3. Die Think Tanks, die Macht Thatchers und der Export der konservativen Revolution
Mit der Machtergreifung Thatchers 1979 begann Rolle und Position der neoliberalen Think Tanks sich zu ändern. M. Thatcher war direkt in der Leitung des Centre for Policy Studies (CPS) involviert, die beiden anderen wichtigsten (IEA, ASI) direkt mit den nun neoliberalen Spitzen der konservativen Partei verbunden. Die Existenz dieser Netzwerke brachte aber nicht nur neue Möglichkeiten, sondern auch neue Zwänge und Einschränkungen mit sich.
Möglichkeiten/Chancen:
mit der Eliminierung der konservativen Opposition kamen im Umfeld von
M. Thachter Politiker an
die Macht, die ihre intellektuelle Formation in den neoliberalen
Kaderschmieden erhalten hatten.
Keith Josef: Freund und Berater Thatchers, zuerst Minister für
Industrie, dann für Bildung, Hauptstratege des Kampfes
gegen die Gewerkschaften, der ihnen 1984/85, während des Streiks
der Bergleute, eine entscheidende Niederlage zufügte.
Dies ebnete den Weg für eine Reihe noch restriktiverer Gesetze zur
Beschränkung gewerkschaftlicher Aktivitäten 1988,
1989, 1990 und 1992.
Geoffrey Howe: Schatzkanzler 1979 und später Außenminister;
und Nicholas Ridley; diese drei bildeten die Prätorianergarde der
ersten Jahre Thatchers, als die Schlacht für die
Durchsetzung der neoliberalen Perspektive noch lange nicht gewonnen
war.
Die Liste derer, die nun für ihre Treue zum Neoliberalismus
belohnt wurden, ist lang, sei es nach innen (Teilnahme an der
Regierung), sei es nach außen (Wiederaufnahme spezieller
Beziehungen zu den USA, begünstigt durch die Freundschaft
Thatchers mit Regan). M. Thatcher unterschied bis zu ihrem Ende,
gleichsam in einer bolschewistischen Organisationslogik,
scharf zwischen ihren Anhängern in der konservativen Partei und
den anderen, den Erben der alten pragmatischen Tradition
der Konservativen. Daher auch der große Haß Edward Heath
gegenüber und die gestörten Beziehungen zur Queen.
Auch die Intellektuellen
gingen nicht leer aus. Viele erhielten Beraterposten bei der Regierung
mit der Aufgabe, Tendenzen
der Mäßigung zu bekämpfen und den ideologischen Druck
auf den Staatsapparat aufrecht zu erhalten. In dieser
Konfiguration war der Beitrag der "Experten" ganz entscheidend.
Beispielhaft auch der Weg auch von Alan Walters,
Prof. für Ökonomie an der LSE von 1968 bis 1976, 1976 bis
1991 an der John Hopkins University in USA.
Walters war von Anfang an engagierter Teilnehmer am IEA, Verfechter des
Monetarismus, Verfasser des Pamphlets 1969
"Money in Boom and Slump" (Thesen M. Friedmans).
1980 wurde er zurückberufen auf einen Beraterposten bei Thachter.
Dies ein Beispiel für die totale Verschränkung zwischen
dem Intellektuellen Milieu, der politischen Macht und der neuen Lobby
bei den Industrieunternehmen (die Hälfte des Salärs
von Walters, 50.000,-Pfund damals wurde vom CPS bezahlt, das dabei eine
Subvention von British United Industrialists
verwendete, einer Kampforganisation der Unternehmer).
Zwänge/Beschränkungen: Nach Mitgliederaussagen sind die intensivste und erfolgreichste Zeit der Think Tanks die 70er Jahre gewesen. Hier ging es nicht nur um den Kampf gegen den Keynesianismus, sondern um die Durchsetzung des neuen Denkens in der konservativen Partei. Auf die Euphorie der radikalen Opposition folgte jedoch mit der Übernahme der Macht eine gewisse Ernüchterung. Das CPS gab Personal ab und verlor dadurch an Schlagkraft und seine Stellung als "kollektiver Denker des Undenkbaren" (S. 90). 1985 mußte Sherman, Akteur der ersten Stunde, demissionieren, weil er zu wenig Geduld für die Schwerfälligkeit der demokratischen Prozesse aufbrachte.
Das IEA und das ASI
überstanden die Krise besser, sie erkannten die Gefahren der
Bereitschaft zu Kompromissen, und
drängten darauf, die Reform in Schlüsselbereichen flink
voranzutreiben:
a) im Gewerkschaftsbereich
b) der Reduzierung des öffentlichen Sektors
c) im Abbau des Wohlfahrtsstaates.
Große Widerstände gab es im Bildungs- und Gesundheitswesen.
1987 formulierte Thatcher noch, daß "der
Gesundheitsdienst bei den Konservativen in guten Händen ist". Doch
die Leute von IEA und ASI publizierten Dutzende von
Berichten/Expertisen, um die Aktivitäten des Sozialstaates den
Gesetzen des Marktes zu unterstellen.
Madson Pirin vom ASI 1987:
"Wir haben Dinge vorgeschlagen, welche die Leute für völlig
verrückt gehalten haben.
Gleichsam im Handumdrehen sind sie jedoch zur Politik der Regierung
geworden".
Da jedoch die Regierung Schritt für Schritt vorangehen
mußte, wurde der unablässig ausgeübte Druck der Think
Tanks
schließlich eine Belastung für die radikalen Mitarbeiter
Thachters.
In den 80er Jahren kam es zur progressiven Durchsetzung der
Gesellschaft beziehungsweise der Eliten mit dem neoliberalem
Gedankengut, so daß der rein oppositionelle Kampf zu einem Relikt
der Vergangenheit wurde: Logik des Marktes,
Wettbewerb und Individualisierung wurden in Randbereichen wie
Telekommunikation (Privatisierung 1985) und Höherer
Unterricht durchgesetzt (mit fortschreitender Precarisierung des
Lehrpersonals, Auferlegung von Führungsmethoden aus der
Privatwirtschaft, Druck auf die Universitäten, eine eigene
Firmenstrategie zu entwickeln).
Implementierung der
Marktterminologie fördert den Verlust des autonomen
Bewußtseins: Der Student wird zum
Konsumenten der Universität wie der Kranke im Spital oder der
Arbeitslose beim Wohlfahrtsamt. Spitäler wurden zu
Dienstleitern, Ärzte zu Käufern (Aufrechnung ihrer
Patienten). Es gab Gefechte um Worte, ein Gefecht um die
Durchsetzung des neoliberalen Vokabulars, die heute reichhaltige
Früchte tragen.
Zur Vermarktlichung aller Bereiche wurden Leute aus der
Geschäftswelt an die Spitze der verschiedensten Institutionen
gestellt und diese damit zum Teil ruiniert (z.B. Theatergruppe 7:84,
vgl. John Mc Grath, The Bone Won't Break, London
1990).
Gleichzeitig begannen diese britischen Kämpfer sich um die Internationalisierung der liberalen Gedanken/Praktiken zu kümmern, wenn sie diesbezüglich auch nicht so großen Einfluß gewannen wie ihre Partner in den USA, die über weit mehr Geld verfügten. Mitte der 80er Jahre fand das englische Modell Sympathisanten in Europa, z. B. A. Madelin in Frankreich, im Kreise der Mitarbeiter Mitterands. Anthony Fisher, Mitglied der Mont Pelerin Society, erster Sponsor des IEA, entfaltet ab 1985 weltweite Aktivitäten, "um überall Think Tanks zu gründen, die der Marktwirtschaft die Wege bereiten".
Ende der 80er Jahre
scheinen zumindest in Großbritannien die Think Tanks überall
ihre Ziele erreicht zu haben. Die
konservative Partei hatte die ökonomische und politische
Landschaft völlig neu gestaltet. In fünfzehn Jahren war es M.
Thachter und ihren Anhängern gelungen, alle Ambitionen des
organisierten politischen Widerstandes gegen die
Privatisierung der britischen Gesellschaft zu brechen. (Berühmte
Antwort Thachters auf Journalistenfrage nach den
Konsequenzen für die britische Gesellschaft: "Die Gesellschaft
gibt es nicht, was zählt, sind nur die Individuen und ihre
Familien").
Strikte Kontrolle der lokalen Autoritäten, Beschränkung ihrer
Aktivitäten, wenn sie nicht ganz abgeschafft worden waren
(wie z. B. Stadtparlamente). Auf der anderen Seite wurde die Macht der
Unternehmensleitung nachhaltig konsolidiert, was
es ihnen erlaubte, eine neue eiserne Disziplin durchzuziehen, die
berühmte "Flexibilität": erleichtert durch
Massenarbeitslosigkeit und Verarmung der ganzen politischen
Arbeiterschaft.
Die traditionellen Grundlagen des Nachkriegskonsenses: Gemischte
Wirtschaft; ein enges Netz des sozialen Schutzes; und
triparitäre Kollaboration in der Wirtschaft;
Jetzt: die Wirtschaft steht unter privater Kontrolle, die Reste des
Wohlfahrtsstaates leiden an chronischer Unterfinanzierung
und sind ideell diskreditiert, die gewerkschaftlichen Aktivitäten
sind beschränkt wie nie zuvor, so daß die Ziele Hayeks
erreicht sind zurück zu einer Zeit von vor 1906. Am deutlichsten
spürbar sind die neoliberalen Kahlschläge in den realen
Bedingungen der Verrichtung von Lohnarbeit. Der britische Arbeitsmarkt
ist der am meisten deregulierte Europas, und die
britischen Arbeiter sind die am wenigsten Geschützten.
Damit ist
Großbritannien das Land des real existierenden Neoliberalismus
geworden, die Interpretation der britischen
Realität ist sowohl nach innen wie nach außen ein wichtiger
Faktor auf dem Schlachtfeld der Ideen geworden. Für die
Verteidiger eines abstrichlosen Kapitalismus geht es darum, die Erfolge
des Modells herauszustreichen.
So ist es auch verständlich, wenn sich manche in anderen
Ländern auf die Vorteile dieses Systems berufen.
Wie zu Zeiten der Komintern ist eine internationale, großzügig finanzierte Struktur dabei, ein ökonomisches und soziales Modell zu propagieren. Eine Armee von permanenten (Pragmatisierten) und auch ein mächtiges Netz von Intellektuellen arbeitet in vielen Ländern an Transformationen in dieser Richtung.
Mit einem Unterschied zu den alten Bolschewiken: Die Neoliberalen scheuen sich nicht vor der Öffentlichkeit/ganz im Gegenteil, die minimalsten Aktionen/Kontributionen zur neoliberalen Praxis werden kräftig aufgeblasen und medial verbreitet in einer politischen Welt, die schon weitgehend von ihrer Sache überzeugt ist.