Vorbemerkung
Dieser Beitrag ist entstanden in den ersten Wochen des Jahres 1998
und
findet sich in gedruckter Form, mit geringfügigen
Änderungen, im heft 99/1 der ÖZS (Österreichische
Zeitung für Soziologie).
Da das Thema noch nicht ganz tot ist und immer wieder Interessierte auf
den Beitrag an dieser Stelle zurückkommen, lasse
ich ihn hier noch einige Zeit stehen. So viel ich sehe, gibt es in der
Literatur nicht mehr viel Neues dazu. Es ist also
anzunehmen, daß der Glanz der irreführenden Kategorie
„Sozialkompetenz" in Bälde wieder verblaßt und damit das
gleiche Schicksal erfährt wie andere Zauberworte aus der
Trickkiste der modernen Magier, die allerorten heute des Bessere
ankündigen, um damit dem Schlechteren den Weg zu ebnen.
O.N. 20. Juli 1999
Gliederung des Beitrags:
- Zur Frage
- Sprachliche Wurzeln des Wortes
Kompetenz
- Kompetenz als Qualifikation
- Kompetenz als Baustein der
Management-Theorie
- Kompetenz als Klassenmerkmal
- Kompetenz als reflexiver Mechanismus
- Kompetenz als Fähigkeit zum
Handeln
- Die verschiedenen Positionen im
Überblick
- Fazit
- Anmerkungen
- Literatur
Was
ist Sozialkompetenz?
Es fällt auf, daß bei
Stellenausschreibungen mit zunehmender Häufigkeit „soziale
Kompetenz" der einzelnen Bewerber/-innen als zusätzliches neues
Selektionskriterium Erwähnung findet. Dies führt dann
verständlicherweise dazu, daß sich
Ausbildungseinrichtungen unterschiedlicher Ebenen vor die Aufgabe
gestellt sehen, ihre Absolventen nicht nur fachlich,
sondern auch im Hinblick auf „Sozialkompetenz" zu qualifizieren. Wie
sich diese Forderung lehrplanmäßig und didaktisch
umzusetzen ist, bleibt vorläufig unklar.
In der ersten Nummer 98 des
ÖH-Kuriers der Universität Linz wird der Erwerb von „sozialen
Kompetenzen" mit der
Notwendigkeit umschrieben, gelernt zu haben, im Berufsleben mit anderen
Menschen, besonders Kolleg(inn)en und
Klient(inn)en, umzugehen und mit ihnen auszukommen zu können. Es
wird dort auch auf die Klage eines Unternehmensberaters verwiesen, der
die egoistische Karriereorientierung der heutigen Studierenden
bemängelt. Dies führe dazu, daß
häufig die einfachsten Grundsätze des Sozialverhaltens
fehlten und die Fähigkeit, andere Meinungen gelten zu lassen und
eigene Forderungen auch einmal zurückzustellen, unterentwickelt
sei. Verweist ein solches Verständnis von sozialer
Kompetenz nicht in Richtung von A. Knigges „Kunst des Umganges mit
Menschen", worunter er jenen ésprit de conduite
meinte, der es dem Menschen erlaubt, in höhere
Gesellschaftsschichten aufgenommen zu werden1
und so sein Glück zu
machen?
Wahrscheinlich ist es falsch, die heute
reklamierte „soziale Kompetenz" mit der Aufstiegsorientierung des noch
jungen
Bürgertums der Aufklärung in Verbindung zu bringen.
Ebensowenig spricht dafür, daß der Ausdruck „sozial" im
Sinne
sozialer Gerechtigkeit, Bereitschaft zu sozialem Engagement zu
verstehen sein könnte. Mit Kompetenz für Sozialfälle wie
Behinderte und Obdachlose kann sich heute niemand große Meriten
verdienen. Denn die letzten beiden Jahrzehnte haben
eine unübersehbare Diskreditierung sozialer Belange mit sich
gebracht. Die "soziale" Marktwirtschaft hat sich zu einer
"freien" Marktwirtschaft weiterentwickelt, die dem sozialen
Wohlfahrtsstaat, Ergebnis der prosperierenden Nachkriegsjahre, als
ineffiziente Form staatlicher Organisation, mehr und mehr sowohl die
Funktions- wie auch die Legitimationsgrundlage entzieht2
Die Gegenwart kennt keine „soziale Frage" wie das 19. Jhdt., obwohl
sich Arbeitslosigkeit und damit
verbundene Verarmung und Verelendung in beunruhigendem Maße
ausbreiten.
Lehrveranstaltungen zum Thema
„Sozialkompetenz"3 an der TU
Clausthal befassen sich mit Arbeitstechniken, Kommunikation und
Rhetorik, Präsentation und Selbstpräsentation sowie mit
Konfliktmanagement. Eine Veranstaltung der Universität Bochum zum
Thema „Sozialkompetenz" versteht darunter die Fähigkeit, in
Gruppen verschiedener Zusammensetzung und Zielsetzung kooperativ
mitzuarbeiten. Dies bedeutet, mit geringfügig verschobener
Akzentuierung, Kommunikation in Gruppen, verbale und nichtverbale
Kommunikation, Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie Verhalten in
schwierigen Gruppensituationen. So verstanden ist „Sozialkompetenz"
lediglich ein neues Etikett für Inhalte, die vor einigen Jahren
unter anderen Namen wie Gruppendynamik, Sensitivity training,
Kommunikationstraining, Transaktionsanalyse, NLP u.a.
verbreitet worden sind.
An der Universität Potsdam bietet
eine TÜV-Akademie ein 2-tägiges Seminar zu
„Führungskompetenz und Sozialkompetenz" an. Die Teilnehmer,
Führungskräfte aus allen Bereichen, erhalten für eine
Gebühr von 1 200,-- DM Seminarunterlagen, Mittagessen und
Getränke. „Soziale Kompetenz" gilt hier als Fähigkeit,
menschliches Miteinander im Betrieb so zu
gestalten, daß ein Höchstmaß an Leistungsbereitschaft
und persönlicher Entfaltung gleichzeitig gewährleistet ist.
Als
Bezugspunkt, bei dem anzusetzen ist, gilt hier die je eigene
Persönlichkeit. Damit sollen sich neue Dimensionen für
Zusammenarbeit und Management auftun, indem vertrauensvolles
Miteinander auf allen Ebenen und maximale Arbeitsleistung sich in
harmonischer Weise vermählen. Ein ähnliches Konzept "Soziale
Kompetenz für Führungskräfte" ist an der
Universität Bielefeld im Angebot, ebenfalls in der Form eines
Seminars von zwei Tagen. Als Kriterien für „soziale Kompetenz" bei
Führungskräften sind hier „die vier wesentlichen
Verhaltensweisen" genannt: Durchsetzungsverhalten, Beziehungsverhalten,
Regeln aushandeln und um Sympathie werben. Dies soll beherrscht und
situationsadäquat eingesetzt
werden können.
Für die Informatiker von der
Universität Karlsruhe ist „soziale Kompetenz" lediglich ein
Schlagwort4, mit dem häufig jene
Team- und Kommunikationsfähigkeit bezeichnet wird, die für
ein Arbeiten in fachübergreifenden interdisziplinären Gruppen
erforderlich ist. Ein noch weiter gefaßtes Verständnis liegt
den Trainingsofferten des zentralen Kommunikationszentrums der FH
-Trier zugrunde: „Soziale Kompetenz" ist nichts anderes als die
Fähigkeit, eine gemeinsam erlebte Wirklichkeit gemeinsam zu
gestalten. Als Begründung dafür, warum sie den Begriff
"Fremdheitskompetenz" verwenden, geben
Gudrun Jakubeit / Karl Schattenhofer (1996, S. 399) an, daß sich
"unserer Erfahrung nach dieses Wort sehr gut 'verkauft'.
Vielleicht, weil es ein neuer Begriff ist, der etwas ausdrückt,
was viele gesucht haben, aber vielleicht auch, weil er eine
unmögliche Verbindung herstellt und etwas verspricht, was nicht zu
halten ist.....Kompetenz verspricht genau das: Wenn
das Fremde schon nicht beherrschbar ist, so können wir doch
kompetent damit umgehen, es kompetent in den Griff bekommen, und schon
ist es nicht mehr fremd". Der Begriff Kompetenz suggeriert also
einerseits Machbarkeit, signalisiert
andererseits aber auch Unvereinbarkeit, Spannung und
Widersprüchlichkeit (dies., a.a.O., S. 440)
Die angeführten Beispiele lassen
keinen Zweifel daran, daß die Ausdrücke „sozial"und
„Kompetenz" in hohem Maße
unterbestimmt sind. Dies führt dazu, daß sie sowohl in eher
beiläufigem und unverbindlichem Sinne, aber auch in
mißbräuchlicher Weise verwendet werden können. Klar ist
der Ausdruck Kompetenz nur insofern, als er sich deutlich ab von
seinem Gegenteil, der Inkompetenz abhebt, doch in welchem
Verhältnis Kompetenz zu anderen ähnlichen, älteren wie
auch
jüngeren Ausdrücken wie Disposition, Fähigkeit (savoir
faire), Können (skills), Qualifikation,
Schlüsselqualifikation,
Know How, Potential u.a.m. steht, ist völlig offen.
Läßt sich der Sinn des Wortes Kompetenz nicht näher
umschreiben und
sein Gehalt nicht genauer bestimmen, so ist auch die Möglichkeit
nicht auszuschließen, daß diesem neuen Modebegriff,
was seinen terminologischen Status betrifft, der Stellenwert einer
pseudoempirischen oder pseudonormativen Leerformel
(Topitsch 1968, S. 27) zuzuschreiben ist. Sollte dies der Fall sein, so
würde wohl die Dignität des Begriffes Kompetenz,
der im Rahmen bestimmter Theorien - etwa in der
Transformationsgrammatik N. Chomskys oder in der Theorie des
Kommunikativen Handelns von Habermas - eine präzise Bedeutung hat,
wohl zu Unrecht in Anspruch genommen.5
Das Unbehagen an der diffusen
Verwendungsweise, der einen guten Klang hat, aber ansonsten hohl ist,
ist wohl darauf
zurückzuführen, daß darunter alles Mögliche
verstanden werden kann. In wissenschaftlichen Kontexten6
bemißt sich die
Brauchbarkeit von Begriffen an den beiden Kriterien der Präzision
und der Konsistenz Opp (1979, S. 103). Die Präzision
eines Begriffes hängt davon ab, mit welchem Grad der Sicherheit
eine Sache, ein Phänomen einem Begriff zuzuordnen ist.
Dies bedeutet, daß der Grad der Präzision eines Begriffes
umso größer ist, je kleiner die Menge der Phänomene
(Ereignisse) ist, die ihm zugeordnet werden können. Allgemeine
Begriffe wie "Gerechtigkeit", "Würde des Menschen", "gute Sitten",
die im politischen Diskurs eine große Rolle spielen, sind
wissenschaftlich extrem unpräzis und werden daher auch als
Leerformeln betrachtet. Weil in politischen Kontexten inhaltliche Leere
und starke emotionale Besetzung der Begriffe eng
miteinander verbunden sind, eignen sich derartige Ausdrücke
insbesondere dazu, bestimmte Sachverhalte bzw. Vorgehensweisen zu
rechtfertigen (vgl. Degenkolbe 1965, S. 327 f). Das zweite Kriterium
für die Brauchbarkeit von Begriffen, deren
Konsistenz, ist darin zu sehen, daß alle Personen alle Fakten
(Ereignisse), die für eine Zuordnung in Frage kommen,
tatsächlich auch in gleicher Weise einem Begriff zuordnen. Wie die
oben angeführten Beispiele zeigen, ist der Begriff der
„sozialen Kompetenz", gemessen an den beiden Kriterien der
Präzision und der Konsistenz, ein Begriff von geringer
wissenschaftlicher Brauchbarkeit.
Dennoch hat der Ausdruck Kompetenz
gegenwärtig offensichtlich Konjunktur. Arbeitgeber suchen
möglichst kompetente
Beschäftigte, bei schon in einem Dienstverhältnis stehenden
Personen werden deren Kompetenzen evaluiert, die Wirtschaft
verlangt die Etablierung von Kompetenzzentren. Und
Bildungseinrichtungen sollen dadurch ein neues Profil gewinnen,
daß
ihre Rolle bei der Erzeugung und Vermittlung von Kompetenzen deutlicher
herausgestellt wird. Daher sind es vor allem
praktische Gründe, die dazu zwingen, sich über Inhalt und
Reichweite, Intension und Extension der neuen Formel klar zu
werden. Ungeachtet dieser praktischen Notwendigkeit sei daran erinnert,
daß die Klärung von Begriffen und die Einführung neuer
Begriffe ins wissenschaftliche System zu den wichtigsten Aufgaben des
Wissenschaftlers zählt (Stegmüller
1967, S. 334).
Das Wort Kompetenz ist in der deutschen
Sprache ein Fremdwort, dessen Sinn lt. Duden mit Sachverstand und
Zuständigkeit näher umschrieben wird. Kompetent ist, wer
sachverständig, befähigt, zuständig, maßgebend und
befugt ist. Der
französische Kleine Larousse verweist auf die Herkunft von
"compétence" vom lat. competentia, das mit "iuste rapport",
also mit angemessenem Verhältnis übersetzt werden kann. Dies
bedeutet zunächst, befugt zu sein, in einer Sache ein Urteil
abzugeben. Es ist hier die Rede von der Zuständigkeit eines
Gerichtes oder eines Spezialisten, in einer bestimmten Angelegenheit zu
entscheiden. "Compétent" im engeren Sinn ist jene Person, die
das Recht hat, über eine Angelegenheit informiert zu werden, im
weiteren Sinne jeder, der befähigt, qualifiziert, wissend,
erfahren ist. „Compétiteur" ist jemand, der
sich gleichzeitig mit anderen um eine Aufgabe, Würde oder
Beschäftigung bewirbt. "Compétitiv" ist hingegen, wer in
der
Lage ist, in der Konkurrenz mit anderen bestehen zu können. Der
französische Ausdruck "compétition" wird als ein englisches
Lehnwort lateinischen Ursprungs bezeichnet, mit dem der Wettbewerb
zwischen mehreren Personen im Hinblick
auf ein gemeinsames Ziel angesprochen ist.
Nach Auskunft des englischen Lexikons
hat "competition" mehrere Bedeutungen: Die Auseinandersetzung um den
Vorrang, den Wettbewerb um einen Preis, die Konkurrenz zwischen
verschiedenen Anbietern, die Rivalität zwischen Personen
und Gruppen im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel, wobei es dann jeweils
Gewinner und Verlierer gibt, und schließlich
auch der Kampf zwischen verschiedenen Organismen ums Überleben.
Als "competent" gilt hingegen, wer über die für eine
bestimmte Aufgabe erforderlichen Fähigkeiten verfügt, oder
auch, wer vom Gesetz her befugt ist, dieses oder jenes tun zu
dürfen.
"Kompetenz" und "competition" sind
offensichtlich auf die gleiche sprachliche Wurzel
zurückzuführen. Das lat. "petere"
bedeutet eilends irgendwohin gehen, etwas angehen, aufsuchen,
verlangen, auch gerichtlich beanspruchen. Das diesem
Verbum entsprechende Substantiv, die petitio, hat daher ebenfalls
verschiedene Bedeutungen. Es steht für Angriff, Bitte,
Bewerbung oder Anspruchsrecht. Ein competitor ist ein Mitbewerber, das
zugrundeliegende Verbum competere verweist
auf zusammentreffen, zusammenfallen, im übertragenen Sinne dann
auf stark sein für etwas, über ausreichende Kräfte
verfügen.
Für den Ausdruck der Kompetenz
ergibt sich aus diesen einfachen lexikalischen Befunden, daß er
in zumindest dreifachem
Sinne verwendet wird: In einem engeren juridischen Sinne als die
Befugnis, etwas tun oder nicht tun zu dürfen. Die Befugnis des
Notars, Verträge rechtlich gültig unterschreiben zu lassen;
die Befugnis des Arztes, bestimmte Rezepte zu
verschreiben; die Befugnis des Führerscheininhabers, ein Auto
lenken zu dürfen. Es handelt sich hier also um formale,
genau definierte Kompetenzen. Daneben ist in einem weiteren Sinne von
Kompetenzen zu sprechen als von besonders
entwickelten Fähigkeiten und Qualifikationen, die jemanden in
einer bestimmten Angelegenheit als Experten erscheinen
lassen. In einem dritten Sinne sind Kompetenzen jene Merkmale eines
Aspiranten, die seinen Erfolg in Wettbewerbssituationen als
wahrscheinlich erscheinen lassen. Der Bezug zwischen Person und
Kompetenz ist bei den drei Verwendungsweisen ein jeweils verschiedener:
Im ersten Fall handelt es sich um ein juridisch kodifiziertes Merkmal,
im zweiten
um ein (erworbenes oder zugeschriebenes) besonderes Vermögen, beim
dritten um relationale Fähigkeiten, weil jeweils
vom Umfeld abhängig ist, was sich als konkurrenzfähig erweist
und was nicht.
Im Bereich der innerbetrieblichen
Innovationsdiskurse und Trainingsprogramme steht das Bemühen um
die Entwicklung
einschlägiger Kompetenzen seit einigen Jahren an vorderster Stelle
der Prioritätenliste. Innerbetrieblich geht es um die
Etablierung von Kompetenzschwerpunkten, zwischen- und
überbetrieblich um die Aufbau von Kompetenzzentren, welche
der Entwicklung bestimmter Branchen oder Regionen zusätzlichen
Autrieb geben sollen. Eine Analyse dieser Verschiebungen der
Präferenzen aus arbeitssoziologischer Perspektive führt C.
Dubar (1996, S. 182) zur These ab, daß Kompetenz
heute weitgehend dasselbe besagt wie der frühere Begriff der
"sozialen Qualifikation". Dieser wurde in der 50er Jahren
schon dazu verwendet, um auf die raschen Veränderungen in den
Arbeitsbeziehungen mit einem neuen Wort hinzuweisen.
A. Touraine entwickelte damals ein dreistufiges Schema, mit dem er den
Wandel der Arbeitsbeziehungen in der industriellen Produktion sichtbar
zu machen versuchte. Eine Phase A entspricht dabei einem System der
beruflichen Arbeit, das
noch mehr an handwerklicher Fertigung orientiert ist; in der Phase B
dominiert die mechanisierte Arbeit am Fließband, in
der die Qualifikation der Beschäftigten enger mit dem Arbeitsplatz
selbst verbunden ist; die Phase C ist die von der Technik
gekennzeichnete automatisierte Produktion, die wieder andere
Fähigkeiten verlangt. Touraine bezeichnete diese als
„soziale Qualifikation". Gefragt sind in der dritten Phase nicht so
sehr handwerkliche oder technische Fähigkeiten, sondern
jene, die es erlauben, die Gesamtheit des betrieblichen Sozialsystems
zu verstehen und einen Beitrag zu dessen besserem
Funktionieren leisten zu können. Dieser neue Typ der Qualifikation
ist von der Personalpolitik des Unternehmens abhängig
und bestimmt durch die Normen der betrieblichen Führung und
Verwaltung.
Im Anschluß daran geht C. Dubar
der Frage nach, wie die Ausdrücke Qualifikation und Kompetenz in
empirischen Arbeiten verwendet werden. Dabei stellt er fest, daß
Qualifikation in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche
Sachverhalte
repräsentiert. In Deutschland steht er im Kontext eines
technisch-beruflichen Systems, in dem mit entsprechenden Zertifikaten
Befugnisse zu einer beruflichen Betätigung verbunden sind. Im
französischen Modell, als sozio-administratives
bezeichnet, wird Qualifikation anders bestimmt: zunächst einmal
von der schulischen Ausbildung, die administrativ
kodifiziert und dann von den Betrieben im Sinne einer ausgeprägten
Statusdifferenz zwischen Vorgesetzten und Untergebenen eingesetzt wird.
Damit steht der Arbeitsplatz selbst oder eine bestimmte Position in
einem hierarchischen Gefüge im
Vordergrund, ganz anders als in Deutschland, wo mit Qualifikation
persongebundene Fähigkeiten gemeint sind. In Japan
hingegen steht Qualifikation für vielfältige Erfahrungen, die
sich aus Aufgabenrotation und Übernahme verschiedenartiger
Funktionen ergeben. Das japanische Modell verbindet demnach die
französische Berücksichtigung der Anciennität mit der
deutschen Hochschätzung der Polyvalenz und fügt dem noch die
Komponente der internen Mobilität hinzu. Zentral ist für
die japanischen Verhältnisse jedoch weniger die Qualifikation der
einzelnen Beschäftigten als vielmehr die kollektive
Qualifikation der Gesamtbelegschaft. Die Bedeutung des Ausdrucks
Qualifikation ist demnach generell vom sozialen
Raum abhängig, in dem er steht. Qualifikation und auch Kompetenz,
soferne damit dasselbe gemeint ist, sind daher
relative Begriffe, abhängig von den je verschiedenen Formen der
beruflichen Sozialisation, den diversen Formen der
Arbeitsteilung und den Arten der Regulierung der Arbeitsbeziehungen.
Keineswegs einfacher stellen sich die
Verhältnisse dar, wenn bei nicht-industriellen Berufen von
Qualifikationen und
Kompetenzen die Rede ist. Am Beispiel der Lehrer und der Polizisten
verdeutlicht C. Dubar (1996, S. 184), wie eng hier
formal-juridische Komponenten mit persönlichen Merkmalen verbunden
sind. Qualifizierte Lehrer und Polizisten verfügen
über formale bzw. technische Qualifikationen, die mit bestimmten
Ausbildungsgängen verbunden und juridisch kodifiziert
sind. Darüber hinaus betrachten aber beide, sowohl Lehrer wie auch
Polizisten, ihr Metier als eine Kunst, die nicht unabhängig von
der jeweiligen Persönlichkeit auszuüben ist. So wird die
Persönlichkeit gleichzeitig zum entscheidenden
Arbeitsinstrument. Es zeigt sich also auch hier wieder die schon bei
den frühen Arbeitssoziologen erkannte Doppelbödigkeit von
Qualifikation und Kompetenz: einerseits die technische Qualifikation,
die formalisierte Kenntnisse voraussetzt,
andererseits aber eine Geschicklichkeit des berufliches Verhaltens, die
nur über die Praxis erworben werden kann.
Eine weitere Unklarheit entsteht, wenn
der Begriff der Kompetenz im Sinne einer Theorie der Berufe wie im
angelsächsischen Raum verwendet wird. Berufe im sinne von
„professions" üben die Repräsentanten der freien Berufe aus,
die in
einem geschlossenen Arbeitsmarkt agieren und so juridisch von
abgegrenzt sind, die einfachere Tätigkeiten ausüben. Die
Angehörigen freier Berufe wie Ärzte, Rechtsanwälte,
Notare haben das Recht, berufliche Vereinigungen zu gründen. Diese
Option steht den anderen nicht zu, sie haben lediglich das Recht,
Mitglied einer Gewerkschaft. Der Ausdruck der Kompetenz ist hier mehr
den Angehörigen der freien Berufe vorbehalten, Qualifikationen
hingegen beziehen sich auf Beschäftigungen, die nicht dem
professionellen System zugehörig sind. Zugeschriebene Kompetenzen
bringen daher die besonderen
Beziehungen des Professionellen zu seinen Klienten wie Vertrauen,
Hingabe, Engagement zum Ausdruck, sind also Teil
einer beruflichen Rhetorik, um die große gesellschaftliche
Bedeutung und Unersetzlichkeit einer bestimmten Berufsgruppe
herauszustreichen. Aus dieser Optik unterscheiden sich Kompetenzen von
Qualitäten nicht durch unterschiedliche Bestände
des Wissens. Die unterscheidenden Kriterien sind vielmehr
unterschiedliche Strategien kollektiver Akteure und unterschiedliche
Arten der Regulierung der Arbeitsmärkte.
Eine weitgehend andere Akzentsetzung
bringt die heutige Orientierung der Betriebe am Kompetenz-Modell mit
sich. Diese
ist zu sehen auf dem Hintergrund der Umgestaltung der betrieblichen
Sozialbeziehungen, die sich im Laufe der 80er Jahre
durchgesetzt haben: Rehabilitation des Unternehmens, Niedergang der
Gewerkschaften, eine Neubewertung der humanen
Ressourcen und damit zusammenhängend die Betonung eins „sozialen"
Managements. C. Dubar (1996, S. 188) zählt fünf
Momente auf, bei denen die neue Orientierung am Kompetenz-Modell
sichtbar wird: In neuen Formen der Rekrutierung,
wobei der Stellenwert von Diplome höher veranschlagt wird, was mit
sich bringt, daß die Rekrutierung von Niederqualifizierten auf
zusätzliche Schwierigkeiten stößt; in der
Höherbewertung der Mobilität und individualisierten
Erfolgsbeurteilung; in der Einführung neuer Kriterien der
Evaluierung, welche beziehungsorientierte Komponenten besonders
betonen;
in der Aufforderung zur Weiterbildung, die meist innerbetrieblich
erfolgt und eine Beeinflussung der Identität der
Beschäftigten zum Ziel hat; und schließlich noch die
Beseitigung der alten Systeme der Klassifizierung, die Resultat
kollektiver Verhandlungen gewesen sind. Die neuen Kompetenzen sind also
Resultate betrieblicher Sozialisation, deren Ziel die
Neutralisierung oder Entwertung anderer Identitäten der
Lohnabhängigen ist, die noch aus anderen Zeiten kommen.
Der neue Diskurs von den Kompetenzen
generell, der sozialen Kompetenz im besonderen betont die
Möglichkeiten persönlicher Mobilisierung im Interesse des
Unternehmens und ist Symptom einer neuen Konzeption von
Arbeitsbeziehungen.
Das Unternehmen sucht die optimale Nutzung der humanen Ressourcen, ohne
genau zu wissen, worin diese besteht; die
Beschäftigten hingegen sind an einer möglichst guten
Bewertung ihrer Fähigkeiten interessiert, wobei sie ebenfalls
nicht
von vornherein wissen, wie nützlich diese in welchen Situationen
sein werden. Diese doppelte Unsicherheit wurde früher
als "Unvollständigkeit des Arbeitsvertrages" bezeichnet, die einer
Regelung durch allgemeine Normen bedarf, die nur
Gegenstand eines Kompromisses gegensätzlicher Interessen sein
konnten und weiterhin sein können. So erhalten die heute
eingeforderten "sozialen Kompetenzen" einen genau angebbaren
Stellenwert: sie bestehen in der Fähigkeit der Beschäftigten,
die Interessen des Unternehmens als die allein maßgeblichen zu
betrachten und die eigenen Interessen zu ignorieren,
wie dies Grégoire Philonenko / Véronique Guienne (1998,
S. 147) im Detail beschreiben.7 Damit
wird die Unsicherheit des
Arbeitsvertrages zugunsten des Unternehmens beseitigt. Dessen
Wettbewerbsfähigkeit wird dadurch zweifellos gestärkt,
gleichzeitig läuft es aber Gefahr, früher oder später
mit massivem individuellem Desinteresse oder kollektiven Formen des
Widerstandes konfrontiert zu sein.
Die Management-Theorie ist vom
Einfluß angelsächsischer Vordenker bestimmt und für
häufige Trendwechsel bekannt,
wobei hinter neuen Begriffskreationen sich oft lediglich altbekannte
Dinge verbergen. Der rasche Wechsel der Moden in
sprachlichem Ausdruck und perspektivischer Orientierung dient jedoch
einem konstant bleibenden Anliegen: Konstant
bleibt das Bestreben, einzelbetriebliche Prozesse zu optimieren,
variabel sind Konzepte und Rezepte, die als unmittelbar
zielführend angepriesen werden. John Micklethwait / Adrian
Wooldrige (1996, S. 18) weisen darauf hin, daß die Entwicklung
und der Verkauf von Konzepten und Rezepten selbst zu einem so
erfolgreichen Geschäft geworden ist, daß dadurch
die Seriosität der theoretischen Anstrengungen beeinträchtigt
wird.
Die Unterscheidung in Zielkonstanz und
Mittelvariabilität ist nur insofern von Nutzen, als sie nicht
unterschlägt, daß auch
die Formel von der Optimierung der einzelbetrieblichen Prozesse nicht
unproblematisch ist. Dies deswegen, weil sie bereits
ein Vorverständnis dessen transportiert, was unter einem Betrieb,
einer Firma, einem Unternehmen verstanden werden soll.
Handelt es sich dabei um Maschinen zur raschen Realisierung von
Gewinnen oder um kooperative Formen der Tätigkeiten,
welche die Prozesse des Austausches mit der Natur regeln? Sind
Unternehmen Orte der Ausbeutung der Beschäftigten
oder Orte ihrer Selbstverwirklichung durch Arbeit? Ist ein Betrieb eher
eine in sich geschlossene Einheit oder offen für
vielfältige Beziehungen zur Umwelt? Bedarf er einer klar
ausgeprägten Hierarchie oder haben die Abstände zwischen den
einzelnen Stufen möglichst gering zu sein? Sind Strukturen und
Prozesse im Unternehmen theoretisch mit organisationsbezogenen oder mit
institutionellen Zugängen (Coriat / Weinstein 1995, S. 7)
angemessener zu analysieren?
Ungeachtet der vielen offenen Fragen ist
festzuhalten, daß sich in den 80er Jahren der gesellschaftliche
Stellenwert des
Unternehmens merklich verändert hat. Jene, die von Aufwertung
sprechen, haben wohl eher die Tatsache im Auge, daß
unternehmerische Aktivitäten an Prestige gewonnen haben. Jene, die
mehr den Aspekt der Rehabilitation der Unternehmen
betonen, weisen auf die Verflüchtigung der negativen Konnotationen
hin, die zu Zeiten des Klassenkampfes, resultierend
aus dem Interessenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit, mit der
Unternehmerrolle verbunden gewesen sind. Die neue
Unternehmensrhetorik der vergangenen Jahre darf jedoch nicht den Blick
auf die vorangehenden Jahrzehnte verstellen, die
für das Verständnis der neueren Entwicklungen
mitzuberücksichtigen sind. John Micklethwait und Adrian Wooldrige
(1996, S. 105) weisen darauf hin, daß im Bereich der
Management-Theorie Alfred Sloan dasselbe leistete wie Henry Ford
für den realen Produktionsprozeß. Nach Sloans Vorstellungen
sollte das Unternehmen eine sich selbst erhaltende Einheit
sein. Zu diesem Zweck hatte er vorgeschlagen, es in verschiedene
halbautonome Einheiten mit je eigenen Handlungsspielräumen zu
gliedern, die für die Zentrale Gewinne zu erwirtschaften hatten.
Trotz des beträchtlichen Grades an Dezentralisation funktionierte
das Ganze nach einem System rigider Befehls- und Kontrollabläufe.
Dieses Modell, das den amerikanischen
Kapitalismus über lange Jahre erfolgreich inspirierte, ist
inzwischen von den realen
Entwicklungen her (lean production, Silicon Valley mit den neuen
Kleinfirmen, Desavouierung der funktionellen Gliederung) überholt
worden. Mit der Lockerung strenger formaler Kontrollen und der
Preisgabe der Orientierung an der
betrieblichen Selbsterhaltung (selfsufficiency) ist es zu einer
Relativierung der hierarchischen Strukturen gekommen. Dies
bedeutete gleichzeitig eine Ausweitung der Zonen der Unsicherheit und,
damit verbunden, eine Zunahme der Bedeutung
kognitiver Faktoren.
Bei der Suche nach einem neuen Modell
stehen die beiden Momente der Errichtung von Netzwerken und der Pflege
der
Unternehmermentalität (enterpreneurialism) im Vordergrund. Doch,
wie Micklethwait / Wooldrige (1996, S. 110) bemerken, steht am Beginn
jeder betrieblichen Reorganisation heute einer der
häßlichsten, aber auch wichtigsten der obskuren
Ausdrücke der Management-Theorie: die Kernkompetenzen (core
competencies). Zum Verständnis dessen, was damit
gemeint ist, verweisen die beiden Autoren auf G. Hamel und C.K.
Prahalad: Kernkompetenzen sind das Können (skills)
und „die Fähigkeiten, sowohl kodifizierte wie nicht kodifzierte,
die einem Unternehmen ein eigenartiges Flair geben und
von der Konkurrenz nicht so ohne weiteres imitiert werden können"
(a.a.O.). Sich für eine Kompetenz entscheiden bedeutet auch, sich
aus jenen Bereichen zurückzuziehen, in denen die eigene
Leistungsfähigkeit als unbefriedigend einzustufen
ist. Neben dem Problem der Entscheidung für eine bestimmte
Kernkompetenz geben Hamel und Prahalad zu, daß auch
noch mit anderen Problemen zu rechnen ist (a.a.O., S. 111). Denn
Märkte können sich rasch ändern, Manager können
ihre
Ansichten und Vorlieben wechseln, und unversehens werden dann
Kernkompetenzen zu Kernbeschränktheiten (core
rigidities). Zusätzliche Gefahren ergeben sich aus dem Hang zur
Selbstgefälligkeit oder dem Wunsch, des Guten zu viel zu
tun.
Hatte das Unternehmen nach dem Modell
Alfred Sloans eine klare und strenge hierarchische Struktur, so fehlen
solche im
post-sloanschen Modell weitgehend. Was nun die Kohäsion
sicherstellen muß, das ist die Kultur, jener unsichtbare Faktor,
der die Selbstdisziplin der Beschäftigten und ihr gegenseitiges
Vertrauen zu gewährleisten hat. Erfolgreiche Unternehmen
pflegen daher ihre zentralen Werte (core values), eine Art kultureller
Variante der Kernkompetenzen. Dies bedeutet, daß
geschäftlicher Erfolg an die Fähigkeit der Führung
gebunden ist, in der Belegschaft Enthusiasmus und Engagement zu
generieren. Die besten Möglichkeiten, die Unternehmenskultur zu
stabilisieren und zu erneuern, sind Personalrekrutierung
und innerbetriebliche Weiterbildung. Damit wird es möglich, mit
Unsicherheiten zu leben und den kognitiven Faktor zu
entwickeln, was dann zum Konzept der „lernenden Organisation"
führt. Eine solche sollte ständig auf der Suche nach
neuen Ideen sein leidenschaftlich neue Dinge ausprobieren wollen. In
vielen der erfolgreichsten Gesellschaften ist der
oberste Chef selbst dafür verantwortlich, eine Atmosphäre
höchsten Eifers (a culture of obsession) zu erzeugen: „selbst ein
Besessener, sucht er sich andere Besessene und animiert sie dazu, ihr
Leben ihren Produkten zu weihen" (Micklethwait /
Wooldrige 1996, S. 133).
Diese Besessenheit hat sich an Zielen zu
orientieren, die Gegenstand der Vision sind, in welche Richtung sich
die Märkte
entwickeln. Stehen die Ziele einmal fest, so gelte es, die Zeiten der
Produktentwicklung zu halbieren, die Fehlerquellen zu
reduzieren, die anteilsmäßigen Leistungen der einzelnen
Mitglieder der Teams genau zu bestimmen und den Arbeitsdruck
ins Extreme zu steigern. Dies seien die Bedingungen, unter denen
Kreativität sich am ehesten entfalte und „Wissensarbeitern"
(knowledge workers) erfolgreiche Innovationen gelingen könnten. In
der künftigen Ökonomie des Wissens
werde für die meisten Beschäftigten die fundamentale Spaltung
der Gesellschaft nicht mehr jene zwischen Kapital und
Arbeit sein, sondern jene zwischen Insidern und Outsidern (Micklethwait
/ Wooldrige 1996, S. 139). Insider sind hier jene,
die zu den Belegschaften wissensintensiver Unternehmen gehören und
so die Chance haben, ihre Intelligenz und Fähigkeiten einzusetzen,
Outsider hingegen jene, die draußen in der Kälte gelassen
sind. Als Oberflächenbeschreibung mag dies
zutreffend sein, doch die Negation der fundamentalen Spaltung8 der Gesellschaft scheint verwegen zu
sein in Anbetracht
der Diskrepanzen zwischen Reichen und Armen, die derzeit immer
größer werden.
Aus der Perspektive der
Management-Theorie sind Kompetenzen daher keine generellen
Qualitäten, sondern, als Folge von
Selektionsprozessen, unternehmensspezifische Merkmale und
Fähigkeiten. Kompetenzentwicklung hat die
Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu erhöhen, das sich
als „lernende Organisation" versteht. Der Ausdruck „lernende
Organisation" bedeutet heute dasselbe, was vor etlichen Jahren noch
Organisationsentwicklung geheißen hat. Doch auch die neuere
Bezeichnung der „lernenden Organisation"schon wieder nicht mehr ganz
aktuell. An ihre Stelle tritt nun das Konzept des
Wissensmanagements, womit ein reichlich abgenutzter, wenn auch
keineswegs umgesetzter Topos (die lernende Organisation)
oberflächlich rezykliert wird (Schneider 1996, S. 7 ). Die Sache,
die gleich bleibt, ist der Anspruch an jeden, der zu
den Insidern gehören will, seine persönliche Identität
in seiner betrieblichen Identität aufgehoben zu sehen. Von den
normativen Implikationen her verweist dies alles auf eine Wiedergeburt
der Figur des Helden der Arbeit, dessen Glück
darin besteht, sich zu verzehren im Dienst an der Sache und seine
eigenen Interessen zu vergessen. Die bisher wichtige
Unterscheidung zwischen Emanzipation und Entfremdung wird damit obsolet.
Die Kurzlebigkeit der
Management-Theorien ist weitgehend dadurch bedingt, daß sie mehr
das thematisieren, was sein soll
und das vernachlässigen, was ist. Aussagen zu dem, was ist,
präsentieren sich in der Gestalt eines vordergründigen
Positivismus und Chosismus, der das Komplexe dem Einfachen opfert9 und nur das zu sehen bereit ist, was
zugreifender Intervention offen zu sein scheint. Im Bemühen, die
Leistungskomponente zu forcieren, wird alles, was erfolgreich ist oder
zu
Mißerfolgen geführt hat, zu einer Frage des
Leistungsvermögens. Dieses selbst aber ist eine Resultante des
Drucks von
außen oder eines unbändigen inneren Leistungswillens. Die
Trennlinie zwischen Insidern und Outsidern ist nach Maßgabe
der Leistungsfähigkeit gezogen, wobei die Frage, warum die Starken
stark und die Schwachen schwach sind, nicht einmal
gestellt wird.
Neuere Untersuchungen zu den Kriterien
der Rekrutierung von Topmanagern weisen da auf andere Fakten hin, die
hinter
einem vordergründigen großen oder kleinen Leistungswillen
wirksam sind. Es sind dies vor allem exklusive Bildungsabschlüsse,
eine gehobene soziale Herkunft und, in Abhängigkeit von dieser,
bestimmte Persönlichkeitsmerkmale. Was die
Bildungsabschlüsse betrifft, so liegen diesbezüglich im
deutschsprachigen Raum andere Verhältnisse vor als in Frankreich,
Großbritannien oder den USA. Dort sind es vor allem die
Elite-Einrichtungen der Grandes Ecoles, Oxford und Cambridge
sowie der „Big Three" Harvard, Yale und Princeton, aus deren
Absolventenkreis sich der Großteil der Inhaber von
Spitzenpositionen in Wirtschaft und Gesellschaft rekrutieren.
In Deutschland stammten bis in die 60er
Jahre 50-60 % der Topmanager noch aus der Mittelschicht und auch
Angehörigen
der Arbeiterschaft (Hartmann 1995, S. 448) war es möglich, zu
höchsten Positionen zu kommen. Diese Situation hat sich
inzwischen im Sinne einer Angleichung an die Rekrutierungsmechanismen
in den anderen Ländern geändert und damit
sozusagen „normalisiert". Mehr als 60 % der Spitzenmanager, die in den
90er Jahren in den Ruhestand treten, kommen aus
Elternhäusern, die zu den oberen 2 - 3 % der Einkommensbezieher
ihrer Zeit zählen (Hartmann 1996, S. 452). Fast drei
Viertel des obersten Segments der Manager stammt aus Haushalten, die
nicht einmal 5% der Erwerbstätigen ihrer Zeit
umfaßten, während andererseits aus der Arbeiterschaft, die
zwischen 1939 und 1960 mit 60 % die große Mehrheit der
aktiven Bevölkerung stellte, es nur 5 % zu einer Spitzenposition
brachten. Seit den 70er Jahren verfügen Topmanager, im
Gegensatz zu früheren Jahren, vermehrt über einen
universitären Abschluß, wobei die beiden Fächer
Betriebswirtschaft und
Jus mit einem hohen Anteil dominant vertreten, Absolventen der
naturwissenschaftlichen Fächer und Techniker jedoch in
den oberen Rängen stark unterrepräsentiert sind.
Weit wichtiger als der universitäre
Abschluß ist jedoch das Persönlichkeitsprofil des jeweiligen
Kandidaten, wenn es um
den Zugang zu Top-Positionen geht: er muß die für
Spitzenpositionen „üblichen Umgangsformen beherrschen und die dort
geltenden ungeschriebenen Regeln kennen; er muß ein hohes
Maß an Souveränität im Auftreten und eine hohe
Allgemeinbildung besitzen; schließlich muß er eine
optimistische Lebenseinstellung mitbringen und - ganz entscheidend -
über ein
hohes Maß an unternehmerischem Denken verfügen" (Hartmann
1995, S. 456). Dies impliziert, den „Dress Code" zu
kennen und ihn auch zu akzeptieren sowie ein „parkettsicheres"
Verhalten zu haben. Das heißt, neben Beachtung der
Kleidungs- und Verhaltensvorschriften sind ein souveränes und
gelassenes Auftreten, Selbstsicherheit und Ruhe unabdingbare Merkmale
für jene, die ganz nach oben kommen wollen. Als weiteres wichtiges
Persönlichkeitsmerkmal gilt eine
solide Allgemeinbildung, die umso breiter sein muß, je höher
die angestrebte Stellung ist. Ergänzt wird die Palette der
wünschenswerten Persönlichkeitsfaktoren durch eine
Biographie, die Rückschlüsse auf ein hohes Maß an
Initiative, Entscheidungsfreude und beträchtliche
Risikobereitschaft erlauben. Weil diese Kriterien im Hinblick auf
erfolgsorientierte
Männer entwickelt worden sind, also nur sehr bedingt auch für
Frauen gelten, haben letztere in ihrem Streben nach
einflußreichen Positionen eine zusätzliche Barriere, ihr
Geschlecht, zu überwinden.
Diese sozial bedingten
Persönlichkeitsmerkmale, die gleichzeitig Zugehörigkeit zur
„Upper-Class" signalisieren, werden
daher auch als „innate qualities (leadership, courage, decisiveness,
judgement)" bezeichnet, die als „class as much as
individual qualities" für die soziale Auslese der Kandidaten und
damit gleichzeitig für stabile Verhältnisse sorgen (Locke,
subcit. Hartmann 1997, S. 30). Für dieses Bündel an
persönlichkeitsrelevanten Faktoren wie Selbstsicherheit und
Souveränität, Auftreten und Stil, die man in die Wiege
mitbekommt oder eben auch nicht, aber schlecht lernen kann, verwenden
Personalberater sowohl den Ausdruck „soziale Kompetenz" wie auch den
der „Kernkompetenzen" (Hartmann 1995, S.
460). Weniger irreführend ist es, dafür in Anlehnung an
Pierre Bourdieu von einem „klassenspezifischen Habitus" zu
sprechen. Damit ist jene Kombination von vorteilhaften
Persönlichkeitsmerkmalen gemeint, welche als Basis der
erforderlichen „sozialen Distinktion" den Zugang zu Spitzenpositionen
erleichtern: gutes äußeres Erscheinungsbild, angemessene
Umgangsformen, Souveränität, Allgemeinbildung und
unternehmerisches Denken (ders., a.a.O., 462).
Für die Zukunft werden fachbezogene
Kenntnisse weniger wichtig sein als die Summe dieser sozialbedingten
Persönlichkeitsfaktoren. Wenn diese Annahme Michael Hartmanns
richtig ist, so kommt es damit de facto in der Verteilung sozialer
Chancen zu einer Renaissance ständischer Zuweisungskriterien.
Ulrich Beck (1996, S. 249) spricht daher von einer Refeudalisierung in
der Chancen- und Risikoverteilung auf dem Arbeitsmarkt, weil erneut
jenseits der Ausbildungszertifikate
nach Kriterien gemessen wird, die sich allen
Rechtfertigungszwängen entziehen.
Der Ausdruck Kompetenz im weiteren Sinne
eines Beitrags zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit bleibt
jedoch unklar
und unbestimmt, solange das dazu gehörende Wettbewerbsfeld nicht
bekannt ist. Ist die Konkurrenz schwach, so ist Kompetenz bald
sichergestellt. Im anderen Fall, bei hoher Konkurrenz, ist es sehr
schwer, kompetent zu sein im Sinne von in
der Lage zu sein, die anderen dominieren oder zumindest in
entscheidenden Phasen mithalten zu können. Daher stellt Guy
le Boterf (1997, S. III) zu recht fest, daß in allen großen
Unternehmen und Organisationen der Wille zur Entwicklung der
erforderlichen Kompetenzen an vorderster Stelle der
Absichtserklärungen steht, doch den großen Worten meist nur
unbedeutende oder keine praktischen Konsequenzen folgen. Le Boterf
führt dies auf die Unterbestimmtheit des Begriffes
zurück, unter dem häufig nur die Summe des Wissens verstanden
wird, bisweilen auch das Tun-Können (savoir faire) oder
auch das Sein-Können (savoir etre) oder auch nur einfach die
Anwendung theoretischen oder praktischen Wissens. Wo der
Begriff durch eine Liste heterogener Merkmale näher umschrieben
wird, verliert er seine Konsistenz, damit auch die
Operationalisierbarkeit und letztlich seinen Sinn. Mit der Logik der
Dekomposition, so Le Boterf, verflüchtigt sich der
Inhalt des Begriffes. Daher verlangt er dringend eine strengere
begriffliche Fassung. Sonst komme es dazu, daß die Entwicklung
der Kompetenzen mehr und mehr vernachlässigt werde, und dies in
einer Situation, in welcher deren Notwendigkeit nicht mehr in Frage zu
stellen sei.
Le Boterf sucht dem Begriff der
Kompetenz durch folgende Bestimmungen schärfere Konturen zu geben.
Zunächst einmal
durch ein Verständnis der Kompetenz als kombinatorisches Wissen
und die stärkere Berücksichtigung des Subjekts als das
Zentrum der Kompetenz. Das Individuum konstruiert seine Kompetenzen,
indem es eine doppelte Ausstattung mit Ressourcen kombiniert und
mobilisiert: seine inkorporierten Ressourcen (Kenntnisse, Erfahrungen,
praktische Fähigkeiten,
persönliche Qualitäten) und die Ressourcen seiner Umwelt
(berufliche Beziehungen, Dokumentationen, Datenbanken....).
Eine weitere Annahme Le Boterfs besteht darin, daß das
kombinatorische Wissen der je verschiedenen Individuen nicht
dasselbe ist und daß es sich im Lauf der Zeit weiter entwickeln
kann. Daraus folgt, daß es nicht nur eine Art geben kann,
kompetent zu sein im Hinblick auf ein Problem oder ein zu
realisierendes Projekt. Kompetenz läßt sich also nicht auf
eine
einzige Verhaltensäußerung reduzieren, die der Beobachtung
zugänglich ist. Dies führt in einem dritten Schritt dazu, die
Kompetenz eines Individuums - die in seinem kombinatorischen Wissen und
in seiner Fähigkeit der Ressourcenkombination und
Ressourcenmobilisierung liegt - von den Kompetenzen zu unterscheiden,
die es mit seinem kombinatorischen
Wissen hervorbringt. Kompetent ist demnach jene Person, die dazu in der
Lage ist, rechtzeitig jene Kompetenzen zu
entwickeln, die zur Bewältigung einer komplexen beruflichen
Situation erforderlich sind.
Mit diesen drei Annahmen lassen sich
einige wichtige Unterscheidungen treffen. An erster Stelle einmal jene
zwischen den
Ressourcen, die nötig sind, um Kompetenzen zu konstruieren und den
Kompetenzen selbst. Ebenso ist die Ökonomie der
Kompetenzen und die Ökonomie der Wissensbestände
auseinanderzuhalten. Objektiviertes Wissen dient dazu, Kompetenzen zu
erzeugen, ist aber nicht Teil der Kompetenzen selbst. Inkorporiertes
Wissen und objektiviertes Wissen sind verschieden, jedoch
komplementär. Weitere Unterscheidungen beziehen sich einmal auf
die Evaluierung der Kompetenzen
und die Evaluierung der Ressourcen, die zur Schaffung von Kompetenz
erforderlich sind, dann aber auch die Trennung von
Ausbildung und Professionalisierung. Ausbildung dient der Erhaltung und
Erweiterung der inkorporierten Ressourcen, der
Einübung in ihre Kombination und Mobilisation, Professionalisation
hingegen inkludiert die Ausbildung, fügt ihr jedoch
die Organisation der Arbeitssituationen hinzu, die dazu führen
soll, die Konstruktion von Kompetenzen zu erlernen. Eine
letzte Feststellung Le Boterfs bezieht sich auf die Vermittelbarkeit
von Kompetenzen. Diesbezüglich vertritt er die Ansicht,
daß eine solche nicht möglich ist. Was sich machen
läßt, beschränkt sich darauf, günstige Bedingungen
für die immer
persönliche Konstruktion von Kompetenzen zu schaffen.
In der Mitte des hier dargestellten
Konzepts von Kompetenz steht das Subjekt und seine Ressourcen, sowohl
die äußeren
wie auch die inneren. Die inneren Ressourcen stellen die inkorporierten
Potentiale dar, die äußeren hingegen die diversen
Beziehungsnetze und objektiviertes Wissen, auf welches das Subjekt
zurückzugreifen versteht. Die Kompetenz des Individuums besteht
demnach darin, die zur Meisterung komplexer Situationen erforderlichen
Kompetenzen schaffen zu können.
Ausbildung ist die Voraussetzung von Kompetenz, doch kann Ausbildung
allein keine Kompetenz vermitteln. Wenn diese
These richtig ist, dann sind Erwartungen an das Ausbildungssystem,
Kompetenzen im Sinn des beruflich unmittelbar
Verwertbaren vermitteln zu können, überzogen und irreal.
Ausbildung kann nur insofern der Entfaltung persönlicher
Kompetenz dienen, als sie das kombinatorische Wissen fördert und
jene Fähigkeiten stützt, die auf die Mobilisierung und
Kombinierung verfügbarer Ressourcen gerichtet sind.
Es zeigt sich, daß es zu wenig
ist, nur dem Diktat der Sprach- und Denkmoden zu folgen und mehr
Kompetenzen zu
reklamieren. Ohne genauere Angaben, wie dies geschehen könnte,
bleibt dies alles im Bereich der frommen Wünsche. Le
Boterfs Konzeption von Kompetenz hat den Vorteil, äußere und
innere Komponenten zu unterscheiden. Die innere Komponente ist das
mobile, kombinierende Subjekt, das in der Lage ist, Kompetenzen zu
konstruieren. Substrat dieser Herstellung
von Kompetenz sind die inkorporierten Fähigkeiten einerseits,
verfügbare objektive Ressourcen andererseits. Dieser
Kompetenzbegriff entspricht in etwa der Grundfigur dessen, was N.
Luhmann (1969, S. 218 f) als "reflexive Mechanismen" bezeichnet: dem
Lernen des Lernens, dem Normieren der Normsetzung, dem
Übermächtigen der Macht, dem Entscheiden über
Entscheidungsprozesse, dem Verstehen des Verstehens und der Information
über die Information. Auf den
Kompetenzbegriff übertragen bedeutet dies: Kompetent sein
heißt, die von bestimmten Situationen erforderten Kompetenzen
erzeugen zu können. Dazu prädisponiert ist das „aktive"
Subjekt im Sinne A. Etzionis (1975): informiert, engagiert und
mit Zugängen zur Macht ausgestattet sein. In der Terminologie von
P. Bourdieu würde zu formulieren sein: kompetent ist,
wer über entsprechendes kulturelles, symbolisches und soziales
Kapital verfügt und dies auch entsprechend einzusetzen
versteht. Kompetenz dieser ersten Ebene besteht darin, mit jenen
inneren und äußeren Ressourcen ausgestattet sein, die das
Subjekt als aktiven Einzelnen, als Akteur in Erscheinung treten lassen.
Kompetenz der zweiten Ebene ist das, was die
Akteure aus ihren Ressourcen im Hinblick auf bestimmte
Aufgabenstellungen zu leisten in der Lage sind. Dies bedeutet,
daß für Subjekte mit unzulänglicher
Ressourcenausstattung die Wege zur Kompetenz weit sein müssen bzw.
auch zu weit
sein können, um sie realisieren zu können.
Ein derartiges Verständnis von
Kompetenz gibt dem Begriff eine bestimmte Bedeutung. Denn sein
Stellenwert läßt sich aus
seinen Beziehungen zu benachbarten Begriffen ableiten, die das
theoretische Feld bestimmen, in die er eingebettet ist.
Zudem ist nicht von vornherein klar, daß "kompetent" ein
Führungskräfte oder, was mehr oder weniger dasselbe ist, ein
Angehörige der Oberschicht kennzeichnendes Merkmal ist. Die
Geschichte hält zahlreiche Beispiele bereit, in denen
Untertane, Knechte, Unterdrückte, Kolonisierte Kräfte zu
mobilisieren in der Lage gewesen sind, um die von ihren Obrigkeiten,
Herren, Beherrschern und Kolonisatoren erzeugte Probleme bearbeiten zu
können. Ohne diese nähere Bestimmung
über eine mit dem Begriff verbundene Theorie bleibt der Ausdruck
leer und unverbindlich. Es besteht die Gefahr, daß
damit lediglich ein neues Wort in Umlauf gesetzt wird, das auf
semantischer Ebene Verwirrung stiftet.
Im Bereich des soziologischen Denkens
ist der Begriff der Kompetenz zwar keine zentrale, aber auch keine
unbekannte
Kategorie. Nicht zentral deswegen, weil ihr in den Denkgebäuden
der schulbildenden Autoren, die den Rahmen der Disziplin abstecken und
die perspektivischen Orientierungen vorgeben, keine tragende Bedeutung
zukommt. Anders ist dies bei
Versuchen, die darauf hinauslaufen, den Rahmen zu erweitern und einen
Wechsel der Perspektiven herbeizuführen, wie
dies Jürgen Habermas in seinem Entwurf zu einer "Theorie des
kommunikativen Handelns" (1982) unternommen hat.
Damit will Habermas frühere
Handlungskonzepte, die er auf die Modelle eines teleologischen (Max
Weber), eines normregulierten (Durkheim, Parsons) und eines
dramaturgischen (Mead, Goffman) Handelns reduziert, in eine neue
Synthese
einordnen, die er über eine Freilegung der ontologischen
Voraussetzungen dieser Konzepte gewinnt, die gleichzeitig drei
verschiedene Aktor-Welt-Beziehungen repräsentieren. Im
teleologischen Handlungsmodell verhält sich das Subjekt zu
etwas in der objektiven Welt, im normregulierten zu etwas in der
sozialen Welt, und im dramaturgischen zu etwas in der
subjektiven Welt. Objektive Welt die dabei die Gesamtheit der
Entitäten, über die wahre Aussagen möglich sind, soziale
Welt die Gesamtheit legitim geregelter objektiver Beziehungen und
subjektive Welt die Gesamtheit der privilegiert zugänglichen
Erlebnisse, die ein Sprecher vor einem Publikum wahrhaft
äußeren kann (Habermas 1982, I, S. 184).
Diese drei Typen pragmatischer
Aktor-Welt-Beziehungen, die sich in den verschiedenen Arten der
Sprachverwendung
finden, sind nun für Habermas (1982, I, S. 184) lediglich
Grenzfälle des kommunikativen Handelns, das für ihn ein
verständigungsorientiertes Handeln ist. Wo immer es um kooperative
Deutungsprozesse geht, wird zumindest implizit immer
auf objektive, soziale und subjektive Welt Bezug genommen. Dies
bedeutet, daß sowohl Sprecher wie auch Hörer
Äußerungen jeweils dahingehend zu relativieren haben,
daß diese auch bestritten werden können. Eine geteilte Sicht
der Wirklichkeit, bis zu einem gewissen Maße unabdingbar für
menschliches Zusammenleben, ist an vorausgehende
Verständigungsprozesse gebunden, in denen die
Kommunikationsteilnehmer auch mit den implizit erhobenen
Geltungsansprüchen
einverstanden sind. Bei der Analyse der Verständigungsprozesse
geht es ihm weniger um empirische Beschreibungen aus
der Beobachterperspektive (empirisch-pragmatischer Ansatz), sondern um
eine formalpraktisch ansetzende Theorie, "die
sich in rekonstruktiver Absicht, also im Sinne einer Kompetenztheorie,
auf die Bedingungen möglicher Verständigung
richtet" (Habermas 1986, I, S. 440). Eine derartige formalpragmatische
Analyse zielt wie die Analysen des später Husserl
oder die Lebensform-Analysen des späten Wittgenstein auf
Strukturen, die gegenüber den historischen Ausprägungsformen
partikulärer Lebenswelten und Lebensformen als invariant angesetzt
werden (Habermas 1982 I, S. 182).
Es geht also bei derartigen Analysen
nicht um empirische Befunde aus Linguistik, Soziologie, Anthropologie
oder Psychologie, sondern um die Strukturen der Lebenswelt, wie sie
früher in der Transzendentalphilosophie abgehandelt worden sind.
Der Begriff Lebenswelt ist demnach für Habermas ein dem
"kommunikativen Handeln" komplementärer Begriff. Er steht
für den horizontbildenden Kontext von
Verständigungsprozessen. Der kommunikationstheoretische Begriff
der Lebenswelt, der phänomenologisch ausgerichtet ist und das
bewußtseinphilosophische Verständnis hinter sich
läßt, ist inhaltlaich
bestimmbar durch eine Rekonstruktion des vortheoretischen Wissens, wie
es sich bei kompetenten Sprechern antreffen läßt
(Habermas 1982 II, S. 205). Dieses vortheoretische Wissen bezieht sich
auf die Fähigkeit der Sprecher, selbst intuitiv
entscheiden zu können, wann Verständigungsprozesse mit
anderen gelungen oder fehlgeschlagen sind.
Handlungssituationen bilden für die
Beteiligten jeweils das Zentrum der Lebenswelt, das jedoch einen
offenen und beweglichen Horizont hat, den sie verschieben, expandieren
oder verengen können. Bevor Sachverhalte als situationsrelevant
thematisiert sind, existieren sie lediglich als lebensweltliche
Selbstverständlichkeiten, die weder der Begründung
bedürfen
noch bestritten werden. Lebenswelt steht daher für die Summe der
Selbstverständlichkeiten und nicht in Frage gestellter
Überzeugungen, repräsentiert den kulturell überlieferten
und sprachlich organisierten Vorrat an Deutungsmustern (Habermas 1982
II, 189). Inhaltlich ähnlich konzipiert Habermas (a.a.O., S. 209)
Kultur als jenen Wissensvorrat, aus dem die
Kommunikationsteilnehmer sich mit Interpretationen versorgen, um sich
verständigen zu können. Als Gesellschaft bezeichnet Habermas
jene legitimen Ordnungen, über welche die Teilnehmer ihre
Zugehörigkeiten regeln und damit Solidarität sichern. Unter
Persönlichkeit versteht er hingegen jene Kompetenzen, die ein
Subjekt sprach- und handlungsfähig
machen.
Ein solches Verständnis der
Kompetenzen als Sprach- und Handlungsfähigkeit, die es zu
entwickeln gilt, ist im Rahmen
der Handlungstheorie insofern eine innovative Akzentsetzung, als sie
auch die Möglichkeit der Absenz oder zumindest eine
unzureichende Entfaltung dieser Fähigkeiten als unausgesprochene
Implikation mit ins Spiel bringt. Diese ist darin zu
sehen, daß der Bereich des Handelns enger zu fassen ist als in
jenen instrumentellen, normorientierten oder dramaturgischen
Konzeptionen, die Habermas mit seiner Theorie des kommunikativen
Handelns zu überwinden sucht. Handeln ist
hier nicht einfach Tätigkeit, das Tun eines isolierten
Individuums, sondern eine erfolgreiche Verständigung im Rahmen
legitimer Ordnungen, wobei der Rückgriff auf einen kulturell
vorgegebenen Wissensvorrat in entscheidender Weise ins
Gewicht fällt.
Mit einer derartigen Transformation der
Handlungstheorie in einer Theorie der Handlungsfähigkeit verliert
erstere ihre
theoretische Abstraktheit und wird Sozialwissenschaft von ihrem
Kernbereich her attraktiver, weil sie so praktische Orientierung
mitliefern kann, ohne Abstriche an ihren theoretischen Ansprüchen
machen zu müssen. Als Beispiel dafür, wie dies
möglich ist, läßt sich "Über den Umgang mit
Unsicherheit" von Albert Evers / Helga Nowotny (1987) lesen. Sie
beziehen
sich zwar an keiner Stelle ihrer Ausführungen auf Jürgen
Habermas, der auch mit keiner seiner Arbeiten in ihrem
Literaturverzeichnis aufscheint. Dennoch lassen sich aus der Art und
Weise, wie bei Evers / Nowotny und Habermas die zentralen
Begriffe Verständigung, Kompetenzen, soziale Identitäten,
Selbstsicherheit und Handlungsbefähigung Verwendung
finden, unverkennbare Parallelen herauslesen.
Die Zunahme an Unsicherheit in der
modernen Gesellschaft wird von Evers / Nowotny an zwei Beispielen
plastisch demonstriert: der technische Fortschritt bringt weder
kalkulierbare noch beherrschbare Gefahren und Risiken mit sich, die
ökonomische Entwicklung stürzt eine immer größere
Anzahl von Menschen in Armut und Elend, bedroht ebensoviele oder
sogar noch mehr, dasselbe Schicksal erleiden zu müssen. Vielfach
werden diese beiden Entwicklungen als unbeeinflußbare
Systemdynamiken eingeordnet, welche private und öffentliche
Gestaltungsmöglichkeiten als gegensteuernde Interventionen
für illusorisch erscheinen lassen.
Dem treten Evers / Nowotny mit
verschiedenen Argumenten entgegen. Zunächst einmal weisen sie
darauf hin, daß Bedrohung und Unsicherheit zwei Seiten hat, eine
objektive und eine subjektive. Die objektive, das sind die mit sozialen
Transformationen in Umbruchphasen verbundenen Gefahren, die subjektive
hingegen das Wissen, "das eine Gesellschaft
im Umgang damit zu entwickeln und zu nutzen trachtet - Wissen im
weitesten Sinn von kulturellen Grundmustern über
konsensfähige Orientierungen und wissenschaftliche Paradigmen bis
hin zum instrumentellen technischen Wissen" (Evers /
Nowotny 1987, S. 12). Damit sind zwei Fixpunkte ihrer Überlegungen
markiert: Es gibt Gefahren, doch lassen sich diese in
unter bestimmten Bedingungen in kalkulierbare Risiken verwandeln. Diese
Bearbeitung der Gefahren ist teils eine Frage
der Definitionsmacht, teils aber auch eine Frage der Verteilung von
Zugangschancen zu Wissen sowie zu den regulierenden
Institutionen. Ziel von Evers / Nowotny ist es aufzuzeigen, daß
es immer noch möglich ist, Sicherheit als Selbstsicherheit,
soziale Identität und Kompetenzen aufzubauen, die Unsicherheiten
einer offenen Zukunft souveräner als bisher zu gestalten.
Risiken und Gefahren haben nicht nur
eine objektive und eine subjektive Seite, sondern damit verbundene
Unsicherheiten
sind sozial ungleich verteilt. Dies ergibt sich aus Analysen von
Lebensbiographien, die darauf hinweisen, daß mit
unterschiedlicher Beherrschung von Raum und Zeit sowohl
unterschiedliche soziale Identitäten und Handlungskompetenzen wie
auch unterschiedliche Gefühle und Sicherheiten verbunden sind.
Sicherheit ergibt sich nicht nur aus dem Vorhandensein
von diesbezüglichen Institutionen wie Polizei, Militär,
Versicherungen, rechtlichen Vorschriften, sondern ist zusätzlich
in
Beziehungen verschiedener Art eingebettet. Die Angst vor dem Alter, die
Angst vor der Einsamkeit ist dort geringer, wo
zusätzlich gemeinschaftsbezogene Sicherheiten bestehen. Zudem sind
Angst und Gefährdung in armen Stadtteilen größer
als in reichen Bezirken. Daher ist für die beiden Autoren die
Bürde der Unsicherheit in der Gesellschaft sehr ungleich
verteilt. Sie wird von den Mächtigen zu den Schwächeren hin
abgeschoben, bis sie kumulativ von den Allerschwächsten
getragen werden muß (Evers / Nowotny 1987, S. 60). Wenn also
staatlich garantierte Sicherheitssysteme ihre Funktionen
reduzieren, so ist Angst und Betroffenheit dort am größten,
wo zusätzliche kompensatorische Sicherheitsbedingungen
fehlen.
Derartige Überlegungen führen
dazu, Außengaranten der Sicherheit von Innengaranten zu
unterscheiden, die jedoch in
einem komplexen Wechselverhältnis zueinander stehen.
Außengaranten sind die institutionalisierten Sicherheitskomplexe,
sichernde Innengaranten sind Kompetenz, Umsicht und persönliche
Ressourcen, die erworben werden müssen. An gleicher
Stelle (a.a.O., S. 61) werden zu den Formen der Sicherheit die
individuell erworbenen Kompetenzen gezählt, "die sich im
einzelnen nur schwer fassen lassen. Wir bezeichnen sie als
Selbstsicherheit. Darunter verstehen wir Sicherheit im Sinn von
Orientierung, der gefestigten sozialen Identität und der sozialen
Kompetenz, die es den Menschen ermöglicht, jeweils
spezifische kompensatorische Kompetenzen im Umgang mit
Unsicherheit...........zu entwickeln" (a.a.O).
Verunsicherung ergibt sich aus dem
Verlust der Außen- und Innengaranten. Sicherheit hingegen aus der
Verständigung im
Hinblick auf soziale und institutionelle Arrangements und Regulative.
Bei Auseinandersetzungen um entwicklungsbedingte
Konsequenzen ist es zu wenig, wenn sich davon Betroffene und
existentiell Verunsicherte nur auf ablehnende Positionen
zurückziehen oder den Weg resignativer Anpassung gehen. Historisch
gesehen hat die Entwicklung von Innengaranten der
Sicherheit im Sinn des Erwerbs von sozialer Kompetenz mit der
Entwicklung von Außengaranten nicht Schritt gehalten
(a.a.O. S. 62). Daher gilt es, neue gesellschaftliche Lernprozesse zu
initiieren, damit Zielformulierungen des weiteren
technischen und ökonomischen Wachstums nicht allzu einseitigen
Entscheidungen von auf nur partikuläre Rationalitäten
fixierten Experten vorbehalten bleiben. Zur Herstellung von Sicherheit
gehört also auch jenes Insistieren auf das Recht auf
eigenes Handeln, das Grundlage der Selbstsicherheit ist, die jedoch
erst in dem Maße entwickelt werden kann, in dem
politische Strategien.....Aktionsräume und Optionen sichtbar
machen, die im konkreten Alltag beschritten werden können
(a.a.O., S. 284).
Für die Zukunft wird es also
unumgänglich sein, nicht nur den Schutz der von Unsicherheit
Betroffenen zu verstärken,
sondern sie auch zu eigenständigem Handeln zu befähigen.
Diese Handlungsbefähigung, im Angelsächsischen mit Begriffen
wie "enabling" oder "empowering" umschrieben, wird es ermöglichen,
zwischen einander blockierenden Positionen
von Pro und Kontra bei bestimmten Vorhaben einerseits und fataler
Anpassungsbereitschaft andererseits diskursiv untermauerte Wege
aufzuzeigen, die als Resultate von Verständigungsprozessen
technische und soziale Risiken minimieren,
damit aber auch als kalkulierbar und akzeptabel erscheinen lassen.
Zwischen diesem Verständnis von
Kompetenz im Umgang mit Unsicherheit und dem Kompetenzverständnis
bei Jürgen
Habermas gibt es offensichtlich Parallelen. Dies auch im Hinblick
darauf, daß bei beiden die Herstellung von
Handlungsfähigkeit urgiert wird, aber genauere
Handlungsanweisungen dazu fehlen. Dies deswegen, weil Kompetenzen
über komplexe Diskurse zur Deutung von Situationen und
Handlungsnotwendigkeiten in lebensweltlich fundiert und damit in
Horizonte eingebunden sind, deren Grenzen nicht feststehen. Eine
Verbesserung der Handlungsfähigkeit gehört in beiden
der hier angesprochenen Konzeptionen zu den Desideraten einer
gedeihlichen Entwicklung gegenwärtiger Gesellschaften.
Für beide ist Handlungsfähigkeit und damit auch Kompetenz ein
knappes Gut. Doch die Beseitigung der Knappheit entzieht sich dem
verfügenden Zugriff des Herstellens. Vielleicht deswegen, da das
sich Verständigen-Können im Idealfall an
die Sprechsituation eines herrschaftsfreien Zusammenhanges gebunden
ist, die allerdings nicht den real existierenden
sozialen Verhältnissen entspricht. Beim Wunsch nach einer Hebung
des Niveaus der Handlungsfähigkeit ist darauf zu
achten, ob er sich auf alle oder nur auf spezielle Gruppen oder
Personen bezieht. Wenn letzteres der Fall ist, gilt wohl, daß
die erweiterte Handlungsunfähigkeit der einen Beschränkung
des Handlungsraumes der anderen zur Folge hat.
In Beschreibungen für offene
Stellen finden sich heute vermehrt Hinweise auf "Sozialkompetenz" als
ein neues zusätzliches Kriterium, nach dem Bewerber/-innen
selektiert werden. Daher das Bestreben der Bildungseinrichtungen, ihren
Absolventen diesbezüglich das Erforderliche zu vermitteln. Ein
Vergleich der Programme verschiedener Lehrveranstaltungen diverser
Universitäten in der Bundesrepublik Deutschland zum Thema
"Sozialkompetenz" im WS 97/98 hat ergeben,
daß dabei recht unterschiedliche Konzepte im Raum stehen:
Einfaches Kommunikationstraining, Einübung in Verhaltenstechniken
für Führungskräfte oder gemeinsame Verarbeitung der
Alltagswirklichkeit
Überlegungen zur ethymologischen
Herkunft des Ausdrucks "Kompetenz"haben ergeben, daß zwischen den
Ausdrücken
kompetent und kompetitiv, zwischen zuständig und
wettbewerbsfähig eine enge sprachliche Verwandtschaft besteht. Von
daher wäre es naheliegend, unter Kompetenzen jene Qualifikationen
zu verstehen, die besondere Stärken betonen und
daher im Wettbewerb wegen größerer Erfolgswahrscheinlichkeit
ins Spiel zu bringen sind. Was erfolgreich ist, hängt
jeweils von der Wettbewerbssituation ab. Kompetenz ist so gesehen ein
relationaler Begriff.
C. Dubar hat untersucht, wie der
Kompetenzbegriff in diversen empirischen Untersuchungen verwendet wird.
Dabei zeigt
sich, daß der Begriff in engem Zusammenhang steht mit dem Stand
der Entwicklung der Produktionsbedingungen, der Art
der beruflichen Sozialisation, der Formen der Arbeitsteilung und der
Regulierung des Arbeitsmarktes. Außerdem wird der
Begriff in verschiedenen kulturellen Traditionen mit unterschiedlicher
Bedeutung verwendet. Mit den betrieblichen Neuerungen der 80er Jahre
hat der Begriff der Kompetenz eine neue Aktualität gewonnen. Im
Begriff der "sozialen Kompetenz"
erfährt das eine Neuauflage, was früher als "soziale
Qualifikation" bezeichnet worden ist. Das Adjektiv "sozial" ist ebenso
positiv konnotiert wie das Substantiv der "Kompetenz". In Wirklichkeit
ist damit jene zusätzliche Fähigkeit gemeint, über
zertifizierte Ausbildung und berufliche Erfahrung hinausgehend, seine
eigenen Interessen zu vergessen zugunsten der
betrieblichen Interessen. "Sozial kompetent" sind daher jene
Belegschaftsmitglieder, die sich unter verschärften
Wettbewerbsbedingungen ohne jeden Vorbehalt in den Dienst des
Unternehmenserfolges zu stellen bereit sind.. Damit verweist
C. Dubar auch auf die möglichen ideologischen Verwendungsweisen
des Ausdrucks "soziale Kompetenz".
Einen anderen Akzent erhält
„soziale Kompetenz" im Kontext der Management-Theorie. Sie ist dort
eine spezifizierte
Kategorie des Konzepts der "Kernkompetenzen", womit jene
charakteristischen Züge eines Unternehmens gemeint sind,
deren Entwicklung besondere Wettbewerbsvorteile mit sich zu bringen
verspricht. Der Ausdruck „soziale Kompetenz" soll
auch der größeren Bedeutung kognitiver Momente für
moderne Produktionsprozesse Rechnung tragen, was ihn damit in die
Nähe kollektiver Lernprozesse (Organisationsentwicklung)
führt. Auf der Sache nach dasselbe zielt das Konzept der
„lernenden Organisation", das neuerdings durch den Ausdruck
„Wissensmanagement" substituiert wird
Eine Analyse der Kriterien, die bei der
Rekrutierung von Top-Managern wirksam werden, zeigt den dominanten
Einfluß
von exklusiven Bildungszertifikaten, sozialer Herkunft und
Persönlichkeitsmerkmalen. Mit „sozialer Kompetenz" wird in
diesem Kontext jene Kombination wünschenswerter Faktoren
bezeichnet, die sich aus einer - familiär bedingten -
vorteilhaften Ausstattung mit ökonomischem, symbolischem und
kulturellem Kapital ergeben. Das heißt, „soziale Kompetenz"
steht für einen Habitus, der Zugehörigkeit zur Oberschicht
signalisiert und symbolisiert, ist eine klassenspezifische
Persönlichkeitsverfassung, aus der sich Nähe und Distanz zu
bestimmten Positionen ergeben.
Davon ausgehend, daß es notwendig
ist, den Begriff der Kompetenz schärfer zu fassen, wenn er
für die praktische Arbeit
mit ihm von Bedeutung sein soll, entwickelt G. Le Boterf ein
zweidimensionales Konzept. Die erste Ebene stellt das
kombinatorische Wissen eines ins Zentrum des Kompetenzbegriffes
gerückten Subjektes dar. Dieses Subjekt ist in etwa
ähnlich konzipiert wie der "aktive Mensch" bei A. Etzioni mit den
Merkmalen Wissen, Engagement und Zugang zur
Macht, verfügt über wertvolle äußere Ressourcen
und Netzwerke. Das Subjekt als der potente Akteur ist dank seine
erworbenen Anlagen (Habitus) dazu imstande, sich die für bestimmte
Problemlösungen erforderlichen Kompetenzen unter
Verwendung ihm zugänglicher zusätzlicher äußerer
Ressourcen anzueignen. Das heißt, nur wer kompetent ist im Sinne
des
Verfügens über Ressourcen, ist auch in der Lage, Kompetenzen
zu erzeugen. Dieses Konzept entspricht einer bestimmten
Logik, die auch impliziert, daß Kompetenz nicht jedermanns Sache
ist und sein kann.
Die gemeinsame sprachliche Wurzel von
Kompetenz und competition deutet darauf hin, daß die den beiden
Bezeichnungen
zugrundeliegenden Sachverhalte eng miteinander verbunden sind. In einem
Wirtschaftssystem, dessen Prinzip die competition ist, muß der
Kontrolle der Kompetenzen eine zentrale Bedeutung zukommen. Dies wird
umso leichter möglich sein,
wie es gelingt, die politischen Implikationen unter dem Schleier
angeblich wirtschaftsbedingter Sachzwänge zu verbergen.
Der Ausdruck "Kompetenz" erfreut sich
derzeit einer außerordentlichen Beliebtheit. Umgangssprachlich
wird damit
Technizität, Stärke, Exzellenz und Überlegenheit
assoziiert. Der Kompetente erscheint als das glückliche Ergebnis
einer
gelungenen Kreuzung von Tapferkeit und Klugheit, die Inkarnation von
Tüchtigkeit. Er ist in der Lage, sich auch in
unvorhersehbaren Schwierigkeiten sich zurechtzufinden, sie zu meistern
und besteht im Wettbewerb als strahlender Sieger.
In wissenschaftlichen Kontexten wird die
umgangssprachliche Erfolgskategorie dahingehend präzisiert,
daß die mit Kompetenz assoziierten Persönlichkeitsmerkmale
je nach Klassen- und Geschlechtszugehörigkeit sozial
unterschiedlich verteilt
ist. Versuche, den Terminus "Kompetenz" schärfer zu fassen
führen dazu, darunter die Fähigkeit zum Handeln zu verstehen.
Mit der Betonung der Notwendigkeit, diese Fähigkeit entwickeln zu
müssen, wird gleichzeitig unterstellt, die
Unfähigkeit zum Handeln sei ein weit verbreitetes Merkmal
gegenwärtiger Gesellschaften, gleichsam ein Hürde, die es zu
überwinden gilt, um die nächste Stufe möglicher
Entwicklung in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu erreichen
Soferne Entwicklung der Kompetenzen zur
Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit reklamiert wird, was die
Konjunktur des
Kompetenzdiskurses ausgelöst haben dürfe, bedeutet dies
für die Adressaten, aufgefordert zu sein, sich in der Heteronomie
einzurichten. Autonomie und Souveränität sind erwünscht,
aber nur insofern honoriert, als sie den partikulären Sachzwecken
entsprechen, die vom herrschenden Denken vorgegeben sind.
Eine "kompetente" Verwendung der
Ausdrücke "Kompetenz" und "soziale Kompetenz" ist daher an
Verständigungsprozesse verwiesen, ob diese in umgangssprachlichem
Sinne, als wissenschaftlich näher bestimmte Kategorie oder in
ideologischem Sinne verwendet werden.
1) Vorwort des Verlegers zum Nachdruck
von Alfred Knigges Arbeit aus dem Jahre 1788
2) Diese Darstellung unterschlägt
die Tatsache wichtiger Differenzen innerhalb marktorientierter
Wirtschaftssysteme. R.
Boyer (1996, S. 18) unterscheidet folgende vier Typen: Den liberalen
Marktkapitalismus der angelsächsischen Länder, den
halb-korporatistischen Kapitalismus Japans, den sozialdemokratischen
Kapitalismus und den Kapitalismus unter staatlichem Einfluß. Wie
die derzeitigen Diskussionen um das MAI zeigen, ist der Widerstand
gegen die damit verbundene
weitere Ausbreitung des angelsächsischen Modells gering.
3) Die hier angeführten Beispiele
von universitären Lehrveranstaltungen zum Thema „Sozialkompetenz"
sind Zufallsfunde
einer Internetabfrage, die leicht von jedermann/-frau nachvollzogen
werden kann (mit altavista)
4) "Schlagworte sind beliebt, weil
leicht zu behalten. Daß sie Sachverhalte verfälschen,
kümmert kaum jemanden", so der
Beginn des Leitartikels der NZZ v. 21./22. Febr. 1998, S. 1
5) Ich danke Otto Mölk für
diesen Hinweis und die kritische Lektüre des Textes, die es mir
erlaubt hat, einige Akzente
anders zu setzen.
6) Es wird hier übergangen,
daß Begriffe in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich
definiert werden und lediglich auf
weithin konsensfähige Kriterien Bezug genommen.
7) Hier sind die alten Formen der
Ausbeutung ihren neuen Erscheinungsweisen gegenübergestellt; vgl.
insbes. den Abschnitt über die Notwendigkeit, Zwänge
internalisieren zu müssen, S. 147 ff
8) Auf die Frage, ob es in
Großbritannien einen Klassenkampf gibt, antworteten (vgl. Halimi
1997, S. 20) in den 60er
Jahren 60% der befragten Engländer mit ja, um 1980 waren es 70%,
und 1995 bereits 81%. Weiters: Die Ausgaben der
Oberschicht für Dienstleistungen wie Köche, Hausgehilfinnen,
Kindermädchen und Gärtner sind in den letzten 10 Jahren
von jährlichen 524 Mio. Pfund auf 4 Mia. Pfund gestiegen
9) vgl. dazu die Anweisung, sich an
KISS , d.h an „Keep It Simple Stupide" zu orientieren
(Madauss 1990, S. 32): auch
komplizierte Zusammenhänge sollten möglichst einfach
dargestellt und beschrieben werden.
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