesen Gründen trägt die öffentliche Unterstützung
Merkmale einer Logik der Bestrafung: neben der Hilfe sollten ihnen
auch eine Betätigung gegeben werden, wobei ihnen die Verantwortung
für ihre Beschäftigungslosigkeit zugeschoben
worden ist. Arbeit ist nicht ein Recht, sondern vielmehr eine Pflicht.
"Wer nicht arbeitet, wird für einen Delinquenten
gehalten" (Bart 1988).
Im 19.
Jahrhundert verschwindet nach und nach die traditionelle
öffentliche Unterstützung, und es setzt sich nach und nach
die Unterscheidung zwischen den dauerhaft Armen (Elende, Bettler,
Vagabunden) und den Gelegenheitsarmen durch:
vorübergehend nicht beschäftigte Arbeiter. Diese wurden
für gefestigte (stabilisierte) Arbeiter gehalten, die ohne Schuld
arbeitslos sind, im Gegensatz zu den instabilen Arbeitern, deren
selbstgewollte Instabilität sanktioniert wurde, und den
Armen ohne jede Bezugnahme auf die Arbeit. Die Verselbständigung
einer Kategorie der Arbeitslosigkeit gegenüber jener
der Armut führte zur Etablierung einer neuen Norm:
Arbeitslosigkeit impliziert eine schuldlose Arbeitsunterbrechung aus
ökonomischen Gründen. Doch die theoretischen Unterscheidungen
bleiben theoretisch so lange, bis sie in den Institutionen
ihren Niederschlag finden.
Die
Hilfen für Arbeitslose
Nach 1880
beginnen die Gewerkschaften auf berufsbezogener Basis Kassen zur
Unterstützung der Arbeitslosen zu
gründen. Damals war gewerkschaftliche Hilfe nicht an besondere
Umstände gebunden: sie wurde ausbezahlt bei fehlender
Arbeit, Krankheit, Streik, Ausschluß ...
Anfang des 20. Jahrhunderts etablierte der Staat das Prinzip der
kostenlosen Weitervermittlung für anerkannte Arbeitslose:
dies wurde den Gemeinden zur Pflicht gemacht wie ebenso die Auszahlung
von Subventionen. Von Anfang an gibt es also
diese Aktivitäten zur Wiedervermittlung für jene, die als
Arbeitslose anerkannt worden waren. Dies spielte eine große
Rolle bei der Objektivierung der Arbeitslosigkeit. Dies
ermöglichte es auch auf die Individuen einen Druck auszuüben
und
ihre Adaptierung zu erzwingen. Die Schaffung von Ämtern der
Arbeitsvermittlung institutionalisiert daher die
Unterscheidung zwischen vorübergehend Arbeitslosen, Arbeitern mit
bestimmten Rechten, und den anderen, die der Hilfe
und der caritativen Unterstützung bedürfen. Die Spezifikation
von Einrichtungen und Interventionen stützt direkt die
Verfestigung der Kategorie der Arbeitslosen.
Das
Modell des Arbeitslosen der 30er Jahre
Jeder konnte
Hilfe erwarten, solange er vom Amt als Arbeitsloser anerkannt wurde.
Die Ämter stützten sich auf eine
Definition von Arbeitslosigkeit, die verschiedene Kriterien
berücksichtigte: Alter, Familienstand, ungewollter Verlust der
Arbeit und Moralität. Dies führte zu einer selektiven
Verteilung der Unterstützungen zur Arbeitssuche. Eine Analyse von
Akten der unterstützten Arbeitslosen ergibt folgendes Modell:
männlich, mittleren Alters, nationale Zugehörigkeit,
Haushaltsvorstand, verheiratet, also Merkmale, wie sie auch dem
Modell-Arbeiter kennzeichnen.
Daneben
lassen sich noch zwei weitere Kategorien identifizieren:
a) anerkannte Arbeitslose, aber nicht entschädigt: Frauen und
Jugendliche, die noch zu Hause wohnen
b) nicht als arbeitslos anerkannte Personen: Singles, Alte oder
Ausländer.
Diese sind zweimal zurückgewiesen: zuerst von der Arbeitswelt,
dann aber auch von der Vermittlung.
Durch ihre
Praktiken institutionalisieren die Ämter die Kodifizierung der
Arbeitslosigkeit. Die Regulierungen des
Arbeitsverhaltens, die soziale Kontrolle der Arbeitslosen und ihrer
Aktivitätszyklen, dies alles soll verhindern, daß
Beschäftigungslose, die nicht arbeiten wollen, nicht zu falschen
Arbeitslosen werden. Mit der Ausbreitung des
Lohnarbeitsverhältnisses verändert sich auch die soziale
Definition von Arbeitslosigkeit. Die Kriterien der beruflichen
Vergangenheit und der früheren Bindung an einen Betrieb verlieren
an Bedeutung, entscheiden wird, Verfügbarkeit
(disponibilité) und die Suche nach Beschäftigung. Prinzip
der Kodifizierung der modernen Arbeitslosigkeit: die soziale
Anerkennung der Ansprüche der einzelnen Individuen, auf dem
Arbeitsmarkt präsent zu sein.
Arbeitslosigkeit,
ein rechtlicher Status
Dieses
Modell gewinnt an Bedeutung nach dem Zweiten Weltkrieg, in Verbindung
mit einer Wirtschaftsplanung, die den
Mangel an Arbeitskräften lösen will. Die Verfassung von 1946
(in Frankreich) schließt diesen Prozeß ab, indem sie den
Arbeitslosen definiert als einen verfügbaren
Beschäftigungssucher, was als Gegenstück zur staatlichen
Verpflichtung
anzusehen ist, Vollbeschäftigung sicherzustellen.
Statt einer Pflicht ist die Beschäftigung ein Recht, aus der
Arbeitslosigkeit wird in gleicher Weise ein Recht, das zu einem
rechtlich fixierten Status führt. Diese Anerkennung des
Arbeitslosen als Rechtssubjekt impliziert auch eine soziale
Abstützung.
Die
öffentliche Aufgabe der Vermittlung und der Kontrolle
Nach dem
Krieg setzt sich eine dirigistische Konzeption durch, und die Rolle der
Vermittlungsämter beschränkt sich den
Arbeitslosen gegenüber auf Kontrollaufgaben. Um dem
entgegenzuwirken, wurde 1967 das ANPE, ein Bundesamt für
Beschäftigung gegründet. Dieser neue Organismus
übernimmt die administrativen Aufgaben, doch die Vermittlung wird
als
prioritär bezeichnet. Nachfolgende Reformen verbinden enger die
Inskription (Meldung) mit der Suche nach
Beschäftigung, damit also jene Arbeitslosen zu eliminieren, die
sich von dieser Norm entfernen. Institutionelle
Kodifizierung der Arbeitslosigkeit und Administrative Kodifizierung
sind also vor allem Formen der sozialen Kontrolle
einer Bevölkerung deren Inaktivität Beunruhigung erzeugt. Die
Politisierung der Zahlen über die Arbeitslosigkeit bestätigt
diese Tendenz nur.
Die
Kodifizierung des Arbeitslosen als Beschäftigungssuchenden
Diese
Qualifizierung verpflichtet zur Suche nach Arbeit und impliziert eine
Kontrolle der als arbeitslos anerkannten
Personen. Jede Einschreibung ist nur vorläufig und bedarf der
wiederholten Erneuerung. Eine Nichtbeachtung dieser
Vorschriften führt zu einer automatischen Streichung von der
Liste, damit auch der Vorteile, die mit dem Status der
Arbeitslosigkeit verbunden sind. Aufgabenschwerpunkt des Amtes sind
jene, die wirklich eine Beschäftigung oder
Ausbildung suchen, kurz alles, was der beruflichen Wiedereingliederung
dient. Unter diesem Titel hat das Amt die Qualität
des Arbeitssuchenden zu beurteilen und seine Akte der Suche nach Arbeit
zu überprüfen. Der Aufwand für die Verwaltung
der Akten steht in keinem Vergleich zu jenem, welche der Verbesserung
der Informationen über den Arbeitsmarkt dienen.
Ein alter Direktor des Amtes: Verfeinertes statistisches Zahlenmaterial
über die Arbeitslosigkeit und Informationen über
die Beschäftigung selbst stehen in einem groben
Mißverhältnis.
Eine
Institutionalisierung der Arbeitslosigkeit?
Diese
Fassung der Arbeitslosigkeit in einer sozialen/institutionellen Form
steht in einem Wechselverhältnis mit dem
individuellen Verhaltensweisen. Mit dem Ende der 60er Jahre steigt die
Zahl der Arbeitslosen, bedingt einerseits durch die
Verbesserung der sozialen Entschädigung, andererseits durch die
Eröffnung zusätzlicher regionaler Arbeitsämter, womit
die Schalter näher zu dem Kunden kommen. Damals bestand noch ein
Mangel an Arbeitskräften, für Einschreibungen
(Meldungen) beim Amt wurde geworben. Gegen Monatsende hat sich der
Indikator für die Nachfrage nach Beschäftigung
jeweils stark verändert, verringert. Diese Veränderung der
Verhaltensweisen haben sich weiter verstärkt: zuerst bei jenen,
die am besten entschädigt werden, (aus ökonomischen
Gründen Entlassene), dann bei jenen, die keine soziale Absicherung
haben (Familienväter), schließlich bei jenen, die nicht in
gleicher Weise daran interessiert sind, sich zu melden oder
gemeldet zu bleiben (wiedereinsteigende Frauen, Jugendliche auf der
Suche nach der ersten Beschäftigung). Diese
Tendenzen wurden als Anzeichen der Institutionalisierung der
Arbeitslosigkeit interpretiert: Arbeitslosigkeit ist identisch
mit der offiziellen Anerkennung durch die Vermittlungsämter
(Marchand Thelot 1983). Nach dieser These wirkt sich die
Unterbeschäftigung mehr und mehr als Arbeitslosigkeit aus, wobei
die Arbeitssuchenden sich bereitwilliger vor den
lokalen Ämtern deklarieren. Dennoch gibt es seit den 80er Jahren,
mit der Verknappung der Beschäftigung, auch
Gegentendenzen. Die Einschreibung bedeutet also die
Kategorisierung/Kodifizierung einer individuellen Situation in einer
institutionellen Form. Diese Institutionalisierung bedeutet, daß
die juridische Definition genauer geworden ist, gleichzeitig
aber auch die Konturen der sozialen Kategorie der Arbeitslosigkeit
verschwimmen, unschärfer werden.
2.
Die Ausmaße der Arbeitslosigkeit
Heute, in
einer Zeit rasch ansteigender Arbeitslosigkeit ändern sich auch
rasch die Kategorien zur Erfassung der
Arbeitslosigkeit und die Neubestimmung der sozialen Lagen (der sozialen
Statusse).
Arbeitslose
und Nicht-Arbeitslose, eine unscharfe Grenze
Die
Erfassung der Arbeitslosigkeit nach juridischen Standards bedeutet
jedoch nicht das Ende der Debatte über die
Zuerkennung dieses Status an Personen ohne Beschäftigung, um so
mehr, als sich die Positionen in der Nähe der
Arbeitslosigkeit vervielfachen.
Die
Figur des falschen Arbeitslosen
Die
Kontrolle der Nutznießer impliziert im Ansatz bereits das Bild
von den falschen Arbeitslosen. Offensichtlich
ideologische Konnotationen, dennoch Versuche oder
empirisch-operationelle Überprüfung. Eine Studie vom Ende der
60er
Jahre (aus der Lorraine) filtert besondere Fälle heraus, die 70
Prozent der Nachfrage darstellen (Jugendliche unter 21,
Ältere als 50 Jahre und mehr, Behinderte, freiwillig gegangene)
und 30 Prozent "repräsentative Meldungen" festgehalten,
was dann zur Unterscheidung der beiden Gruppen der Willigen
(volontaires) und der nur Wollenden (Wünschenden)
(velléitaires). Diese Dichotomie stützt sich auf eine
Abschätzung der Beschäftigbarkeit, die sich gleichzeitig auf
den
Zustand der Nicht-Beschäftigung, den Willen zu Arbeiten
(größer oder kleiner) die Möglichkeiten es zu tun, die
eine
Funktion der Fähigkeiten und Arbeitsangebote sind. Das Fehlen des
Willens zur Arbeitssuche und die Unfähigkeit Arbeit
zu finden: dies sind zwei komplementäre Kriterien der
Disqualifikation. Die falsche Arbeitslosigkeit ist also eine
symbolische Kategorie zum Zwecke, die Arbeitslosenzahlen mit Argwohn zu
betrachten.
Nähe
zur Arbeitslosigkeit: für die Älteren
Frühpensionierungen
sollen für inopportun gehaltene Bewerbungen vom Arbeitsmarkt
entfernen. Also bestimmte Anreize
für solche, deren Beschäftigung bedroht ist. Davon wurden
zwischen 1972 und Mitte der 80er Jahre eineinhalb Millionen
Arbeitnehmer betroffen, bis aus Kostengründen davon Abstand
genommen würde: ein Frührentner kostet drei mal mehr als
ein Arbeitsloser. Für die Betriebe war dies eine Möglichkeit
der Verjüngung und Verbilligung der Belegschaft, für die
Gewerkschaften eine soziale Errungenschaft (früheres Arbeitsende).
Daher eine ambivalente Beziehung zur Kategorie der
Arbeitslosigkeit: wer über 55 ist und seine Arbeit verliert,
für den ist der Rückzug vom Arbeitsmarkt die soziale Norm.
Seit
1984 gilt folgende Vereinbarung: gegen die Zusicherung einer
Entschädigung verzichtet der Arbeitslose auf die Suche nach
Arbeit (bis zur Rente). Für die Arbeitslosenzahlen bedeutet dies:
sie bewahren den Status eines Arbeitslosen, sind aber von
Arbeitssuche dispensiert, verlieren also das Merkmal eines Nachfragers
nach Arbeit (1994: 300.000 Personen in
Frankreich). Dies verschiebt die Kodifizierung der Arbeitslosigkeit in
Richtung "Wahrscheinlichkeit eine Beschäftigung zu
finden". Also ein Beitrag zur Aufweichung der Kategorie der
Arbeitslosigkeit.
Von
Nachfragern nach Arbeit zu "nur Eingeschriebenen"
Die
Beziehungen zwischen dem Amt (ANPE) und den Arbeitslosen tragen
ebenfalls dazu bei, die Grenzen der Kategorie
der Arbeitslosigkeit zu modifizieren, denn sie hat vor allem den Zweck,
individuelle Situationen zu qualifizieren
(definieren). Einen beträchtlichen Teil der Gemeldeten pflegen die
Beamten die Hilfen zum Zugang zur Beschäftigung
vorzuenthalten. Dies waren zum Beispiel 1987 an die 700.000
Langzeitarbeitslose; den anderen wird geboten: Ausbildung,
Orientierung, Evaluation, seltener: eine Beschäftigung.
Es kommt also zur Fragmentierung des Status des Arbeitslosen in
verschiedene soziale Status(se) (soziale Lagen), in
bestimmte Arten sich mit diesen Status(en) zu beschäftigen.
Einerseits die Figur des kodifizierten klassischen Arbeitslosen,
andererseits die nur Gemeldeten, die keine Ansprüche auf Hilfen
zur Wiedereingliederung haben, daher gleichzeitig
ausgeschlossen und in der Arbeitslosigkeit eingeschlossen sind.
Zwischen diesen beiden Extremen gibt es einen mittleren
Bereich, in dem die wachsende Zahl der Programme zur Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit wirksam werden können. Der
Prozeß der sozialen Konstruktion der Kategorie der
Arbeitslosigkeit ist also keineswegs abgeschlossen: ein neues
normatives Modell scheint zu entstehen, das sich auf die
Abschätzung der Chancen, eine Beschäftigung zu finden
stützt.
Damit verbundene Unsicherheiten berühren nicht die soziale
Kategorisierung.
Arbeitslosigkeit,
eine verbindliche Kategorie?
In den
Diskussionen um die Arbeitslosigkeit tauchen stets neue Kategorien auf:
Langzeitarbeitslose, Arme,
Ausgeschlossene (Exkludierte). Es erhebt sich also die Frage nach der
Stellung der Arbeitslosigkeit in der gegenwärtigen
Gesellschaft.
Arbeitslosigkeit
und Langzeitarbeitslosigkeit
Vor 100
Jahren wurde die Langzeitarbeitslosen nicht zu den Arbeitslosen
gerechnet, heute schaut es so aus, daß der
Archetypus des Arbeitslosen der Langzeitarbeitslose ist. Den Begriff
der Langzeitarbeitslosigkeit hat 1968 die OECD
eingeführt, um eine Arbeitslosigkeit länger als sechs Monate
eigens zu bezeichnen. Anfang der 80er Jahre wurde ein
Zeitraum von zwölf Monaten festgelegt, also eine Zeitspanne,
jenseits derer sich die Situation der Betroffenen erheblich
verschlechtert. Die Verbreitung dieser Kategorie ist jedoch der
Verkündigung besonderer politischer Maßnahmen
zuzuschreiben, welche die Langzeitarbeitslosigkeit der Arbeitslosigkeit
gegenüber verselbständigen. De facto ist die
Kategorie der Langzeitarbeitslosigkeit eine administrative Konvention.
Doch sie tangiert die Bedeutung von
Arbeitslosigkeit: Langzeitarbeitslosigkeit weist hinsichtlich des
Produktionsbereiches eine periphere Stellung zu.
Arbeitslosigkeit
und die neue Armut
Die (neue)
Armut wurde in den 80er Jahren in der Öffentlichkeit (Medien)
wieder entdeckt, also ein Anzeichen einer Krise
der Repräsentationen der Nicht-Beschäftigung, welche mit der
ökonomischen Krise einhergeht. Ideologische Funktion des
Ausdrucks neuer Arbeitslosigkeit: Hinweis darauf, daß die Armut
eliminiert gewesen ist; die "alten Armen" wurden nicht
mehr als Arme identifiziert, sondern als Invalide, Alte, Waisen, sozial
Bedürftige. Die neue Armut begründet vor allem
einen Gegensatz zur alten Armut. Der Ausdruck verweist auf den
Zusammenhang von Armut und nicht zu beeinflussenden
ökonomischen Gegebenheiten. Gesetzlich wird diese Situation
berücksichtigt durch RMI (revenu minimum d' insertion),
womit die alte Logik der Hilfestellung außer Kraft gesetzt wird.
Während die Kategorien der Arbeitslosigkeit und der
Armut relativ stabil sind, sind jene der Langzeitarbeitslosigkeit und
der neuen Armut unscharf, durchlässig.
Arbeitslosigkeit
und Exklusion
Exklusion
ist ein seit Anfang der 80er Jahre in den Medien geläufiger
Begriff. Er hat in den Jahren seither seine Bedeutung
geändert, bezeichnet heute
- eine Situation ökonomischer Knappheit (Prekarität)
- eine Situation sozialer Isolation
- eine Situation des Bruches in den Sozialbeziehungen (bedingt durch
den Mangel an Arbeit)
Verwendung
und Extension des Begriffes sind sehr variabel, insofern damit auch
alle Beschäftigungslosen, Obdachlosen
etc. gemeint sind; also kein bestimmter Inhalt, sondern eine
Möglichkeit der Sprache, analytische Schwierigkeiten und
damit verbundenes Unbehagen zu maskieren (verbergen). Dennoch ist die
Verwendung nicht sozial neutral: man spricht
von den Ausgeschlossenen nicht aber: ich bin ausgeschlossen.
Die Exkludierten sind nicht ausgebeutet, sondern ignoriert. Sie
nützen dem System nichts; der Kampf gegen die
Exklusionen ist Aufgabe der Inkludierten; Exklusion begrenzt die
stimmen- und sprachlosen Orte, artikuliert sich in der
Sprache der anderen. Exklusion ist demnach vorerst eine Kategorie des
politischen Diskurses. Unklar ist, ob dieser
Ausdruck dazu dient, die gegenwärtigen Entwicklungen besser zu
verstehen und ihnen entgegenzuwirken. Es gibt noch
keine engagierte Debatte diesbezüglich, was die klare Bedeutung
von Exklusion ist, die ohne objektive Übersetzung und
subjektive Rechtfertigung bleibt. Also Schwierigkeiten, diese Position
in der sozialen Struktur zu lokalisieren.
Wo ist
die Arbeitslosigkeit, wo sind die Arbeitslosen?
Die
Entstehung der Kategorie der Arbeitslosigkeit ist im Detail
nachgezeichnet. Offen ist die Frage der Arbeitslosigkeit in
der sozialen Struktur: was ist der Status des Arbeitslosen, wo ist der
Status der Arbeitslosen gegenüber anderen sozialen
Statuslagen einzuordnen? De facto werden die gesellschaftlichen
Vorstellungen (Repräsentationen) nachhaltig von den
statistischen Kategorien beeinflußt, wie zum Beispiel bei aktiven
Beschäftigten, Inaktiven und aktiven Nichtbeschäftigten
(Arbeitslose im statistischen Sinne). Diese Taxonomien sind wenig
stringent, um die Situation einzelner, die ohne Arbeit
sind, in der sozialen Situation zu bestimmen. Daher ein Versuch, eine
Statushierarchie zu erstellen
a)
Beschäftigung mit stabilem und ständigem Status: (Archetyp,
öffentlicher Angestellter/Beamter).
b) Beschäftigung ohne Status: prekäre, vorübergehende
Beschäftigung
c) von der Beschäftigung abgeleiteter Status, die gewisse Rechte
auf eine Beschäftigung sicherstellen (Arbeitslose mit
Entschädigung, Frühpension, Arbeitsinvaliden); vergangene
Beschäftigung; künftige Beschäftigung (Praktikanten,
kurze
Arbeitseinsätze)
d) Status, abgeleitet aus der Sozialversicherung
e) jene ohne Status, d.h. bei Absenz jedes Anspruchs auf nationale
Solidarität und auf einen sozialen Beitrag. Diese
Taxonomie, orientiert an der Entfernung zu einer ständigen
Beschäftigung, stellt die Heterogenität der juridischen
Positionen der Arbeitslosen heraus, da es keinen allgemeinen Status
gibt, sind die einzelnen Arbeitslosen auf die
verschiedenen Positionen verstreut.
Diese
Verteilungen machen soziologische Analysen der Arbeitslosigkeit
delikat, dies noch um so mehr, als die sozialen
Positionen der Arbeitslosen heterogen sind. Hinsichtlich der Rechte auf
soziale Absicherung sind die Positionen variabel,
ebenso hinsichtlich der Beziehung zur Beschäftigung: Verankerung
in einer anerkannten beruflichen Vergangenheit bis zu
Logik der Exklusion ohne Zukunftsperspektive. Es gibt also eine
ständige Spannung zwischen dem historischen Prozeß der
Kodifizierung der Arbeitslosigkeit und der Bewegung an den Rändern
der Kategorie der Arbeitslosigkeit. In den letzten
Jahren haben sich die Zwischenlagen (zwischen Beschäftigung,
Arbeitslosigkeit und Inaktivität) vervielfacht, was es
erschwert, die Folgen der Beschäftigungskrise zu erkennen und den
Sinn der gelebten Erfahrung zweideutig gemacht.
Wenn sich die Formen der Arbeitslosigkeit diversifiziert haben, so
haben sich die Formen außerhalb des Bereichs der
Beschäftigungen ihre klare Erkennbarkeit eingebüßt
(sind opak geworden).
Die
Soziologie ist also bei der Analyse der Bedeutungen der Kategorie der
Arbeitslosigkeit mit zunehmenden
Schwierigkeiten konfrontiert. Die zuverlässigsten Untersuchungen
sind also aus einer historischen Perspektive entstanden:
- über die Erfindung der Arbeitslosigkeit
- über die Geburt des Arbeitslosen
- über die Quellen der Arbeitslosigkeit.
Die
Artikulationen im Zusammenhang mit der Erforschung der Arbeitslosigkeit
sind erst noch zu konstruieren. De facto ist
die gegenwärtige Zeit gekennzeichnet durch eine "Krise der
Arbeitslosigkeit", durch eine Zweideutigkeit, die sich ergibt
aus den Transformationen der Formen und Manifestationen der
Arbeitslosigkeit wie auch der Begriffe, Kategorien und
mobilisierten Repräsentationen, um diese mehr und mehr
fließende Realität zu verstehen. Daher ist es wichtig,
besser die
Entwicklungen zu erfassen, welche die Arbeitslosigkeit beeinflussen und
die betroffenen Bevölkerungsgruppen tangieren.
II. Maße
und Grenzen der Arbeitslosigkeit
Zunächst
zur Bedeutung dieser Thematik: das Maß der Arbeitslosigkeit gilt
als einer der fundamentalen Indikatoren für den
Zustand einer Wirtschaft und einer Gesellschaft. In der Perspektive des
Verhältnisses der Gesellschaft zu den Statistiken
der Arbeitslosigkeit sind diese jeher ein Objekt der Analyse als ein
Mittel der Analyse. Jenseits der statistischen
Übereinkünfte häufen sich die Manifestationen des
Entzuges (privation) von Beschäftigung, mit der Vervielfachung
unbestimmter Situationen löst sich der Begriff der
Arbeitslosigkeit auf. Zwischen den juridischen und statistischen
Definitionen und den Situationen der Beschäftigungslosen tun sich
tiefe Gräben auf. Die Analyse der Zählvorgänge ist
daher ein wichtiger Schritt dazu, die Entwicklungen zu erfassen, welche
die Arbeitslosen in der Gesellschaft einnehmen.
1.
Wie sind die Arbeitslosen zu zählen?
Die
statistische Erfassung ist keineswegs ein rein technischer Vorgang;
denn sie beruht auf sozialen Konventionen, die in
statistische Kategorien übersetzt worden sind. Daher ist es
nötig, die Urteile über die soziale Legitimität der
Suche nach
Arbeit, die den Kriterien zugrundeliegen, mit zu berücksichtigen.
Die Schwierigkeit der zahlenmäßigen Erfassung der
Arbeitslosigkeit: in einer Gesellschaft, wo sich der soziale Wert eines
Individuums von der Beschäftigung herleitet, bleibt
Arbeitslosigkeit Ursprung eines Skandals. Daher kommt der Frage der
zahlenmäßigen Bestimmung eine große Bedeutung zu
für die Repräsentationen und die Diskurse.
Arbeitslosenzahlen
als Gegenstand von Kontroversen (Polemiken): diesbezügliche
Polemiken sind nicht neu, doch in
Anbetracht des Ausmaßes der Arbeitslosigkeit heftiger geworden.
Die offiziellen Expertenberichte sind keineswegs in der
Lage, Zweifel auszuräumen. Die Variabilität der Definitionen
von Arbeitslosigkeit hängt direkt damit zusammen, daß die
Arbeitslosen-Statistiken Ziel einer sozialen oder institutionellen
Kontrolle sind, die wichtiger ist als andere Kontrollen.
Wer ist
arbeitslos und wer nicht? Wann wird man arbeitslos und wann ist man es
nicht mehr? Wieviele Arbeitslose gibt es?
Sind alle erfaßt und zählbar? Auf diese Fragen gibt es keine
definitiven Antworten, weil solche von den akzeptierten
Konventionen abhängig sind. So gibt es weder eine "gute"
Definition noch ein "exaktes" Maß von Arbeitslosigkeit, sondern
so viel Statistiken wie Arten von Konventionen, Arbeitslosigkeit zu
begreifen. Die Berechnung der Zahlen impliziert,
Schritte vorzunehmen in Situationen, die im Flusse sind. Zugrunde liegt
die Hypothese, die gesamte Population ließe sich
unterteilen in Inaktive, aktive Beschäftigte und Arbeitslose.
Für die Empirie wird es immer schwieriger, die Grenzen zu
ziehen zwischen diesen Kategorien. Unfreiwillig
Kurzzeitbeschäftigte befinden sich zwischen Aktivität und
Arbeitslosigkeit, Inaktivität (aufgrund verschiedener Ursachen)
kann eine Form versteckter Arbeitslosigkeit sein.
Diese
flüchtigen Grenzen lösen Kontroversen aus und führen zu
Bemühungen, die Berechnungsmethoden zu verbessern. Ist
ein Beschäftigungsloser in einer Ausbildungsphase ein
Arbeitsloser? Ein Beschäftigungsloser, der Schwarzarbeit
verrichtet,
ein Arbeitsloser? Ein Beschäftigungsloser, der wegen Entmutigung
keine Arbeit sucht, ein Arbeitsloser? Ein
Beschäftigungsloser, der von Arbeitssuche dispensiert ist, ist er
ein Arbeitsloser?
Ein
Problem der Anerkennung und der sozialen Legitimität
Unsicherheiten
sind also weder Resultat mangelhafter Meßinstrumente noch des
politischen Machiavellismus, sondern sie
spiegeln die Diskussionen über die Anerkennung der Formen von
Beschäftigungslosigkeit als Arbeitslosigkeit. Da es keine
wissenschaftlich zweifelsfreie Kategorie gibt, sind Kontroversen
unvermeidlich. Eine Festlegung der Grenzen der
Arbeitslosigkeit ist daher eine soziale Konstruktion, eine Konvention.
Die Arbeitslosenzahlen sind also weder eine einfache
Aufaddierung der Personen ohne Arbeit noch die Zählung derer, die
sich als Arbeitslos erklären. Die Arbeitslosigkeit ist
das Produkt des Zusammenspiels zwischen individuellem Erklärungen
oder Ansprüchen (Ego bezeichnet sich als
arbeitslos) und sozialer Anerkennung, die organisiert wird durch
Vorschriften und soziale Normen (Kompetenz einer
legitimen Autorität). Das Ausmaß der sozialen
Legitimität der Arbeitssuche ist eine soziale Konstruktion. Die
Vorstellungen über die Legitimität ändern sich mit
bestimmten sozialen Merkmalen: 80 Prozent halten es für
völlig oder
ziemlich normal, daß die Frau eines beschäftigten Mannes
arbeitslos ist (Sofres 1993); derartige Vorstellungen gehen nicht
direkt in die Vorschrift des Zählens ein, doch ist jede Messung
von Arbeitslosigkeit eine Bestimmung der legitimen
Arbeitslosigkeit, und diese Legitimität ist unterschiedlich nach
sozialer Zugehörigkeit. Eine Präzisierung der
Berechnungsmethoden läuft also nicht auf eine Denunziation der
Statistik hinaus, sondern auf eine Bestimmung der
sozialen Kategorisierungen, auf denen jene beruhen.
Die
verschiedenen statistischen Konventionen
Die
Bestimmung der Arbeitslosigkeit in Frankreich kann sich auf drei
statistische Quellen und ebensoviele Definitionen
berufen:
a) Arbeitslosigkeit im Sinne der Bevölkerungszählung
b) Arbeitslosigkeit im Sinne der ILO, kalkuliert auf der Basis der
Nachfrage
c) Arbeitslosigkeit im Sinne nach den Unterlagen den ANPE
Zu a)
erfolgt ca. alle sieben Jahre, berücksichtigt spontane Aussagen,
arbeitslos zu sein, ungeachtet dessen, ob sie beim
Amt gemeldet sind oder nicht, plus gewisse Inaktive (Mütter,
Hausfrauen, Pensionisten), die angeben, Beschäftigung zu
suchen. Daher sagt man oft, dies sei das am meisten subjektive
Maß, weil es auf dem Gefühl beruhe, zur Kategorie der
Arbeitslosen zu gehören.
Zu b) Zählungen im Sinne
der ILO beruhen auf Normen, die internationale Vergleiche
ermöglichen. Kriterien sind hier:
Personen ohne Beschäftigung, verfügbar zur Arbeitsaufnahme,
aktive auf der Suche nach einer bezahlten Beschäftigung
(oder nicht). Jährliche Erhebungen des statistischen Zentralamtes
bei einer Stichprobe von 60.000 Personen; diese Zahlen
dienen auch als Grundlage für die monatlichen Extrapolationen, die
das Arbeitsministerium bekannt gibt. Wenn diese
Untersuchung auch als die verläßlichste hinsichtlich der
Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt gilt, so wird die
Validität
doch beeinflußt durch eventuelle Veränderungen des
Fragebogens, die bei jeder Erhebung vorgenommen werden. Hinter
einem ungleichem Label: Arbeitslosigkeit im Sinne der ILO, verbergen
sich also Störungen, Brüche im Ablauf.
Zu c) Statistiken des ANPE
sind administrativer Natur: sie ergeben sich aus der Zählung der
Nachfrage nach Arbeit,
monatlichen Zahlen als Funktion der Verhältnisse zwischen
Eintritten und Austritten. Die Zahlen werden saisonbereinigt,
d.h. sich wiederholende Fluktuationen zwischen den einzelnen Jahren
werden berücksichtigt (z.B. Bruttozahl der
Jugendlichen, die sich nach dem jährlichen Abschluß eines
Schuljahres als arbeitslos melden). Diese Messung ist ein
wertvoller Indikator für die Konjunktur auf dem Arbeitsmarkt.
Berücksichtigt werden jedoch nur jene, die nach den
geltenden Regeln als Arbeitssuchende anerkannt werden. Das heißt,
die produzierten Zahlen sind direkt abhängig von den
rechtlichen Regeln der Verwaltung der Arbeitsnachfrage und ihrem Wandel
im Zeitablauf. Arbeitslosigkeit im Sinne der
ILO und des ANPE sind regelmäßig vorliegende Zahlen. Drei
Kriterien liegen zugrunde: ohne Beschäftigung (sein), zur
Arbeit verfügbar, wirksame Suche nach Arbeit.
Drei
zentrale Kriterien
Die
Definition der Arbeitslosigkeit ist abhängig von jener der
Beschäftigungslosigkeit, denn arbeitslos sein ist ohne
Beschäftigung sein. Im Kontext der Verallgemeinerung des
Lohnarbeitsverhältnisses, orientiert am Modell einer Vollzeit-
und Dauerbeschäftigung, sind die Grenzen zwischen beschäftigt
und beschäftigungslos klar. Sie verschieben sich jedoch
mit der Diversifizierung des Status der Beschäftigung und der
Ausbreitung besonderer Formen der Beschäftigung.
ILO:
Beschäftigungsverlust bedeutet, die Person hat in der Erhebung in
der vorangehenden Woche nicht gearbeitet, nicht
eine einzige Stunde.
ANPE: die
berufliche Vergangenheit spielt keine Rolle bei der Bestimmung von
Arbeitslosigkeit, entscheidend ist: die
Suche nach Arbeit; es gibt drei Kategorien von Arbeitsnachfrage:
Kategorie 1:
Suche nach Vollzeitbeschäftigung auf Dauer
Kategorie 2: Suche nach Teilzeitbeschäftigung auf Dauer
Kategorie 3: Suche nach vorübergehender (temporärer) oder
Saisonbeschäftigung.
Die letzten
beiden Kategorien werden besonders ausgewiesen; für
gewöhnlich bezieht sich die Zahl der Arbeitslosen lauf
die Kategorie 1. Arbeitslosigkeit im administrativen Sinne ist also das
Gegenteil einer dauerhaften Vollzeitbeschäftigung.
Verfügbarkeit:
laut INSEE: verfügbar ist, wer binnen zwei Wochen im Falle
leichter Erkrankung: vier Wochen zur Arbeit bereit ist.
ANPE: hier hat sich die Definition oft verschoben, ist jetzt Gegenstand
einer rechtlichen Kodifizierung: wer mehr als 78
Stunden pro Monat beschäftigt ist, gilt als nicht mehr
verfügbar.
Derartige
Nachfrage wird in Kategorie 5 eingeordnet: Beschäftigte auf der
Suche nach einer anderen Beschäftigung. Gilt
auch für jene Gemeldeten, die mehr als 40 Stunden in einer
Ausbildung stehen, egal ob entschädigt oder nicht.
Diese sind in Kategorie 4: ohne Beschäftigung nicht unmittelbar
verfügbar, aber auf der Suche nach Beschäftigung.
Suche nach
Beschäftigung:
ILO: empfiehlt
flexible Handhabung, je nach den besonderen Eigenheiten nationaler
Arbeitsmärkte; in Frankreich: Suche
nach Beschäftigung wird erhoben mit einem Bündel von Fragen,
praktisch aber gilt: Arbeitssuche in dem der Erhebung
vorangehenden Monat. Arbeitsrecht: verpflichtet jeden Disponiblen zur
positiven Akten der Suche nach Beschäftigung; es
besteht Rechtfertigungspflicht, unter Androhung des Ausschlusses.
ANPE: hat die Aufgabe, die Qualität des Nachfragens
abzuschätzen und die Schritte der Suche nach Beschäftigung zu
überprüfen; Veränderungen in den Kontrollen
verstärken die diskriminierenden Effekte dieses Kriteriums.
Umstände
der statistischen Erfassung
ebenso
vielfältig wie die statistischen Definitionen sind die
Umfänge der Arbeitslosigkeit, die sich aus den jeweiligen
Konventionen ergeben. Auch wenn sich die Zahlen Nach ILO und INSEE
gleichen, so enthalten sie nicht dieselben
Proportionen: z.B. 1979 waren 25 Prozent der einen Untersuchung nicht
in den Zahlen den INSEE, 32 Prozent nicht
gemeldet bei der ANPE.
Die
Unterschiede zwischen den Arbeitslosenzahlen
Ende der
80er Jahre ist der Abstand zwischen den Arbeitslosenzahlen zwischen ILO
und ANPE größer geworden, hat sich
nun eingependelt in einer Lücke zwischen 200.000 und 350.000.
März 1995: ILO zählte 2.935.000 Arbeitslose, ANPE 3.321.000
Arbeitslose Kategorie 1. Zählt man dazu Arbeitslosigkeit
Kategorie 2 und 3 (suche nach vorübergehender Arbeit oder
Teilzeit), so wird der Abstand größer: es sind 860.000. Die
Bedeutung der Differenzen zwischen den Zahlen läßt sich
präzisieren. Ein Teil derer die von der
Beschäftigungserhebung
gezählt werden, sind nicht beim ANPE eingeschrieben: 1985 385.000,
1993 328.000: die Differenz wird also weniger. Die
Meldung beim ANPE wird von der Erhebung immer schlechter erfaßt,
obwohl zu diesem Zweck der Fragebogen verbessert
worden ist. Dies deutet darauf hin, daß die Schwierigkeiten einer
statistischen Erfassung der Arbeitslosigkeit zunehmen.
Ähnliche Schwierigkeiten bestehen beim Vergleich der Zahlen ANPE
und ILO:
1985 Differenz von 650.000
1993 Differenz von 1.184.000
Die
eingeschriebenen Nicht-Arbeitslosen stellen eine heterogene Kategorie
dar, die mehrere Gruppen umfaßt: als Aktiv
klassifizierte Personen, weil Teilzeitbeschäftigt
als Inaktiv klassifizierte Personen, weil sie nicht disponibel sind
oder weil sie nicht aktiv auf Arbeitssuche sind und eine
nicht interpretierbare Restgröße. Die rasche
Vergrößerung der Differenz ergibt sich daraus, weil die Zahl
der Gemeldeten,
aber nicht Arbeit suchenden, rasch zunimmt: 1985 75.000, 1993 378.000,
also fünf mal mehr. Dies ist schwierig zu
interpretieren, doch deutet es auf eine Vergrößerung an den
Rändern der Arbeitslosigkeit hin und auf eine Vernebelung der
Grenzen zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit.
Die
Multiplikation der statistischen Kategorien
Individuelle
Situationen und statistische Normen decken sich nur teilweise. Mit der
Verfeinerung der statistischen
Kategorien zeigt sich die Arbeitslosigkeit und ihr HALO (Hof).
Unterscheidung zwischen Subpopulationen, die sich nur
teilweise überschneiden:
a) Arbeitssuchende
b) gemeldete Arbeitslose
zu a)
Arbeitssuchende werden in zwei Gruppen marginalisiert
aa) die nicht Verfügbaren, aus familiären Gründen oder
Gründen der Ausbildung (meistens)
bb) die nicht aktiv Suchenden
zu b)
gemeldete Arbeitslose:
aa) jene, die nur gemeldet sind, sonst nichts unternehmen
bb) nur gemeldet, aber als entmutigte Arbeitslose qualifiziert.
Diese
genauere Fassung der Kategorien kann zwei widersprüchliche
Bedeutungen haben: einerseits lassen sich die
statistischen Verfeinerungen als Versuch lesen, unklare oder
zweideutige Situationen auszuschließen, um damit sich der
Definition der ILO anzunähern, deren Logik darauf gerichtet ist,
die wirkliche Arbeitslosigkeit zu begrenzen. Andererseits
geht es aber um die Zweideutigkeiten des Begriffes der
Arbeitslosigkeit. Nur mit anderen und zahlreichen Indikatoren
ließen sich erfassen
jene, die
gegen ihren Willen Teilzeitarbeit verrichten müssen,
jene, die alle Hoffnung verloren haben,
jene, die ein Training absolvieren in Ermangelung besonderer
Möglichkeiten,
jene, die Löhne unter dem Mindestlohn erhalten etc.
Der Begriff
der Arbeitslosigkeit wäre also zu ergänzen durch den der
Unterbeschäftigung, was klarmacht, daß das
begriffliche Problem der Arbeitslosigkeit vor allem das des Ausdrucks
"Aktivität" ist. Eine andere Möglichkeit, diese
Verschiebungen im Sinne von Arbeitslosigkeit zu erfassen, besteht
darin, die Erscheinung von Arbeitslosigkeit in den
letzten Jahrzehnten nachzuzeichnen.
2.
Tranformationen der Arbeitslosigkeit
Unabhängig
vom Gleichbleiben des Ausdrucks verändert sich die
Arbeitslosigkeit selbst. Dabei geht es nicht nur um eine
Soziographie der Arbeitslosen, sondern um Fragen zum Begriff der
Arbeitslosigkeit, um das Verständnis, in welchem
Ausmaß Arbeitslosigkeit ein soziales Problem geworden ist, wie
sich die Relationen zur Beschäftigung ändern, wie sich die
Bedeutungen und Statusse transformieren.
Arbeitslosigkeit
ist ein soziales Problem geworden
Die Zunahme
der Arbeitslosigkeit beginnt langsam in den 60er Jahren, als die aktive
Bevölkerung rasch zu wachsen
begonnen hat: die ersten Generationen des Babybooms kommen auf den
Arbeitsmarkt; Exodus aus der Landwirtschaft
beschleunigt sich und die Aktivität der Frauen nimmt rasch zu 1962
43 Prozent, 1968 55 Prozent, 1990 70 Prozent. Die
wachsenden Beschäftigungsmöglichkeiten erlaubten
zunächst, alle zu absorbieren. 1974 Beginn einer neuen Phase, mit
einer unglaublichen Zunahme der Arbeitslosenzahlen von 3 Prozent auf 10
Prozent 1987. Leichte Besserung zwischen
1988-1990, 850.000 neue Arbeitsplätze wurden geschaffen. Seit Ende
1990 gibt es wieder eine negative
Beschäftigungsentwicklung, Grenze von 3 Millionen Arbeitslosen
wurde 1993 überschritten. Beschäftigung und
Arbeitslosigkeit sind nicht in einer mechanischen Beziehung miteinander
verbunden, denn neue Arbeitssuchende dringen
auf den Markt. Dies verweist auf die Vermehrung der Anzahl der nicht
deklarierten Arbeitslosen, die sich zeigen, wenn es
Beschäftigung gibt.
Die
Unterschiede zwischen den Ländern: 1994 gab es in den Ländern
der OECD eine durchschnittliche Arbeitslosenrate
von 8,7 Prozent; die einzelnen Länder sind dabei unterschiedlich
betroffen.
Japan:
Arbeitslosenrate stets unter 3 Prozent der aktiven Bevölkerung;
Angleichungen an den Arbeitsmarkt: durch Rückzug
von ihm, besonders von Frauen, und Flexibilität bei den
Löhnen.
USA:
Archetyp des liberalen Modells: flexibler Arbeitsmarkt (geringe
Entschädigung bei Arbeitslosigkeit, einfache
Entlassungsmodalitäten, sehr niedere Mindestlöhne ...), dies
erlaubt Schaffung zahlreicher Beschäftigungsmöglichkeiten,
und somit den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu begrenzen; ungefähr
6 Prozent, doch spürbar höher als in Großbritannien
und Kanada, wo dieselben Prinzipien der Anpassung gelten. Diese Art der
Regulierung hat indes nicht einen starken
Anstieg der Armut innerhalb der Lohnarbeiterschaft verhindert,
ebensowenig die Exklusion, die mit erzwungener
Inaktivität verbunden ist.
Das
europäische Modell: wenig neue Beschäftigung und rascherer
Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Der Arbeitsmarkt ist
gekennzeichnet durch die Qualität der sozialen Vorteile (bessere
Entschädigung, geregelte Entlassung, höhere
Mindestlöhne) und durch eine gewisse Rigidität, welche die
Langzeitarbeitslosigkeit begünstigt. Unterschiede zwischen
den einzelnen Ländern sind nicht leicht zu erklären. Trotz
Bemühungen der Angleichung der Indikatoren bedingen die
sozialen Normen und besonderen rechtlichen Vorschriften eines jeden
Landes heterogene Konstruktionen der
Arbeitslosigkeit und der Inaktivität, z.B. die geringe
Entschädigung der verheirateten Frauen gegenüber ledigen
Frauen,
(Irland, Großbritannien, Deutschland, Niederlande) kann sie mit
der Zeit in die Inaktivität treiben. Diese Mechanismen der
Regulation verweisen auf "die nationalen Formen des gesellschaftlichen
Lebens", auf soziale Kohärenzen, die jeweils
unterschiedlich sind.
Arbeitslosigkeit
auf dem Arbeitsmarkt
Die sozialen
Bedeutungen der Arbeitslosigkeit verändern sich auch als Funktion
ihrer Rolle zur Steuerung der Mobilitäten
auf dem Arbeitsmarkt. So nehmen in Frankreich die "besonderen" Formen
der Beschäftigung stark zu. Prekäre
Beschäftigung ist gleichzeitig eine Vorstufe zur Einstellung wie
auch ein Vorspiel zur Arbeitslosigkeit. Wenn die Inhaber
einer peripheren Beschäftigung fix eingestellt werden, sind sie
meist viel gefährdeter für neue Arbeitslosigkeit als die
Inhaber von stabilen Dauerarbeitsplätzen. Die Zahlen zeigen,
daß das Auslaufen befristeter Arbeitsverträge der
häufigste
Grund zum Eintritt in die Arbeitslosigkeit ist. 1976: 17,2 Prozent,
1994 36 Prozent.
Diffusion
der Arbeitslosigkeit und Selektivität
Nicht jeder
Aktive trägt dasselbe Arbeitslosigkeitsrisiko. Es ist zu fragen,
ob der Anstieg der Arbeitslosigkeit, der die
Konkurrenz unter den Arbeitssuchenden verschärft, die
Selektivität der Arbeitslosigkeit vergrößert oder
verringert? Gibt es
eine Diffusion der Arbeitslosigkeit oder eine Konzentration auf
bestimmte Kategorien der Arbeitskräfte?
Eine hoch
selektive Arbeitslosigkeit: bei Berücksichtigung der
gebräuchlichsten Merkmale der sozialen Analyse
(Geschlecht, Alter, Berufsgruppe) zeigen sich wichtige Differenzen. Bei
einer Arbeitslosenrate im Sinne der ILO von 11,1
Prozent, wobei 9,4 Prozent Männer und 13,3 Prozent Frauen sind,
verringert sich gleichzeitig die Arbeitslosenrate
umgekehrt zum Alter: bis 25: ca. 25 Prozent, also fast ein Viertel
zwischen 25 bis 49 sind dies 10,1 Prozent
und 50 oder älter: da sind es 7,3 Prozent.
Dabei repräsentiert die mittlere Gruppe zwei Drittel der Aktiven
die junge Gruppe ca. 23 Prozent
die ältere Gruppe ca. 11,5 Prozent.
Ungleichheit
nach Berufsgruppen:
Höhere Angestellte und Freiberufler, weniger als 5 Prozent
Angestellte 13,9 Prozent (besonders Frauen)
Arbeiter 14,3 Prozent (besonders Männer)
Diese beiden Kategorien stellen 80 Prozent aller Arbeitslosen.
In zu
großem Maße der Arbeitslosigkeit betroffen sind:
Jugendliche, Arbeiter und Angestellte, Leute ohne Zeugnisse und
Frauen. Eine Verbindung dieser Merkmale führt zu enormen
Arbeitslosenzahlen: 45,4 Prozent bei jüngeren Frauen ohne
Schulzeugnisse.
Reduktion
oder Vergrößerung der Ungleichheiten:
Tendenziell
geht die Entwicklung auf eine Vergrößerung der
Ungleichheiten zu. Neuerdings nimmt die Arbeitslosigkeit
auch bei höheren Angestellten und Freiberuflern zu, ebenso bei
mittelständischen Berufen.
Arbeitslosigkeit
der Krise und Krise der Arbeitslosigkeit:
Entwicklung
der Langzeitarbeitslosigkeit ist zweifellos die wichtigste
Veränderung. Denn sie ist ein guter Indikator der
Entwicklung der sozialen Bedeutung der Arbeitslosigkeit und ihrer
Stelle auf dem Arbeitsmarkt.
Verlängerungen
der Dauer der Arbeitslosigkeit:
Arbeitssuchende:
Zahl von 1975 multipliziert sich bis 1993 mal 3,5
Langzeitarbeitslose: Zahl von 1975 multipliziert sich bis 1993 mal 9,5;
seit Mitte der 80er Jahre repräsentieren Langzeitarbeitslose
mindestens ein Drittel der beim AMDE gemeldeten.
Neue
Formen der Arbeitslosigkeit und neue Kategorien:
Das
klassische Bild vom Langzeitarbeitslosen (Alter, gesundheitlich
Beeinträchtigte) gibt es heute nicht mehr, denn es sind
auch massiv Erwachsene im mittleren Alter betroffen. Damit entsteht
eine neue Beziehung zwischen Arbeitslosigkeit und
Beschäftigung: ein Wiederfinden von Beschäftigung ist also
schwierig, doch ist weder ein Rückzug aus dem Arbeitsmarkt
noch ein dauerhaftes Engagement in kleinen Jobs eine positive
Alternative zur Arbeitslosigkeit.
Die Destabilisierung der
Kategorie der Langzeitarbeitslosigkeit hat zu neuen Ausdrücken
geführt: strukturelle Arbeitslose,
Langzeitarbeitslose von sehr langer Dauer, passive Arbeitslose,
willentliche Arbeitslose (velléitaires). Die unsichere
Beziehung zur Beschäftigung ist eines der wesentlichen Merkmale
der Arbeitslosigkeit der Krise, eine Periode chronischer
Unterbeschäftigung. Denn sie steht im Widerspruch mit der
klassischen Kategorie der Arbeitslosigkeit, verstanden als
unfreiwilliger, temporärer Verlust der Beschäftigung; daher
läuft dies auf eine Krise der Arbeitslosigkeit hinaus. Mit der
Entwicklung der Formen der Arbeitslosigkeit und der Formen der
Beschäftigung werden die sozialen Status(e )mehr und
mehr zweideutig: die Begleiterscheinungen des Status der
Arbeitslosigkeit weiten sich in tiefgehender Weise aus,
weitgehend invers zum Prozeß der Ausbreitung der
Lohnarbeitsverhältnisse, die zum Entstehen der Arbeitslosigkeit
führten. Daher die Frage nach den Bedingungen und
Modalitäten, wie aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen ist.
III. Wege aus der
Arbeitslosigkeit
Arbeitslosigkeit bedeutet
Positionsverschlechterung, bedingt durch den Verlust der
Beschäftigung. Wer arbeitslos wird,
muß schnell wieder aus dieser Situation heraus, damit daraus
nicht ein Dauerzustand wird. Doch nicht alle Arbeitslosen
finden gleich schnell wieder eine Beschäftigung, es gibt hier
offensichtliche Unterschiede. So hat die Soziologie der
Arbeitslosigkeit seit den 60er Jahren diese Unterschiede zu
erklären versucht und dazu den Begriff der „Verwendbarkeit"
(employabilité, englisch: employability) im Sinne der
Fähigkeit, eine Arbeit zu finden, eingeführt. Diese Art, das
Problem
zu sehen, hat sich noch verstärkt durch zunehmende
Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt. Wie entstehen und
organisieren sich die Unterschiede zwischen vorübergehend und
dauernd, zwischen gelegentlich und wiederholt
Arbeitslosen, zwischen solchen, die voraussichtlich arbeitslos werden
und es dann lange Zeit sind, zwischen Arbeitslosen,
die eine Beschäftigung suchen und solchen, die dies ablehnen?
Hinter solchen Fragen über die Arten und Formen der
Arbeitslosigkeit stehen sich verändernde Instrumente der Analyse
und Betrachtungsweisen. So hat auch der Begriff der Verwendbarkeit
wichtige Veränderungen erfahren: aus einer
einfachen statistischen Meßgröße ist ein Begriff
für die Prozesse der Mobilität auf dem Arbeitsmarkt geworden.
1. Maße für die
Verwendbarkeit des Arbeitslosen
Die „Verwendbarkeit" ist ein Begriff des
täglichen Gebrauchs geworden, sodaß jeder Arbeitslose in
Situationen der
Wiedereinstellung, der Neuorientierung oder Weiterbildung ipso facto
als „verwendbar", „nicht verwendbar", „kaum
verwendbar", „mittelmäßig verwendbar" eingestuft wird.
Dennoch ist die Verwendbarkeit nicht vorwiegend eine Kategorie,
um praktische Urteile über die individuellen Situationen der
Arbeitslosen zu sanktionieren. Es handelt sich dabei vielmehr
um eine statistische Schätzung, die es erlaubt, die relativen
Positionen verschiedener Kategorien von Arbeitslosen
festzulegen.
Die statistische Erfassung der
Verwendbarkeit
Der statistische Ausdruck der Verwendbarkeit und sein
Komplementärbegriff der Verletzbarkeit gestatten es, die
verschiedenen Ströme auf dem Arbeitsmarkt abzuschätzen.
Verletzbarkeit bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, als Teil einer
gegebenen Population zu einer bestimmten Zeit arbeitslos zu werden.
Verwendbarkeit ist hingegen die Wahrscheinlichkeit,
durch Zugang zu einer neuen Beschäftigung die Arbeitslosigkeit
hinter sich zu lassen.
Auf einem gegebenen Arbeitsmarkt
läßt sich die mittlere Verwendbarkeit durch Indikatoren
messen wie z.B. die mittlere
Dauer der Arbeitslosigkeit oder der Anteil von Arbeitslosen, die ein
Jahr und mehr arbeitslos sind. So kann man dann
sagen, daß sich die Verwendbarkeit verkehrt proportional mit der
mittleren Dauer der Arbeitslosigkeit und mit dem
relativen Gewicht der Langzeitarbeitslosigkeit ändert.
Während sich die Ökonomen vor allem für das allgemeine
Niveau
von Arbeitslosigkeit und Beschäftigung interessieren, geht es den
Soziologen mehr um die Beobachtung von Unterschieden
zwischen den Arbeitslosen, also um die differentielle Verwendbarkeit,
die mit bestimmten Merkmalen der Arbeitslosen
verbunden ist.
Die differentielle Verwendbarkeit mißt die Position verschiedener
Kategorien von Arbeitslosen, die sich bei der Suche nach
Arbeit gegenseitig konkurrenzieren: Alter, Geschlecht, Beruf,
Qualifikation etc. Aus dieser Perspektive ergibt sich die
Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit der Verwendbarkeit zu
bestimmen: eine bestimmte Kategorie von Arbeitslosen ist
weniger verwendbar als eine andere, weil der Anteil der
Langzeitarbeitslosigkeit zu hoch ist, was bedeutet, daß die
mittleren Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden, nieder sind. Die
differentielle Verwendbarkeit hat also eher eine Funktion
bei der Beschreibung der Selektivität des Arbeitsmarktes als
daß sie eine Erklärung für die Mechanismen lieferte,
die zu
Ungleichheiten führen. Sie liefert aber auch Anhaltspunkte
für kontra-selektive politische Interventionen, die sich auf als
besonders gefährdete Kategorien richten (Langzeitarbeitslose,
Jugendliche).
Variationen der Verwendbarkeit
Eine erste Quelle für die Beschreibung bestimmter Aspekte der
Verwendbarkeit von Arbeitssuchenden stellen die
Statistiken der Verwaltung dar. Darüber hinaus sind, seit dem
Ansteigen der Massenarbeitslosigkeit, weitere Forschungen
über die Karrieren von Arbeitslosen angestellt worden. Derartige
Langzeitanalysen liefern Information, die in den
Statistiken der Verwaltung nicht enthalten sind.
Der Zugang der Arbeitslosen zur
Beschäftigung
Längsschnittanalysen über das Schicksal der Arbeitslosen
informieren über ihre besonderen Schwierigkeiten, das Niveau
ihrer Ressourcen, ihre Praktiken der Arbeitssuche und ihre
Ansprüche an eine künftige Beschäftigung. Vor allem
dienen sie
zur Identifikation jener Faktoren, welche die Wahrscheinlichkeit, eine
Arbeit zu finden, d.h. auch die Verwendbarkeit,
belasten: Geschlecht, Alter, Dauer der Arbeitslosigkeit etc.
Obwohl die verwendeten Methoden der Stichprobenauswahl unterschiedlich
sind, lassen sich die Ergebnisse ihrer Struktur
nach dennoch gut vergleichen und einige Konstanten herausarbeiten.
Beispielsweise finden Frauen in geringerem Maße als
Männer die gesuchte Beschäftigung, unabhängig vom Alter
und von der Dauer der Arbeitslosigkeit. Als eine stark
diskriminierende Variable zeigt sich das Alter: jenseits von 50 Jahren
sinken die Zahlen jener, die wieder eine
Beschäftigung finden, bemerkenswert stark, sowohl für Frauen
wie für Männer, für jene, die erst arbeitslos geworden
oder
es schon lange Zeit sind. Die Unterschiede zwischen den Jüngeren
(weniger als 25) und den Erwachsenen (25-49) sind
weniger stabil. Gleichzeitig verringert sich mit der Dauer der
Arbeitslosigkeit die Chance der Verwendbarkeit, unabhängig
vom Geschlecht oder vom Alter, lediglich der Rhythmus der damit
verbundenen Verschlechterung ändert sich mit den
Veränderungen im Profil der Arbeitslosen.
Aus solchen Untersuchungen ergibt sich, daß es einige klassische
Größen für die soziologische Erklärung gibt:
Geschlecht
(benachteiligt Frauen), Alter (Position der einzelnen in ihrem
Lebenszyklus) und Dauer der Arbeitslosigkeit (Position auf
dem Arbeitsmarkt). Mit Hilfe der gemessenen Korrelationen lassen die
Rangplätze der verschiedenen Kategorien von
Arbeitlosen in der Warteschlange beschreiben, doch sie geben keinen
Aufschluß über die zugrundeliegenden sozialen
Prozesse.
Arbeitslosigkeit und die
Fragmentierung (fragilisation) der Beschäftigungen
Ein zweites wichtiges Ergebnis aus Verlaufsuntersuchungen der
Arbeitslosigkeit ist die Beschreibung von neuen
Beschäftigungen im Vergleich mit der früheren
Arbeitslosigkeit und die Verschiedenheit der gelebten Situationen. Alle
Untersuchungen zeigen, daß die neue gefundenen
Beschäftigungen weniger stabil sind als die früheren, die nun
abhanden
gekommen sind. Alles deutet darauf hin, daß die Arbeitslosigkeit
zu einer Neuverteilung der Beschäftigung führt: die
Prekarität, zuerst auf die Jugendlichen beschränkt (in
Frankreich), dehnt sich auf die über 50-Jährigen aus. Sie
wird zu
einem Hauptmerkmal jener, die nach der Arbeitslosigkeit wieder eine
Beschäftigung finden.
Arbeitslosigkeit und die
Verschiedenheit der dadurch bedingten Situationen
Eine neue Beschäftigung ist nicht der einzige Weg zum Ausstieg aus
der Arbeitslosigkeit. Die Untersuchungen zeigen, daß
daneben auch noch andere Wege eine Rolle spielen: Weiterbildung,
Frühverrentung oder der Verzicht auf weitere Suche
nach Beschäftigung. Die Situationen variieren als Funktion von
Alter, Geschlecht und Dauer der Arbeitslosigkeit zu
Beginn der Beobachtungsperiode. Die wiederholte Arbeitslosigkeit
betrifft eher die Jugendlichen, aber auch die
Kurzzeitarbeitslosen, auch männlichen Geschlechts. Der
Rückzug vom Arbeitsmarkt kommt für jene in Frage, wo es
für
die einzelnen und ihre Umgebung eher in Frage kommt: Frauen und
ältere Arbeitslose. Oder wo sich die negativen
Merkmale kumulieren: ältere Arbeitslose und
Langzeitarbeitslosigkeit. Diese Tendenzen zur Inaktivität finden
sich bei
bestimmten Kategorien und scheinen gleichzeitig die Übersetzung
eines Prozesses der Exklusion auf Dauer zu sein.
Eine faktorielle Konzeption der
Verwendbarkeit
In welcher Zeit findet ein Arbeitsloser wieder eine Beschäftigung,
und welche Faktoren beeinflussen die Geschwindigkeit
der Wiederaufnahme der Beschäftigung? Damit verbunden sind die
Fragen der Reklassifizierung und der Qualität der
neuen Beschäftigungen.
Die erste Frage führt zu den klassischen Faktormodellen: der
Korrelation zwischen einer Position auf dem Arbeitsmarkt
und den sozio-demographischen Attributen, die zu einem deskriptiven und
explikativen Paradigma führen. Die zweite
Frage eröffnet neue Perspektiven, weil sie frühere und
spätere (nach der Arbeitslosigkeit) Beschäftigungen
miteinander in
Beziehung setzt und damit die Konstruktion von beruflichen Laufbahnen
ermöglicht: Wiederholung von Formen der
Stabilität, Mobilität und Instabilität, aber auch Fragen
an die Strategien der Arbeitslosen, ihre Verwendbarkeit
sicherzustellen. Derartige Überlegungen führen aber auch zur
Analyse der Transformationen des Arbeitsmarktes und der
Änderung der Regeln, nach denen er funktioniert und der Rolle der
Akteure, bes. der Unternehmer, bei der Konstruktion
der Verwendbarkeit der Arbeitslosen. Eine Bestimmung der Verwendbarkeit
mit Hilfe eines statistischen Maßes führt
demnach zu einer a posteriori fixierten Meßgröße, als
Resultat von Prozessen, die der Analyse verborgen bleiben: weder
die Strategien der Unternehmer noch die Antizipationen der Arbeitslosen
werden dabei in Rechnung gestellt. Ein
objektivierter Begriff der Verwendbarkeit impliziert also eine
Verdinglichung von Situationen, die eindeutig relationaler
und evolutionärer Natur sind. Neuere Analysen führen daher zu
anderen Sichtweisen der Konstruktion der Verwendbarkeit.
2. Die sozialen Konstruktionen
der Verwendbarkeit
Verwendbarkeit ist eine spezielle
Dimension, eng verbunden mit der Struktur der Arbeitslosigkeit und mit
allgemeineren
Prozessen der beruflichen Mobilität. Aus neuen Untersuchungen geht
hervor, daß die Analyse individueller Wege nicht zu
trennen ist von der des Arbeitsmarktes und der biographischen Logiken,
die her ebenfalls im Spiel sind. In gleicher Weise
zu berücksichtigen sind die biographische Dynamik, die zu
unterschiedlichen Positionen führt und die strukturellen
Entwicklungen, aus der sich die Struktur der Positionen ergibt.
2a Verwendbarkeit und
Strategien der Arbeitslosen
Die Unzulänglichkeit der
klassischen Variablen
In einer groß angelegten Längsschnittuntersuchung von
Arbeitslosen zwischen 1983-1989 wurden 32 Gruppen gebildet mit
unterschiedlichen Kombinationen folgender Merkmale: Geschlecht, Alter,
Diplom, Dauer der Arbeitslosigkeit und
Verhalten bei der Suche nach Arbeit. Dabei zeigt sich als erfolgreiche
Merkmalskombination: Männlich, jung, diplomiert
und erst seit kurzer Zeit arbeitslos: 68% finden rasch wieder eine
Beschäftigung. Die am wenigsten günstige Kombination:
höheres Alter, nicht diplomiert, weiblich und passive
Arbeitssuche: 7% finden im Verlauf von zwei Jahren eine
Beschäftigung. Das heißt, die Chancen, einen Arbeitsplatz zu
finden, sind niemals Null, auch bei einer Kumulation
negativer Faktoren. Umgekehrt bedeuten begünstigende Faktoren
keineswegs die Absenz signifikanter Zahlen der
Verbleibs in der Arbeitslosigkeit. Als einzelne betrachtet kommt den
einzelnen Faktoren, positiven wie auch negativen, nur
begrenzte Aussagekraft zu. Auch die Kumulierung negativer Faktoren
impliziert noch keineswegs eine definitive
Verbannung. Dies führt dazu, nach neuen Wegen der Forschung zu
suchen, die eine größere Anzahl von Faktoren
berücksichtigen, besonders die Kalkulationen (arbitrage) und das
Verhalten der Arbeitslosen selbst.
Arbitrage und
Arbeitslosenunterstützung
Die klassische Art, die Rationalität der Arbeitslosen zu
berücksichtigen besteht darin, ihr Abwägen zwischen Annahme
einer verfügbaren Beschäftigung und das Warten auf eine
bessere Gelegenheit zu analysieren. Diese Perspektive, der
ökonomischen Logik verpflichtet, unterssucht vor allem den
Zusammenhang zwischen Entschädigung und Ausstieg aus der
Arbeitslosigkeit.
Ökonometrische Analysen haben einen signifikanten Zusammenhang
zwischen Höhe und Dauer der Entschädigung und der
Dauer der Arbeitslosigkeit herausgestellt. Doch diese Korrelation
bedeutet nicht, die Entschädigungen seien eine Ursache
von Arbeitslosigkeit, denn die Motive des Ausstiegs aus der
Arbeitslosigkeit sind zu heterogen: neue Beschäftigung,
Eintritt in die Inaktivität, Weiterbildung, Verzicht auf weitere
Arbeitssuche etc. Die Interpretation der diversen
Fluktuationen ist schwierig, keineswegs aber nur aus dem Blickwinkel
der ökonomischen Rationalität gerechtfertigt. Die
Verhaltensweisen bei der Arbeitssuche sind komplex, stehen auch in
Beziehung zum Verhalten anderer Akteure
(Arbeitgeber...) oder Institutionen (Arbeitsmarktverwaltung).
Welches Gewicht ist der Arbeitssuche
beizumessen?
Weitere Forschungen über das Verhalten bei der Suche nach
Beschäftigung haben zwei wesentliche Dimensionen
unterschieden: die Fähigkeit, die Suche nach Arbeit (oder die
Distanz dazu) fokussieren zu können und die Verfügbarkeit
(Diponibilität). Die erste bezieht sich auf eine gezielte
Vorgangsweise, die zweite auf die Fähigkeit zur Mobilität
(geographisch und beruflich). Das von Anfang an gezeigte Verhalten bei
der Arbeitssuche ist demnach ein Schlüsselfaktor.
Hohe Verfügbarkeit begünstigt
den Erfolg bei Arbeitssuche, und umgekehrt ist eine niedrige
Verfügbarkeit bald mit einem
Rückzug vom Arbeitsmarkt verbunden. Arbeitslose, die sich in der
entschädigten Arbeitslosigkeit einrichten, unterscheiden
sich in ihrer Suche nach Beschäftigung nicht von anderen
Arbeitslosen.
Da diese Verhaltensweise mit anderen Faktoren wie Geschlecht, Diplom,
Dauer der Arbeitslosigkeit etc. verbunden sind,
ist zu untersuchen, ob die Arbeitssuche wichtiger ist als der
Einfluß der traditionellen Faktoren. Dazu wurden 11
Verhaltensvariablen und 12 Kontextvariablen auf ihren jeweiligen
Einfluß hin untersucht.
Dabei hat sich gezeigt, daß der am meisten determinierende Faktor
das Alter ist. Zu den Faktoren zweiter Ordnung
gehören: Situation im Haushalt, Niveau des Diploms, Dauer der
Meldung bei der Arbeitsmarktverwaltung. Risikofaktoren
dritter Ordnung sind: Nationalität, sozio-professionelle
Kategorie, Umstände der Kündigung, Entschädigung und
Gemeindegröße. Die Suche nach Arbeit ist ebenfalls ein
Faktor dritter Ordnung und steht nur mit 4 Variablen in
Zusammenhang: Mit Weiterbildungsbereitschaft, der Anzahl der Arten der
Suche nach Arbeit, Gesundheitszustand und
Höhe des erwarteten Lohnes. Die Debatte um den Einfluß der
Arbeitssuche bleibt also offen, dies umso mehr, als es
schwierig ist, die Verhaltensweisen genau zu messen.
Beschäftigungssuche und
Sozialisationsprozesse
Qualitative Untersuchungen bei 35 Arbeitslosen im gleichen
geographischen Raum, aus einer zeitlichen Distanz von drei
Jahren, sollten hier weitere Aufschlüsse geben. Dabei wurden zwei
Dimensionen des Verhaltens unterschieden: Der Grad
der Mobilisierung und der Grad der Autonomie. Um wieder eine
Beschäftigung finden zu können, scheint grundlegend zu
sein die Mobilisierung, während der Autonomie ein
komplementärer Effekt für die Verkürzung der Zeit der
Suche nach
Arbeit zukommt.
Unterschiede im Verhalten der Arbeitslosen ergeben sich aus dem
Erlernen von Normen, Werten, d.h., durch die erlernten
„sozialen Qualifikationen", welche für die Plazierung auf dem
Arbeitsmarkt verantwortlich gewesen sind. Die
Verhaltensweisen der Arbeitslosen ergeben sich aus den Formen der
Sozialisation, die ihre Konsumerwartungen,
Zukunftsansprüche und ihre Einbettung in soziale Netzwerke
strukturieren. Die Verhaltensweisen haben ihre Wurzeln in
biographischen und symbolischen Kohärenzen, die sich zumindest
partiell in der Zeit vor der Arbeitslosigkeit konstituiert
haben.
In einer anderen Untersuchung zur Langzeitarbeitslosigkeit (1990/91)
hat sich gezeigt, daß die üblicherweise als
Risikofaktoren betrachteten Merkmale wenig aussagekräftig sind, um
eine Erklärung für den Verlauf einzelner Karrieren zu
liefern. Als zusätzlich wichtige Faktoren wurden identifiziert:
die Verbindungen der nun Arbeitslosen mit dem
Arbeitsmarkt und dem produktiven Bereich generell: Absenz längerer
Zeiten beruflicher Inaktivität, Regelmäßigkeit und
Kontinuität der beruflichen Laufbahnen, Ausübung von
Gelegenheitsarbeiten während der Zeit der Arbeitslosigkeit. Dies
alles begünstigt die Wiedereingliederung und schützt vor
Langzeitarbeitslosigkeit. Aus der Kombination dieser Faktoren
ergibt sich eine „Nähe zum Arbeitsmarkt", dem Hauptfaktor einer
Erklärung der Karriere, auch wenn dieser nicht völlig
unabhängig ist von individuellen Merkmalen (bes. Geschlecht). Die
Verwendbarkeit konstruiert sich daher in einer zeitlich
langen Dauer der beruflichen Laufbahn, weniger aus der Erfahrung der
Arbeitslosigkeit, und steht in engem
Zusammenhang mit diversen sozialen Praktiken, welche die engen Arbeits-
und Berufserfahrungen transzendieren.
Derartige Untersuchungen zur Konstruktion
der Verwendbarkeit bereichern jene Ansätze, die nur einzelne
standardisierte
Variablen isolieren. Darüber hinaus, wenn sich die Sozialisation
als Artikulation zweier heterogener Prozesse artikuliert,
(a) der Vorwegnahme der Zukunft der einzelnen auf der Grundlage der
Vergangenheit und (b) der Interaktion mit
signifikanten Akteuren (Entscheidungsträgern), ist es auch
wichtig, die Konstruktion der Kategorie der Verwendbarkeit der
Arbeitslosen mit dem Arbeitsmarkt selbst in Verbindung zu bringen.
2b Verwendbarkeit und
Arbeitsmärkte
Verwendbarkeit ist nicht nur ein
individuelles Attribut, sondern auch abhängig von der
ökonomischen Umwelt und den
strukturellen Kontexten der einzelnen Laufbahnen. Wenn ein lokal
dominantes Großunternehmen zumacht und seine hoch
produktiven Beschäftigten entläßt, dann können
diese in einem lokalen Arbeitsmarkt, der aus dem Gleichgewicht geraten
ist, plötzlich „nicht mehr verwendbar" sein. Wenn umgekehrt ein
neuer Betrieb mit viel Beschäftigung aufgemacht wird, so
werden auch bisher nicht verwendbare Arbeitslose wieder neu
eingestellt. Die Verwendbarkeit eines Arbeitslosen ist also
nicht mechanisch durch seine sozialen Merkmale determiniert, durch sein
Curriculum und seine Suche nach Arbeit. Sie ist
in gleicher Weise abhängig von den Strukturen der
Beschäftigung, der Logik der Entscheidungsträger, der Dynamik
der
lokalen Arbeitsmärkte. Natürlich spielt das Gewicht der
Vergangenheit eine Rolle, aber ebenso sehr die Ereignisse in der
sozioökonomischen Umwelt.
Die Regeln der Organisation des
Arbeitsmarktes.
Es ist nützlich, zwei heterogene, aber unterscheidbare Komponenten
der Verwendbarkeit zu unterscheiden: eine
intrinsische und eine extrinsische Komponente. Die intrinsische
Verwendbarkeit ergibt sich aus der bisherigen Laufbahn
und den Merkmalen des Arbeitslosen. Sie kann sich verschlechtern bei
entsprechenden Reaktionen auf die Erfahrung der
Arbeitslosigkeit, bei einem Verlust des Vertrauens in die eigenen
Fähigkeiten, einer Störung der sozialen Beziehungsnetze
oder einer Erosion der beruflichen Fähigkeiten. Die extrinsische
Verwendbarkeit hängt hingegen ab von der ökonomischen
Umwelt und den Transformationen des Arbeitsmarktes, ergibt sich aus dem
Ungleichgewicht der Beschäftigungen, der
damit verbundenen Normen und den Phänomenen der Selektivität.
Eine gründliche Monographie über die beruflichen Laufbahnen
nach der Schließung eines Großbetriebes in Creusot-Loire
hat im Hinblick auf die weitere Verwendbarkeit der dort früher
Beschäftigten zur Identifikation von drei Typen geführt:
Wiederbeschäftigte, prekär Neupositionierte und von weiterer
Beschäftigung Ausgeschlossene. Diese drei Typen ergeben
sich aus der Art der früheren Beschäftigung, der Verarbeitung
der Entlassung, der individuellen Wahrnehmung der Distanz
zwischen einem protektionistischen inneren Arbeitsmarkt und den Regeln
des äußeren Arbeitsmarktes, der durch eine
starke Diversifizierung unterschiedlicher Beschäftigungsstatus(e)
gekennzeichnet ist.
Derart brutale Änderungen bringen für die einzelnen
Individuen neue Notwendigkeiten mit sich. Neue Verhaltensweisen
und die Konstruktion der Verwendbarkeit entstehen nicht spontan,
sondern aus der Wechselbeziehung zwischen diesen
Strategien der Segmentierung und den Karrieren der einzelnen. Die
Verwendbarkeit spricht zwei Dimensionen an: die
Qualifikationen der Individuen, die eine neue Beschäftigung
suchen, und in gleicher Weise die lokalen Veränderungen der
kollektiven Umgangs mit den Arbeitskräften vor und nach der
Schließung des Unternehmens.
Zum Verständnis der Konstruktion der Brauchbarkeit bedarf es also
dieser doppelten Lekture der beruflichen Laufbahnen
und der konkreten sozialen Räume, in denen sie sich abspielen.
Dementsprechend läßt sich auch die Anfälligkeit
für
Arbeitslosigkeit analysieren durch die gleichzeitige Betrachtung der
Geschichte des Beschäftigten und der Geschichte
seiner Arbeit. Die Problematik der Verwendbarkeit läßt sich
also nicht durch den Rekurs auf einige einfache und
objektivierbare statistische Maße lösen.
Die Rolle des Kontextes und die
Strategien der Akteure
Empirische Analysen über den Zusammenhang von
makroökonomischen Konjunkturen und der Verwendbarkeit der
Arbeitslosen haben ergeben, daß dieser nach wie vor schwierig zu
erklären ist. Dies vor allem deswegen, weil sich die
diesbezügliche Theoriebildung noch in einem embryonalen Zustand
befindet. Die Übersetzung struktureller Kontexte in
empirische Indikatoren steht noch in den Anfängen, weil sie sich
nicht mit vagen Angaben über Konjunkturen begnügen
kann. Dies bedeutet, daß der Arbeitsmarkt räumlich
segmentiert ist, daß öffentliche Politik nicht überall
gleich angewandt
wird, daß die Institutionen des Arbeitsmarktes bei der
Administration und Selektion von Arbeitskräften unterschiedliche
Strategien verfolgen. Die Umsetzung dieser Elemente in standardisierte
Indikatoren hat noch kaum begonnen.
Bisherigen Analysen konzentrieren sich
vor allem auf die Prozesse in einem lokalen Raum. So wird mehrheitlich
angenommen, daß es einen „lokalen Effekt" gibt, doch seine
Analyse bleibt problematisch, und mehr noch seine
Auswirkung auf die Verwendbarkeit der Arbeitslosen, die dort wohnen.
Vor allem deswegen, weil bislang die Strategegien
der Unternehmer, „die verborgene Seite des Begriffs",
vernachlässigt worden sind. Diesbezügliche soziologische
Untersuchungen sind noch in einem embryonalen Zustand. Ebenso
unterbelichtet ist bisher die Relation der Beschäftigung
und der damit verbundenen Unsicherheit, denn Gegenstand des Tausches
ist nicht die Arbeit, sondern damit verbundene Versprechungen.
Die Erklärung und das Verständnis der Prozesse der
Differenzierung der Werdegänge der Arbeitslosen setzt voraus,
diese
im Zusammenhang mit den Arbeitsmärkten, den familiären
Strukturen, den sozialen Netzen, den Logiken der Facharbeiter
und der Unternehmer, mit denen sie konfrontiert sind, zu sehen. Ebenso
muß man sich Klarheit verschaffen über die
Pluralität der Rationalität der Arbeitslosen, ihrer
Strategien und der Arten, wie sie ihre Erfahrungen interpretieren.
Eine solche Orientierung führt zu
einem Arbeitsprogramm, das sich bereits auf signifikative
Forschungsergebnisse stützen
kann, denn es gibt bereits zahlreiche soziologische Forschungsarbeiten,
die sich aus der Fixierung auf das Gegenüber von
Arbeitslosigkeit und Beschäftigung zu lösen versuchen, um die
sozialen und symbolischen Vermittlungen zu untersuchen,
die bei der Konstruktion der Verwendbarkeit beteiligt sind. Die
Entwicklung der mit der Arbeitslosigkeit verbundenen
öffentlichen Politik und damit verbundene Evaluierungen weisen
ebenfalls in diese Richtung.
IV. Paradoxien
der Behandlung der Arbeitslosigkeit
Die Vorkehrungen, die getroffen wurden,
um Beschäftigungslosen Hilfe bieten zu können, sind eine
wichtige Grundlage
für die sozilogische Erforschung der Arbeitslosigkeit gewesen. Die
Berücksichtigung administrativer Kategorien wie jene
der Langzeitarbeitslosigkeit hat dann auch dazu geführt, dass
wichtige theoretische Adjustierungen erfolgt sind.
Wenn sich auch die Forschung bislang wenig mit den Prozessen der
Entscheidungsfindung und der Konstitution generellen
Politik beschäftigt hat, so ist die kritische Analyse der
Kategorien, die jene ebenso strukturieren wie die Evaluierung der
mit ihr verbundenen Auswirkungen, doppelt fruchtbar geworden. Denn sie
weisen nicht nur auf zahlreiche Paradoxien bei
der Behandlung von Arbeitslosigkeit hin, sondern erlauben es auch, die
Prozesse der Übersetzung der Handlungsnormen
und der Produktion der Kategorisierungen zu identifizieren, die
grundlegend sind für die Konstruktion des Status des
Arbeitslosen.
1. Beschäftigungspolitik und
Behandlung der Arbeitslosigkeit
Die Behandlung der Arbeitslosigkeit ist nicht anderes als eine
Dimension der Beschäftigungspolitik, die als die Gesamtheit
der öffentlichen Interventionen zum besseren Funktionieren des
Arbeitsmarktes zu definieren ist. doch hat sich ihre
Bedeutung seit dem Beginn der gegenwärtigen
Beschäftigungskrise erheblich erhöht.
Die offizielle Gestaltung der
Beschäftigungspolitik
Zur Beurteilung der Beschäftigungspolitik muß man auf die
Kategorien der Zählungen und die strukturierenden Begriffe
zurückgreifen, die jedoch manchmal schwer zu interpretieren sind.
Die öffentlichen Ausgaben für Beschäftigung erlauben
es, die finanziellen Anstrengungen zur Behandlung der Arbeitslosigkeit
abzuschätzen. Mit dem Anstieg der
Arbeitslosigkeit seit Mitte der 80er Jahre geht auch ein rascher
Anstieg der Mittel einher, sie zu bekämpfen:
1973 sind dafür (in Frankreich) 0,9% des BIP ausgegeben worden,
1993 jedoch 4,1%. Seit Anfang der 80er Jahre
bewegen sich die Ausgaben zwischen 3% und 4% des BIP.
Tabelle der Entwicklung der öffentlichen Ausgaben für
Beschaftigung:
Eine solche Aufteilung ergibt sich
daraus, weil die Beschäftigungspolitik zwischen „aktiven" und
„passiven" Maßnahmen
unterscheidet. Die aktiven sind gegen die Beschränkung von
Beschäftigung gerichtet, indem sie die Anpassung der
Arbeitskräfte an die Markterfordernisse fördern (durch
Bildung, einstellungshilfen, Arbeitszeitgestaltung, Verbesserung der
Informationsflüsse), die passiven hingegen darauf, die
Auswirkungen des Mangels an Arbeit zu lindern (Entschädigungen,
Anpassungen der aktiven Population (Frühverrentung, Rückkehr
ausländischer Arbeiter).
Seit Anfang der 80er Jahre wird der Anteil der passiven Ausgaben
geringer. Vor allem die Anreize zur Frühpension sind
verringert worden. In Entsprechung dazu ist der Anteil der aktiven
Ausgaben gestiegen, besonders jene zur Förderung und
Schaffung neuer Beschäftigung. Diese Verschiebungen bedeuten
nicht, daß die passiven Ausgaben in ihrem Umfang
geringer werden, sondern nur, daß die aktiven schneller wachsen.
Diese Entwicklungen sind nicht einfach zu
interpretieren, denn der Gegensatz von aktiv und passiv ist nicht so
klar wie er
zu sein scheint. Das Arbeitslosengeld ist als passive Maßnahme
klassifiziert, doch indem es dazu beiträgt, die Konsumation
zu stützen, kann es makroökonomisch ein Beitrag zur Schaffung
von Beschäftigung sein. Es handelt sich also um eine
passive Maßnahme, welche die Wirkung einer aktiven Maßnahme
hat. Und umgekehrt können als aktive bezeichnete
Instrumente wie passive Maßnahmen funktionieren.
Weiterbildungsphasen beispielsweise sind als aktive eingeordnet,
während sie in einem Kontext massiver Arbeitslosigkeit nur selten
eine Perspektive der Jobfindung eröffnen. Ihre
Wirkungen zeigen sich also nur in deiner Verringerung der statistischen
Zahlen über die Arbeitslosigkeit.
Die Gestaltung der öffentlichen Beschäftigungspolitik beruht
zweifellos auf einer gleich bleibenden Terminologie, die
Zeitvergleiche ermöglicht. Doch ist sie nicht frei vor
Zweideutigkeiten, denn sie betrachtet die Entwicklung der Funktionen
der arbeitsmarktbezogenen Maßnahmen als ein Ganzes und
verschleiert die Verschiebungen des Sinns, den diese
Maßnahmen haben. Sie lassen sich jedoch einzeln in ihrer
jeweiligen Entwicklung betrachten.
Die Chronologie der Behandlung der
Arbeitslosigkeit
Die Entwicklungen der verschiedenen Beschäftigungspolitiken sind
oft kommentiert worden, besonders von jenen, die
damit besonders befaßt sind: der Verwaltung. Dabei besteht immer
die Tendenz, großzügig eine gewisse Ordnung in die
Maßnahmen hineinzubringen, Perioden zu konstruieren, Brüche
zu identifizieren, mag auch die Periode, auf die Bezug
genommen wird, unterschiedlich lang sein: 30 Jahre (Ellbaum), 15 Jahre
(Cornillau), 12 Jahre, 10 Jahre, 7 oder 6 Jahre. Die
Akzente der Periodisierungen werden also recht unterschiedlich gesetzt.
Die Multiplikation der Chroniken der Behandlung der Arbeitslosigkeit,
welche die Institutionen und Behörden der
Beschäftigungspolitik zur Regulierung der Spannungen auf dem
Arbeitsmarkt und zur Reduzierung von Widersprüchen
verkündigen, ist ohne jeden Zweifel durch die unablässige
Erneuerung der Maßnahmen zu erklären.
Die Spirale der Behandlung der
Arbeitslosigkeit
Ende der 70er Jahre wurden die Akzente auf begleitende Hilfen zum
Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt gesetzt. Wegen der
damit verbundenen Kosten distanzierte man sich von diesem Instrument,
um es durch Unterstützung der Suche nach
Beschäftigung zu ersetzen. Gleichzeitig suchte man die
Zugänge zur Beschäftigung für besondere Kategorien
(Junge,
Langzeitarbeitslose, isolierte Frauen etc.) zu verbessern.
Hilfen für Jugendliche gibt es vermehrt seit 1982, gleichzeitig
wurden damals breit angelegte Weiterbildungsprogramme
entwickelt und ein besonderes Netz für Beratung aufgebaut.
Besondere Programme für Langzeitarbeitslose gibt es seit
1985, womit sich der Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit
verselbständigt. In der Folge wurden die Maßnahmen für
diese beiden Problemgruppen diversifiziert, verstärkt und
modifiziert.
Nach 1990, in einer Phase des steigender Arbeitslosigkeit, wurden die
verschiedenen Formeln der Behandlung der
Arbeitslosigkeit weitergeführt, doch der Akzent auf jene
Kategorien verlagert, die auf dem Arbeitsmarkt die größten
Probleme haben: Ausgesteuerte, Langzeitarbeitslose und Alte, Junge ohne
Basisqualifikation etc. Nach offiziellen
Kommentaren handelt es sich dabei um programmatische Anpassungen an
äußere Zwänge. Ein weiteres Merkmal der
jüngeren Periode ist die Reduzierung der Anzahl der
Maßnahmen: Vereinfachung und Neufassung des Kampfes gegen die
Arbeitslosigkeit.
Die starke Vermehrung der Maßnahmen, die einander folgen oder
ohne offensichtliche Kohärenz sich überlagern, macht es
schwierig, die Logik, die der Behandlung der Arbeitslosigkeit zugrunde
liegt, zu analysieren. Es ist als ob die Behandlung
der Arbeitslosigkeit Teil einer Spirale wäre, gekennzeichnet
einerseits durch die Ausschöpfung aller verfügbaren
Dispositive und das Gefühl, alles Mögliche versucht zu haben,
andererseits aber durch den fortwährenden Kampf gegen
eine mehr und mehr akzentuierte Selektivität des Arbeitsmarktes,
was dann zur Vermehrung der bevorzugten
Adressatengruppen führt.
Drei Logiken der Behandlung?
Wenn auch die Dispositive der Eingliederung und Wiedereingliederung der
Arbeitslosen recht vielfältig sind, so werden sie
dennoch oft unter 3 Hauptgruppen subsumiert: Ausbildungsphasen,
unterstützte Beschäftigung im Profit-Bereich und
unterstützte Beschäftigung im Non-Profit-Bereich, was drei
verschiedenen Logiken der staatlichen Intervention entspricht.
Die erste Logik richtet sich auf die
Merkmale der Nachfrage und sucht die Fähigkeiten des Zuganges zur
Beschäftigung zu
verbessern. Die diesbezüglichen Maßnahmen versetzen den
Arbeitslosen in einen Status der Inaktivität: in einen
Teilnehmer an beruflicher Ausbildung. Derartiges war ursprünglich
auf Jugendliche zugeschnitten, um Mängel in der
Grundausbildung zu kompensieren. Später wurde diese Formel auf
Langzeitarbeitslose ausgedehnt.
Die zweite Logik richtet sich auf das Arbeitsangebot und die selektiven
Einstellungspraktiken, indem sie für bestimmte
Kategorien eine positive Diskriminierung vorsehen: Einstellungshilfen,
Senkung der Sozialkosten (Lohnnebenkosten),
Übernahme von Ausbildungskosten, dies alles soll die Strategien
der Unternehmer bei der Personalrekrutierung
beeinflussen. Derartiges versetzt den Arbeitslosen in den Status eines
aktiv Beschäftigten. Das Gegenstück dieser
Reduzierung der Arbeitskosten ist die Tatsache, am Arbeitsplatz in
einer besonders unterstützten Position zu sein.
Eine dritte Gruppe von Interventionen fasst Maßnahmen der
Schaffung von Beschäftigung im tertiären Non-Profit-Bereich
zusammen, meist in der Gemeinwirtschaft (Sozialökonomie) oder bei
territorialen Einheiten. Es handelt sich hier um sozial
nützliche Arbeit, 1984 zunächst für Jugendliche gedacht,
1989 dann auch für Langzeitarbeitslose, was diesen dann zu
einem Arbeitsvertrag (Teilzeit) verhilft.
Eine solche Klassifizierung bringt bestimmte Schwierigkeiten mit sich,
vor allem weil sie die Beziehungen zu den
einzelnen juridischen Statuspositionen vernachlässigt, die mit den
einzelnen Maßnahmen verbunden sind. Beispielsweise
Hilfen zur Eingliederung ins berufliche Leben versetzen den Adressaten
in den Status der beruflichen Ausbildung, wobei er
gleichzeitig, bei reduzierten Sozialkosten, vom Unternehmen bezahlt
wird. Das heißt, mit den verschiedenen Maßnahmen
der Behandlung der Arbeitslosigkeit werden die Grenzen zwischen
Beschäftigung und Aktivität, zwischen Beschäftigung
und Ausbildung neu gezogen, was zu einer Aufsplitterung der sozialen
Statuspositionen führt.
Große Bedeutung in
quantitativer Hinsicht
Zwischen 1981 - 1994 haben in Frankreich mehr als 17 Millionen an
derartigen Maßnahmen teilgenommen, wobei die
Fluktuationen auf die verschiedenen politischen Akzentsetzungen
zurückzuführen sind. In diesen Zahlen sind die Hilfen
zur Frühverrentung und betriebliche Restrukturierungen
(Sozialpläne) nicht enthalten.
Jeder Typus einer Maßnahme hat eine eigene Entwicklung. Die
Zahlen für unterstützte Beschäftigung im
Non-Profit-Bereich sind stark gestiegen, als diese auch Erwachsenen
zugänglich gemacht worden ist. Im Profit-Bereich
sind die Entwicklungen unterstützter Beschäftigung eher
sprunghaft, von den jeweiligen Begünstigungen abhängig.
Der Sinn der Behandlung der
Arbeitslosigkeit
Die Geschichte der öffentlichen (Wieder-)Eingliederungshilfen ist
kurz, geht auf die Zeit Ende der 70er, Anfang der 80er
Jahre zurück. Doch auch in dieser kurzen Zeit ist die Zahl der
Maßnahmen, die gesetzt und dann wieder aufgelassen
wurden, so beeindruckend, dass es nicht übertrieben ist, von einer
„Überlagerung" und „Zerstückelung" der verschiedenen
Dispositive zu sprechen. Diese Instabilität der Programme
entspricht den quantitativen Zielen einer auf kurze Zeiträume
fixierten Verwaltung, was mit der mehr qualitativen Logik einer auf
mittelfristige Zeiträume ausgerichteten Aktion schwer
vereinbar ist.
Die ruckartigen Bewegungen in der Politik der Behandlung der
Arbeitslosigkeit ist nicht ohne den Zusammenhang mit dem
politischen Kalender (Wahlen) zu sehen: viele Maßnahmen sind
Reaktionen auf steigende Arbeitslosigkeit mit dem
erklärten Ziel, die entsprechenden Zahlen beim Herannahen eines
Wahltages zu senken. Die statistische Dimension der
Behandlung der Arbeitslosigkeit scheint so im Rhythmus der Erneuerung
der Maßnahmen einen zentralen Stellenwert zu haben.
Die Behandlung der Arbeitslosigkeit hat direkte Konsequenzen auf die
Zahl der Arbeitslosen, denn die „Begünstigten" sind
nicht mehr als Arbeitssuchende ausgewiesen. Dennoch sind die
Spielräume nicht allzu groß. Um die Auswirkungen auf die
Konturen der Arbeitslosigkeit abschätzen zu können, ist es
wichtig, auch jene Kategorien zu prüfen, die für die
Gestaltung
der Politiken von Bedeutung sind.
2. Die Kategorien der Behandlung
der Arbeitslosigkeit
Gegen jede Art des Naturalismus,
besonders juridischer Art, welcher die Langlebigkeit bestimmter
Institutionen und
Konventionen privilegiert, und gegen die bloße Beschreibung der
Entwicklung der Maßnahmen, bemühen zahlreiche
Forschungen sich darum, die Behandlung von Arbeitslosigkeit von den
wichtigsten Kategorien, Repräsentationen und
Normen her zu erfassen, welche ihre Struktur bestimmen.
2a Die Arbeitslosigkeit behandeln,
die Arbeitslosen wieder eingliedern
Die Dispositive der Behandlung der
Arbeitslosigkeit sind auf besondere Gruppen ausgerichtet und stellen
eine Politik der
„Eingliederung" dar, die sich von der traditionellen Politik
unterscheidet, die auf Plazierung (Vermittlung) ausgerichtet
gewesen ist. Um diese Kehrwendung zu verstehen, muß man die
Entstehung der Institutionen der Plazierung
berücksichtigen.
Krise der Beschäftigung, Krise
der Plazierung
Die Plazierung bzw. Vermittlung wurde nach 1945 eine öffentliche
Dienstleistung, die 1967 zur Errichtung eines
nationalen Amtes für Beschäftigung führte. Deren Ziel
war, den Arbeitsmarkt in Bewegung zu halten, die Suche nach
abhängig Beschäftigten (Lohnarbeitern) zu erleichtern. Der
beginnende Mangel an Arbeit in den 70er Jahren führte zu einer
Modifikation in den Repräsentationen der öffentlichen
Verwaltung.
Die Arbeitslosigkeit begann sich zu ändern: sie war nun nicht mehr
nur friktionell und von längerer Dauer. Mit der
Arbeitslosigkeit vermehrten sich die Situationen der Prekarität
und der Armut, die Grenzen zwischen Arbeitslosen und
Armen wurden unscharf. Die Interventionen begannen sich auf jene zu
richten, welche die größten Schwierigkeiten hatten.
Daher entstanden Diskussionen um die Aufgaben der Arbeitsämter.
Für die einen sind die verfügbaren Mittel für die rasche
Besetzung offener Stellen und die Transparenz des Arbeitsmarktes
einzusetzen, für andere hat der Kampf gegen die
Selektivität Vorrang und ebenso die Unterstützung jener,
welche über die wenigsten Ressourcen verfügen. Die
Verselbständigung der kontra-selektiven Politiken verweist auf die
zweite Option, der es vor allem um Eingliederung
(Jugendlicher) und Wiedereingliederung geht.
Zwischen Vermittlung und
Unterstützung
Eingliederung ist ein „operationelles Konzept" der Behandlung der
Arbeitslosigkeit geworden, ein zentraler Begriff, der die
Ziele der Maßnahmen transportiert. Doch der Ausdruck ist unscharf
und vieldeutig, dient mehr der Verdunkelung als der
Klärung des Sinnes der öffentlichen Interventionen, besonders
deswegen, weil er sich nicht nur auf die berufliche
Wiedereingliederung richtet, sondern auch die soziale, deren Konturen
noch unschärfer sind. Die Ziele, die „soziale" und
„berufliche" Dimensionen verbinden, richten sich mehr und mehr auf
Leute, die schon lange arbeitslos sind und werden
sichtbar in Bemühungen um die Mobilisierung der Arbeitslosen. Die
soziale Eingliederung gilt häufig als Voraussetzung
der beruflichen, daher auch die Tendenzen, erstere mehr zu betonen.
Das Entstehen der Kategorie der Eingliederung übersetzt daher die
Veränderung in der Art, wie Arbeitslosigkeit und
Beschäftigung aufeinander bezogen sind. Diese Kategorie ist ein
Anzeichen dafür, dass der Zugang zur Beschäftigung
schwieriger und indirekter geworden ist, die Teilnahme an
Maßnahmen, die unterschiedliche Statuspositionen zur Folge
haben, unvermeidlich ist. Auch der Eintritt der Jugendlichen ins
Berufsleben wird komplizierter, und die Mobilität auf dem
Arbeitsmarkt hängt zunehmend weniger mit automatischen und
schnellen Anpassungen zusammen.
Daher hat sich auch die Rolle der Politik der Eingliederung
geändert: das Ziel hat sich von der Vermittlung auf die
Erhaltung der Verwendbarkeit (employablity) verschoben. Daher ist die
Eingliederung, früher eine vorübergehende
Zeitperiode, nun auf Dauer installiert, nicht mehr nur ein
Zeitabschnitt, sondern ein Zustand.
Dies tangiert auch die Bedeutung der Kategorie der Arbeitslosigkeit
selbst: ihre Verbindungen zur Beschäftigung lösen sich
auf, sie ist nicht nur eine Antizipation von Beschäftigung.
Eingliederung und Wiedereingliederung werden so zu sozial
akzeptablen Kategorien, die gleichzeitig einen Widerspruch zum Ausdruck
bringen: es gibt nicht für alle Arbeitslosen
Beschäftigung, aber gleichzeitig wird am (in Frankreich)
verfassungsmäßig garantierten Recht auf Arbeit
(Beschäftigung)
festgehalten. In diesem Sinne ist die Behandlung der Arbeitslosigkeit
durch (Wieder-)Eingliederung in der Nähe des
Paradoxen, der Sophismen und Ambiguitäten angesiedelt.
Die Hilfen zur Eingliederung bestimmen also im Kern den Prozess der
sozialen Kategorisierung, da sie spezifische
Situationen produzieren. Denn auf der einen Seite geben sie der
Unterscheidung zwischen gewöhnlichen Arbeitslosen und
jenen, die Zielgruppen von Maßnahmen sind, aber für
unfähig gehalten werden, unmittelbar eine Arbeit zu finden und
daher von der Vermittlung ausgeschlossen sind, eine gleichsam
offizielle Gültigkeit. Auf der anderen Seite aber trennen sie
diese Arbeitslosen von den „Sozialfällen" und den
„Unterstützten", die ausschließlich Adressaten der
Sozialpolitik sind.
Die Kategorie der „Eingliederung" definiert so eine Position an den
Rändern des Arbeitsmarktes, jedoch nicht außerhalb,
und an den Grenzen der Arbeitslosigkeit, aber nicht im Bereich der
Inaktivität. Doch die Konturen dieser Position sind
wiederum sehr verschwommen, denn die „Eingliederung" hat in gleicher
Weise Bezüge zur Sozialpolitik, besonders zum
Kampf gegen die Armut, durch die Garantie eines Mindesteinkommens zur
(Wieder-)Eingliederung (RMI = Révenue
Minimum d'Insertion, in Frankreich eine der wichtigsten
Maßnahmen).
2 b Die Paradoxien der
Individualisierung
Die offizielle Angabe von „Zielgruppen"
ist eine selten diskutierte Selbstverständlichkeit, allerdings
legitimiert durch die
Ziele der Kontra-Selektivität der Behandlung der Arbeitslosigkeit.
Diese Ausrichtung hat allmählich zu einer
Individualisierung der Maßnahmen geführt, um besser auf die
Erwartungen oder vermeintlichen Bedürfnisse der
Arbeitslosen eingehen zu können. Aufnahme, Besprechung, Bilanz und
Orientierung sind im Laufe der letzten zwanzig
Jahre eine strukturelle Komponente geworden, dank der Entwicklung
besonderer Netze der Aufnahme und der
Intensivierung systematischer Besprechungen bei den lokalen
Behörden der Arbeitsvermittlung.
Nach und nach wird die Individualisierung ein Modus der Behandlung der
Masse, was bestimmte Zwänge mit sich bringt:
Routinisierung der Besprechungen, Verkürzung der Zeitdauer, enge
Interpretation der anzubietenden Leistungen. Es geht
um die Erarbeitung einer Eingliederungsperspektive, auf der Grundlage
einer Expertise, den verfügbaren Maßnahmen in
bestimmten Intervallen Leute zuzuweisen. Da es aber keineswegs darum
geht, eine Bilanz der Fähigkeiten zu erstellen und
den Reichtum der Erfahrungen der einzelnen anzuerkennen, tendiert die
Individualisierung eher auf die Identifizierung von
Handicaps und Problemen. Sie bringt auch das Risiko mit sich, die Idee
zu rechtfertigen, es gebe objektive Merkmale der
Verwendbarkeit.
Kollektive Formen und
Individualisierung
Ziel der individualisierenden Politik ist es, auf den Prozess der
Exklusion durch die Konstruktion einer
Eingliederungsperspektive eine Antwort zu geben und die Position der
Arbeitslosen vor der Eingliederung selbst
akzeptabel zu machen. Individualisierung heißt, Zuflucht zu
suchen bei einer sozialen Alchemie, die darin besteht, die
Arbeitslosen von einer derzeit unrealistischen Suche nach Arbeit
abzubringen und auf ein Projekt der Ausbildung und
Eingliederung umzupolen, das den für die Behandlung der
Arbeitslosigkeit verfügbaren Mitteln entspricht. Diese
Individualisierung scheint eine Antwort auf die Unmöglichkeit zu
sein, die Gesamtheit der Arbeitslosen auf Beschäftigung
hin zu orientieren: da es nicht möglich ist, sozial und kollektiv
die Beziehung zwischen Arbeitsmarkt und den einzelnen
Arbeitslosen anzusprechen, überlässt man es den einzelnen,
ihren Weg allein zu gehen.
Die Individualisierung markiert einen Übergang vom Recht auf
Arbeit, das aus dem klassischen Arbeitslosen ein
Rechtssubjekt gemacht hat, zu einem Recht auf Eingliederung, deren
Inhalte verschwommen sind, denn es handelt sich um
ein Engagement mit unsicherem Ausgang. Zudem gibt die
Individualisierung der direkten Interaktion zwischen dem
Funktionär und dem Arbeitslosen ein zentrales Gewicht bei der
Konstruktion der Eingliederung und der Definition der
Zukunft des Arbeitslosen; sie stützt sich auf wenig vorhersehbare
Praktiken, weil sie mit besonderen Situationen verbunden
sind.
Darüber hinaus läßt sich die Individualisierung der
Hilfsmaßnahmen als eine Krise der früheren Praktiken der
Regulierung
des Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit betrachten, die in kollektiven
Formen organisiert gewesen sind. Individuelle
Bilanzen erstellen heißt, das Feld der verwendeten Kategorien
erweitern, die mit den Vorstellungen vom Arbeitslosen
verbunden sind; dies bedeutet auch, einen Raum der Produktion
praktischer, offiziöser Kategorien zu eröffnen, die
festlegen, was die Arbeitslosigkeit heute ist und was nicht.
Individualisierung, Motivation und
Projekt
Die Generalisierung der Praxis einer beruflichen und personellen Bilanz
für jene Arbeitslosen, die man mit den größten
Schwierigkeiten konfrontiert sieht, enthält auch eine implizite
Erklärung für die Arbeitslosigkeit, welche endogene oder
intrinsische Faktoren (Verhalten hinsichtlich der Beschäftigung,
individuelle Traumata...) Privilegiert. Die Verlagerung des
Gewichtes auf die Einzelfälle bringt das Risiko mit sich, die
ökonomischen und sozialen Prozesse der Exklusion zu
vernachlässigen, was zu einer Stigmatisierung der Arbeitslosen
führen kann, und auch zu einer Internalisierung deren
eigener Situation.
Die Internalisierung ist ein Prozess, der zur Überzeugung einer
Person über sich selbst führt, oder dazu, vor anderen
zuzugeben, dass das, was ihr widerfährt, ihr selbst und nicht
anderen zuzuschreiben ist. „Das Projektmodell ist ein
typisches Beispiel der Internalisierung: zu sagen, das Projekt ist eine
Bedingung der Eingliederung, bedeutet gleichzeitig,
der Person, die in Schwierigkeiten ist, zu signalisieren, dass diese
Situation entstanden ist, weil ihr einiges abgeht, was
normale Leute haben" (Coquelle 1994). Aus der Konstruktion eines
Projektes eine Norm zu machen, führt dazu, die
Kategorie eines Projektes zu einer naturbedingten Kategorie (wie kann
man auch nur kein Projekt haben?) zu machen. Der
letzte Schritt besteht dann darin, das Fehlen von Arbeit mit der Absenz
eines Projektes zu erklären.
Der häufige Rekurs auf den Ausdruck „Motivation", in Besprechungen
zwischen dem Beamten und dem Arbeitslosen,
entsteht aus derselben anklagenden Logik. Einem Arbeitslosen ein
bestimmtes Ausmaß an Motivation zuzuschreiben ist
zumindest teilsweise ein Versuch, die Situation zu erklären (er
ist zu wenig motiviert, daher hat er keine Arbeit) und ein
Urteil hinsichtlich der Verantwortlichkeit zu fällen.
Wenn die beiden Kategorien der „Motivation" und des „Projektes" bei der
Eingliederung so zentral geworden sind, so
deswegen, weil sie nicht nur moralischer Art sind, sondern weil sie
für die Funktionäre im Feld eine Antwort auf die
Aufblähung ihres Tätigkeitsfeldes ist und eine Verteidigung
gegen die zunehmende Verunsicherung der eigenen Tätigkeit
gegenüber, eine Antwort auf die paradoxen Zwänge, denen sie
unterworfen sind.
Sind nun Eingliederung und Individualisierung panoptische Kategorien,
die es gestatten, die klinischen Imperative der
Behandlung der Arbeitslosigkeit (Personalisierung der Diagnosen und der
Vorschriften) und die permanente Forderung der
sozialen Kontrolle der Arbeitslosen miteinander zu verbinden? Diese
Frage verweist auf die Transformation des Status des
Arbeitssuchenden zurück: Rechtssubjekt oder Objekt der
Fürsorge? Benutzer eines öffentlichen Dienstes oder
Zielscheibe
sozialer Kontrolle? Akteure im kollektiven Spiel oder von einer
öffentlichen Politik bewegte Individualitäten?
3. Die Evaluierungen
Die Evaluierung öffentlicher Hilfen
zur (Wieder-)Eingliederung der Arbeitssuchenden ist eine
beträchtliche soziale und
ökonomische Herausforderung, denn die Legitimität derartiger
Aktionen ist mehr oder weniger von ihren Ergebnissen und
Auswirkungen abhängig. Die große Bandbreite institutioneller
Aufträge zur Evaluierung hat zu einer Diversifizierung der
Beobachtungsprotokolle und zu einer Akkumulierung gewisser Erkenntnisse
geführt.
3a Wie ist die Behandlung der
Arbeitslosigkeit zu evaluieren?
Mit der Entwicklung der Politiken der
Behandlung der Arbeitslosigkeit kam es nicht zu einer gleichzeitigen
Konstitution
einer Instanz der Evaluierung, wie dies beispielsweise bei der
Nationalen Kommission zur Evaluierung des RMI der Fall
gewesen ist. Die Evaluierungen sind also in geringerem Maße
institutionalisiert, und kaum von damit verbundenen
diversen Praktiken wie administrative Kontrolle, Berichterstattung oder
Forschung unterscheidbar. Evaluation ist also ein
verschwommener Begriff mit besonderen Schwierigkeiten seiner Abgrenzung.
Bei der Evaluierung dieser Politik lassen
sich fünf Aspekte unterscheiden:
System der Akteure kohärent im
Hinblick auf die vorgegebenen Ziele?
Ökonomische Evaluationen sind oft
auf die Analyse des Einflusses öffentlicher Hilfen zur
Eingliederung im Hinblick auf
das globale Niveau von Arbeitslosigkeit und Beschäftigung
ausgerichtet. Mehr soziologisch ausgerichtete Ansätze beziehen
sich mehr auf die Wirksamkeit (Effektivität) der Ansätze.
Dabei geht es darum, die Auswirkungen der Programme für
einen Zugang zu Beschäftigung statistisch zu messen, und die
Logiken der verschiedenen beteiligten Akteure (Arbeitslose,
Ausbildner, Orientierungsberater, Arbeitgeber) zu verstehen, die, indem
die öffentliche Politik vor Ort anwenden, ihren
Beitrag zur Produktion von deren Wirksamkeit leisten.
3 b Behandlung der Arbeitslosigkeit
und Zugang zu Beschäftigung
Die einfachste Art der Evaluierung der Wirksamkeit der Behandlung von
Arbeitslosigkeit stützt sich auf die Verlaufszahlen
bei Beendigung der Maßnahmen; die Sammlung von Informationen
über die Situation der „Begünstigten" durch die
Verwaltung, drei oder sechs Monate nach der Beendigung der zu
evaluierenden Maßnahme ist oft als Ziffer der
Vermittlung interpretiert, welche die Wirksamkeit der Maßnahme
als Ganzes erfasst. Doch diese Fakten sind eher nur ein
Instrument einer kurzfristigen Beurteilung der Maßnahmen als ein
ernstzunehmendes Mittel der Evaluierung ihrer
Wirksamkeit: eine solche Evaluierung verlangt spezifische Forschungen
über jene, welche die Maßnahmen beenden.
Die Zukunft der „Unterstützten"
und offensichtliche Wirksamkeit
Zu Beginn der 90er Jahre wurden in sieben
Längsschnittuntersuchungen die Nutznießer von
Maßnahmen untersucht, von
denen sich drei auf Arbeitslose bezogen, die in den 13. Monat der
Arbeitslosigkeit eintraten, und vier auf Jugendliche,
welche die Schule abgeschlossen hatten. Die Untersuchung der Situation
der Nutznießer der verschiedenen Maßnahmen zu
einem bestimmten Datum erlaubt es, die Bruttoeffekte dieser
Maßnahmen zu messen.
Verglichen werden folgende
Maßnahmen:
für Arbeitslose:
CRE (Contrat de retour à l'emploi) eine Art Vertrag zur
Wiedererlangung von Beschäftigung
AIF (Actions d'insertion et de formation) Eingliederungs- und
Ausbildungsmaßnahmen
CES (Contrat emploi solidarité) eine Art
Beschäftigungsvertrag aus Solidaritätsgründen
für Jugendliche:
CQ ( Contrat de qualification) Qualifizierungsvertrag
SIVP (Stage d'initiation à la vie professionelle) Phase der
Gewöhnung ans berufliche Leben
CES (Contrat emploi solidarité) Beschäftigungsvertag aus
Solidarität
TUC (Travaux d'utilité collective) Sozial nützliche
Tätigkeiten
Die Werdegänge der Teilnehmergruppen
an den diversen Maßnahmen sind sehr uneinheitlich:
Bei den Arbeitslosen haben die Teilnehmer an CRE die höchsten
Ziffern der Wiederbeschäftigung (64%, davon 63% nicht
unterstütze Beschäftigung, und 50% mit einem zeitlich
unbegrenzten Arbeitsvertrag). Abgänger von CES sind öfter
beschäftigt als jene die an AIF teilgenommen haben (51% und 43%),
doch seltener in nicht unterstützter Beschäftigung
(18% gegen 34%) und auf begrenzte Zeit (10% gegen 15%). Die Ergebnisse
der Maßnahmen für Jugendliche sind ebenfalls
gestaffelt: Jene, die an CQ teilgenommen haben, finden am
häufigsten eine Beschäftigung (71%), die nicht
unterstützt ist
(61%), und für unbegrenzte Zeit (43%). Teilnehmer von SIVP sind
nur zu 57% in Beschäftigung, davon 35% in nicht
subventionierter Beschäftigung und 25% auf unbegrenzte Dauer.
Jene, die an CES und TUC teilgenommen haben, sind
ebenfalls zu 57% beschäftigt, aber seltener in nicht
subventionierter Beschäftigung (28% und 33%) und in zeitlich
unbegrenzter Beschäftigung (12% und 17%).
Eine solcher Typ von Evaluierung
führt letztlich zu einer Art von Tautologie: jene Maßnahmen,
die der klassischen Art von
Beschäftigung am ähnlichsten sind, sind auch die zeitlich
längsten und am meisten selektiven (CRE und CQ), sie führen
zu
offensichtlich besseren Resultaten als jene, die dazu eine
größere Distanz aufweisen (AIF, aber auch TUC und CES). Vor
allem ist zu überprüfen, in welchem Ausmaß die
beobachtbaren Ergebnisse der Teilnahme an öffentlich
unterstützten
Maßnahmen zuzuschreiben sind.
Lassen sich Netto-Effekte
identifizieren?
Die Zahlen der Wiederbeschäftigung nach der Teilnahme an
Maßnahmen sind nur dann ein Indikator für Effizienz, wenn
man den beobachteten Status dieser Teilnahme zurechnen kann, die damit
zur wichtigsten erklärenden Variablen wird.
Diese Logik setzt voraus, daß sich die Beziehung zwischen beiden
für eine bestimmte Population exakt erfassen läßt.
Eine solche Argumentation ist
unbefriedigend, weil folgendes methodologische Problem ungelöst
bleibt: wie kommt man
von der Beobachtung einer Korrelation zwischen zwei Ereignissen im
Zeitverlauf zur Behauptung einer Kausalität? Zur
Überprüfung der Zurechenbarkeit der Wirkung der
Maßnahmen ist es üblich, methodisch mit Kontrollgruppen zu
arbeiten,
um einen entscheidenden Unterschied herausstellen zu können: sind
die Teilnehmer an Maßnahmen öfter in Beschäftigung
als Nicht-Teilnehmer?
Es zeigt sich, daß Arbeitslose, die an Maßnahmen
teilgenommen habe, öfter wieder in die Arbeitslosigkeit
zurückfallen als
Junge und Langzeitarbeitslose der gleichen Generation. Nur für
Teilnehmer an CRE und CQ gilt diese Regel nicht.
Langzeitarbeitslose wechseln häufiger in den Status der
Inaktivität. Die Dispositive spielen also eine Rolle beim Verbleib
auf dem Arbeitsmarkt. Sie scheinen auch den Zugang Langzeitarbeitsloser
zu Beschäftigung zu begünstigen, doch die
Zahlen für nicht unterstützte Beschäftigung sind bei
beiden Gruppen gleich mit Ausnahme der Teilnehmer an CRE. Für die
Jugendlichen wirkt sich die Teilnahme an einer Maßnahme negativ
aus, wobei dies nicht gilt für Teilnehmer an CQ.
Es lassen sich also sehr wohl
Netto-Effekte messen, die den Bias eliminieren, der durch den Eintritt
in eine Maßnahme
entsteht. Doch diese Methode ist keine Garantie für die
Eliminierung des Bias, der mit verborgenen Variablen verbunden
ist, wie beispielsweise das Faktum, daß die Teilnehmer an
Maßnahmen unternehmensfreudiger sind als Nicht-Teilnehmer
oder im Gegenteil, weniger unternehmensfreudig.
Wie wirksam sind Ausbildungsphasen?
Für die Zurechenbarkeit der Mobilitat zur Ausbildungsphasen wurden
auch andere Lösungen vorgeschlagen. Zur
Identifizierung allfälliger ursächlicher Beziehungen zwischen
Ausbildung und Zugang zu Beschäftigung wurde auf drei
mögliche Implikationen hingewiesen, die als einzelne oder
kombiniert wirksam werden können:
a: es liegt ein „Bildungseffekt" vor,
wenn die gefundene Arbeit der in der Ausbildung erworbenen
Qualifikation/Wissen/Können entspricht;
b: ein „Dynamisierungseffekt" liegt vor, wenn die Teilnahme an
Maßnahmen beim Arbeitslosen zu einer
Verhaltensänderung (Pünktlichkeit, Selbstvertrauen...)
geführt hat, die eine Jobfindung erleichtert;
c: der „Kontakteffekt" bedeutet, daß die Teilnahme an der
Maßnahme zu einer Beziehung zwischen dem Arbeitslosen und
einem Unternehmen geführt hat, die eine Beschäftigung
möglich gemacht hat.
Derartige Analysen führen zum
Ergebnis, daß ungefähr ein Drittel nach einer
Ausbildungsphase gefundenen
Beschäftigungen keinerlei Beziehung zur Ausbildung haben, das
heißt, keinem der drei identifizierten Effekte entsprechen.
Die Verlaufswege der Arbeitslosen, die
keine Beschäftigung finden, bleiben hier unberücksichtigt.
Angesichts der niederen
Zahlen der neuerlichen Jobfindung (vor allem der Langzeitarbeitslosen)
suchen andere Ansätze eventuelle Änderungen von
Verhalten und Einstellungen der Teilnehmer zu erfassen, und Effekte der
Mobilisierung, der Sozialisierung und der
Dynamisierung zu erfassen. Doch da ein zuverlässiger Bezugsrahmen
für Vergleiche fehlt, haben solche Evaluierungen
vorläufig lediglich experimentellen Status, was alle
Möglichkeiten der Kumulativität ausschließt. Wenn das
Kriterium
„durchlaufener Weg" jenes des „Zugang zu Beschäftigung" ersetzt,
so bleibt es meist oberflächlich und ist nicht mehr als
ein Annäherungswert.
Die Behandlung der Arbeitslosigkeit
in individuellen Verlaufsbahnen
Längsschnittanalysen erlauben es,
die Teilnahme an Maßnahmen wie andere Etappen oder Abschnitte des
Weges zu
betrachten. Es handelt sich nicht mehr darum, die Typen der
Eingliederung (in Typen von Beschäftigung) oder der
Nicht-Eingliederung zu evaluieren, die auf die Maßnahmen
zurückzuführen sind, sondern um die Frage nach ihrer Stellung
innerhalb der Mechanismen der Mobilität, welche Rolle sie bei der
Konstruktion bestimmter Karrieren spielen. Die
Eingliederung gilt nicht mehr als bestimmter Punkt, als Resultat einer
der Analyse nicht zugänglichen Vorwärtsbewegung;
Eingliederung ist Teil eines Prozesses, bei dem die öffentliche
Maßnahme nur eine Komponente unter anderen ist, eher ein
exogener Faktor, der den weiteren Weg beeinflusst.
So hat die Beobachtung der Wege von Schulabgängern über
dreieinhalb Jahre dazu geführt, drei Typen von Karrieren zu
identifizieren, bei denen die Nutzung der Maßnahmen der
Eingliederung unterschiedliche Bedeutungen und Funktionen hatten:
a: ein konstanter Weg der Eingliederung, bei dem eventuelle
Anfangsschwierigkeiten durch einen bescheidenen Gebrauch
der Maßnahmen sich aufgelöst haben;
b: eine Karriere, die markiert ist eine intensive Teilnahme an
Maßnahmen, durch die in besonderer Weise tieferliegende
Schwierigkeiten, eine Beschäftigung zu finden, zugedeckt werden;
c: eine Karriere, wo dominante Arbeitslosigkeit sich mit häufiger
Teilnahme an Maßnahmen abwechselt, welche die
Schwierigkeiten des Zugangs zu Beschäftigung nicht zudecken,
sondern lediglich die Gefahr der Exklusion weiter
hinausschieben. Die Bedeutungen der Teilnahme an Maßnahmen
kristallisieren sich erst im Laufe der Zeit heraus und sind
nicht auf einen direkten und unmittelbaren Effekt auf die beruflichen
Laufbahnen zurückzuführen.
Die Einordnung der Evaluation in den
umfassenderen Rahmen der Analyse der beruflichen Laufbahnen gestattet
es, die
Rolle des Dispositivs der Mechanismen der Regulierung des
Arbeitsmarktes, der Mobilität, der Konstruktion der
Verwendbarkeit nicht isoliert zu betrachten. Diese Perspektive zeigt
auf, daß die Rolle der öffentlichen Dispositive
komplexer ist als die „staatliche Konvention" sichtbar werden
läßt, welche die Zahlen der Beschäftigung als zentrales
Kriterium der Evaluierung vorgibt. Die sogenannten aktiven
Maßnahmen haben auch Auswirkungen, die den passiven
Maßnahmen vergleichbar sind, indem sie Hilfen für die
Arbeitslosen darstellen, die ohne direkten Bezug mit der Erlangung
einer Beschäftigung stehen.
Evaluationen in Begriffen der Zahlen über die Beschäftigung
geben besser Auskunft über einförmige Verlaufskarrieren als
über zusammengesetzte und unterbrochene, indem sie zahlreiche
Statusänderungen vermischen. Sie führen zu besseren
Ergebnissen für Dispositive nach dem impliziten Modell einer
linearen Karriere (CQ und CRE) und nach den formellen
Normen, die sich leicht in Zahlen und Kategorien übersetzen
lassen: Selektion der Individuen nach allgemeinen Kriterien
(Alter, Qualifikation), Integration in großen oder mittleren
Unternehmen, die eher unabhängig sind von den lokalen
ökonomischen Netzen, die auf Beziehungen des Vertrauens beruhen.
Im Gegensatz dazu scheint die Maßnahme CES (Contrat emploi
solidarité, Solidaritätsarbeitsvertrag) einer anderen
sozialen Welt anzugehören, wo das Funktionieren und die
Wirksamkeit der Maßnahme abhängig ist von der Qualität
der
Beziehung zwischen Arbeitgeber und in CES Beschäftigten und der
Art der Integration desselben in die Organisation,
wobei viele schwer erfaßbare Anpassungen der standardisierten
Maßnahmen im Spiel sind. Es ist daher wichtig, bei der
Evaluierung die Rolle der beteiligten Akteure (Arbeitslose, Ausbildner,
Arbeitgeber) zu berücksichtigen, denn diese
konstruieren durch ihr Tun ein gemeinsames Gut namens „Eingliederung",
daß sich nicht auf den Zugang zu Beschäftigung
zurückführen läßt.
3c Behandlung der Arbeitslosigkeit
und die Logiken der Akteure
Da viele Evaluierungen die
öffentliche Politik bei der Analyse der erreichten Resultate
gleichsam als black box behandeln,
haben andere Forschungen den Schwerpunkt auf die Aktivitäten und
Praktiken jener Akteure gelegt, welche die Dispositive
der Behandlung der Arbeitslosigkeit umsetzen.
Die Verwendungslogiken der Unternehmen
Die Frage, wie von den Maßnahmen Gebrauch gemacht wird, stellt
sich in systematischer Weise hinsichtlich der
Unternehmen, die in einzelnen Maßnahmen involviert sind.
Hinsichtlich des CES läßt sich eine fünffache
Gebrauchweise
feststellen:
a: Verwendung des CES, um den
Funktionsbedarf abzudecken
b: eine nur wenig instrumentalisierte Verwendung des Dispositifs
c. eine kategorielle Handhabung, welche externe Unterstützungen
mobilisiert
d: Engagement bei der beruflichen Eingliederung einiger
ausgewählter Personen
e: als bevorzugtes Mittel zur Absicherung der Dauerhaftigkeit des
Organismus.
Die Formen der Appropriation stellen
Typen der Beziehung Arbeitgeber/Arbeitnehmer heraus und tragen zur
Erklärung der
Beeinflussung der Zukunft ehemaliger Arbeitsloser durch die Teilnahme
an Maßnahmen bei.
In der gleichen Weise zeigt die Analyse,
wie die Unternehmen von den Verträgen zur Qualifikation Gebrauch
machen,
wiederum fünf Logiken:
a: gruppiert um den Pol Kompetenz, der CQ (Contrat qualification) in
die interne Steuerung der Qualifikationen integriert;
b: gruppiert um den Pol Lehre, der aus dem CQ eine recht nahe
Ergänzung der Lehre macht;
c: ein passiver Pol, ähnlich dem voranstehenden, wo aber das
Unternehmen keinen Einluß auf die Umsetzung der
Maßnahme hat;
d: ein Pol „externe Flexibilität", gekennzeichnet durch hohe
Zahlen des Abbruchs von Maßnahmen vor deren Beendigung;
e: ein Pol des Transits, wieder eine Variante des voranstehenden, wobei
die Unternehmen einen Beitrag zur Stabilisierung
der Jugendlichen leisten wollen, diese selbst aber nicht im Unternehmen
verbleiben.
Diese Evaluierungen zeigen, daß die
Ambivalenz ein inneres Merkmal aller öffentlichen Hilfen zur
(Wieder-)Eingliederung
ist, was vielfache und widersprüchliche Möglichkeiten ihrer
Verwendung eröffnet. In einer normativen Perspektive können
derartige Verwendungsweise als perverse oder missbräuchliche
Effekte erscheinen, doch sie sind eher ein „Indiz für die
Widersprüche, welche den öffentlichen Dispositiven anhaften
und die Bedeutung der Texte, die auf ihre Organisation
gerichtet sind, verdunkeln" (Bouquillard 1993).
Die biographischen Logiken der
Arbeitslosen
Die Analysen der Einstellungen der Arbeitslosen den für sie
bestimmten Hilfsmaßnahmen gegenüber sind ebenfalls
zahlreich, besonders hinsichtlich der Ausbildungsdispositive. Eine
Analyse von Langzeitarbeitslosen, die an AIF (Actions
d'insertion et de formations) teilnehmen, arbeitet vier Typen von
Einstellungen heraus:
a: die Ausbildung wird als Beschäftigung betrachtet, als
vorübergehende Problemlösung in der Erwartung des Eintritts
in
den Status der Inaktivität;
b: die Ausbildung wird gesucht unter dem Blickwinkel eines leichteren
Zuganges zur Beschäftigung (Investition in Ausbildung)
c: die Ausbildung wird abgelehnt, denn sie scheint ungeeignet zu sein,
dem Prozess der zunehmenden Marginalisierung
entgehen zu können (Widerstand gegen Ausbildung)
d: die Ausbildung wird aus finanziellen Gründen akzeptiert, womit
die offizielle Logik verschoben wird
(Instrumentalisierung der Ausbildung).
Die Teilnahme von Arbeitslosen an
Ausbildungsgängen ist also nicht nur vom Ziel einer Rückkehr
in die Beschäftigung
her zu erklären. Weiterhin als Arbeitsloser anerkannt zu sein, das
zu erhalten, was man als ein Recht betrachtet,
finanziellen Schwierigkeiten zu begegnen, sich beschäftigen, um
ernst genommen zu werden etc., die Erwartungen der
Arbeitslosen sind sehr verschiedene.
In einer ähnlichen Perspektive bringt die Gegenüberstellung
der „biographischen Logiken" isolierter Frauen, die an
Ausbildungsgängen teilnehmen, mit den Praktiken jener, die sie
anheuern, auswählen, beeinflussen und ausbilden, die
Mechanismen der Erzeugung von Erfolg des Ausbildungsganges an Licht.
Denn er läßt sich organisieren, um die
Erwartung einer Frau herum, welche darin eine Möglichkeit sieht,
sich von der familialen Umwelt zu emanzipieren, und
um die Strategie der Funktionäre, die bestrebt sich, die
weiblichen Arbeitskräfte in den Unternehmen zu fördern. Die
Analyse bringt also die Interdependenzen zwischen den Logiken
verschiedener Akteure ans Licht: derer, die davon
profitieren, und derer, die damit berufsmäßig befasst sind.
Die Umsetzung der Dispositive
Die öffentlichen Dispositive und die Handlungen der Administration
lassen sich also, was ihre Bedeutung betrifft, in Frage
stellen von der Art her, wie sie von den Akteuren interpretiert,
transformiert und angeeignet werden. Die Beziehungen
zwischen den Maßnahmen und ihren „Nutznießern" sind also
nicht auf ein Modell eines direkten und einseitigen Einflusses
zu reduzieren. Die Artikulation hat eher umgekehrt anzusetzen: es geht
darum, abweichende Arten der Aneignung der
Maßnahmen zu identifizieren, ausgehend von den biographischen
Logiken der Arbeitslosen.
In gleicher Weise zeigen diese Evaluierungen, daß die Bedeutung
der Dispositive auch von den politischen und ethischen
Logiken abhängig ist, welche der Aktion der damit beruflich
Befaßten zugrunde liegen. Die Entwicklung lokaler
Evaluierungen, welche dieselben Beobachtungsprotokolle an verschiedenen
Orten verwenden, folgt dieser Linie, denn sie
sind darauf gerichtet, jenseits großer sozio-ökonomischer
Disparitäten territorial bedingte Unterschiede in der Umsetzung
der Sozialpolitik sichtbar werden zu lassen.
Jede Kategorie von Akteuren (administrative Entscheidungsinstanzen,
Ausbildungsorganisationen, lokale Abgeordnete,
Ausbildner, Arbeitslose) übersetzt die jeweiligen Dispositive als
Funktion der eigenen Ziele, ihrer Sichtweise von
Beschäftigung, ihrer Vorstellungen über die betroffenen
Öffentlichkeiten. Dieser Prozess der Übersetzung
öffentlicher
Hilfen läuft darauf hinaus, daß jedes „reale Dispositiv"
eine ziemliche große Autonomie dem „legalen Dispositiv"
gegenüber hat, und weiter, daß es zwischen der offiziellen
Politik des Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit und ihrer
Umsetzung in konkrete Aktionen eine unüberwindliche Distanz gibt.
Die Identifizierung vielfacher und
komplexer Vermittlungen zwischen der Arbeit einer öffentlichen
Hilfsmaßnahme und
ihrer Effekte auf die individuellen Laufbahnen ist so die Grundlage
eines konstruktivistischen Zuganges zur Rolle der
Behandlung von Arbeitslosigkeit. Ein solcher Zugang stellt die
ausgeübten Funktionen der Maßnahmen (Hilfen für
Beschäftigung, Sozialisation, Sozialkontrolle etc.) und den
Prozess der Konstruktion der Statuspositionen der Arbeitslosen
in Frage, ob sie nun im unscharf definierten sozialen Raum der
Eingliederung engagiert sind oder nicht. Gleichzeitig ist die
Stellung von Arbeit und Beschäftigung bei der Entwicklung sozialer
Identitäten Gegenstand der Frage.
V. In der
Arbeitslosigkeit leben und existieren
Soziologen haben sich dafür
interessiert, wie Arbeitslose leben und mit dem Fehlen von
Beschäftigung fertig werden. In einem Kontext der
Massenarbeitslosigkeit können sich derartige Forschungen jedoch
nicht auf eine Ethnographie beschränken, die sensibel ist für
die Anpassungsleistungen im
täglichen Leben der Arbeitslosen, aber blind für die damit
verbundenen Konsequenzen für die Bedeutung der Arbeitslosigkeit
und die Stellung der Arbeitslosen
in einer Gesellschaft, die durch den Mangel an Beschäftigung
nachhaltig aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Die Erfahrung der Arbeitslosigkeit ist nicht nur ein individuelles
Problem; sie betrifft die ganze Gesellschaft, macht den Platz sichtbar,
welcher den
Arbeitslosen zugewiesen wird. Wenn sich aus der Arbeitslosigkeit auch
ein inferiorer sozialer Status ergibt, so gibt es dennoch verschiedene
Arten, sie zu
leben; wenn Arbeitslosigkeit auch ohne sozialen Wert zu sein scheint,
so impliziert sie nicht notwendigerweise Exklusion; wenn
Arbeitslosigkeit auch die
sozialen Identitäten destabilisiert, so macht sie nicht
notwendigerweise sprachlos und kollektiv handlungsunfähig.
1. Die Arbeitslosigkeit, ein
sozialer Status
Forschungen auf der Grundlage von
Gesprächen mit Arbeitslosen tendieren dazu, Arbeitslosigkeit als
einen Traumatismus zu beschreiben, der alle Aspekte des
individuellen, familiären und sozialen Lebens in Mitleidenschaft
zieht. Wenn mit Beschäftigung in unserer Gesellschaft
Wertschätzung, Würde und soziale
Identität verbunden sind, so scheint die Arbeitslosigkeit die
Negation aller Wertschätzung, Verlust der Würde und
Destruktion der sozialen Identität mit sich zu
bringen. Wenn diese Feststellungen ein soziologisches Theorem der
Arbeitslosigkeit zu sein scheinen, so tendieren sie auch dazu, ein
Postulat zu werden.
1a Die Lasten der Arbeitslosigkeit
Die ersten Untersuchungen über die
Folgen des Verlustes der Beschäftigung für die
ökonomische Situation der einzelnen und ihrer Familien, für
das tägliche
Leben und die Moral, wurden im Kontext der Krisen der 30er Jahre
angestellt. Diese soziologischen Pionierarbeiten waren darauf
ausgerichtet zu verstehen,
wie die Arbeitslosigkeit auf jenen lastet, die ihr ausgesetzt sind.
Die Arbeitslosigkeit, das Ende des
sozialen Lebens
Die erste soziologische Untersuchung der Arbeitslosigkeit, die als
Referenzpunkt fungiert, ist jene in Marienthal. Dort hatte zwei Jahre
vor dem
Forschungsbeginn die lokale Fabrik zugemacht und den Großteil der
Arbeiter bei nur geringer Entschädigung zur Arbeitslosigkeit
verurteilt. Die analysierte
Situation ist also gekennzeichnet durch Massenarbeitslosigkeit und
wenig Möglichkeiten, im Ort eine andere Beschäftigung zu
finden. Diese Gemeindestudie
hatte vielfältige negative Konsequenzen herausgestellt:
Verschlechterung des privaten Lebens, der Lebenshaltung und der
familiären Beziehungen; Rückgang
der sozialen, politischen und freizeitbezogenen Aktivitäten;
Destabilisierung der Zeitwahrnehmung, welche aufhört, den Alltag
zu strukturieren; Kontraktion
des mehr und mehr eingeengten Lebensraumes.
Die von der Arbeitslosigkeit betroffene Gemeinde wird so zu einer
müden Gemeinde, paralysiert mehr durch Fatalismus, Resignation,
Mangel an Betätigung
und die Absenz von Perspektiven als durch das Elend selbst. Die
Arbeitslosigkeit wird gelebt als Verlust des sozialen Status, als
Auflösung jeder sozialen
Anerkennung, als Destruktion der sozialen Funktionen, welche die
einzelnen ausübten, und als das Ende des sozialen Lebens.
Die Arbeitslosigkeit, eine soziale
Demütigung
Die erste wichtige Forschungsarbeit auf der Grundlage von
Tiefeninterviews mit Arbeitslosen führte zur Definition der
Arbeitslosigkeit als Absenkung des
Status, erlebt als soziales Scheitern, gekennzeichnet mit dem Stempel
der Demütigung (Ledrut 1966). Die Demütigung des Arbeitslosen
hat zwei
Komponenten. Einerseits ein „sozialer Mangel", das Gefühl,
schlecht angesehen, in der Position eines Bittstellers zu sein, eine
unverdiente Behandlung zu
erfahren, mit Säufern und Faulen verwechselt zu werden.
Andererseits eine soziale Scham, d.h. der Eindruck, von den anderen
abgesondert zu sein, das Gefühl,
selbst schuld daran zu sein an dem, was passiert. Wenn das Gefühl
der Demütigung oder der sozialen Erniedrigung auch unterschiedlich
intensiv ist, so ist es
doch typisch für die Situation der Arbeitslosigkeit.
Die Arbeitslosigkeit beschränkt sich nicht nur auf den Mangel an
Beschäftigung oder eine ökonomische Inferiorität,
sondern ist soziologisch definiert als
„soziale Inferiorität", die mit der Entwertung der Position des
Arbeitslosen verbunden ist, und als „soziale Machtlosigkeit" der
Arbeitslosen selbst, die in die
Isolation gedrängt und der kollektiven Paralysierung
überlassen werden. Dies Häufung ungünstiger
Umstände bestimmt die „soziale Schwäche" der
Arbeitslosen, welche dazu tendiert, im Sinne eines circulus vitiosus zu
funktionieren.
Der Soziologe und die Erfahrung der
Arbeitslosigkeit
Das „Gesetz der sozialen Schwäche" der Arbeitslosen wie der Befund
ihrer kollektiven Apathie bilden den Rahmen des soziologisches
Diskurses, wie
Arbeitslosigkeit subjektiv erfahren wird: die Arbeitslosigkeit zeigt
sich zunächst wie eine „leere Zeit" und ein Verlust des Status.
Die Konstanz dieser
Feststellungen wirft die Frage der Beziehung des Soziologen zu seinem
Gegenstand auf.
Wenn die Aufgabe des Soziologen darin besteht zu verstehen (Bourdieu
1993, in: Das Elend der Welt), so heißt die Arbeitslosen
verstehen, eine Erfahrung zu
verstehen, die von der eigenen Position recht weit entfernt ist.
Lazarsfeld spricht diese Schwierigkeit an, wenn er auf den Schock
hinweist, den die Studie von
Marienthal ausgelöst hat. „Wissenschaftliche Absichten haben uns
nach Marienthal geführt. Wir sind von dort wieder weg mit einem
einzigen Wunsch: daß so
tragische Forschungsanlässe verschwinden". Diese soziale Distanz
zu einem Gegenstand, der dennoch so zentral ist für die
Gesellschaft, bringt offensichtlich
Risiken des Ethnozentrismus mit sich, wie D. Schnapper (1989)
hervorhebt: „Der Akzent, den ich in den vorangehenden Arbeiten auf die
statusmäßige
Inferiorität der Arbeitslosen gelegt habe, ohne dabei ausreichend
den relativ positiven Charakter ( jedenfalls des öfteren
erwähnt) hervorzuheben, ist von einem
Ethnozentrismus eines Funktionärs gekommen, der sich durch die
Haltung der Arbeitslosen selbst bestätigt gefühlt hat: denn
diese haben ihre Situation und ihre
Erfahrung analysiert im Hinblick auf den höheren Status der
Beschäftigung, die sie anstrebten, nicht auf den inferioren Status
ohne jeden Bezug zur
Beschäftigung, dem sie zu entkommen suchten."
Dennoch, die Schwierigkeiten, die soziale
Erfahrung der Arbeitslosigkeit zu verstehen, dürfen nicht zu jener
sterilen Einstellung führen, welche die
Arbeitslosen zum Sprechen bringen will, sich selbst aber hinter
trockenen Ausdrücken versteckt, welche stets in der Forschung und
vom Forscher mitproduziert
werden (Mathis 1979). Auch wenn mehrere Arbeitslose oder ehemalige
Arbeitslose ihren Erfahrungen gemeinsamen Ausdruck verleihen, kann ein
autobiographischer Bericht keinesfalls die soziologische Analyse
ersetzen, auch wenn es wichtig ist, den Arbeitslosen zuzuhören,
weniger deswegen, um unsere
Ignoranz oder unser Desinteresse zu verringern, sondern vielmehr, um
die Kategorien unseres Denkens zu überprüfen und uns von
falschen Sicherheiten frei zu machen.
Wenn schließlich die Pionierarbeiten eine soziologische
Sichtweise der Arbeitslosigkeit gefördert und legitimiert haben,
welche darin eine destabilisierende und
traumatisierende Erfahrung sehen, eine Katastrophe, begleitet von
Demütigung, Apathie, Anomie und Besitzverlust, so deswegen, weil
sie von einem
besonderen Typus eines Arbeitslosen ausgehen: ein männlicher
Erwachsener, Familienoberhaupt, aus ökonomischen Gründen
entlassen und weil sie
Arbeitslosigkeit mehr als einen Zustand denn als zeitlichen Prozess
konstituieren.
1b Die Dynamik der Arbeitslosigkeit
Es sind vor allem die Forschungen im
Bereich der Sozialpsychologie, welche die Dynamik der Arbeitslosigkeit
in den Vordergrund gerückt haben. Die
Verlängerungen der Dauer der Arbeitslosigkeit haben neuerdings
einige Soziologen dazu veranlasst, sich für dieses Problem zu
interessieren, allerdings aus
einer offensichtlich anderen Perspektive.
Die Arbeitslosigkeit, ein
psychosozialer Übergang
Zahlreiche, vor allem amerikanische Studien haben sich mit den Phasen
beschäftigt, durch die sich ein arbeitslos gewordenes Individuum
seiner neuen Situation
anpasst. Arbeitslosigkeit wird hier wie andere Situationen der Krise
betrachtet (Trauer, Trennung, Eintritt in den Ruhestand, Eintritt ins
aktive Leben, Geburt
eines Kindes, berufliche Beförderung etc.): sie führen beim
Individuum zur Auseinandersetzung mit dem Wechsel, zur Transformation
der Repräsentationen
über die Welt, zu Modifikationen der Selbsteinschätzung und
zur Neudefinition der Möglichkeiten.
Aus den vielen Untersuchungen
läßt sich eine „Übergangszyklus" herauslesen, der die
Auswirkungen der Arbeitslosigkeit auf die persönlichen
Beziehungen,
auf die Neubestimmung der sozialen Stellung etc. berücksichtigt.
Dieser Zyklus wird nicht in einheitlichen Modellen dargestellt, und
manche betonen die
Tatsache, daß dieser Übergang von den individuellen
Erfahrungen der Subjekte oder von ihrer Zugehörigkeit zu
Beziehungsnetzen abhängig sein kann.
Schematisch läßt sich dieser Zyklus als Abfolge von drei
aufeinander folgenden Abschnitten beschreiben.
Die erste Phase entspricht dem Verlust der Arbeit und dem Eintritt in
die Arbeitslosigkeit. Wie groß der Schock auch sein mag, das
Individuum zeigt keine
unmittelbare Reaktion, denn es kennt nicht alle Implikationen dieses
Ereignisses. Denn es unterschätzt seine Tragweite, sucht ein
Verhältnis zu Realität, als ob
sich nichts ereignet hätte.
Die zweite Phase besteht darin, dass der Bruch bewusst wird. Die
Annahme der Realität ist von einem depressiven Pessimismus
begleitet. Das Individuum ist
niedergeschlagen, ohne Reaktion und ohne Fähigkeit zum Handeln. Es
läßt sich gehen und die Gefühle der Zerstörtheit
und des Schuldig-Seins dominieren.
Die dritte Phase ist jene, in der das Verlorene wiederangeeignet wird:
das Bewusstsein der objektiven konkreten Veränderungen führt
zu einer subjektiven
Neubewertung der Situation Auf der Suche nach einem Sinn beginnen sich
die Arbeitslosen neu einzustellen und anders zu verhalten, einen neuen
Bezugsrahmen zu internalisieren und auf die Arbeitslosigkeit
einzurichten. Sie erfahren gleichsam eine Umkehr (conversion), die eine
neue Interpretation der
Welt und der eigenen Stellung in ihr voraussetzt.
Die Validität solcher Forschungen
über Phasen der Entwicklung scheint auf den typischen Arbeitslosen
beschränkt zu sein, dem Gegenstück des typischen
Arbeiters: Erwachsener Mann, entlassen aus ökonomischen
Gründen. Doch ein solches Profil ist nicht universell und
entspricht eher der Periode der 70er Jahre:
es trifft nicht zu auf Frauen, die wieder aktiv sein wollen, nicht auf
Arbeitslose, die Weiter- und Umschulungskurse hinter sich haben, nicht
auf Junge, die in
den Arbeitsmarkt eintreten wollen und auch nicht auf solche, die
prekäre Gelegenheitsarbeiten verrichten.
Überdies zeichnet ein derartiger psychosozialer Ansatz den
Arbeitslosen ohne Bindungen, ohne soziale Charakteristik und kulturelle
Verwurzelung. So wird
eine uniforme Figur auf eine psychologische Ebene gehoben, deren
Reaktionen einem generalisierten Modell zugerechnet werden. Aus
soziologischer
Perspektive wären solche Vorstellungen von Reaktionszyklen zu
ergänzen durch Überlegungen zur Rolle von Arbeit und
Beschäftigung in der Sozialisation der
einzelnen Individuen und eine Theoretisierung der Identifikation mit
den beruflichen Karrieren und der Implikation in den Aktivitäten.
Führt ein Absinken in die
Arbeitslosigkeit zum Fatalismus?
Andere, mehr soziologische Untersuchungen analysieren die Auswirkungen
von Arbeitslosigkeit mehr im Hinblick auf die Langzeitarbeitslosigkeit:
führt die
Verlängerung der Arbeitslosigkeit die einzelnen nicht zu einer
neuen Bewertung und Bestimmung der eigenen Situation, zu
Änderungen in der Lebensweise
etc., und was ist der Sinn dieser Anpassungen?
So hat eine Untersuchung bei 50
Langzeitarbeitslosen zur Analyse eines Prozesses der Vereinheitlichung
der Erfahrungen geführt, die zur einer Ausweitung
negativer Selbstwahrnehmung führt, zum Aufbau einer „negativen
Identität". Je länger die Arbeitslosigkeit andauert, umso
mehr verringert sich der Einfluss der
sozialdemographischen Variablen auf die Erfahrung und wird die Leere
der Existenz zum gemeinsamen Grundgefühl.
Im Gegensatz dazu weisen andere Forschungen darauf hin, daß die
Erfahrungen der Langzeitarbeitslosigkeit verschiedenartig sind. Eine
Studie über die
Zeitorganisation der Arbeitslosen hebt hervor, daß sich die
Zeiten der Langzeitarbeitlosen in gewissen Belangen (geringere
Arbeitssuche, mehr Betätigungen in
häuslichen Angelegenheiten) verschieden gestalten, in vielen
anderen Belangen (Geselligkeit, Freizeit, gegenseitige Hilfe...) sich
jedoch nicht unterscheiden.
Denn die Ausübung einer beruflichen Beschäftigung ist die
Grundlage der zeitlichen Strukturierung. Der Bruch scheint also in der
Frühphase der
Arbeitslosigkeit größer zu sein als in deren weiterem
Verlauf. Eine Analyse jener, die bereits mehr als drei Jahre arbeitslos
sind, zeigt auf, daß auch dies eine
sehr heterogene Kategorie ist hinsichtlich der Beziehungen zu Arbeit,
Beschäftigung und Arbeitslosigkeit.
Die Diskussion bleibt also offen: Führt die Erfahrung der
Langzeitarbeitslosigkeit zu einer homogenen und einheitlichen
Identität oder sind unterschiedliche
subjektive Logiken auch über diese Zeit hinaus von Dauer?
2. Unterschiedliche Erfahrungen
der Arbeitslosigkeit
Der Großteil der qualitativen
Untersuchungen auf der Grundlage von Interviews bei einer kleinen
Stichprobe zeigt, daß jenseits der Einheitlichkeit des Status
des Arbeitslosen die Arten, die Arbeitslosigkeit zu leben, sehr
verschieden sind. Diese Verschiedenheit bedeutet nicht die
Auflösung der Erfahrungen der
Arbeitslosigkeit. Daher werden Typologien gebildet und auch andere
Vorschläge gemacht, die Heterogenität der individuellen
Erfahrungen zu strukturieren.
2a Konvergierende, aber
uneinheitliche empirische Erfahrungen
Die ersten Untersuchungen über die
Reaktionen auf Arbeitslosigkeit schenken der Verschiedenheit der
Reaktionen wenig Beachtung. In der Gemeinde
Marienthal war das dominante Charakteristikum eine allgemeine
Erschöpfung, und wenn Lazarsfeld et al. zwischen „Resignierten",
„Stabilen", „Verzweifelten"
und „Apathischen" unterschieden haben, so fügten sie doch dazu,
daß es nicht immer leicht sei, zwischen diesen vier Kategorien zu
unterscheiden. Diese
Typologie mischt tatsächlich unterschiedliche Elemente zusammen:
antizipierende Einstellungen wie die Projektion in die Zukunft oder die
Suche nach einer
Beschäftigung und tägliche Verhaltensweisen wie die
Führung des Haushaltes, häusliche Reinigungsarbeit und die
Verwaltung des Geldes. Diese zweite Reihe
von Kriterien, die bei Besuchen der Forscher in den Häusern
entstanden ist, hat einen nicht zu vernachlässigenden normativen
Anstrich, denn er führt zur
Feststellung „irrationalen ökonomischen Verhaltens". Weiters gibt
es keinerlei Bemühungen zur Erklärung der festgestellten
Unterschiede, wohl auch
deswegen, weil diese Typologie nur beiläufig erwähnt ist.
Wenn Ledrut (1966) eine für die Arbeitslosigkeit doppelte
Erfahrung herausstellt und dabei den abgestiegenen Langzeitarbeitslosen
im Auge hat, so kommt er
zu keinerlei Typologie: diese typische Lebensform ist im Rahmen zweier
begrenzender Werte zu sehen, die nicht zum Feld der Arbeitslosigkeit
gehören, denn
sie entsprechen den Situationen jener, die noch nicht voll und ganz
arbeitslos sind, weil sie noch stark ins Arbeitsleben integriert sind,
und, im Gegensatz dazu,
den Situationen jener, die nicht mehr voll und ganz Arbeitslose sind.
Drei Arten, der Herausforderung der
Arbeitslosigkeit zu begegnen
Seit Ende der 70er Jahre ist die Konstruktion von Typologien eine
konstantes Element soziologischer Forschungen. Exemplarisch dafür
ist die Arbeit von D.
Schnapper (1994), wo drei wesentliche Dimensionen unterschieden werden.
Die erste Dimension besteht in der
Fähigkeit, substituierende Tätigkeiten auszuführen und
sich in einem anderen Status als dem des Arbeitslosen (Ruhestand,
Student, Künstler...) zu engagieren: Arbeitslosigkeit wird also
weniger negativ erlebt, je mehr es gelingt, erfüllende
Tätigkeiten auszuüben.
Die zweite Dimension ist die Intensität und die Form der
Soziabilität: je mehr der Arbeitslose in soziale Netze integriert
ist, die mit seinem beruflichen Leben
nichts zu tun haben, umso weniger schwer ist es, die Arbeitslosigkeit
zu ertragen.
Schließlich stellt die familiäre Integration eine Hilfe in
der Krise dar, während umgekehrt familiäre Probleme die Krise
zusätzlich verschärfen.
Kombinationen dieser drei Dimensionen führen zu drei Typen von
Arbeitslosigkeit: die „totale Arbeitslosigkeit", die „invertierte
Arbeitslosigkeit" und „die
verschobene Arbeitslosigkeit".
In der Form der „totalen Arbeitslosigkeit" bedeutet Arbeitslosigkeit
Statusverlust, Zurückgeworfen-Sein auf sich selbst, Auflösung
der früheren Solidaritäten.
Damit verbundene Gefühle sind das Empfinden des Scheiterns,
Demütigung, generelles Elend, Existenzleere, Angst vor der
Zukunft. Also eine marginalisierte
soziale Welt und Desozialisierung.
Die Abwendung von der gewöhnlichen
Arbeit in hierarchischer Abhängigkeit ist der Ausgangspunkt zu
einer Umkehrung des Sinns von Arbeitslosigkeit. Sich
in Tätigkeiten für sich selbst zu engagieren. bisher
vernachlässigte Dinge tun, künstlerische Aktivitäten
aufzunehmen, das Leben eines Studenten zu führen,
dies sind nur einige Varianten sinnvoller Zeitverwendung. Die
„invertierte Arbeitslosigkeit" ist also in einem Wertsystem verankert,
in dem Lohnarbeit und
Zwang gegenüber anderen Tätigkeiten der Selbstverwirklichung
zweitrangig sind.
Bei der „verschobenen Arbeitslosigkeit" ist die Suche nach Arbeit eine
Vollzeitbeschäftigung, ein Äquivalent zur Berufsausübung
in verschiedenen Formen.
Anstrengungen, Arbeit zu finden, Teilnahme an Weiterbildungskursen,
Verbesserung der beruflichen Qualifikationen etc., alles
Tätigkeiten, welche die
Chancen verbessern, eine Beschäftigung zu finden. Dies führt
dazu, der sozialen Entwertung Widerstand entgegenzusetzen, und trotz
der Absenz einer
beruflichen Betätigung den Status eines Aktiven aufrechtzuerhalten.
Eine Gewissheit: die
Variabilität der Erfahrungen von Arbeitslosigkeit
Derartige Rasterungen haben die Funktion von Referenzpunkten für
andere Forschungen. Wenn in manchen Forschungen solche Bezüge
nicht hergestellt
werden, dann deswegen, weil sie von vornherein nur auf bestimmte
Kategorien ausgerichtet sind, wie z.B. auf Jugendliche und
Langzeitarbeitslose. Die
Ergebnisse der Forschung sind also ziemlich uneinheitlich: die
Populationen werden unterschiedlich festgelegt, die Ergebnisse immer
wieder anders präsentiert,
und gegenseitige Bezugnahmen sind selten.
Dennoch besteht ein Konsens darüber, daß Arbeitslosigkeit
verschieden erfahren wird: es gibt Unterschiede im Bezug auf sich
selbst, der Form des Lebens, der
Strategie der Arbeitssuche etc. Es bleiben also die Fragen, wie diese
Unterschiede zu interpretieren und zu erklären sind.
2 b Gibt es erklärende
Prinzipien?
Es stellt sich die Frage, inwiefern
induktive Analysen der Erfahrung der Arbeitslosigkeit zu
konvergierenden Erklärrungen über die unterschiedliche
Verarbeitungsweisen führen, d.h., zu einer erklärenden
Theorie dieser Unterschiede.
Jugendliche Arbeitslose und
Arbeitslosigkeit
Die Feststellung einer Beziehung zwischen der Intensität der
Erfahrung der subjektiven Entwertung und dem der Arbeit zugeschriebenen
Wert geht auf Ledrut
zurück und ist später auch von anderen aufgegriffen worden.
Diese Hypothese ist wohl auch die Grundlage der Unterscheidung zweier
sehr verschiedener
Formen der Verarbeitung von Arbeitslosigkeit bei den Jugendlichen: eine
„krankmachende Arbeitslosigkeit" und eine „banalisierte
Arbeitslosigkeit".
Jugendliche, die berufliche Eingliederung suchen, die Arbeit hoch
bewerten oder darin zumindest eine soziale und moralische Pflicht
sehen, nehmen die
Arbeitslosigkeit als „traumatisierende Erfahrung" wahr und als Grund
dafür, schuldig zu sein. Umgekehrt sehen Jugendliche, die sich in
den Systemen der
Arbeitsorganisation nicht wiedererkennen können und damit
verbundene Zwänge ablehnen, in der Arbeitslosigkeit keine
Exklusion, sondern als Chance, ihre
eigenen Projekte realisieren zu können.
Die Banalisierung der Arbeitslosigkeit
bei Jugendlichen ist Gegenstand unterschiedlicher Interpretationen:
Für die einen ist dies ein Protest gegen die Ideologie
der Arbeit und des sozialen Erfolgs durch den Beruf, also eine Allergie
gegen die Arbeit oder die Ablehnung bestimmter Formen von Lohnarbeit,
besonders der
industriellen Arbeit am Fließband. (Pialoux 1979). Für
andere hat diese Banalisierung den Sinn einer Ernüchterung, vor
allem bei Jugendlichen aus der
Mittelschicht mit Abschlüssen von allgemein bildenden Schulen,
deren Zeugnisse auf dem Arbeitsmarkt keinen großen Wert haben.
Dahinter verbirgt sich also
eine Strategie der Verzögerung des Eintritts ins aktive Leben, als
Antwort auf eine drohende Deklassierung und damit verbundener
kollektiver
Desillusionierung (Bourdieu 1978) Sie ist das Ergebnis der Divergenz
zwischen Zukunftsplänen, subjektiven Erfolgswahrscheinlichkeiten
und den gegebenen
Realisierungsmöglichkeiten. Bei Jugendlichen ohne höhere
Bildung, soferne sie große Schwierigkeiten bei der Berufsfindung
haben, findet sich diese
distanzierte Einstellung zum Arbeitsmarkt aber nicht und ebensowenig
eine Banalisierung der Arbeitslosigkeit.
Bedeutung der Arbeitslosigkeit und
Bedeutung der Arbeit
Der Mangel an Arbeit hat zur Frage über die Beziehungen zwischen
Beschäftigung, Integration und Exklusion und auch zur Frage nach
dem Stellenwert der
Arbeit in unserer Gesellschaft geführt. Manche behaupten, die
Stellung der Arbeit erfahre derzeit einen Wandel, doch die empirischen
Belege dafür bleiben
dürftig. Von der Krise der Beschäftigung lassen sich nur
schwer Schlüsse ziehen auf die Beziehungen der Arbeitslosigkeit
zur Arbeit, denn die Befragten sind
meist Besitzer eines Arbeitsplatzes und die Arbeitslosen sind nur wenig
bereit, die Erfahrungen zu relativieren, die mit Arbeit verbunden sind.
Neuere empirische Untersuchungen
unterstreichen den zentralen Stellenwert der Arbeit für
Arbeitslose und die Konstituierung ihrer Identität. Nach wie vor
ist
der Zugang zu einem stabilen Dauerarbeitsplatz gemeinsame Norm und es
wäre falsch, von einer Abneigung der Jungen gegen die Arbeit zu
sprechen.
Unterstützungsempfänger suchen sich von Sozialarbeitern zu
distanzieren, um nicht den Status eines Betreuten zu haben. So wollen
eine richtige Arbeit, nicht
Umschulungen oder nur vorübergehende Beschäftigung. Arbeit
ist nach wie vor zentral für die gegenseitige Anerkennung und ein
Faktor der Identitätsbildung.
Erfahrung der Arbeitslosigkeit und
soziale Gruppen
Die unterschiedlichen Arten, Arbeitslosigkeit zu erfahren, sind kein
Zufall. Nach D. Schnapper hängt jeder Typ von Arbeitslosigkeit mit
besonderen sozialen
Merkmalen zusammen. Die „totale Arbeitslosigkeit" ist eng mit manueller
Arbeit verbunden. Jugendlichen mit nicht-manueller Arbeit gelingt es
viel eher, die
Arbeitslosigkeit zu invertieren und sich in anderen Aktivitäten zu
engagieren, damit Deprofessionalisierung und Desozialisation zu
vermeiden.
Bei allen Gruppen spielen Alter, kulturelles Niveau, Beziehung zwischen
finanziellen Erfordernissen und Familieneinkommen eine große
Rolle. Die Erfahrung
der Arbeitslosigkeit hängt von der komplexen Kombination
heterogener Variabler ab: Stellung im Lebenszyklus, Position in der
sozialen Struktur, in einer
sozialen Laufbahn, subjektive Vorwegnahme der Zukunft, Beziehungsnetze,
sozial mögliche Statuspositionen. Arbeitslosigkeit wischt soziale
Unterschiede und
vorangegangene Sozialisationen nicht weg. In der Arbeitslosigkeit gibt
es also ähnliche Ungleichheiten wie in den Situationen der Arbeit.
Die Erfahrung der
Arbeitslosigkeit verweist also zurück auf die Prozesse der
Konstitution von Identität.
Erfahrung der Arbeitslosigkeit und
Konstruktion von Identitäten
Die Erfahrung der Arbeitslosigkeit läßt sich nicht
reduzieren auf die Spannung zwischen Suche nacht Arbeit unter
Bedingungen einer massiven Arbeitslosigkeit
einerseits und der Entwicklung von Ersatzaktivitäten und der
Existenz in sozialen Netzen, die mit der beruflichen Welt nichts zu tun
haben andererseits. Mit
dieser Erfahrung sind auch Prozesse der Sozialisation verbunden, der
ständigen Neubewertung des eigenen sozialen Wertes, der
Auseinandersetzung mit der
eigenen Zukunft, der Konstruktion der Identität und der
Internalisierung der gegebenen Möglichkeiten. Doch diese
Sozialisation setzt einen Dialog mit sich
selbst und den anderen voraus, besonders mit den Experten der
Eingliederung. Die gelebte Erfahrung der Arbeitslosen und die dabei
bestehenden Unterschiede
verstehen erfordert also die Verknüpfung einer „biographischen
Transaktion", durch die der Arbeitslose auf dem Hintergrund seiner
Vergangenheit seine
Möglichkeiten in die Zukunft projiziert, mit einer „relationellen
Transaktion", die darin besteht, der Legitimität seiner
Erwartungen und Ansprüche bei
institutionellen Partnern Geltung verschaffen zu können oder nicht.
Eine Untersuchung bei Jugendlichen ohne Diplom in einer
Eingliederungsmaßnahme, welche die Praktiken, Einstellungen und
Repräsentationen dieser
Arbeitslosen erfassen will, illustriert diesen Ansatz. Dabei wurden
vier Typen von „Logiken des Handelns" herausgehoben, welche
Rationalitätsformen
darstellen, welche in einer kohärenten Form frühere Praktiken
(familiäre, schulische, nach-schulische), die erlebte Situation
und die künftigen Möglichkeiten
miteinander verbinden. Eine erste Dimension, eine „temporelle" oder
„biographische", führt zur Unterscheidung von „Jugendlichen ohne
Zukunft", die nicht in
der Lage sind, berufliche Pläne zu entwickeln und die Bedingungen
des Zugangs zu einer Dauerbeschäftigung vorwegzunehmen, und
solchen Jugendlichen,
welche „Strategien in alle Richtungen" entwickeln, indem sie
verschiedene Formen der Beschäftigung mit Gelegenheiten zur
Weiterbildung kombinieren und
so eine qualifizierte Dauerbeschäftigung vorwegnehmen. Zwischen
diesen beiden Polen befinden sich jene, die in Unsicherheit leben,
entweder eine prekäre
Beschäftigung vorwegnehmen oder eine Ausbildungsphase mit
unsicheren Ergebnissen absolvieren. Dieser ersten Achse fügt sich
eine zweite hinzu, eine
„relationelle". Sie polarisiert zwischen jenen Jugendlichen, die
vorrangig eine Zertifizierung im Auge haben, d. h. sich auf eine
längere Ausbildungsphase
einstellen, weil es in ihrer Umgebung einen Erwachsenen als
Bezugsperson gibt und jenen, welche der „instrumentalen Arbeit" den
Vorrang einräumen, d.h.
lieber jeden kleinen Job annehmen als sich auf Ausbildungsgänge
einzulassen, deren Resultate schwer abzuschätzen sind. Eine solche
Analyse führt zu vier
Typen von Rationalität und macht die guten Gründe klar, die
jeder junge Arbeitslose hat, auf eine Beschäftigung zu hoffen oder
nicht, eine offene Zukunft
vorwegzunehmen oder nicht, eine Ausbildung zu machen oder nicht etc.
So beschränkt sich die gelebte Arbeitslosigkeit nicht auf eine
subjektive Erfahrung oder auf die Erfahrung in Primärgruppen
(Familie, Nachbarschaft ...). Sie
konstituiert sich auch im Kontakt mit Institutionen, besonders
administrativen, wo der Arbeitslose benannt, klassifiziert und
orientiert wird, wo die „Prüfer"
auch ihre Diagnosen über die Verwendbarkeit erstellen. Dies
geschieht im direkten Kontakt oder im Verlauf der Interaktionen, wo
Identitätskonzepte und
soziale Kategorisierungen ausgehandelt werden: Einordnung als einen
gleichsam Behinderten oder Quasi-Pensionisten, als Arbeitssuchenden und
damit
wirklich Arbeitslosen, Zurückstufung in eine schwer
erträgliche Übergangsphase oder Anpassung an eine Situation
untergründiger Aktivitäten. Arbeitslosigkeit
hat also nichts mit einheitlichen Erfahrungen zu tun. Wenn diese
Feststellung auch empirisch untermauert ist, so fehlt es noch an
soliden theoretischen
Erklärungen dieser Unterschiede.
3. Die Arbeitslosen: eine soziale
Gruppe?
Die Heterogenität der Erfahrungen
der Arbeitslosen führt zu Frage, ob die Arbeitslosen eine Gruppe
darstellen Diese Frage läßt sich vertiefen durch die Analyse
der Lebensbedingungen und das Studium der kollektiven Handlungen.
3a Äußerst diskriminierte
Lebensbedingungen
An deskriptiven statistischen Angaben
(Alter, Geschlecht, Bildungsniveau, Qualifikation, Beruf...) über
die Arbeitslosen besteht kein Mangel. Doch
Informationen über die Bedingungen des Lebens gibt es nur
teilweise, meist in bruchstückartiger Form.
Die Einschätzung der
Lebensbedingungen von Arbeitslosen ist schwierig
Arbeitslosigkeit bringt auf jeden Fall einen Einkommensverlust mit
sich, dessen Bedeutung je nach Höhe und Struktur der Ressourcen
des Haushalts
verschieden ist. Nach einer Erhebung des statistischen Amtes sind die
Gesamtausgaben von Arbeiterhaushalten mit Arbeitslosen um 22% niedriger
als jene der
Arbeiterhaushalte ohne Arbeitslose. Die relative Verringerung der
Ressourcen des Haushaltes tangiert stärker die Ehepartner der
Arbeitslosen, Alleinstehende
und Langzeitarbeitslose: bei diesen Kategorien ist der Konsum zweimal
niedriger als bei entsprechenden Haushalten ohne Arbeitslose. Bei
diesem Typ von
Haushalten bedeutet die Arbeitslosigkeit, unter prekären
Bedingungen zu leben, was auch in die Armut führen kann, auf jeden
Fall aber, von sozialen Hilfen
abhängig zu sein.
Zwischen 1984-1985 hatten 29% der Haushalte, deren Vorstand arbeitslos
war oder seine Tätigkeit unterbrochen hatte, ein „sehr niederes
Einkommen"
(weniger als die Hälfte im Vergleich zum mittleren Einkommen aller
Haushalte), während für Haushalte, deren Vorstand
beschäftigt oder im Ruhestand
gewesen ist, dieser Wert nur 45% beträgt. Die Arbeitslosen mit dem
niedersten Einkommen sind jene Männer mittleren Alters, die
gleichzeitig auch
Haushaltsvorstände sind. Der Einkommensverlust wird zudem
größer, je länger die Arbeitslosigkeit andauert.
Ausschluss von Beschäftigung ist eine der
wichtigsten Ursachen der Verarmung der Bevölkerung, doch die
niederen Einkommen sind mit unterschiedlichen Situationen verbunden:
Langzeitarbeitslosigkeit, öftere (rekurrente) Arbeitslosigkeit,
prekäre Arbeit, völlige Inaktivität, Pension etc.
Die Entschädigung der
Arbeitslosen
Die Arbeitslosenversicherung, an die sowohl Arbeitgeber wie auch
Arbeitnehmer Beiträge entrichten, ist des öfteren reformiert
worden und hat seit Anfang der
80er Jahre zu Verringerungen der Entschädigungen geführt:
Auszahlung niedrigerer Summen, Verkürzung der Dauer, schnellere
Degressivität oder Ausschluss
bestimmter Kategorien von Arbeitslosen (Jugendliche und Frauen).
Die Bedingungen und Modalitäten der Auszahlung von
Arbeitslosengeld sind also, zeitlich betrachtet, instabil. Mit der
Reform von 1984 sind an die Stelle
einer einheitlichen Entschädigung zwei Ersatzlösungen
getreten: Einerseits die Versicherungsregelung für jene
Beschäftigten, die vorübergehend keine Arbeit
haben; andererseits aber die Solidaritätsregelung für jene,
die in den Arbeitsmarkt eintreten wollen, aber noch keine oder nicht
genug Beitragszahlungen
geleistet haben, oder jene Arbeitslosen, deren Rechte ausgeschöpft
sind. Die Entschädigung richtet sich nach der Verfügbarkeit
von Ressourcen und der
früheren beruflichen Tätigkeit.
Die Einrichtung des RMI (revenue minimum d'insertion) 1989 ist in
gewisser Weise eine dritte Art von Entschädigung, denn diese
gesetzliche Maßnahme ist
für jene gedacht, die alle Rechte auf Versicherungs- und
Unterstützungsgelder verloren haben. Das Nebeneinander dieser drei
Systeme macht es praktisch
unmöglich, sich einen vollständigen Überblick über
die Mittel der Arbeitslosen zu verschaffen, vor allem auch deswegen,
weil die Grundlage des RMI nicht
allein die Kategorie der Arbeitslosigkeit ist.
Die Bedeutung sozialer
Solidaritäten
Die Evaluierung der Lebensbedingungen der Arbeitlosen setzt exakte
Untersuchungen über die Gesamtheit des Einkommens der einzelnen
und der Haushalte
voraus. Damit sind erhebliche Schwierigkeiten verbunden, wie sich bei
einer Untersuchung in den 80er Jahren ergeben hat. Dabei ist vor allem
die Bedeutung
der Entschädigung für Langzeitarbeitslose relativiert worden:
80% der jüngeren haben keine Entschädigung erhalten, 50%
jener im mittleren Alter und 18%
jene, die 50 Jahre und älter sind. Wenn es eine Entschädigung
gibt, so stellt sie nur einen kleinen Teil der Mittel des Haushalts
dar: ein Drittel für die
Alleinstehenden, ein Fünftel für die anderen. Bei der
Bestimmung der Einkommenshöhe spielt die familiäre Umgebung
die entscheidende Rolle. Fehlt die
familiäre Solidarität oder wird sie zu schwach, so führt
dies zur Armut, was die Tatsache untermauert, daß der
Großteil der Empfänger von RMI Alleinstehende
sind, gleichzeitig aber auch Haushaltsvorstände (Vanlerenberghe
1992).
Berücksichtigt man zusätzlich noch die informellen
Aktivitäten, so wird die Analyse noch komplizierter.
Zusätzliche Aktivitäten, auch in einer legalen und
offiziellen Form, können zusätzliches Einkommen bedeuten.
Jeder Arbeitslose hat das Recht, bis zu 78 Stunden pro Monat
Aktivitäten auszuüben. Daneben
gibt es den Bereich der illegalen bzw. „schwarzen" Arbeit.
Diesbezüglich gibt es phantastische Gerüchte, vor allem auch
deswegen, weil die Reichweite
derartiger Praktiken nicht verifizierbar ist.
Schwarzarbeit umfaßt eine große Bandbreite von
Aktivitäten: Häusliche Selbst-Produktion, gegenseitige
familiäre oder nachbarschaftliche Hilfen auf der Basis
der Reziprozität, Dienstleistungen nach dem Muster einer
marktbezogenen Leistung etc. Die Partizipationen an einer nicht
offiziellen Ökonomie sind äußerst
variabel, abhängig von Alter, Geschlecht, Beruf etc. Schwarzarbeit
ist ein komplexes Phänomen, das nicht nur Arbeitslose betrifft,
sondern auch verschuldete
Handwerker sowie Lohnabhängige, die ihr Einkommen zu verbessern
suchen. Schwarzarbeit ist auch eine Art, auf dem Arbeitsmarkt
präsent zu bleiben, sein
Wissen und Können (savoir-faire) zu erhalten, Beziehungen zu
pflegen, also viele Aspekte, die mit der Suche nach Arbeit zu tun haben
können.
Dies alles zeigt, daß die Arbeitlosen eine statistische Kategorie
darstellen, nicht aber eine soziale Gruppe. Das Zusammentreffen von
ökonomischer und sozialer
Inferiorität wirkt sicher dem entgegen, daß sich die
Arbeitslosen als kollektiver Akteur formieren.
3 b Kollektive Mobilisierung ist
schwierig
Im Vergleich mit anderen
einkommensschwachen Gruppen (Frauen, Studierende, Nordafrikaner...) ist
das Schweigen der Arbeitslosen verwunderlich, umso
mehr, als beim Überschreiten einer jeden symbolische Schwelle
(Millionenzahl) eine soziale Explosion prophezeit wird. Forschungen
über das kollektive
Handeln der Arbeitslosen sind daher darauf ausgerichtet, den geringen
Grad der Mobilisierung zu erklären.
Vom individuellen Notstand zum
kollektiven Schweigen
Die Erfahrung der Arbeitslosigkeit führt zu einer Schwächung
des kollektiven Bewußtsein, das sich aus der beruflichen
Erfahrung ergibt, und zu einer
Schwächung der sozialen Netze. Gefühle der Scham und der
Schuld stehen dem entgegen, sich in einer kollektiven Identität
oder in einer politischen
Repräsentation wiederzufinden.
Das Fehlen jeder positiven Besetzung der Lebensbedingungen eines
Arbeitslosen steht allen Versuchen der Mobilisierung diametral
entgegen. Sich zu
engagieren in der Situation des Arbeitslosen würde bedeuten, in
dieser Situation verharren zu wollen. Einen Platz, den man verlassen
will, kann man schwer verteidigen.
Solche soziologischen Erklärungen stützen sich auf das
klassische Konzept der Arbeitslosigkeit: vorübergehend ohne
Beschäftigung, entschlossen, rasch aus
dieser Lage herauszukommen. Aus dieser Sichtweise kommt das Engagement
in einer kollektiven Aktion in die Nähe der Absicht, in der
Arbeitslosigkeit
verbleiben zu wollen. Dabei wird übersehen, daß die
Arbeitslosigkeit ihren Stellenwert verändert hat: sie ist eine
permanente Bedingung geworden, eine
wichtige Komponente individueller Karrieren. Daher ist die Frage neu zu
formulieren: wie kommt man da heraus, wenn gleichzeitig die Zahlen der
Arbeitslosen ständig ansteigen? Wie läßt sich eine
Beschäftigung finden, wenn gleichzeitig die Positionen zwischen
Arbeitslosigkeit und Beschäftigung sich
vervielfachen? Dies deutet darauf hin, daß ein Verstehen der
subjektiven Bedeutungen der Arbeitslosigkeit nicht ausreichend ist, um
das Schweigen der
Arbeitslosen zu erklären.
Der soziale Rahmen des kollektiven
Schweigens
Die individuelle Erfahrung der Arbeitslosigkeit ist nicht das einzige
Hindernis, daß sich die Arbeitslosen in der Öffentlichkeit
bemerkbar machen.
Paradoxerweise tragen auch die Behandlung der Arbeitslosigkeit und der
inflationäre Diskurs über die Arbeitslosen dazu bei. Die
Verselbständigung der
Kategorie der Arbeitslosigkeit findet ihren Ausdruck in der
Konstituierung eines Netzes offizieller Institutionen, der Aufgabe
darin besteht zu registrieren,
Entschädigungen zu zahlen, zu kontrollieren, und die als
Arbeitslose anerkannten Individuen zu vermitteln. Die Verkündigung
von Rechten in Verbindung mit
dem Verlust der Beschäftigung institutionalisiert die
Arbeitslosigkeit, schafft erst das Interesse des Arbeitslosen, sich zu
präsentieren, konstituiert offizielle
Organe als erste Ansprechpartner der Arbeitslosen.
Überdies bringt die Häufung von
direkten Gesprächen mit den institutionellen Akteuren die
Arbeitslosen in die Position eines Bittstellers, hängt ihm das
Etikett
eines Problemfalles um. Diese strukturelle Asymmetrie, unabhängig
vom Verhalten der Beamten, definiert den Arbeitslosen durch seine
Mängel,
Behinderungen, Schwierigkeiten, und nimmt ihm so seinen sozialen Wert.
Wenn die Arbeitslosen auch in der Lage sind, strategisch zu handeln, so
entwickeln
sie Gewohnheiten, sich ständig zu rechtfertigen. Mit der
Behandlung der Arbeitslosigkeit geht eine soziale Arbeit der
Kategorisierung einher, der
Diversifizierung der Positionen, der Differenzierung der Rechte, die
dazu führt, den Begriff der Arbeitslosigkeit in verschiedene
Situationen aufzusplittern:
Kursteilnehmer, Nutznießer dieser oder jener Maßnahme etc.
Arbeitslosigkeit ist gleichzeitig Gegenstand fürsorglicher
Aktionen (Verteilung von Nahrung, Kleiderbörsen, Gratissuppen
etc.), die parallel mit den Aktionen
der Öffentlichkeit ablaufen und letztlich eine Konkurrenz für
die Organisationen der Arbeitslosen sind. Denn der Großteil der
karitativen Organisationen
rechtfertigt ihre Intervention im Bereich der symbolischen Arbeit, die
ihre Adressaten als Ausgeschlossene konzipiert, mit Begriffen der
Solidarität und der
Caritas (Appelle an die Spendenbereitschaft). Die Populationen der
Arbeitslosen werden so als hilfsbedürftige, schwache und
erniedrigte Populationen
kategorisiert. Es liegt auf der Hand, daß derart eingeordnete
Personen zur Konstituierung einer sozialen Gruppe von Opfern der
Sozialkrise kaum etwas beitragen.
Diese symbolische Konstruktion der Realität strukturiert die
Repräsentationen, sowohl der Arbeitslosen wie auch der
Beschäftigten, und unterbindet eine
autonome und kollektive Selbstartikulation der Arbeitslosen. Sie
stößt gelegentlich auch auf Ablehnung der Organisationen von
Arbeitslosen, welche die
Beschäftigungslosen vertreten wollen und die Verwischung der
Grenzen zwischen Armut und Arbeitslosigkeit ablehnen.
Der Großteil der Formen der Mobilisierung im Kontext der
Arbeitslosigkeit behindert die Selbstorganisation der Arbeitslosen,
denn ihre Grundlage ist die
soziale und politische Disqualifikation der Arbeitslosen. Die „Struktur
der politischen Möglichkeiten" beeinträchtigt daher das
Entstehen einer kollektiven
Aktion der Arbeitslosen (Filleule 1993). Die Gewerkschaften sind von
dieser Tendenz nicht ausgenommen, denn sie beanspruchen,
beschäftige und arbeitslose
Lohnabhängige in gleicher Weise zu vertreten (so in Frankreich)
und sehen in den Organisationen der Arbeitslosen eine Bedrohung der
Einheit der Aktiven.
Die großen Aufmärsche der Arbeitslosen in den 30er Jahren
sind durch die Gewerkschaften unterstütz, damit auch kanalisiert
worden, weil sie damit den Bruch
zwischen beschäftigten und unbeschäftigten Arbeitern
verhindern wollten. Man muß also „die Analyse des politischen und
sozialen Kontextes integrieren, um
verstehen zu können, wie die Arbeitslosen zu verschiedenen Zeiten
an verschiedenen Orten jene Ressourcen finden konnten, die ihre
Organisation und
Mobilisation ermöglichte" (Pignoni 1994).
Überdies konstruiert die dominante
soziale Repräsentation die Arbeitslosigkeit als eine
Fatalität, die der politischen Aktion entzogen ist. Die
Arbeitslosigkeit
wird so gesehen als „persönliche Präokkupation, die dazu
verpflichtet, die Betroffenheit nur den Bestbekannten mitzuteilen, in
der Form vertraulicher
Gespräche, nicht aber als ein Stigma, das man vor sich
herträgt, um in den Rang eines Partners aufzusteigen, der zu
Debatten und Kämpfen aufruft;
Arbeitslosigkeit ist so eher eine private als eine öffentliche
Angelegenheit, für welche die Träger der Macht verantwortlich
wären; Arbeitslosigkeit ist so unter
moralischen Gesichtpunkten eher eine Beigabe, deren man sich
schämt; so daß es jedenfalls angemessener ist, still zu sein
und sich zu verbergen als
aufzuzeigen und zu verurteilen" (Garrigou et Lacroix 1987).
Diese Depolitisierung nimmt den Arbeitslosen die Partner für
Verhandlungen und Konfrontationen. Die Arbeitslosigkeit entfernt jedes
Gegenüber, das
wesentlich ist für die Mobilisierung und die Konstruktion einer
Beziehung der Stärke. Hier ist der wesentliche Unterschied
zwischen der Ausbeutung der
Beschäftigten durch die Unternehmer und der Exklusion, denn die
Ausbeutung geschieht im Rahmen einer sozialen Beziehung, welche die
Ausgebeuteten als
nützlich und unverzichtbar für des System der Ausbeutung
definiert. Die Exklusion unterscheidet sich davon durch das Fehlen
jeder sozialen Beziehung
zwischen „Exkludierten" und „Inkludierten", der andere ist gar nicht
angesprochen. Die Angabe einer Zielgruppe ist für jede
Mobilisierung unverzichtbar, und
das Fehlen eines Gegners macht die Mobilisierung gleichsam
unmöglich (Bourneau und Martin 1993). Deshalb bemerkte ein
Sprecher der
Arbeitslosengewerkschaft dazu: „Es ist sehr schwierig zu kämpfen,
wenn du den Eindruck hast, keinen Gegner zu haben, denn alle Welt ist
gegen die
Arbeitslosigkeit"! (Pagat 1987).
Die Bewegungen der Arbeitslosen in
Frankreich
Die Geschichte dieser Bewegungen ist alt, aber immer wieder
unterbrochen. In der Gegenwart hat sie wieder im Jahre 1982 begonnen,
als Maurice Pagat die
Gewerkschaft der Arbeitslosen gründete. Das Ziel dieser Initiative
ist politischer Art, denn es geht um die Vertretung der Arbeitslosen.
Dennoch ist diese
Gewerkschaft von seiten des Staates nicht offiziell anerkannt.
In Anbetracht der Schwierigkeiten, Arbeitslose zu mobilisieren, sind an
die Stelle von Protestaktionen mehr und mehr Druck erzeugende
Aktivitäten
(Diskussionen, Pressekonferenzen, Herausgabe von Zeitschriften)
getreten, oft auch mit Unterstützung von wichtigen Personen. Von
Anfang an hat daher „die
Bewegung" eine fehlende Partizipation durch den Rekurs auf eine
symbolische Mobilisierung kompensieren müssen.
Trotz einiger Versuche der Koordination
bleibt die kollektive Aktion der Arbeitslosen diffus, lokal,
zersplittert, und ist in den traditionellen Kanälen der
Information wenig sichtbar. Doch eine Untersuchung in Nordfrankreich
hat mehr als dreißig Vereinigungen von Arbeitslosen ausfindig
gemacht, die meistens
auf Gemeindeebene oder auf kleinem Raum agieren und die z.T. keinen
Kontakt miteinander haben. Analysen über diese Bewegungen sind
ebenfalls nur
bruchstückhaft. Diese Arbeiten betonnen die großen
Unterschiede in der Entstehung dieser Vereinigungen: teils entstehen
sie auf Betreiben einiger Kollegen bei
ihrer Kündigung hin, teils durch Einzelpersonen, nachdem sie ein
Praktikum abgeschlossen haben, mit Unterstützung von
Sozialarbeitern, durch
Gewerkschafter, die arbeitslos geworden sind etc. Auch die deklarierten
Ziele sind vielfältig: Räume des geselligen Zusammenseins zu
organisieren; Kampf für
die Befreiung von lokalen Steuern, gegen Ausweisungen, für freie
Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, für ein
garantiertes Grundeinkommen für alle;
Unterstützung im Umgang mit den Ämtern, Hilfe bei der Suche
nach Beschäftigung; eine Vertretung der Arbeitslosen in den sie
betreffenden Institutionen
durchsetzen; Organisation sozialer Aktivitäten (Bauen, Kochen,
Kleidung...) etc.
In diesen ersten Analysen zeigt sich ein
den Vereinigungen von Arbeitslosen gemeinsamer Zug: alle suchen, unter
verschiedenen Umständen, Handlungen zu
kombinieren, die den Arbeitslosen Unterstützung bieten,
Lösungen zu finden für die persönlichen Schwierigkeiten,
die individuellen Situation zu verbessern,
oder Aktionen zu setzen mit dem Anspruch, die Rechte der Arbeitslosen
zu erhalten, zu garantieren oder zu erweitern, Vorschläge zu einer
anderen Verteilung
von Arbeit und Reichtum zu machen. Diese Dialektik zwischen
„Unterstützung und Forderung" bringt nur schwer zu
bewältigende Spannungen mit sich
(Pignoni 1994). Auf der einen Seite ziehen die Angebote von
Dienstleistungen die Arbeitslosen an, bringen aber das Risiko mit sich,
die Laufkundschaft zu
vergrößern auf Kosten der stabileren Mitglieder. Auf der
anderen Seite ist aber eine Ansprüche artikulierende Aktion nicht
ausreichend, viele Arbeitslose zu
mobilisieren, bleibt aber ein zentrales politisches Ziel dieser
Vereinigungen.
So bleibt die autonome Organisation der
Arbeitslosen embryonär und marginal, was aber keineswegs weniger
dauerhafte Aktionen (Märsche,
Manifestationen...) ausschließt, denn, wenn man den
Meinungsforschern glauben schenken will, so erklären sich nahezu
zwei von drei Arbeitslosen bereit zur
Teilnahme an Protestaktionen. Wie immer dem sei, die Versuche der
kollektiven Mobilisierung und des öffentlichen Ausdrucks
bestätigen die
Transformationen des Status des Arbeitslosen: wenn auch eine entwertete
soziale Kondition bleibt, so ist diese doch nicht systematisch als
beschämend erlebt
und wahrgenommen und kann, in bestimmten Fällen, die Grundlage
einer kollektiven Identität darstellen. In diesem Sinne verweist
die mehr
mikrosoziologische Untersuchung des Gelebten auf die Dynamik der
Konstruktion der Identität der Arbeitslosen, stellt die
Veränderungen der Stellung der
Arbeitslosen in den sozialen Repräsentationen in Frage, und ebenso
die Entwicklungen der Stellung der Arbeitslosen in der Organisation der
Gesellschaft.
Zusammenfassung
Innerhalb von 10 Jahren sind
Arbeitslosigkeit und die Arbeitslosen Gegenstand der Forschung
zahlreicher Spezialisten in den Sozialwissenschaften geworden.
Die große Bandbreite der Forschungen ist ein Anzeichen
dafür, daß eine gewisse kritische Masse erreicht ist und
bestätigt, daß sich eine Soziologie der
Arbeitslosen nicht auf die Beobachtung des Gelebten und auf die
Reaktionen auf den Arbeitsverlust beschränken darf.
Längsschnittanalysen, Evaluierung der
öffentlichen Politik, Identifikation der Normen, die den
Arbeitsmarkt regulieren, Beobachtung der Praktiken und kollektiven
Handlungen der Arbeitslosen etc.
sind ebenfalls bereits erforschte Bereiche.
Allen diesen Ansätzen ist gemeinsam, daß sie einen
fundamentalen Wandel betonen: die Arbeitslosigkeit funktioniert nicht
mehr nach dem Modell des
unfreiwilligen und vorübergehenden Verlustes der
Beschäftigung: der Zugang zu Beschäftigung ist schwieriger,
öffentliche Hilfen erweisen sich als wenig
wirksam, Selektivität wird immer unkalkulierbarer, die Logiken der
Aktion der Arbeitslosen diversifizieren sich etc. Der normative Rahmen,
innerhalb dessen
über Arbeitslosigkeit nachgedacht wird, löst sich auf, denn
er stammt aus einer Epoche der Vollbeschäftigung. Arbeitslosigkeit
ist nicht vorübergehender
Verlust der Beschäftigung, auch nicht ein ständiger Kampf um
eine mehr und mehr rar gewordene Beschäftigung. Sie ist
ebensowenig im Gegensatz dazu ein
Rückzug als Antwort für die geringen Chancen auf Erfolg bei
der Konkurrenz um einen Arbeitsplatz, und auch nicht ein
Sich-Einrichten an den Rändern des
Arbeitsmarktes oder an den Grenzen unterstützten Daseins.
Dies bedeutet, daß die Soziologie der Arbeitslosigkeit auf die
Untersuchung einer Minorität, einer Untereinheit der Gesellschaft
beschränkt ist. Die
Arbeitslosigkeit tangiert nicht alle Individuen einer Gesellschaft,
doch diese selbst in ihrer Gesamtheit. Hier ist ein Hauptmerkmal der
Massenarbeitslosigkeit:
sie betrifft nicht mehr nur Unglückliche an der sozialen
Peripherie; sie bedroht vielmehr die sozialen Regulationen, sie
destabilisiert die etablierten
Repräsentationen, stellt die Gesellschaft als ganze in Frage.
Arbeitslosigkeit ist vor allem als Konstruktion der Gesellschaft zu
betrachten: sie ist das Ergebnis einer Kodifizierung bestimmter Formen
der
Unterbeschäftigung und impliziert die soziale Anerkennung des
legitimen Anspruch auf Beschäftigung. Im Kontext der Krise von
Beschäftigung und des
Modells der Vollbeschäftigung tauchen Fragen auf, die für
bereits beantwortet gehalten worden sind: Was heißt es,
arbeitslos zu sein? Wie ist Arbeitslosigkeit
zu definieren? Was sind die Grenzen dieser Kategorie? Umgekehrt
trägt die Arbeitslosigkeit auch dazu bei, die Gesellschaft zu
konstruieren. Sie bedroht die
soziale Kohäsion und wirft die Frage nach den Modellen der
Gerechtigkeit auf: wo ist die Grenze der Unerträglichkeit
hinsichtlich der Anzahl der Arbeitslosen,
aber auch der dadurch bedingten Ungleichheiten?
Die Arbeitslosigkeit ist nicht eine
Kategorie der Erkenntnis, kein soziologisches Objekt; es ist zweifellos
eine größere Errungenschaft gegenwärtiger
soziologischer Forschung, die Arbeitslosigkeit als soziale Konvention
zu betrachten und die Prozesse der Kodifizierung und der Dekonstruktion
zum
Gegenstand gemacht zu haben, ebenfalls die Spannungen zwischen der
zeitlichen Dauerhaftigkeit dieser Kategorie und dem Entstehen
peripherer Kategorien zu
thematisieren wie auch die sozialen und subjektiven Folgen der
Transformationen des Stellenwertes der Arbeitslosigkeit anzusprechen.
Die Analysen der vielfältigen
Konflikte über die Bedeutung der Arbeitslosigkeit können auch
zur Erhellung der Veränderungen der Gesellschaft als Ganzes
beitragen, und besonders die Entwicklung des Stellenwertes der Arbeit
als Vektor der sozialen Anerkennung und der Abstützung der
Identitäten. Die
Arbeitslosigkeit als problematische Kategorie zu betrachten, schwankend
zwischen einem stabilen harten Kern und mehr und mehr verschwommenen
Umrissen, ist ein Mittel, die Krise der Beschäftigung zu erhellen,
die ebenso sehr eine Krise der Arbeit und eine Krise der
Arbeitslosigkeit ist. Mehr als je zuvor
besteht die Aufgabe soziologischer Analysen darin, die Mechanismen der
Konstruktion und der Transformation der Arbeitslosigkeit zu
erläutern, Antworten auf
die Frage, was Arbeitslosigkeit ist und was sie wird, bereitzustellen. (O.N. 13. Febr.2000)