O.N. 31. Juli 2002
Gliederung
- Warum Definieren
- Definition und Konnotation
- Irreführende Konnotationen
des Ausdrucks Sozialkompetenz
- Der Kult der Kompetenz als neue
Form der Regulation
- Bildungsinstitutionen und
Kompetenzerwerb
Zur Definition der
Sozialkompetenz
1.
Warum Definieren ?
Wer heute Material zum Stichwort
„Sozialkompetenz" sucht, gibt dieses Wort in eine Suchmaschine und hat
dann billig und schnell meist eine Menge Material
auf dem Bildschirm. Auf diesem Wege finden Personen mit bestimmten
Interessen zum Aufsatz „Was ist Sozialkompetenz"?, der seit nun etwas
mehr als zwei
Jahren auf dem Internet verfügbar ist. Die Anzahl der
Interessenten für diesen Text ist nach wie vor gar nicht so gering
und erstaunlicherweise über die Monate
hin ziemlich konstant. Es hat den Anschein, dass mit diesem Thema vor
allem Leute aus dem universitären Bereich und solche aus
Personalabteilungen großer
Unternehmen konfrontiert sind.
Die Erwartung, durch Beiträge in
einem verfügbaren „Forum" könnte eine Diskussion zum Thema
„Sozialkompetenz" entstehen, hat sich nicht erfüllt. Dies
mag damit zusammenhängen, dass sich manche bei einer solchen
Diskussion vorsichtig verhalten wollen, weil sie sich ihrer Sache
inhaltlich nicht ganz sicher
sind. Bei anderen mag die Scheu, sich zu äußern, damit
zusammenhängen, dass sie mit einer Stellungnahme auch
notwendigerweise eine bestimmten Position
im Universum unterschiedlicher Werte beziehen, ob sie dies nun wollen
oder nicht. Dies ganz abgesehen davon, dass Diskussionen übers
Internet generell
schwer in Gang zu bringen sind. Die wenigen Äußerungen, die
auf dem Forum deponiert worden sind, beschränken sich auf kurze
Bemerkungen, nicht das
Gesuchte gefunden zu haben. Gesucht worden ist eine Definition von
Sozialkompetenz, die bei der Texterstellung nicht beabsichtigt gewesen
ist.
Im Laufe des Jahres 1998 ist
unversehens das Postulat im Raum gestanden, die Universitäten
hätten sich auch der Vermittlung von Sozialkompetenz
anzunehmen. Die Anregung dazu, sich mehr um solche Dinge zu
kümmern, ist bei einer Veranstaltung über die engere
Kooperation von Universität und
Wirtschaft von Vertretern eines großen Industriekonzerns
gekommen. Damit wurde der Universität signalisiert, es sei zu
wenig, den Studierenden nur
Fachwissen zu vermitteln. Und nach der heute vorherrschenden Meinung,
dass die Betriebe besser wissen, was der Markt braucht, ist deren
Vorschlag, der
Vermittlung von Sozialkompetenz mehr Aufmerksamkeit zu schenken,
bereitwillig, um nicht zu sagen unterwürfig und kritiklos,
aufgenommen worden. Die
Frage, um was es sich dann inhaltlich bei der Sozialkompetenz handelt,
ist offensichtlich zweitrangig geblieben. Wichtig war, dass
diesbezüglich etwas
geschehen sollte; was, ist eher beliebig geblieben.
An dieser Situation hat sich in der
Zwischenzeit wenig geändert. Dies lässt sich belegen an Hand
einer neuerlichen Durchsicht der Stellenausschreibungen einer
Samstagsausgabe der "Neue Zürcher Zeitung" (hier: vom 1./2. Dez.
2001). Sind Anfang Jänner 1999 in der Ausgabe vom 9./10.
Jänner noch 270 Stellen zur
Besetzung ausgeschrieben gewesen, so sind dies Anfang Dez. 2001 nur
noch 115. Gesucht werden nach wie vor Leute mit guter Fachkompetenz,
mit der
Fähigkeit, „auch unter Druck kompetent und zielstrebig" zu
handeln. Die explizite Forderung nach Sozialkompetenz findet sich in 10
der 115
Ausschreibungstexte. Die erwartete Sozialkompetenz muss
„ausgeprägt", „hoch", „überdurchschnittlich" sein, steht in
Verbindung mit persönlichen
Kompetenzen, Kommunikations- und Verhandlungsfähigkeit,
menschlicher Reife und Humor, Selbstvertrauen und der Fähigkeit,
andere zu begeistern, in
Verbindung mit unternehmerischem Denken. Ein Ausschreibungstext ist
besonders genau: Gesucht ist „das multifunktionale Borstentier...., der
Alleskönner mit
sämtlichen Tugenden von der kommunikativen bis zur sozialen".
Dass Betriebe und Organisationen bei ihrer Suche nach neuen
Mitarbeitern/-innen jene auswählen, die sie für die Besten
und Leistungsfähigsten halten, ist
sicher nichts Neues. Neu hingegen ist, dass bei der Auswahl der Besten
diverse soziale Merkmale eine entscheidende Rolle spielen sollen. Der
Ausdruck
Sozialkompetenz hat offensichtlich die Funktion, über die Vorgabe
einer neuen Leitkategorie, also einer sprachlichen Innovation, eine
Zäsur im
Anforderungskatalog an die Beschäftigten zu signalisieren.
Sozialkompetenz ist somit ein wichtiger Bestandteil der employability,
Sozialkompetenz gehört zu
den Voraussetzungen zunächst einmal für den Zugang zum
Arbeitsmarkt, dann aber auch für die Chancen, sich dort zu
behaupten und erfolgreich zu sein.
Zeitlich lässt sich die Suche
nach Personal mit hoher Sozialkompetenz als eine Errungenschaft der
letzten Jahre betrachten und ist im größeren Zusammenhang
der Veränderungen des Arbeitsmarktes zu sehen. Es besteht kein
Zweifel, dass die Vaterschaft für diesen Neologismus der
Unternehmerseite zuzuschreiben ist.
Er transportiert deren Wunschvorstellungen, in welchem Sinne sie den
Arbeitsmarkt umgestaltet sehen will. Die Frage, „Was ist
Sozialkompetenz"? stellt sich
daher zunächst jenen, von denen diese unmittelbar eingefordert
ist, daneben auch jenen, die mit der Ausbildung der Beschäftigten
befasst sind. Denn die hohe
Gewichtung der Sozialkompetenz im Feld der Beschäftigung
führt notwendigerweise dazu, dass auch in dem der
Beschäftigung vorgelagerten Feld der
Ausbildung zu klären ist, wie sich neben den fachlichen
Kompetenzen auch jene sozial erwünschten Potentiale vermitteln
lassen, die im Ausdruck der
Sozialkompetenz angesprochen sind.
Es fehlt demnach nicht an
Gründen, nach einer näheren Bestimmung der Sozialkompetenz zu
suchen. Die Frage der Bestimmung scheint identisch zu sein mit
der Frage nach der Definition. Daher ist zunächst einmal darauf
einzugehen, was definieren heißt, wobei durch die
Gegenüberstellung von Definition und
Konnotation die Grenzen des Definierens sichtbar werden sollen (2). Im
Anschluss daran einige Hinweise dazu, dass die Konnotationen des
Ausdrucks
Sozialkompetenz in die Irre führen (3). In einem weiteren
Abschnitt ist dann auf jene Veränderungen der Arbeitswelt
einzugehen, auf deren Hintergrund die
Forderungen nach höheren Sozialkompetenzen verständlich
werden (4). Abschließend ist zu prüfen, ob und wie diese
neuen Gewichtungen im
Beschäftigungssystem Veränderungen des Aufgabenkataloges des
Bildungssystems mit sich bringen (5). Zusammenfassend wird
festgehalten, dass der
Ausdruck Sozialkompetenz, obwohl theoretisch unterbestimmt, der
Interessenlage der Unternehmer entspricht und daher seine Verwendung
problematisch ist.
2. Definition und Konnotation
Das Definieren hat seinen bevorzugten
Platz in den besonderen Fachsprachen. Für den alltäglichen
Sprachgebrauch ist es weder üblich noch notwendig. Nicht
üblich, weil in der Alltagssprache ohnehin vorausgesetzt ist, dass
am gemeinsamen Gespräch Beteiligte verstehen, was ein
Gesprächspartner sagt oder sagen
will. Bei anregenden Konversationen, sei es unter Freunden, miteinander
gut Bekannten oder auch unter einander Fremden wäre es nur
störend, wollte jemand
besonders genau sein und anfangen, einzelne Ausdrücke genau zu
definieren. Denn neben dem gesprochenen Wort, der verbalen
Kommunikation, gibt es den
weiten Bereich der nicht-verbalen Kommunikation, die das gesprochene
Wort verstärkt, präzisiert, ergänzt, aber auch negiert,
wenn sie mit dem explizit
Gesagten gleichzeitig auch implizit dazu im Widerspruch Stehendes
vermittelt. Doch nicht nur für die Alltagssprache, auch für
die künstlerische Sprache ist es
unüblich, einen sprachlichen Ausdruck explizit definieren zu
wollen. Wer im Theater sitzt oder zu Hause einen literarischen Text
liest, versteht als Adressat
einer Botschaft das, was der Sender ihm mitteilen wollte. Wenn dies
üblicherweise so ist, so heißt dies nicht, dass die
Botschaften, die sich des
Ausdrucksmittels der Kunst bedienen, mitunter auch unzureichend, erst
mit einiger zeitlicher Verzögerung oder gar nicht adäquat
erfasst werden.
Es gibt daneben aber auch Ereignisse
im Alltag, bei denen es unzulässig ist, den Worten, in denen
über sie gesprochen wird, ohne weiteres ein gemeinsames
Verständnis zu unterstellen. Ein gutes Bespiel dafür sind die
Ereignisse vom 11. Sept. 2001. In ihrer großen Ratlosigkeit haben
damals die Fernsehsender
immer wieder und bis zum Überdruss die spektakulären Bilder
gezeigt, wie die beiden Flugzeuge in nur kurzem zeitlichen Abstand die
Zwillingstürme des
WTC durchbohrt haben. Die Vernichtung der beiden Türme brachte
für an die drei Tausend der dort Beschäftigten den Tod, einer
weit größeren Anzahl den
Verlust ihrer Beschäftigung, für die Öffentliche Hand
und die Eigentümer der zerstörten Gebäude enorme
materielle Schäden. Was die Eigentümer betrifft,
greifen sie auf ihre Versicherungen zurück und erwarten von diesen
die vertraglich vereinbarten Entschädigungssummen. Doch im
vorliegenden Fall sind die
vertraglichen Vereinbarungen auf zwei verschiedene Arten gelesen
worden. Während die Versicherer davon ausgegangen sind, dass es
sich um ein Ereignis
und somit nur um einen Schadensfall handelt, hat die
Eigentümerseite die Ansicht vertreten, dass zwei verschiedene
Flugzeuge in einer gewissen zeitlichen
Distanz die beiden Türme zerstört haben, es sich also um zwei
Ereignisse handelt, für die nun die vertraglich vereinbarte
Versicherungssumme zu bezahlen ist.
Handelt es sich um einEreignis, so sind 3,6 Milliarden $ fällig,
sind es jedoch zwei Ereignisse, dann eben auch zweimal diese Summe.
Jeder der beiden
Standpunkte kann sich auf Gründe berufen, die plausibel zu sein
scheinen. Die Gerichte werden nun entscheiden müssen, welche der
beiden
Argumentationslinien mit den gesetzlichen Vorgaben besser
übereinstimmt. Wo Verträge nicht eindeutig definierte
Begriffe enthalten, muss es
notwendigerweise zu unterschiedlichen Auffassungen über die
Rechtslage kommen, die dann zu uferlosen Streitigkeiten führen.
Recht ist also im praktischen
Vollzug immer auch Rechtsauslegung. Den schriftlich vorliegenden
positiven Bestimmungen korrespondiert daher auch für
gewöhnlich eine Fixierung von
Bedeutungen, wie diese zu verstehen sind.
Ein anderer Anlass, auf die
Wichtigkeit von Definitionen hinzuweisen, ist die derzeitige global
angelegte Zwangsmobilisierung gegen den sogenannten
Terrorismus. Natürlich sind alle gegen den Terrorismus. Es gibt
aber Stimmen, die mit Beunruhigung darauf hinweisen, dass der Kampf
gegen den
Terrorismus auch Formen annehmen kann, die auf die Liquidierung von
Freiheiten und elementaren Rechten hinauslaufen.
(1) In solchen Situationen ist es
unerlässlich, genauere begriffliche Bestimmungen des Terrorismus
einzufordern, zumindest auf die Vieldeutigkeit dieses Begriffes
hinzuweisen. Andernfalls
wird im Namen eines hehren Zieles der realen Verwirklichung des
Gegenteils des von ihm Repräsentierten Tür und Tor
geöffnet. Bleibt der Begriff des
Terrorismus unterbestimmt, so ist es durchaus möglich, unter der
Fahne des Kampfes gegen den Terrorismus kontinuierlich selbst
terroristische Akte zu
begehen. So hat ein Palästinenser, keineswegs ohne gute
Gründe, unlängst die Frage gestellt, wer die eigentlichen
Terroristen sind, die Palästinenser oder die
Israelis ?
Das Definieren hat also in unterschiedlichen Kontexten
einen unterschiedlichen Stellenwert. In der Alltagssprache sind
Definitionsversuche fehl am Platz, ein
gemeinsam geteiltes Verständnis der Sprache genügt. Die
literarische Sprache bedient sich anderer Mittel, braucht keine
Definitionen, um klare Botschaften zu
transportieren. In juridischen Kontroversen geht es meistens um
Auseinandersetzungen, ob ein einzelner Fall unter den Geltungsbereich
eines im Voraus
allgemein formulierten Gesetzestextes gehört oder nicht. Eine
möglichst große Zahl klar definierter Sachverhalte und klar
definierter Regeln, wie mit ihnen
umzugehen ist, gehört zu den elementaren Voraussetzungen der
Funktionsfähigkeit des Rechtssystems. Wieder anders ist es im
Bereich der Gestaltung der
öffentlichen Verhältnisse, der Politik. Hier geht es darum,
im Namen des allgemeinen Interesses bestimmte Ziele durchzusetzen.
Mitunter ist schwer erkennbar,
ob sich hinter bestimmten Definitionen des allgemeinen Interesses nicht
handfeste private Interessen bestimmter Personen oder Gruppen
verbergen. Politische
Auseinandersetzungen sind gekennzeichnet durch taktische und
strategische Spiele. Diese sind dann besonders erfolgversprechend, wenn
es gelingt, den oder
die Gegner hinsichtlich der real verfolgten Ziele zu täuschen und
über die verfügbaren Mittel im Unklaren zu lassen. In der
Politik, bisweilen als Kunst des
Möglichen apostrophiert, sind Definitionen, die sich auf klare
Sachverhalte festlegen, als Beschränkung der
Manövrierfähigkeit anzusehen.
Definitionen dienen dem Bemühen, die Beziehung
zwischen einem sprachlichen Zeichen (Signifikant) und der bezeichneten
Realität (Signifikat) möglichst
genau zu bestimmen. Unausgesprochene Voraussetzung ist dabei die
Annahme, zwischen der Welt der sprachlichen Symbole und der Welt der
symbolisierten
Objekte gebe es einen engen Zusammenhang im Sinne einer eindeutigen
Relation, wobei das eine für das Andere steht, mit ihm identisch
ist. Die
Umgangssprache setzt dies als selbstverständlich voraus, mit einem
gewissen Recht, weil sich sonst die praktischen Probleme des Alltags
nicht bewältigen
ließen. In der juridischen Sprache werden Identitäten
zwischen sprachlichen Kategorien und Sachverhalten der Realität
bewusst konstruiert, künstlich
hergestellt. Denn das Rechtssystem muss zu praktisch relevanten
Entscheidungen kommen, die durch Beweisverfahren abzustützen sind,
deren Gültigkeit auf
der Anerkennung durch die dafür zuständigen Instanzen beruht.
In wieder anderem Verhältnis stehen Sprache und Realität
sowohl im Bereich der Literatur und
der Politik. Hier beziehen sich sprachliche Formulierungen, zumindest
tendenziell, auf Kritik des Bestehenden und alternative
Möglichkeiten der Gestaltung
von Wirklichkeit. Die sprachliche Darstellung dessen, was ist, steht
dann für gewöhnlich im Dienste der Konstruktion bzw. der
Durchsetzung von anderem.
Aus diesen Überlegungen zur Problematik des
Definierens ergibt sich, dass eine Definition der Definition sowohl
theoretische wie auch praktische Aspekte zu
berücksichtigen hat. Unbestritten ist, dass Definitionen aus dem
Bedürfnis bzw. der Notwendigkeit entstehen, den Inhalt eines
sprachlichen Ausdrucks genauer
zu bestimmen, d.h. Regeln für seine Verwendung vorzugeben. Aus
dieser Bestimmung des Definierens folgt jedoch auf keinen Fall, dass
eine sinnvolle
Verwendung von Sprache generell an das Vorhandensein von Definitionen
gebunden ist. Ebenso wenig ist aus dieser Bestimmung abzuleiten, es sei
schon
etwas Genaueres ausgesagt über das Verhältnis von
sprachlichem Ausdruck und ausgedrückter Wirklichkeit. Diese
Bestimmung lässt durchaus offen, dass die
Regelung der Verwendung eines Zeichens (für ein Bezeichnetes) im
Hinblick darauf geschehen kann, wie etwas ist oder wie etwas sein soll.
Ob mehr das
Erstere oder das Letztere zutreffend ist, ergibt sich aus den
jeweiligen Kontexten. In der juridischen Sprachverwendung dominiert die
Orientierung an dem, was
ist oder gewesen ist, in der politischen tendenziell das, was sein
soll. Als Umgangssprache gilt jene Sprachverwendung, die sich damit
begnügt, vorgegebene, in
der Sprache bereits implizierte Bestimmungen bzw. Definitionen zu
verwenden. Die Tatsache, dass die Sprache der literarischen Kunst auch
ohne Definition
präzis zu sein vermag, trägt dazu bei, übertriebene
Erwartungen zu dämpfen, durch präzisere Definitionen lasse
sich die Zunahme an klarem Wissen über die
Realität uferlos steigern.
Die Originalität der Semiotik, der Lehre von den
Zeichen, besteht vor allem darin, das Nebeneinander unterschiedlicher
semiotischer Systeme sichtbar zu
machen. Wird angenommen, Texte der natürlichen Sprache enthielten
nur ein einfaches semiotisches System, das sich leicht explizieren
lässt, so wäre die
natürliche Sprache lediglich ein denotatives System. Die
Entscheidung für eine solche Sichtweise ist jedoch nicht zwingend.
Denn bei jeder Analyse eines
Textes gibt es zwei Lesarten: Eine erste, die von einer denotativen
Isotopie des Textes ausgeht und alles eliminiert, was auf andere
Systeme verweist, oder eine
zweite, welche eine denotative Struktur als bekannt bereits voraussetzt
und sich um jene Elemente kümmert, die anderen Systemen
zugehörig sind, die als
konnotative bezeichnet werden.
A. Greimas (1970, 100) weist darauf hin, dass eine der geläufigen
Konnotationen die Botschaft transportiert, Sprache sei lediglich ein
Instrument der
Kommunikation, ein Werkzeug, um Aussagen über Objekte zu machen.
Betrachtet man hingegen Sprache als konstitutives Element der
Gesellschaft, als Ort,
wo die Werte der Kultur und die kulturelle Praxis sichtbar werden, und
geht man weiter davon aus, dass die Menschen sich nicht nur der Sprache
bedienen,
sondern durch diese mit-konstituiert sind, so zeigt sich, dass die
konnotativen Systeme Elemente sozialen Charakters enthalten und in
ihrer Funktionsweise das
Wesentliche der zentralen kulturellen Repräsentationen zum
Ausdruck bringen. Eine ähnliche These von der Priorität der
Sprache, die vor dem Menschen da
und an seiner Formbestimmung beteiligt ist, hat bereits J.J.Rousseau in
seinem Essai sur l'origine des langues vertreten. J. Monod hat diese
These dann 1967
radikalisiert, wenn er behauptet, dass die Sprache älter ist als
die Entstehung des menschliches Zentralnervensystems. Daraus folgt: die
Sprache hat den
Menschen geschaffen, nicht der Mensch die Sprache.
(2)
Definieren und Definitionen einzufordern sind ein
selbstverständlicher Bestandteil der Wissenschaftskultur. Denn die
Sprache der Wissenschaft tritt mit dem
Anspruch auf, sich von der Umgangssprache durch ein höheres
Maß an Reflexivität zu unterscheiden, d.h. dem
Verhältnis von Begriff und Sache mehr
Gewicht beizumessen als der alltägliche Sprachgebrauch dies tut.
Doch die Selbstverständlichkeiten hören auf, wenn es darum
geht, das Definieren zu
definieren. Versteht man darunter, einen verwendeten Ausdruck
sprachlich genauer zu bestimmen, so entstehen die Schwierigkeiten dann,
wenn auch versucht
wird anzugeben, was es heißt, sprachlich genau zu bestimmen. Denn
damit kommen unvermeidlich Annahmen über die Sprache ins Spiel,
die für gewöhnlich
nicht Gegenstand näherer Überprüfung sind. Dies
führt dann rasch zu instrumentalistischen Konzeptionen, die das
Definieren lediglich im denotativen Bereich
angesiedelt sehen. Also scheinbar einfache Lösungen, die mit den
Problemen, die sich aus dem a priori der Sprache ergeben, nichts mehr
zu tun haben.
Die seit einigen Jahren beobachtbare häufigere
Verwendung des Ausdrucks Sozialkompetenz in wissenschaftlichen Texten
oder Programmen muss
notwendigerweise zur Frage nach der Definition dieses Ausdrucks
führen. Denn im Gegensatz zur Umgangssprache kann sich die
Wissenschaftsprache nicht
damit begnügen, einen Neologismus ungeprüft zu
übernehmen, ohne sich zu fragen, was denn die dem Ausdruck bzw.
dem Begriff entsprechende Sache ist. Zu
den beiden Komponenten dieses Begriffes, „sozial" und „Kompetenz" gibt
es eine gewisse Struktur von Assoziationen, die sich aber nicht
punktuell bündeln
und begrifflich genau fassen lassen. Die Addition dieser beiden an sich
unklaren Elemente ist nicht vielversprechend für das Bemühen,
dem Begriff einer
Sozialkompetenz einen einigermaßen klar abgegrenzten
Gegenstandsbereich zuordnen zu können, wie dies in denotativen
Definitionen der Fall ist. Daher ist es
zweckmäßig, sich um die mit dem Ausdruck Sozialkompetenz
verbundenen Konnotationen zu kümmern.
3.
Irreführende Konnotationen des Ausdrucks Sozialkompetenz
Unternehmen, die vorgeben, sich bei
der Selektion und Evaluation ihrer Mitarbeiter/-innen am Kriterium der
Sozialkompetenz zu orientieren, erwecken den
Eindruck, sozial aufgeschlossen und nicht allein auf die Profitmaxime
fixiert zu sein. Mit der Orientierung an einem solchen Kriterium wird
suggeriert, jenen
Beschäftigten den Vorzug geben zu wollen, die eine gewisse soziale
Sensibilität mitbringen und in der Lage sind, soziale Probleme zu
sehen und zu lösen oder
aber, was noch besser ist, dazu beizutragen, dass sie gar nicht
entstehen. So gesehen schwingt beim Wort Sozialkompetenz etwas von
Mitmenschlichkeit und
Humanität mit, das lässt sich auch als ein Appell an das
Bessere im Menschen verstehen. Wäre eine solche Lesart die
richtige, dann wären Absolventen/-innen
einer Sozialakademie geradezu prädestiniert, sich für solche
Stellen zu bewerben, bei denen ein hohes Maß an Sozialkompetenz
ein explizit artikuliertes
Einstellungserfordernis ist. Man könnte einschränkend dazu
noch anmerken, dass Sozialarbeiter vor allem dann geeignete Kandidaten
wären, wenn sie auch
noch über einschlägige Fachkompetenzen verfügten oder
sich zumindest für bereit erklärten, sich solche umgehend
anzueignen. Und im Umkehrschluss:
begünstigt sind Leute mit Fachkompetenz, die gleichzeitig auch
Zertifikate von den auf die Behandlung von Sozialproblemen
vorbereitenden
Ausbildungsstätten mitbringen.
Eine solche Interpretation der
Forderung nach Sozialkompetenz könnte sich auf die Vermutung
stützen, es handle sich um eine antizyklisch vorgehende
Strategie der Personalrekrutierung. Antizyklisch deswegen, weil im
heute dominierenden Denken rein ökonomisch fundierte Perspektiven
zählen, was zu einer
Erosion des Sozialen führt, wie aufmerksame Beobachter längst
bemerkt haben. Denn die einseitige Priorisierung des Ökonomischen
verweist die sozialen
Agenden ins Reich des Belanglosen, was dann notwendigerweise zu einer
schrittweisen Destruktion jener Voraussetzungen führen muss,
welche für ein
erfolgreiches Agieren eines jeden kollektiven Akteurs unerlässlich
sind. Wer aus Gründen der Selbsterhaltung individuelle
Durchsetzungsfähigkeit zeigen
muss, kann nicht gleichzeitig dem Teamgeist dienen und in der
Zugehörigkeit zu einer gut funkionierenden Arbeitsgruppe einen
eigenständigen Wert erkennen.
Analogien mit dem Sport sind hier naheliegend.
Denn dort, wo jeder mit jedem in
Konkurrenz steht, muss die Kooperation leiden. Schon der Ablauf eines
Fußballspiels macht dies hinreichend klar: Der
Wettbewerb verläuft zwischen den Mannschaften, die sich als Gegner
verstehen. Stärke demonstrieren können nur jene
Gruppierungen, deren Einzelspieler
innerhalb der jeweiligen Mannschaften als Partner agieren, was
keineswegs selbstverständlich ist. Denn auch innerhalb der
Mannschaften gibt es den Kampf
um Positionen auf den diversen Rangordnungen. Wenn es nicht gelingt,
diesen Kampf zumindest temporär zu neutralisieren und einem
partnerschaftlichen
Umgang miteinander den Weg zu ebnen, so haben auf längere Sicht
alle, die sich nicht für das kollektive Interesse einsetzen,
gemeinsam das Nachsehen. Bei
allen Sportarten, die mannschaftlich organisiert sind, zeigt sich sehr
deutlich, dass Kooperation und Konkurrenz sich gegenseitig nicht
ausschließen. Doch diese
Gleichzeitigkeit konfligierender Momente ändert nichts an der
Tatsache, dass die Fähigkeiten und der Wille zur Kooperation in
den entscheidenden
Augenblicken unbedingten Vorrag haben müssen.
Das Sprichwort, „alle Vergleiche
hinken", beruht auf der Tatsache, dass es zwischen verschiedenen
Bereichen Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten gibt
und es völlig legitim ist, Kenntnisse des einen Bereiches dazu zu
verwenden, einen anderen Bereich besser zu erfassen.
Wissenschaftstheoretisch gesehen
handelt es sich dabei um eine analoge Erkenntnis, deren Bedeutung dann
in den Forderungen der Rhetorik oder auch der Pädagogik sichtbar
wird, plastische
Bilder zur Vermittlung von Sachverhalten zu verwenden.
Überträgt man die Einsichten aus der Welt des Sports auf die
Welt der Arbeit, so stellt sich sofort die
Frage, wo die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen der Welt
des Sports und der Welt der Arbeit zu sehen sind. Bei der Suche nach
den
Gemeinsamkeiten wird rasch klar, dass diese, falls es sie gibt, erst
jüngeren Datums sein können. Denn historisch gesehen sind die
sportlichen Aktivitäten
jenem Bereich zugehörig gewesen, der als Welt der Freizeit einen
Gegenbereich zur Welt der Arbeit darstellte. Als Freizeit, freie Zeit,
galt und gilt die Zeit der
Nicht-Arbeit, wobei unterstellt ist, Arbeit sei dasselbe wie
Lohnarbeit. Diese Annahme ist aber heute schon deswegen ein Unsinn,
weil sie den weiten Bereich
der Reproduktionsarbeit, der nicht bezahlten Schattenarbeit (Illich),
völlig ausblendet. Einem Vergleich der Welt des Sports mit der
Welt der Arbeit sind also
Grenzen gesetzt. Die Grenzen sind heute jedoch schwerer zu erkennen, da
die publikumswirksamen Exponenten des Sports ihren Sport als Arbeit
betrachten
und sich bei Konflikten mit ihren Arbeitgebern sonderbarerweise auf das
Arbeitsrecht berufen können. Eine deutliche Wahrnehmung der
Gemeinsamkeiten und
Differenzen von Arbeit und Sport wird zusätzlich dadurch
erschwert, dass der Sport das Darwin zugeschriebene Prinzip des
Wettbewerbs legitimiert und somit
dafür prädestiniert ist, den Leistungszwängen der
Arbeitswelt den Mantel des Selbstverständlichen umzuhängen.
Wenn heute verlangt wird, die
Mitarbeiter/-innen hätten fachlich kompetent zu sein, d.h.
befähigt, den Produktionsprozess effizient zu gestalten und so
einen
optimalen Beitrag zum gemeinsamen Endprodukt zu erbringen, so ist das
nichts Neues. Neu sind jedoch die Erwartungen, sie sollten auch eine
soziale Ader
haben, sozial aktiv sein, was mit Vorstellungen eines Engagements
jenseits der Fixierung auf enge egoistische Horizonte verbunden ist.
Wer die Kategorie der
Sozialkompetenz ins Spiel bringt, der öffnet Türen zu
imaginären Räumen, die üblicherweise nicht jene sind, in
denen die Unternehmen das ihnen angemessene
Terrain sehen. Denn allzu bekannt sind die vergeblichen Diskussionen um
die soziale Verantwortlichkeit der Unternehmen. Die dabei vertretene
dominante
Position bekennt sich zur ausschließlichen Verpflichtung auf ein
gutes Betriebsergebnis. In der üblichen Umschreibung heißt
dies Orientierung am „shareholder
value". Die Wunschvorstellungen der Aktionäre liegen bekanntlich
bei einer Profitrate von 15%, an denen sich das dirigierende Management
zu orientieren
hat. Wo die Geschäftsführung diese Vorgaben nicht erreicht,
wird sie ausgetauscht, gegen eine effizientere. Von Humanität und
sozialen Rücksichten kann hier
in keiner Weise die Rede sein. Vorsichtige Versuche, zwischen dem
Weltwirtschaftsforum in Davos und dem Weltsozialforum in Porto Allegre
Brücken zu
bauen, sind als gescheitert zu betrachten.
Die Tatsache, dass sich neben dieser
Fixierung auf eine bestimmte Höhe der Profitrate gleichzeitig ein
Diskurs um die Bedeutung sozialer Kompetenzen
entwickelt hat, wirft Fragen auf. Eine erste lautet, ob sozial
kompetente Mitarbeiter eher in der Lage sind, im Sinne der vorgegebenen
Gewinnmargen zu
agieren als solche, deren Sozialkompetenz für zu nieder
eingeschätzt wird. In einem solchen Falle würde ein direkter
Zusammenhang zwischen Profit und
Sozialkompetenz hergestellt, der allerdings wenig plausibel ist. Denn
die produktivistische Logik steht in direktem Widerspruch zu allen
Vorstellungen von
Humanität und Sozialität. Wenn es einen solchen Zusammenhang
jedoch nicht gibt, so drängt sich eine naheliegende zweite Frage
auf: Hat die Orientierung am
Kriterium der Sozialkompetenz eine ideologische Funktion in dem Sinne,
dass bestimmte sprachliche Formulierungen nicht der Beschreibung und
Klärung von
Sachverhalten, sondern ihrer Verhüllung dienen sollen? Ein solcher
Ideologieverdacht kann sich jedenfalls auf die Dogmatisierung des
Individuellen berufen,
deren Kehrseite die Relativierung der kollektiven Belange ist, ebenso
auf die Unvereinbarkeit von Konkurrenz und Kooperation. Wer im
Wettbewerb das
grundlegende Organisationsprinzip von Wirtschaft und Gesellschaft
sieht, muss auch zur Kenntnis nehmen, dass es zwischen Starken und
Schwachen nichts
Gemeinsames mehr gibt und nur der Stärkere ein Recht auf Leben
hat. Derart klar formulierte Zusammenhänge stoßen auf wenig
Gegenliebe, obwohl sie
offensichtlich der Realität nahekommen.
Für die Weigerung, die Erodierung
des Sozialen und die Verkümmerung des Öffentlichen als
charakteristische Entwicklungstendenz der Gegenwart zur
Kenntnis zu nehmen, mag es einen doppelten Grund geben. Zunächst
einmal eine gewisse Vorliebe für Beschönigungen bzw. eine
Scheu, die Dinge beim
Namen zu nennen. Dies ist der sicherste Weg, Konflikten aus dem Wege zu
gehen und Entwicklungen in eine bestimmte Richtung voranzutreiben.
Daneben
könnte aber auch die Erfahrung eine Rolle spielen, dass die
goldene Regel von den segensreichen Wirkungen der Konkurrenz auch ihre
Ausnahmen hat. Es ist
hinlänglich bekannt, dass einzelne Unternehmen, obwohl sie
Konkurrenten sein müssten, die Vorteile der Kooperation entdecken
und Kartelle bilden. Wenn die
Wettbewerbsbehörde solchen Absprachen auf die Spur kommt,
verhängt sie mitunter harte Strafen. Wie es auf der Ebene
kollektiver Akteure verlockend sein
kann, zum allseitigen Vorteil der beteiligten Partner
zusammenzuarbeiten, so können auch individuelle Akteure durch
Absprache mit anderen ihre Interessen
zielführender durchsetzen. Das große Meer einzelner und
kollektiver Akteure, die vermeintlich in heiligem Wettbewerb stehen,
ist in Wirklichkeit ein Archipel,
ein Meer mit vielen kleinen Inseln, Knotenpunkten der Kooperation, die
das Überleben erleichtern. Akteure, die nicht in Kooperationen
eingebunden sind, sind
in höherem Maße gefordert und leben gefährlicher.
In ihrer Praxis orientieren sich die
gesellschaftlichen Akteure demnach gleichzeitig sowohl am Prinzip der
Konkurrenz wie auch an dem der Kooperation.
Zwischen diesen beiden Orientierungen gibt es schwer zu
übersehende Interdependenzen. Die neoliberale Wende des
ausgehenden 20. Jahrhunderts negiert
diese Interdependenz und erhebt einseitig das Prinzip des
ommnipräsenten Wettbewerbs zum allein verbindlichen Dogma. Die
Umsetzung dieses Dogmas vom
Makro- in den Mikrobereich, vom Allgemeinen ins Besondere verlangt eine
weitgehende Veränderung der organisatorischen Strukturen und eine
neuerliche
Adaptierung der in diesen Organisationen agierenden Subjekte.
4. Der Kult der Kompetenz als neue Form der Regulation
Es steht also die Hypothese im Raum,
der Ausdruck Sozialkompetenz diene dazu, individuelle Dispositionen zu
kooperativem Verhalten zu prämiieren, ohne
jedoch die Kooperation explizit als grundlegendes Prinzip
zwischenmenschlicher Beziehungen, auch im ökonomischen Bereich,
anerkennen zu müssen. Die
ökonomische Doxa kennt ausschließlich das Prinzip des
Wettbewerbs. Sprachlich manifestiert sich die Neupositionierung dieses
Prinzips in einer
spektakulären Aufwertung der Kategorie der Kompetenz, die mit der
neoliberalen Wende in den 80er Jahren begonnen hat, die Kategorie der
Qualifikation zu
verdrängen.
Konkurrenz und Kompetenz sind zwei
komplementäre Kategorien, wobei jedoch die Ebene der Geltung
jeweils eine andere ist. Was auf der Ebene der
personunabhängigen objektiven Zwänge die
Wettbewerbsfähigkeit ist, sind auf der Ebene der dazu
disponierenden subjektiven menschlichen Fähigkeiten die
Kompetenzen. Einzelne Mitarbeiter sind nur dann geschätzt, wenn
sie für kompetent gelten, auch Arbeitsgruppen und ganze
Belegschaften haben kompetent zu
sein. Der Ausdruck der Kompetenz trägt der Tatsache Rechnung, dass
es zu wenig ist, eine im Voraus festgelegte Leistung zu erbringen. Zu
jeder geforderten
Leistung kommt noch etwas Zusätzliches hinzu, das sich nur
allgemein bestimmen lässt: auf dem Markt Gewinne zu realisieren.
Jede noch so gute Leistung ist
unzulänglich, wenn sie nicht besser ist als die der Konkurrenten.
Das tägliche Leben wird damit zum Marathonlauf, der keine
Ziellinie kennt. Den ersten 42
Kilometern folgen immer neue 42 Kilometer. Wer nicht mehr laufen kann
oder mag, der fällt zurück und scheidet schließlich aus.
Für D. Eustache (2001, S. 295)
ist diese Fokussierung der Kompetenzen, die er seit einigen Jahren in
den Betrieben beobachtet, keineswegs nur eine neue
Marotte des Managements. Er sieht darin vielmehr das Indiz eines neuen
Umgangs mit Beschäftigung und Lohn, den Ausdruck der Etablierung
eines neuen
Verhältnisses zwischen den Beschäftigten und ihren
Unternehmen (frz. échange du travail, échange salarial,
Ausdrücke, denen in der deutschen Sprache keine
unmittelbar verständlichen Ausdrücke entsprechen). Für
eine empirische Analyse dieser Tendenzen, bei der Lohnpolitik eine
explizite Verbindung zwischen
Lohn und Kompetenz herzustellen, sieht D. Eustache zwei
Möglichkeiten. Eine erste besteht in der Messung dessen, wie sich
das neue Kriterium für die
Evaluierung der Produktivität auf die individuellen Löhne
auswirkt. Eine zweite, welche die Lohnpolitik nicht nur unter einem
quantitativen Blickwinkel
betrachtet, untersucht die Prozesse des Definierens neuer Regeln, deren
sich die Direktionen bedienen, um längerfristig die Bedingungen
der Lohnarbeit (termes
de l'échange salarial) zu verändern. Für den ersten
Weg, der auch übersieht, dass die Lohnentwicklung nicht allein
Ergebnis der Lohnpolitik ist, fehlen
weitgehend die statistischen Daten. Daher wird für die
Untersuchung der Zusammenhänge von Lohn und Kompetenz der zweite
Weg gewählt, der sich mit den
Regeln der Lohnfindung beschäftigt, wie diese bei den Akteuren
aufgenommen und transformiert werden.
Vorauszuschicken ist dabei, dass sich
der Begriff der Lohnpolitik nur schwer fassen lässt, weil seine
verschiedenen Aspekte Teile eines Projektes sind, das
meistens nur schlecht definiert ist (ders., a.a.O., S. 296). Doch immer
bleibt die Lohnfindung, die an die Evaluierung der
Arbeitsproduktivität gebunden ist, ein
Resultat des Aushandelns. Denn nur auf dem Wege des Verhandelns sind
jene Probleme der Koordination zu lösen, welche der Markt nicht
regelt.
Die Substitution des Begriffes der
Qualifikation durch den der Kompetenz dient dazu, über eine
Erhöhung der Flexibilität in Lohnangelegenheiten die
betriebliche Autonomie zu erhöhen und damit gleichzeitig einen
Wechsel in der Art der Koordination und einen neuen Modus der
Regulierung zu etablieren.
Die bisherige Lohnpolitik, die sich bei der Remuneration an
unterschiedlichen Qualifikationen orientierte, fixierte den
Individuallohn im Hinblick auf
Merkmale wie Qualifizierung der Stelle, Anciennität auf dem Posten
oder Anciennität im Unternehmen. Eine Umstellung der
Entlöhnung (oder eines Teiles
derselben) von der Qualifikation auf die Kompetenz bringt
größere Veränderungen mit sich. Denn Kompetenz ist
nicht nur eine Ergänzung der Qualifikation.
Kompetenz impliziert eine neue Form der Autonomie, der Fähigkeit
zu Initiative, Engagement und eine höhere Verantwortlichkeit der
Beschäftigten. Die
Evaluierung des produktiven Beitrages der einzelnen ist demnach eine
doppelte: einerseits im Hinblick auf das Produkt (Leistung,
performance), andererseits
aber auch im Hinblick auf dessen Annahme durch den Klienten (Markt)
(Eustache 2001, S. 305).
Bei der Umstellung der Lohnpolitik von der Qualifikation auf die
Kompetenz darf jedoch nicht übersehen werden, dass auch bei der
Orientierung an den
objektiveren Kriterien der Qualifikation es nicht möglich gewesen
ist, Qualifikation objektiv zu definieren und zu messen. Dies
würde nämlich bedeuten, die
Beziehung zwischen bestimmten technischen Operationen und der
Schätzung ihres sozialen Wertes eindeutig bestimmen zu
können. Daher sind Fragen der
Evaluierung und Anerkennung der Arbeitsleistung schon immer auch ein
Ergebnis des Aushandelns gewesen (so J.D. Reynaud schon 1988). Ob man
den
Unterschied zwischen der Orientierung an der Qualifikation und der
Orientierung an der Kompetenz als einen substantiellen oder als einen
nur graduellen
einstufen soll, ist nicht so eindeutig zu entscheiden. Material handelt
es sich zweifellos um einen neuen Anforderungskatalog an die
Beschäftigten: Verlangt
wird mehr Autonomie, Initiative, kreative Geisteshaltung, Anpassung an
neue Situationen und die Übernahme von Verantwortung. Formal
handelt es sich
lediglich um die Etablierung einer neuen Art von Regeln, eine
Änderung der „coordination salarial": Regeln mit geringerem
Spielraum der Interpretation (R-)
werden durch solche mit größerem Spielraum (R+) ersetzt
(Eustache 2001,306).
Diese Veränderung der
Spielräume der beteiligten Akteure bringt eine Erhöhung der
Freiheitsgrade mit sich. Die neuen Regeln schreiben nicht mehr im
einzelnen fest, was zu tun und was zu lassen ist. Die Unternehmen
reklamieren mehr Autonomie, um im allgemeinen Wettbewerb
souveräner agieren zu
können. Auch von den Beschäftigten wird mehr Autonomie
verlangt, was dazu führt, dass die direkte Überwachung und
Kontrolle der einzelnen Arbeitsschritte
ihren Sinn verliert. Dennoch ist nicht davon auszugehen, dass dieser
verkündete Zuwachs an Autonomie für die Unternehmen und auch
für die Beschäftigten,
der sich aus der Umorientierung von der Qualifikation auf die Kompetenz
ergibt, eine generelle Erhöhung der Handlungsspielräume aller
beteiligten Akteure
bedeutet. Eine solche Annahme übersieht nämlich, dass die
eingeforderten Zuwächse an Autonomie finalisiert sind, die neu
propagierte Autonomie
ausschließlich der Stärkung der Wirtschaftskraft zu dienen
hat. Autonomie als Selbst-Gesetzlichkeit bedeutet in einem solchen
Falle für Unternehmen und
Beschäftigte daher etwas völlig anderes. Für das
Unternehmen besteht sie in einer möglichst weitgehenden
Beseitigung alles dessen, was den Ambitionen auf
Erweiterung des wirtschaftlichen Leistungsvermögens im Wege stehen
kann. Die Autonomie der Unternehmer ist umso größer, je
weniger allgemeine
Rahmenbedingungen des Wirtschaftens ins Gewicht fallen und sowohl
ökologische wie auch soziale Rücksichtnahmen
überflüssig sind. Völlig anders verhält
es sich jedoch mit der neuen Autonomie der Beschäftigten. Denn
diese besteht darin, das instrumentelle Autonomieverständnis der
Unternehmen unmodifiziert
zu übernehmen und sich allen daraus ergebenden Zwängen
freiwillig zu unterwerfen, darauf zu verzichten, die neue Autonomie als
hochgradig potenzierte
Heteronomie zu erkennen.
Wenn kompetent sein bedeutet, das
Lohnarbeitsverhältnis im Sinne der zweckorientierten
Autonomiekonzeption der Unternehmer zu interpretieren, so ist der
Interessenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit hinfällig geworden.
Kompetent verrichtete Arbeit besteht darin, allein die Interessen des
Kapitals als
maßgeblich zu betrachten und über die Interessen jener,
welche die Arbeit verrichten, nicht einmal mehr nachzudenken. Das
frühere Regelsystem, (R-), mit
dessen Liquidierung die Unternehmen derzeit beschäftigt sind,
kommt noch aus jener Zeit, als es eine organisierte Artikulation der
kollektiven Interessen jener
Akteure gegeben hat, die den Pol der Arbeit repräsentieren. Was D.
Eustache als System der geringen Spielräume identifiziert, ist das
Ergebnis eines Konfliktes
gegensätzlicher Interessen gewesen. Dieses System (R-) ist nicht
durch ein System mit größeren Spielräumen (R+) zu
ersetzen, ohne dass dies auf die
Gesamtverteilung der Spielräume bzw. der Freiheitsgrade erhebliche
Konsequenzen hätte. Es bedarf keiner besonderen Anstrengung des
Denkens, um zum
Schluss zu kommen, dass die Erhöhung der Autonomie der Unternehmen
mit einer Reduzierung der Autonomie der Beschäftigten verbunden
ist, ohne dass je
davon explizit die Rede davon wäre. Der Diskurs von der
Erhöhung der Autonomie der Beschäftigten bezieht sich auf die
Bereitschaft, den Interessen des
Kapitals gerne und mit allen verfügbaren Kräften zu dienen
und kommt in der Realität einer Institutionalisierung der
Heteronomie gleich. Wer nicht bereit ist,
sich dieser neuen "Logik der Kompetenz" zu fügen, wird auf Dauer
beiseite geschoben (N. Richebé 2002, S. 102).
Der Ausdruck „Kompetenz" ist daher der
Reihe jener Euphemismen zuzurechnen, die heute dazu dienen, Konflikte
zu verschleiern und Realitäten zu
beschönigen. Die Beschönigung besteht darin, dass mit der
Zuschreibung von Kompetenz ein hohes Maß an
Funktionstüchtigkeit und Leistungsfähigkeit
zuerkannt wird. Der Diskurs der Kompetenz gehört zum
imaginären Raum des Exzellenten und Überdurchschnittlichen,
ist die neue Formel für das zeitgemäß
Gute. Die Verschleierung besteht jedoch darin, dass die Einstufung der
Beschäftigten als kompetent an deren Bereitschaft gebunden ist,
die Priorität der
Interessen des Kapitals anzuerkennen und sich mit diesen zu
identifizieren. Oder in anderer Formulierung: Kompetent sind nur jene,
die zu vergessen in der
Lage sind, dass es neben dem „shareholder value" auch noch einen
„stakeholder value" gibt. Diese Logik der Identifikation ist
gleichzeitig auch die Logik der
Destruktion des Individuums und seines symbolischen Todes, der Preis
der Kompetenz und Wettbewerbsfähigkeit (Kompetitivität) ist
die Entfremdung und
freiwillige Knechtschaft (J. Le Goff 1995, S. 111).
5. Bildungsinstitutionen im Dienste des Kompetenzerwerbs
Wenn in den Unternehmen, in der Welt
der Wirtschaft, die "Logik der Kompetenz" an die Stelle der "Logik der
Qualifikation" (vgl. N. Richebé) tritt, bleibt dies
nicht ohne Konsequenzen für jene Bereiche, denen früher,
unter anderen Vorzeichen, die Bereitstellung der Qualifikationen
zugewiesen war. Denn die
Wirtschaft produziert die kompetenten Beschäftigten, deren sie
bedarf, ebensowenig selbst wie die Rohstoffe, die sie in der Produktion
verwendet. Aus der
Geschichte der Modernisierung ist bekannt, dass diese Abhängigkeit
der Wirtschaft von Leuten, die über ein höher entwickeltes
Arbeitsvermögen und ein
bestimmtes Maß an Disziplin verfügen, eng mit der
Einführung der Schulpflicht für alle verbunden gewesen ist.
Doch bei der Legitimierung von Schule und
Bildung ist deren Funktion für die Wirtschaft in der bisherigen
Geschichte nie an erster Stelle gestanden. Speziell im
deutschsprachigen Bereich hatte sich ein
einzigartiger Bildungsdiskurs etabliert. Bildung hatte bei Herder mit
der Entwicklung des Menschengeschlechtes zu tun, bei Humboldt mit der
Entfaltung der
freien Persönlichkeit, bei Kant mit der Herausführung aus der
selbstverschuldeten Unmündigkeit. Diese nachhaltige Orientierung
der Bildung an einem
Menschen, der über sich selbst hinauswächst, ein Aufleuchten
des göttlichen Funkens (Eckehart) ist und ein Entwurf seiner
selbst in eine übermenschliche
(Nietzsche) Zukunft sein sollte, hat natürlich nie der
Realität entsprochen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass
die Kritik an der konkreten Realität des
bürgerlichen Bildungswesens (vgl. Adornos Theorie der
Halbbildung), der Vorwurf, der Diskurs über die Bildung sei nichts
anderes als Ideologie, eine die Realität beschönigende
Denkwelt, nur möglich gewesen ist auf dem Boden eben dieses
Bildungsdiskurses, den Lyotard unter die großen Erzählungen
einreihte,
die nun endgültig Geschichte geworden seien. Dies heißt aber
noch lange nicht, es sei ohne weiteres möglich, Schule und Bildung
allein von der Wirtschaft
her zu legitimieren. Alle derartigen Versuch sehen an der Tatsache
vorbei, dass die Wirtschaft nur Subsystem in einem Gesamtsystem ist,
das Untergeordnete
des Übergeordneten bedarf, um existieren und sich entfalten zu
können. Daher haben Untersuchungen der Funktion von Schule und
Bildung immer auf ein
breiteres Spektrum von Aufgaben hingewiesen.
Systemtheoretisch betrachtet sind die
Wirtschaft wie auch der Bildungsbereich Subsysteme, in gleicher Weise
wie das Recht und die Religion, die für das
Gesamtsystem notwendige Funktionen ausüben. Diese Subsysteme sind
abhängig vom übergeordneten Gesamtsystem, aber nicht
determiniert von ihm. Denn
Determination würde es unmöglich machen, eine relative
Autonomie der untergeordneten Systeme zu kultivieren. Als
kapitalistisch bezeichnet man jenes
System, in dem das Subsystem der Wirtschaft den anderen Systemen
gegenüber eine Vorrangstellung behauptet. Dies führt dann
dazu, dass in solchen
kapitalistischen Ordnungen dem Bildungsbereich vorrangig die Aufgabe
zukommt, das für den Produktionsbereich erforderliche
Arbeitsvermögen
bereitzustellen und es jeweils flexibel an neue Erfordernisse
anzupassen. Die Ziele von Bildung und Erziehung reduzieren sich unter
solchen Bedingungen auf
produktionsnotwendige Ausbildung. Darum, wie sich die erforderlichen
Qualifikationen unter Vermeidung überflüssiger Kosten
bereitstellen lassen, kümmert
sich eine neue Disziplin, die Bildungsökonomie, der es von ihrem
Selbstverständnis her nur um eine Optimierung der
Verwertungsbedingungen des Menschen
gehen kann. Dies alles ist keineswegs neu.
Legitimiert haben sich diese
Verwertungsabsichten zunächst einmal im Verweis auf den Markt als
heilsgarantierenden Mechanismus des Ausgleichs zwischen
konfligierenden sozialen Interessen. Die Weltwirtschaftskrise der
Dreißiger Jahre führte dann eine Relativierung des Markt-
und Preismechanismus als
universales Lenkungsinstrument. An seine Stelle traten
systemorientierte Steuerungsmechanismen, staatliche Interventionen, um
den technologischen
Fortschritt zu garantieren und interessenbedingte Gruppenkonflikte mit
den Bedingungen der parlamentarischen Demokratie in Einklang zu
bringen. Diese
Verbindung von bürgerlicher Leistungsideologie mit kompensierender
Staatstätigkeit wurde damals als „Ersatzprogrammatik" gedeutet, um
die Verausgabung
von Arbeitskraft über die „Garantie der Wohlfahrtsminima, der
Aussicht auf Sicherheit des Arbeitsplatzes sowie der Stabilität
des Arbeitsplatzes" (Habermas)
zu rechtfertigen. (3)
Seit Mitte der 70er Jahre hat diese Ersatzprogrammatik
mehr und mehr an Bedeutung verloren. Was heute zählt, ist allein
das sogenannte individuelle
Leistungsvermögen, diesseits jeder staatlichen
Interventionstätigkeit. Die Garantien für Wohlfahrtsminima
werden im Sinne der Steigerung der
Leistungsbereitschaft nach unten revidiert, in gleicher Weise die
Sicherheiten des Arbeitsplatzes schrittweise aufgegeben und die
Stabilität des Einkommens für
die unteren und mittleren Schichten der Lohnabhängigen in Frage
gestellt. Was heute angebotsorientierte Arbeitsmarktpolitik
heißt, das ist inhaltlich eine
Kehrtwendung in Richtung jenes früheren Liberalismus, der die
Arbeitskraft Ware allein nach dem Prinzip der höheren Rendite
einsetzt und beharrlich darum
bemüht ist, den Wert und somit auch den Preis für diese Ware
nach unten zu drücken. Die neue Programmatik verspricht eine
allseitige Erhöhung der
Freiheiten, wobei es jedoch, was leicht zu erkennen ist, vorwiegend um
eine Umverteilung der Freiheitsgrade geht: das Plus an Freiheit
für die einen ist ein
Minus an Freiheit für die anderen.
Für das Ausbildungswesen bedeutet dies nichts
Neues. Auch eine erneuerte Terminologie kann nicht darüber
hinwegtäuschen, dass lediglich alte Zwänge
unmissverständlicher und unverhüllter in Erscheinung treten.
Aus der zunehmenden Ent-Individualisierung der industriellen
Gesellschaften ergeben sich neue
Notwendigkeiten, die Qualifikationspyramide an den nun internationalen
Kapitalstock anzupassen, die Struktur der zu produzierenden
Fähigkeiten (des
Gesamtarbeiters) auf die Struktur der verfügbaren
Arbeitsplätze abzustimmen. Die schwerpunktmäßige
Verlagerung des verfügbaren Arbeitsvolumens vom
sekundären in den tertiären Bereich bringt es mit sich,
bereits früher registrierte Trends zu verstärken: die
Bedeutung der extrafunktionalen - normativen
-Qualifikationen nimmt zu, an die Stelle der Verfügung über
operatives Wissen, das der Lösung bestimmter Probleme dient, tritt
„das Internalisieren von
Paradigmen zur Erzeugung operativen Wissens" als entscheidende
berufliche Qualifikation, was die frühere Unterscheidung zwischen
funktionalen und
extrafunktionalen Fähigkeiten teilweise wieder hinfällig
werden läßt. (4)
Es ist leicht zu erkennen, dass diese Akzentuierung
des Anforderungskataloges an die Beschäftigten den
terminologischen Wechsel von der Kategorie der
Qualifikation zur Kategorie der Kompetenz begünstigt. Denn dieser
Wechsel entspricht einerseits gewissen realen Veränderungen in der
Arbeitswelt, kommt
andererseits den Interessen der Unternehmer entgegen, ihre
Anforderungen an die Beschäftigten beliebig erhöhen zu
können. Dies deswegen, weil sich der
Fokus der Aufmerksamkeit verschiebt: Was eine zufriedenstellende
Leistung ist, bemisst sich immer nach der Möglichkeit einer
besseren Leistung. Für die
Beschäftigten heißt dies, dass sie immer hinter dem
zurück sind, was von ihnen erwartet ist. Denn wer über die
Macht verfügt zu definieren, was ein Problem
ist, ist auch dazu befugt, eine generalisierte
Problemlösungsfähigkeit, wie sie im Kompetenzbegriff
transportiert wird, für ausreichend oder für
unzulänglich zu
erklären.
Der von der Seite der Unternehmen her lancierte
Kompetenz-Diskurs ist Ausdruck ihres Interesses, hinsichtlich der
Leistungsfähigkeit und der
Leistungsbereitschaft ihrer Beschäftigten den Druck zu
erhöhen. Dieses Interesse führt notwendigerweise zum
naheliegenden Vorhaben, auch auf das dem
Beschäftigungssystem vorgelagerte Ausbildungssystem einzuwirken,
um es in ihrem Sinne umzugestalten. Diesem Zweck dient auch der Diskurs
über die
Wissensgesellschaft, der neuen Leitbild-Chiffre, die der
Verkündigung der Botschaft dienen soll, dass die Fähigkeit
zur Gewinnung und zum Einsatz von
Wissen zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor im Kampf um
Vormachtstellung, Ressourcen, Wohlstand und Beschäftigung geworden
ist. In ihrer
Auseinandersetzung mit der „Wissensgesellschaft als bildungspolitische
Norm" stellt A.M. Stroß u.a. fest, dass die Übernahme der
neuen Begriffe und
Postulate als Anpassung an bereits laufende Entwicklungen zu verstehen
ist. Damit will die Bildungspolitik die Illusion verbreiten, sie sei
ein für die
gesellschaftlichen Entwicklungen relevanter Akteur, sei in der Lage,
diese längerfristig in die richtige Richtung zu steuern. Bei
näherer Betrachtung erweist sich
jedoch, so A.M. Stroß (a.a.O., S. 93), das vermeintlich 'Neue' an
der gegenwärtigen bildungspolitischen Argumentation über
weite Strecken als längst bekannt.
Weitere Anhaltspunkte für ein besseres
Verständnis dessen, welchen Zielen der neue Diskurs über die
Kompetenzen dient, bietet der Bericht einer
Expertengruppe an das Forum Bildung in der Geschäftsstelle der
Bund-Länder-Kommis sion für Bildungsplanung und
Forschungsförderung. Dieser Bericht
soll eine Grundlage für die Erarbeitung von Empfehlungen durch das
Forum Bildung sein und darüber hinaus die öffentliche Debatte
von
Empfehlungsentwürfen des Forum Bildung zum Themenschwerpunkt
„Bildungs- und Qualifikationsziele von morgen" unterstützen. Die
Überschrift dieses
Berichtes ist klar und unmissverständlich: „Kompetenzen als Ziele
von Bildung und Qualifikation".
Die erste These der Zusammenfassung hält fest,
dass Bildung und Qualifikation auf die Entwicklung der
Persönlichkeit, Teilnahme an der Gesellschaft und
Beschäftigungsfähigkeit ausgerichtet sind und dass diese drei
Dimensionen immer zusammen zu sehen sind. Bei den Erläuterungen zu
Bildung und
Qualifikation heißt es dann, dass sich die Anforderungen an die
Beschäftigungsfähigkeit immer mehr in Bereiche ausdehnen, die
bisher dem Bereich der
Gesamtpersönlichkeit zugerechnet worden sind. Die Beschreibung von
Kompetenzen richtet sich auf jene Elemente, die aus heutiger Sicht
für die Bewältigung
der Anforderungen von morgen erforderlich erscheinen. Jede Formulierung
von Kompetenzen enthält also ein starkes prognostisches Element,
denn sie
verweist auf das, was in der Zukunft wichtig sein wird, ohne jedoch
anzugeben, was für wen wichtig ist.
Weil das Wissen immer schneller wächst,
verzichtet die Expertengruppe darauf, einen inhaltlich orientierten
„Wissenskanon" aufzustellen, versucht aber, über
die Angabe von sechs zentralen Kompetenzen ein dynamisches Konzept der
ständigen Erneuerung und Ergänzung von Kenntnissen und
Fähigkeiten zu
erstellen. Die Formulierung von Kompetenzen, die erworben werden
müssen, versteht sich gleichzeitig als eine Beschreibung der
Bildungsziele und als
Ausdruck einer Bildungstheorie, die mehr als bisher das
pädagogisch Wünschbare und das psychologisch Machbare in
Einklang bringen will. Für diese neue
Bildungstheorie auf der Basis des Kompetenzansatzes stehen
(vorläufig) folgende sechs Kompetenzen im Vordergrund:
1. intelligentes Wissen
2. anwendungsfähiges Wissen
3. Lernkompetenz
4. methodisch-instrumentelle Schlüsselkompetenzen
5. Sozialkompetenzen
6. Wertorientierungen
Für die Frage nach dem Stellenwert von
Sozialkompetenz heißt dies, dass diese eine von sechs
Kernkompetenzen ist und hier im Plural verwendet wird. Es gibt
also nicht eine, sondern mehrere Sozialkompetenzen, wobei namentlich
erwähnt sind: soziales Verstehen, soziale Geschicklichkeit,
soziale Verantwortung und
Konfliktlösungskompetenz. Bedingung des Erwerbs sozialer
Kompetenzen ist die Reflexion sozialer Erfahrung, für die
„regelgeleitete Zusammenarbeit,
Gruppenunterricht, Teamarbeit, Konfliktlösungsaufgaben etc." von
Nutzen sind. Ein solches Verständnis von Sozialkompetenz erinnert
stark an das
Instrumentarium der Gruppendynamik der 70er Jahre, unterscheidet sich
jedoch von dieser in der Zielrichtung. Die heute propagierte Version
der Team- und
Gruppenarbeit dient allein dazu, den Erfordernissen der
Arbeitsorganisation in weiten Teilen der Wirtschaft entsprechen zu
können.
Dieser Kompetenzansatz soll für alle Stufen des
Bildungsbereiches Geltung haben und darüber hinaus auch für
die wichtigsten Orte des Kompetenzerwerbs in
diversen Lebenswelten wie Familie, informelle Gruppen (unmittelbares
soziales Umfeld), organisierte Gemeinschaften und mediale Bereiche. An
der
Grundschule stehen nach wie vor die Kulturtechniken Lesen, Schreiben
und Rechnen im Vordergrund, die Hochschulbildung hat sich an
veränderte Lebens-
und Arbeitswelten anzupassen und ihre bisherigen Ziele zu revidieren.
Denn die Qualifikationsanforderungen an Hochschulabsolventen werden
sich künftighin
grundlegend verändern. Reines Fachwissen verliert an Bedeutung,
wichtiger wird „Anwendungskompetenz, Lernkompetenz und Sozialkompetenz"
(a.a.O., S.
19). Die künftige Chiffre der Funktion von Hochschulbildung soll
heißen: Entwicklung der Persönlichkeit durch Vorbereitung
auf berufliche Tätigkeiten.
6.
Zusammenfassung
Auf den Beitrag, „Was ist Sozialkompetenz?", haben
einige Leser/-innen mit der Frage reagiert, wie Sozialkompetenz zu
definieren ist. Hinter solchen Frage
nach der Definition eines unklaren Sachverhaltes steht die gängige
Annahme, Sprache sei allein dazu da, gegenständliche Realität
in sprachliche Zeichen zu
übersetzen. Einige Überlegungen zur Definition der Definition
erinnern an alte Einsichten der Wissenschaftstheorie, dass ein rein
instrumentalistisches
Verständnis sprachlicher Zeichen zu kurz greift. Denn das Ergebnis
von Definitionen sind Begriffe und Sätze, die jedoch immer auch
ein Teil von Theorien
sind. Daher die Rede vom „Paradox der Konzeptualisierung": Man braucht
geeignete Begriffe, um eine gute Theorie zu formulieren, gleichzeitig
aber braucht
es eine gute Theorie, um zu geeigneten Begriffen zu kommen.
Auflösen läss t sich dieses Paradox nur durch einen Prozess
der Approximierung (vg. A. Kaplan
1964, S. 52). Sprachtheoretisch gewendet gehört die Annahme,
Ausdrücke und Sätze seien ein einfaches semiotisches System,
zum Bereich der natürlichen
Sprache. Doch Texte der natürlichen Sprache verweisen immer auch
auf andere semiotische Systeme.
Im Anschluss daran folgen einige Hinweise dazu, dass
die Konnotationen des Ausdrucks Sozialkompetenz in eine völlig
falsche Richtung führen. Die beiden
Elemente des neues Zauberwortes, das 'Soziale' und die 'Kompetenz',
sind insofern positiv konnotiert, als ihr Gegenteil in den Bereich des
Nicht-Erwünschten
gehört. Keine Regierung kann offiziell verkünden, dass sie
nun zielstrebig soziale Errungenschaften demontieren will, kein
Unternehmen bekennt sich zu einem
Programm asozialer Betriebsführung. Es gehört zu den
normativen Selbstverständlichkeiten, an den Postulaten sozialer
Vertretbarkeit festzuhalten, solange
ökonomische Notwendigkeiten nicht dazu zwingen, davon einige
Abstriche zu machen. Niemand propagiert das A-Soziale und Anti-Soziale,
ebensowenig gibt
es Gründe dafür, irgendwelchen Manifestationen von
Inkompetenz etwas Positives abgewinnen zu wollen. So ist
Sozialkompetenz als normativer Ausdruck
des heute doppelt Guten anzusehen, als Inbegriff des Wünschbaren.
Was Sozialkompetenz in den Unternehmen bedeutet,
lässt sich über eine Definition dieses Ausdrucks nicht
erfassen. Viel zielführender ist, sich damit zu
beschäftigen, aus welchen Gründen die Unternehmerseite
begonnen hat, die Orientierung an den Kompetenzen zum neuen Bezugspunkt
ihrer Personal- und
Beschäftigungspolitik zu machen. Es zeigt sich, dass die neue
Orientierung die Internalisierung der Marktperspektive anvisiert, was
im Endeffekt auf eine
bedingungslose Identifikation mit dem Aggressor hinausläuft.
Persönlichkeitsprofile und Handlungspotentiale
der Belegschaften, wie sie den Unternehmern heute genehm sind, lassen
Eingriffe in die Programmatik des
Erziehungs- und Bildungsbereiches als naheliegend erscheinen. Der Wahl
eines neuen Bezugspunktes für Bildung und Erziehung, der sich
hinter dem Votum
für den Kompetenzansatz verbirgt, geben organisatorischen Reformen
den Anstrich des Unvermeidbaren und verhüllen die Tatsache des
institutionellen
Zerfalls bisheriger Praktiken gesellschaftlicher Reproduktion. Eine
nicht ausformulierte Kompetenz-Theorie führt lediglich zu
tastenden Versuchen, vorläufige
Kataloge von Dispositionen zu erstellen, die Garanten künftiger
Beschäftigungsfähigkeit sein sollen. Sozialkompetenz ist eine
der - vorläufig einmal - als
zentral bezeichneten Kompetenzen. Hinweise dazu, wie Sozialkompetenz zu
erwerben ist, kommen über die Forderung nach Reflexion
gruppenbezogener
Erfahrungen nicht hinaus.
Da der Ausdruck Sozialkompetenz nicht Teil einer damit
verbundenen Theorie ist, muss die Frage nach der Definition
unbeantwortet bleiben. Wer diesen
unterbestimmten Ausdruck dennoch seinem Sprachschatz einverleiben will,
signalisiert seine Bereitschaft, sich dem neuen Diskurs der Unternehmer
anzuschließen und wird daraus sicher seine Vorteile ziehen.
Anders ist dies für jene, welche zwischen diesen Diskursen und der
Ausübung von Herrschaft eine
enge Verbindung sehen und mit den damit verbundenen Konsequenzen nicht
einverstanden sind.
Anmerkungen
1. vgl. Ramonet I., Adieu
libertés, in: Le Monde diplomatique, Janvier 2002, S. 1
2. subzit. M. Faucheux, La terre
est une legende, Quetigny 1999, S. 111
3. Becker/Jungblut, S. 36
4. Becker/Jungblut, S. 57
Literatur
Arbeitsstab Forum Bildung (2001), Kompetenzen als
Ziele von Bildung und Qualifikation (vgl.
http://www.forum-bildung.de/.
Becker E., Jungblut G. (1972), Strategien der
Bildungsproduktion, Frankfurt (edition suhrkamp Nr.556)
Eustache D. (2001), Politique salariale,
régulation et échange salariale, in. Rev. francaise
sociologique 42, 2, 295 - 326
Greimas A. J. (1970), Du Sens. Essais
sémiotiques, Paris
Kaplan A. (1964), The Conduct of Inquiry, San
Francisco
Le Goff J. (1995), Le Mythe de l'enterprise, Paris
Richebé N., (2002) Les réactions des
salariés à la "logique de compétence": vers une
renouveau de l'échange salariale?, in: Rev. francaise
sociologique 43, 1, 99
- 126
Stroß A. M. (2001), Die „Wissensgesellschaft"
als bildungspolitische Norm?, in: Sozialwissenschaftliche Rundschau H.
42, S. 37 - 48