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Les évangelistes du marché

Zusammenfassung

Eine Reflexion der britischen Erfahrungen des letzten Vierteljahrhundert ist nicht nur deswegen wichtig, weil sie die weitverbreitete Ansicht widerlegt, die Ideen der Intellektuellen hätten wenig Bedeutung für die "reale" Wirklichkeit, sondern vor allem deswegen, weil sie von anderen in diversen Ländern als vorbildlich und nachahmenswert dargestellt werden. Darüber hinaus lassen sich die Versuche in Frankreich eine wirklich rechte, nationale und liberale Partei zu begründen, die dem Staatsgedanken gegenüber keinerlei Skrupel verspürt in einem neuen Licht erscheinen.

Doch man würde einen Fehler begehen, wenn man den Neoliberalismus - den religiösen Glauben an die ökonomische und soziale Wirklichkeit eines völlig befreiten Marktes nur auf die ganz rechten Parteien beschränkt sehen wollte. Auch hier bietet die britische Erfahrung viel Anschauungsunterricht. Nach den Jahren der Niederlage der Gewerkschaften und der politischen Desillusionierung und Desorientierung der Linken ist nun mehr ein seltsames Ungetüm aufgetaucht, das unter dem Deckmantel einer neuen Arbeiterschaft (New Labour), einer modernistischen Ethik und einer Rückkehr zu christlichen Werten das selbe Feld beackert wie seine konservative Vorgängerin.

Es ist nicht der geringste der Triumphe der Neoliberalen in Großbritannien, das verdrängt zu haben, was man heute als die alte Arbeiterschaft bezeichnet, und an deren Stelle heute eine gestylte Partei ohne jeden historischen Ballast zu sehen, geformt nach einem Gesellschaftsverständnis, das sich entschieden in der Kontinuität der neoliberalen Politik Thatchers verankert sieht. T. Blair vertritt seit 1995 mit aller Deutlichkeit seine Thesen: Inflation auf einem stabil niedrigen Niveau ist heute wichtiger als um den 80er Jahren, Verbesserung der Angebotsseite zur Steigerung des Wirtschaftswachstums. Von dem zwischen 1980 bis 1992 erlassenen neun Gesetzen gegen die Gewerkschaften verspricht Blair das Wesentliche beizubehalten. Auch die Steuergesetzgebung wurde 1997 quasi unangetastet übernommen, obwohl sie Ursache des tiefen Graben zwischen Armen und Reichen ist, der stets größer wird. Also eine bemerkenswerte Kontinuität zwischen Thatcher und Blair unter dem nach wie vor ungebrochenen Einfluß der von den Think Tanks ausgearbeiteten Lehren. Tony Blair ist also in diesem Sinne der getreuere Diener der eisernen Lady als der ungeschickte John Major. In der Weigerung, die Gesetze über die Steuern und Gewerkschaften zu revidieren, in der Preisgabe jeder Hoffnung, dem Diktat der Märkte und der Flexibilisierung (der "Flexploitation", wie dies ein Journalist kürzlich benannte), je wieder einmal entkommen zu können, hat die derzeitige Parteiführung alle politischen und sozialen Horizonte begrenzt, innerhalb derer eine wirklich alternative Politik möglich sein könnte.

Obwohl derzeit der messianische Glaube an den Markt dominiert, dürfte das letzte Wort der politischen Geschichte noch nicht geschrieben sein. Die Arbeit der neoliberalen Intellektuellen hat nicht in allen Feldern zu den erwarteten Erfolgen geführt. Viele Beobachter weisen auf die Diskrepanzen zwischen den Überzeugungen der Eliten und den Wahrnehmungsweisen der breiten Bevölkerung hin. Nach Ivor Grewe hat der Kreuzzug Thatchers es weit verfehlt, die Wertstrukturen der Massen zu transformieren. Das heißt, die Marktbegeisterung ist auf die Führungskräfte beschränkt, während für die große Mehrheit kollektivistische Werte nach wie vor von vitaler Bedeutung sind. Nach wie vor stehen die Reste des Wohlfahrtsstaates hoch im Kurs bei den Leuten, und auch die Gewerkschaften sind wieder im selben Maße anerkannt wie vor den Krisen. Wenn heute nur noch ein Drittel der aktiven Bevölkerung gewerkschaftlich organisiert ist, so bedeutet dies zwar eine enorme Schwächung des englischen Syndikalismus, dennoch bleibt er zahlenmäßig dreimal so stark wie sein französisches Gegenstück. Die Gewerkschaften sind großteils nicht mit Blair marschiert und es zeigen sich bereits die ersten Spannungslinien zwischen Gewerkschaftsführungen und Regierung.

Zwar ist das Denken eindimensional, doch es wird nicht von allen geteilt. Die Utopie Hayeks - eine gewerkschaftsfreie Welt unter dem Gesetz des Marktes - mag noch schwere Tage vor sich haben, auch in dem reglementierten und privatisierten England, das für viele ausländische Kommentatoren zur neuen symbolischen Heimat geworden zu sein scheint.