Von der Soziologie zum Management. Und wieder zurück?
Otto Nigsch 1997 / 6
1. Problemstellung
In der Erwartung, Sozialwissenschaften generell und die Soziologie im besonderen könnten einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung der Gesellschaft leisten, kam es in den 60er Jahren zur Einführung diesbezüglicher Studienmöglichkeiten auf universitärer Ebene. Die Absolventen sollten viele attraktive Stellen sowohl im Bereich der Verwaltung finden, wo die Rede davon war, das sogenannte Juristenmonopol zu brechen, wie auch im produktiven Sektor, wo sich die Aufgabe stellte, das Zusammenspiel von Mensch und Maschine zu verbessern und darüber hinaus noch einen Bedarf an Experten neuen Zuschnitts im Dienstleistungsbereich abzudecken.
J. Habermas sah damals im Bodengewinn der Sozialwissenschaften bereits ihre Etablierung als fünfte und letzte Fakultät. Nach der Theologie und Philosophie, den Geschichts- sowie Geisteswissenschaften und den Naturwissenschaften diagnostizierte er eine "Wachablösung in der polemischen Rolle des Wortführers, der bestimmt, was als Wissenschaft zu gelten hat" und was nicht (Habermas 1967, S. 24).
Die Realisierung der damals artikulierten Erwartungen ist offensichtlich in nur sehr eingeschränktem Maße eingetreten. Denn nicht nur das Juristenmonopol hat sich als eine uneinnehmbare Festung erwiesen. Auch andere attraktive Tätigkeitsfelder sind für die neuen Experten der sozialen Belange nur schwer zugänglich gewesen. Die neue Wissenschaft bekundet erhebliche Mühe, ihre Erkenntnisse ins Zentrum des öffentlichen Interesses zu rücken und sie in eine gesellschaftlich respektierte Praxis umzusetzen.
Die falsche Einschätzung des Bedarfs an sozialwissenschaftlicher Expertise hat aber auch damit zu tun, daß die erwartete Modernisierung im Sinne einer Humanisierung der Gesellschaft ausgeblieben ist und seit Mitte der 70er Jahre einen völlig anderen Verlauf genommen hat. Dieser andere Verlauf ist wohl hinreichend kommentiert, dadurch aber im wesentlichen kaum beeinflußt worden. Sein hervorstechendstes Merkmal ist die Renaissance des liberalen Denkens, welches das Wachstum der kapitalistischen Ökonomie in enormer Weise beschleunigte, gleichzeitig aber auch das damit verbundene Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnis in eine dominante Position rückte. "La pensée unique"(1)
, dieses eindimensional gewordene Denken,
läßt die globale Ordnung als Konstellation ohne
Alternativen erscheinen, so daß alles, was in ihrem Namen
geschieht, den Status
unvermeidlicher Sachzwänge für sich reklamiert. Theoretisch
legitimiert sich das
eindimensionale Denken durch die Extension des ökonomischen
Erklärungsschemas, der
Theorie der rationalen Handlungswahl, auf die weiteren
gesell-schaftlichen Bereiche,
praktisch durch das Bekenntnis zur uneingeschränkten Optimierung
der Abläufe in der
Verbesserung von Effizienz und Effektivität.
Die Exekution der Optimierungsprozesse fällt in den Zuständigkeitsbereich der Manager, die sich in dafür angebotenen Studien oder diesbezüglichen Lehrgängen eigene Qualifikationen erworben haben. Durchaus vergleichbar den Expansionsprozessen ökonomischer Analyse und Erklärung, wie dies bei der Rational Choice Theorie der Fall ist, beansprucht auch das Management Einfluß auf immer weitere Bereiche(2)
, denen Mißwirtschaft, Inkompetenz unterstellt und letztlich der Untergang prognostiziert wird, sollten sie es, unabsichtlich oder absichtlich, versäumen, ihr Heil in der Anwendung der neuesten Managementempfehlungen zu sehen und zu suchen. Damit wird der ökonomische Imperialimus doppelstöckig, zweigleisig, umfassend, weil er sowohl theoretisch wie auch praktisch für die ganze Bandbreite anstehender Schwierigkeiten und Herausforderungen eine prioritäre Problemlösungskompetenz reklamiert. Das Management beschränkt sich nun nicht mehr darauf, den Ablauf betrieblicher Prozesse nur steuern zu wollen. Heute wird auch das Gesundheitswesen, das Bildungswesen, der Sportbereich, die öffentliche Verwaltung nach seinen Richtlinien reorganisiert, ohne Management geht anscheinend nichts mehr. Krankenhausmanagement und Universitätsmanagement, Weiterbildungsmanagement und Kulturmanagement, Forschungsmanagement und Projektmanagement, Krisenmanagement und Zukunftsmanagement gehören heute zu den Selbstverständlichkeiten reformorientierter Interventionen. Der suggerierte Glaube an mögliche Optimierungen durch Management wird zudem genährt durch ein reichhaltiges Kursangebot ins Selbstmanagement und Sozialmanagement, Management des Kognitiven und des Emotionalen. Management ist das neue Universalinstrument, mit dem sich, wenn überhaupt noch, heute die anstehenden Probleme bewältigen lassen sollen.
Damit dürfte in etwa klar sein, was mit dem Titel
"Von der Soziologie zum Management"
gemeint ist: Management leistet dasselbe wie die Soziologie, nur viel
effizienter, womit
konnotiert ist: rascher, billiger, zweckmäßiger,
gründlicher, geradliniger, zuverlässiger.
Soziologische Expertise läßt sich durch ein rationelleres
Konkurrenzprodukt ersetzen, wer als
Soziologe/-in sein/ihr Brot verdient oder sich auf so eine
Berufstätigkeit vorbereitet, muß mit
einer sinkenden Nachfrage nach dem rechnen, was er/sie anzubieten hat.
Damit verbundenes
Unbehagen ist schwer auf den Begriff zu bringen, wird es angesprochen,
stößt es auf wenig
Verständnis und Zustimmung. Es wäre also ausreichend Grund
für Untergangsstimmung,
wenn nicht, zu einer Zeit, in der dem eindimensionalen Denken
verpflichtete Orientierungen
und Praktiken sich auf breiter Front durchgesetzt zu haben scheinen,
von verschiedenen
Seiten her fundierte Kritik an diesen Veränderungen angemeldet
würde. Im Folgenden geht es
also darum, zunächst einmal den Siegeszug des eindimensionalen
Denkens zu rekonstruieren
(1), den damit verbundenen Standort (2) und die eigenständigen
Kontibutionen des
Managements darzustellen (3) sowie auf Mängel in der theoretischen
Fundierung
hinzuweisen (4). Abschließend ist der Frage nachzugehen, ob
dadurch nicht eine Situation
entstanden ist, die den ursprünglichen Anliegen der Soziologie
wieder mehr Raum gibt und
welche Art von Soziologie geeignet ist, sich als Alternative zu
profilieren (5).
1. Der Siegeszug des eindimensionalen Denkens
Mit dem eindimensionalen Denken ist jenes Denken
gemeint, das die ökonomischen und
sozialen Veränderungen der neuesten Vergangenheit ausgelöst
hat und sie auch rechtfertigen
soll. Im französischen Sprachbereich hat sich dafür der
Ausdruck "La pensée unique"
eingebürgert, für den es weder in der englischen noch in der
deutschen Sprache ein adäquates
Gegenstück zu geben scheint. Die Konnotationen dieses der
geläufigen Umgangssprache
zuzurechnenden Begriffes verweisen auf Abgegrenztheit,
Ausschließlichkeit,
Geschlossenheit, Unbedingtheit einer Doktrin, einer Geisteshaltung, aus
der heraus ein
radikaler Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft als unumgänglich
vorgenommen wird. Der
durchzusetzende Wandel des strukturellen Gefüges, der Denk- und
Verhaltensweisen erhält
den Anstrich einer Entwicklung im Sinne des Fortschritts, der nun aber
nicht mehr lokal,
regional oder national, sondern nur noch global zu verwirklichen sein
soll. La pensée unique
ist demnach die Doktrin von der unbedingten Priorität des
Wachstums der Wirtschaft nach
den Vorgaben des Neoliberalismus im globalen Maßstab. Daß
damit die gesellschaftlichen
Belange den wirtschaftlichen Erfordernissen untergeordnet werden, ist
nur die logische
Konsequenz. Zur Diskussion steht also nicht mehr eine Modernisierung im
Sinne einer
Höherentwicklung der Gesellschaft, sondern die effizientere
Bewirtschaftung der
Gesellschaft.
Diese Diskussion ist weder neu noch abgeschlossen. Neu
ist vielmehr die Situation, die
entsteht, wenn das eindimensionale Denken in einem Ausmaß in die
Praxis umgesetzt wird,
wie dies derzeit der Fall ist. Die dadurch vorangetriebene
Globalisierung der Wirtschaft
bedeutet auch, wie sich mehr und mehr zeigt, eine Beschränkung der
politischen
Gestaltungsmöglichkeiten der einzelnen Nationalstaaten. Die
Vorgabe verbindlicher
Parameter für die Rate der Verschuldung, des noch akzeptablen
Budgetdefizites sowie der
Höhe der Inflationsrate führt zweifellos zu einer
wünschenswerten Konsolidierung der
Staatsfinanzen. Fraglich ist eine solche jedoch, wenn sie kurzfristig
angestrebt wird und dafür
ein hoher Preis zu entrichten ist. Im höchsten Maße
bedenklich werden jedoch solche
Vorgaben, wenn das Konsolidierungsziel in einem Wege angestrebt wird,
der stillschweigend
weitreichende Umverteilungsprozesse impliziert. Denn Globalisierung auf
dem Boden einer
uneingeschränkten Wirtschaftsfreiheit lenkt zunächst den
Geldfluß von den Armen zu den
Reichen, führt dann aber zu einer Verschiebung der
Machtverhältnisse, die den
demokratischen Gesellschaftsformen die Basis entzieht, auf der sie
möglich geworden sind.
Zu den damit eingeleiteten Verschiebungen bekennen sich freimütig jene Regierungen als unabdingbar, die sich der "freien" Marktwirtschaft verschrieben haben, nicht aber jene, die noch, zumindest der Rhetorik nach, an einer "sozialen" Marktwirtschaft festzuhalten vorgeben. Die erste Gruppe wird gebildet von den Ländern des angloamerikanischen Kapitalismus wie den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland, Chile u. a., die zweite vor allem von Deutschland, Frankreich, den skandinavischen Ländern und einigen anderen. Es wäre jedoch völlig verfehlt, an ein ungestörtes Nebeneinander verschiedener marktwirtschaftlicher Modelle zu glauben. Denn auf sozial- oder wohlfahrtsstaatliche Modelle wird heute starker Druck ausgeübt, sich dem angloamerikanischen Modell anzunähern und dessen Prämissen zu unterwerfen. Die Vermittlung von Modell und einzelstaatlicher Realität läuft über die Durchsetzung des ultraliberalen Gedankengutes als ökonomischer Normalität und den dazugehörenden Steuerungsmöglichkeiten als unabdingbares Muß im Kampf ums Überleben.
Die Renaissance des Liberalismus, einer Doktrin aus der
frühkapitalistischen Zeit des 18. und
19. Jahrhunderts, wurde bereits in den letzten Jahren des Zweiten
Weltkrieges eingeleitet.
Ziel dieser ersten Bestrebungen war es, den Konzeptionen des New Deal,
der amerikanischen
Version staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Krisen der
30er Jahre, einen konträren
Entwurf entgegenzusetzen. Ging es im New Deal um die Unterstützung
der Industrie, der
Landwirtschaft, der Arbeitskräfte und Hilfen für Arbeitslose
und Arme, um soziale und
ökonomische Absicherung für alle (Roohan 1974, S. 604), so
verlangten die Neoliberalen von
damals die Freiheit des Individuums, die darin besteht, völlig
unabhängig von staatlicher
Einmischung agieren zu können. Der Staat sollte lediglich den
Rahmen für das freie Spiel der
Marktkräfte sicherstellen. Alle Mittel der Produktion sollten in
privater Hand sein, die
Verteilung der Ressourcen, der Investitionen und der Arbeit dem Markt
überlassen sein. An
die Stelle öffentlicher Programme für die sozial
Benachteiligten hatten karitative Akte und
private Unterstützung zu treten. Für sein Schicksal sollte
ausschließlich jedes Individuum
selbst zuständig und verantwortlich sein.
Waren die Neoliberalen in den ersten Nachkriegsjahren
noch eine zahlenmäßig
verschwindende Minorität unter den Ökonomen, so verfolgten
sie doch eine auf eine
Langzeitperspektive angelegte Ideen- und Wissenschaftspolitik und
konnten dabei von
vornherein mit massiver Unterstützung potenter, alteingesessener
Industriebetriebe wie Coors
(Brauerei), Scaife, Mellon (Metall) und besonders Olin (Chemie) rechnen
(vgl. George 1996,
S. 17). In Anlehnung an R. Weavers Buch "Ideas have Consequences"
(1948) bemühten sich
A. F. v. Hayek, M. Friedmann und andere Vertreter der Chicagoer Schule
darum, auf
akademischem Boden Fuß zu fassen, im Sinne ihres neues Credos zu
missionieren und durch
eine rege Publikationstätigkeit Einfluß zu gewinnen.
Zusätzlich standen in Amerika
finanzkräftige Stiftungen wie die Hoover Institution, American
Enterprise Foundation,
Heritage Foundation, das Cato Institute und das Manhattan Institute
für Policy Research als
Multiplikatoren des liberalen Gedankengutes zur Verfügung.
Gleichzeitig fungierten die
genannten Einrichtungen als think-tanks der diversen konservativen
Regierungen, mit denen
sie wie durch kommunizierende Gefäße verbunden waren: Alte
Mitarbeiter Nixons
vermochten während Carters Regierungszeit hier komfortabel zu
überwintern, wie auch jetzt
die Reagan-Busch-Getreuen in der Clinton Ära.
Eine besondere Rolle spielte dabei von Anfang an die
Mont-Pelerin-Gesellschaft, in deren
Rahmen sich 1947 an die vierzig amerikanische und europäische
Persönlichkeiten im
schweizerischen Montreux zu einem ersten 10-tägigen Kolloquium
einfanden. Zwischen
1947 und 1996 versammelten sich die Mitglieder dieser hohen
Gesellschaft insgesamt 27
mal, zuletzt 1994 in Cannes und 1996 in Wien, dem Herkunftsland Hayeks.
Die Zahl der
Mitglieder ist inzwischen auf über 450 gestiegen, Namensliste ist
jedoch keine bekannt, da
die Gesellschaft Öffentlichkeit und Medienpräsenz eher
meidet, mit Stolz aber darauf
hinweist, in ihren Reihen sechs Träger des Nobelpreises für
Ökonomie zu haben (George,
a.a.O.).
Schon viele Jahre vor ihrem endgültigen Durchbruch wurden also hunderte Millionen von Dollars zum Zwecke der Produktion und Diffusion der neoliberalen Ideologie ausgegeben. Damit wurden die Aktivitäten und Publikationen einzelner Mitarbeiter finanziert, Zeitschriften begründet und auch Lehrstühle gestiftet. Zwischen 1990 und 1993 ist den vier wichtigsten neoliberalen Journalen (The National Interest, The Public Interest, New Criterion und American Spectator) aus diversen Quellen die Summe von 27 Millionen Dollar zugeflossen, während den vier einzigen progressiven Zeitschriften Amerikas (The Nation, The Progressive, In These Times und Mother Jones) insgesamt nur 269.000 Dollar an freiwilligen Beiträgen zugewendet worden ist. Die Olin Foundation stellte schon 1988 55 Millionen Dollar mit dem Zwecke zur Verfügung, "jene ökonomischen, politischen und kulturellen Institutionen zu stärken, welche Grundlage des privaten Unternehmens sind" (Stiftungstext Olin, vgl. George). Mit derartigen Summen werden auch Lehrstühle für Jus und Ökonomie in Harvard, Yale, Stanford, Chicago und vielen anderen Universitäten gestiftet, wobei das Berufungsrecht verständlicherweise dem Geldgeber vorbehalten ist. Raffinierte Öffentlichkeitsarbeit bringt das neoliberale Gedankengut sowohl in die großen Tageszeitungen wie New York Times, der Washington Post und Time wie ebenso auch in die Fernsehkanäle und Programme der Rundfunkstationen.
Nicht zu Unrecht wird daher der Titel des Beitrages von S. George ("Wie das Denken eindimensional wird") geändert und für einen Nachdruck(3)
mit "Die Fabrikation einer Ideologie"
überschrieben. Damit kommt zum Ausdruck, daß die
weltweite Verbreitung des neoliberalen Gedankengutes weniger der
Tatsache zuzuschreiben
ist, daß die Zeit reif geworden wäre für die Entstehung
einses solchen Denkens, gleichsam als
Pendant real ablaufender Entwicklungen. Ganz im Gegensatz zu einem
derartigen
vereinfachten Glauben an naturbedingte Vorgänge stellt sich der
Siegeszug des
eindimensionalen Denkens als Ergebnis eines Durchsetzungsprozesses auf
breitester Front
dar. Die zur Rechtfertigung von ausschließlich privater
Initiative und Gestaltung
erforderlichen Argumente werden unter Einsatz enormer finanzieller
Mittel
öffentlichkeitswirksam propagiert und, sofern erforderlich, auch
mit Gewalt durchgesetzt. Die
marxistische Perspektive hatte derartige Vorgänge auf die
präzisere Formel gebracht: " Die
herrschenden Gedanken sind die Gedanken der Herrschenden". Sie
beschreibt entschieden
genauer als R. Weavers Buchtitel "Ideen haben Folgen" (1948), wie die
neue Ideologie zu
ihrer Vormachtstellung gekommen ist: durch Geld, durch Marketing und
Management, die
jedoch nur darum so erfolgreich sein konnten, weil auch Wissenschaft
käuflich geworden
war.
2. Manager, Souffleure und Knechte der Herren
Die platonische Vorstellung von den Ideen, die Folgen
haben, unterschlägt also die Tatsache,
daß ihrer Realisierung kräftig nachgeholfen werden
mußte. Denn die Idee der großen Freiheit
für die Wenigen transformiert sich nicht so ohne weiteres in
akzeptierte Unfreiheit der
Vielen. Dazu bedurfte es zusätzlich noch der Bearbeitung des
dazwischenliegenden Raumes,
das heißt der Strukturen der Produktion und des
gesellschaftlichen Umfeldes, in das diese
eingebettet sind. Also eine technisch-praktische Aufgabe, die einer
neuen Expertokratie ein
diffuses, aber quasi unbegrenztes Aufgabengebiet eröffnen sollte.
Ihre Präferenz für den
dunkelblauen Anzug, der Farbe der Ruhe und des Vertrauens, antizipiert
mit sicheren
Instinkt, daß ein Auftritt mit Tarnkappe nur von Nutzen sein
kann. Denn Veränderungen, die
letztlich allein zur Absicherung und Vergrößerung der
Profite durchgesetzt werden, können
den davon Betroffenen nie etwas Gutes bringen.
Mit seiner ersten exakten Analyse betrieblicher
Arbeitsprozesse ist F. Taylor zu einer
bemerkenswerten Berühmtheit gekommen. 1911 veröffentlichte er
seine " Principles of
scientific Management", das Ergebnis langjähriger Studien
über Arbeitszeiten und
Arbeitsabläufe. Die Organisation der Arbeit war damit zum
Gegenstand wissenschaftlicher
Analysen, das heißt der Zerlegung in einzelne Elemente geworden,
die dann über die
Steuerung der organisatorischen Abläufe wieder in einer neuen
Synthese zu besseren
Arbeitsergebnissen führen sollten. Nahezu ähnlich wird noch
anfangs der 70er Jahre das
Management von seiner Funktion her verstanden, die verschiedenen
Faktoren der Produktion
wie Arbeitskraft, Material und Maschinen zu koordinieren. Gleichzeitig
wird darauf
verwiesen, daß in der ökonomischen Tradition die
Koordinationstätigkeit als solche ebenfalls
als Produktionsfaktor gilt. Doch im Unterschied zu Taylor wird nun das
Management als
"Kunst" des Koordinierens verstanden. Wissenschaft ist es nur insofern,
als über genaue
Meßprozesse und zahlenmäßig belegte Aussagen
subjektiven Bewertungen und Vorurteilen
der Boden entzogen wird. Darüber hinausgehende
Koordinationsaufgaben zur Erreichung der
Ziele einer Organisation sind nicht der Wissenschaft, sondern der
"Kunst" zuzuschreiben
(Kinnard 1974, S.193). Das Verhältnis von Administration und
Management wird hier auch
dahingehend bestimmt, daß beide Kontrollfunktionen ausüben,
jedoch in unterschiedlicher
Weise: die Administration bestimmt die Ziele und legt die
Unternehmenspolitik fest, während
die Ausführung dieser Politik und Zielerreichung Angelegenheit des
Managements ist.
Konfusion entstehe dann, wenn das Management die
unternehmenspolitischen
Entscheidungen zu beeinflussen suche.
Das Verständnis von Management ist demnach seit jeher im Spannungsfeld zwischen verschiedenen Polen angesiedelt. Die Suche nach einem genauen Begriff ist daher müßig, nicht aber die Frage nach den Konnotationen, die jeweils mit ihm verbunden sind. Auch die lexikalischen Befunde verweisen auf eine enorme Vieldeutigkeit des Ausdrucks Management, das vom englischen "manage" abgeleitet ist. Der kleine Larousse verweist unter dem Stichwort "Manager" auf die englische Herkunft des Ausdrucks und sieht das den Manager kennzeichnende Merkmal in seiner Eigenschaft zu dirigieren. Manager ist derjenige, der einen Betrieb führt, der die Interessen einer professionellen Größe (eines Champions) wahrnimmt u.a.m. "To manage" hingegen, früher manege, ist laut einem anderen lexikalischen Befund(4)
vom lateinischen manus herzuleiten, ähnlich wie das
italienische maneggiare auf il mano, die
Hand, zurückzuführen ist. Die vielfältigen
Möglichkeiten des Handgebrauchs spiegeln sich in
der Bedeutungsvielfalt von "manage", für die das Lexikon folgendes
angibt: 1. Erfolgreich zu
Ende bringen, 2. die Verantwortung für etwas (z.B. einen Staat)
übernehmen, 3. beherrschen
oder beeinflussen (eine Person), 4. eine gerade ablaufende Handlung
steuern oder
kontrollieren, 5. führen (eine Waffe), 6. etwas zustande bringen,
7. einüben, abrichten (ein
Pferd), 8. überlegt umgehen mit (Geld, Ehemann), 9. die
Geschäfte führen von ... , 10.
erfolgreich vorantreiben trotz (Schwierigkeiten, Widerstände). Als
Synonyme für to manage
werden angegeben: 1. arrangieren, erfolgreich durchführen
(contrive); 4. führen, regulieren,
errichten; 5. umgehen mit, manipulieren.
Die menschliche Hand, der äußerste Teil des
Armes, läßt sich zu sehr vielseitigen Zwecken
verwenden, zum Tasten und streicheln, zum kunstvollen Strich des Malers
oder zum Führen
einer Schaufel, zum Zählen des Geldes oder zum Schnitt mit dem
Messer durch die Kehle
eines Opfers. Die Hand ist einzusetzen, um Tätigkeiten
auszuführen, die der Kopf geplant
hat. Daher auch die Unterscheidung in Handarbeit und Kopfarbeit, wobei
die historische
Entwicklung zu einer Trennung zwischen beiden und ihrer
unterschiedlichen Gewichtung
geführt hat. Der Hand-Werker repräsentiert den, der eben
vorwiegend seine Hände einsetzt,
im Gegensatz zu jenen, die sich die höherwertige Arbeit mit dem
Kopf vorbehalten haben.
"Hand-Arbeit" ist nur dann positiv besetzt, wenn ihr Produkt durch
höher geschätzte
Qualitätsmerkmale vom maschinell hergestellten Produkt sich zu
unterscheiden vermag.
Maschinen, bisweilen auch als totes Kapital bezeichnet, sind jedoch
zuerst und vor allem ein
Ersatz für die Hände. Durch Maschinen wird händische
Tätigkeit substituiert, gleichzeitig
aber auch die ursprüngliche Zusammengehörigkeit von Kopf und
Hand aufgelöst. Von
menschlichen Händen erstellte Maschinen relativieren die Bedeutung
der Hand, die
überflüssig wird, wenn der Kopf genügend viele und
leistungsfähige Maschinen erstellt hat
und sich ihrer zu bedienen versteht. Das Hand-Werk, dem noch gestattet
war, mit der eigenen
Hand ein singuläres Werk zu erstellen, degeneriert zur manpower,
zur abstrakten
Menschenkraft, die nun mit der Maschine eine neue kopflose Einheit
bildet. Der Fernfahrer
bedient sein Gerät und steuert es, wächst mit ihm zu einem
organischen Ganzen zusammen,
doch wohin er zu fahren hat, das wird von einer anderen Instanz
diktiert. Obschon der LKW
ein Instrument des Lenkers ist, sind beide, die
Mensch-Maschinen-Synthese, ein Instrument
in der Hand eines anderen, der den Warentransport organisiert, um damit
Geld zu verdienen.
An die Stelle der ursprünglichen Einheit von Kopf
und Hand, steuernder Kopfarbeit und
ausführender Handarbeit, tritt also eine andere Konfiguration, in
der das ursprünglich
Vereinte nun auseinandergefallen ist. Wie der Bereich der Hand sich
vergrößert durch die
Reichweite des Vermögens der Maschinen, so beschränkt sich
auch der Kopf nicht mehr auf
das bloße Entwerfen, auf die Formulierung von Zielen, sondern
kümmert sich gleichzeitig
auch noch um die Art und Weise der Verwirklichung des Entwurfes. Im
Zerfallen der
ursprünglichen Einheit von Kopf und Hand kommt es gleichzeitig zu
deren Reproduktion an
den nun voneinander getrennten beiden Polen: der Verlängerung der
Handarbeit durch die
Maschinen korrespondiert eine Erweiterung der Kopfarbeit in der
Besorgung der
Umsetzungsplanung. Handarbeit konserviert eine auf Kopfarbeit bezogenen
Komponente
insofern, als Maschinen der Montage, der Bedienung und Wartung
bedürfen. Auf der
Gegenseite erhält die Kopfarbeit eine explizit instrumentelle
Komponente, wie sie im
Begriffspaar von Administration und Management sichtbar geworden ist,
wobei das
Management als Ausführungsinstrument der Administration in
Erscheinung tritt.
Strukturell zeigt sich eine klare Verdoppelung der
ursprünglichen Polarität von Kopf und
Hand, Idee und Instrument, Theorie und Praxis. Management
repräsentiert demnach jene
Handkomponente der Kopfarbeit, jene instrumentelle Seite des Ideellen,
die auf die konkrete
Steuerung der Mensch-Maschinen-Einheit als Instrument der Produktion
spezialisiert ist.
Bildlich gesprochen ist der Manager der Diener jenes Herrn, der nicht
selbst die Tätigkeit der
anderen Diener zu koordinieren und zu kontrollieren in der Lage oder
dies zu tun nicht
willens ist. Für den Fall, daß dem Herrn die Übersicht
fehlt und/oder er überdies
entscheidungschwach ist, nicht bereit ist, Verantwortung zu
übernehmen, sucht er Rat bei
seinem Kammerdiener, der dadurch eine beträchtliche Aufwertung
erfährt. Auf jeden Fall
repräsentiert der Manager den Knechten gegenüber immer den
Herrn, ungeachtet dessen, in
welchem Verhältnis er selbst zu diesem steht, ob in einem unter-,
gleich- oder übergeordneten
Verhältnis. Von daher wird es auch verständlich, daß
sich Management definitorisch nicht
fassen läßt. Denn es gehört alles dazu, was die
Tätigkeit der Herren ihren Knechten
gegenüber charakterisiert: anregen, führen, steuern,
Verantwortung tragen, beherrschen,
beeinflussen, abrichten, regulieren, manipulieren, u.a.m, wird jedoch
im Auftrag eines
anderen ausgeführt.
Es versteht sich von selbst, daß in einer
Wirtschaft, die zunehmend weniger von
unternehmerischen Patronen und Patriarchen dirigiert wird, die
Einflußbereiche des
Managements kontinuierlich zunehmen müssen. Dies bedeutet aber
andererseits auch, daß der
Bedarf an Personal, das bereit und geeignet ist, derartige Funktionen
auszuüben, ständig
größer werden muß. Den vermehrten
Beschäftigungsmöglichkeiten entspricht eine enorme
Steigerung der Studentenzahlen auf derartige Tätigkeiten
vorbereitender Studienrichtungen
samt einer damit sich legitimierenden Aufblähung der Personal- und
Lehrdeputate, wobei
nicht einmal mehr darüber diskutiert wird, in welchem
Verhältnis Management zum
tradierten Selbstverständnis der Wissenschaften steht. Tant mieux!
Der akademische
Ritterschlag ist jedoch ein willkommenes Mittel, sich beim kleinen Mann
zusätzlichen
Respekt zu verschaffen und im Namen der objektiven Wissenschaft eine
Vielfalt von immer
sachlich Notwendigem einzufordern. Zweifel an derart von allem
überflüssigen Ballast
befreiten Studiengängen bringt ein kursierender Witz auf den
Punkt: Studierende der
Handelswissenschaften lernen nichts, doch dies in mehreren Sprachen. So
die späte
Umsetzung der Hegelschen Gleichsetzung von Sein und Nichts
(Enzyklopädie § 87) in die
praktizierte Studienrealität. Studien haben sich auf das
Notwendige zu beschränken, nur
Fachbezug ist erwünscht, das Komplexe ist durch Einfaches zu
erklären, die Orientierung an
KISS (Keep It Stupide Simple, vgl. Madauss 1991, S. 32) garantiert
Verständlichkeit und
rasche Studienabschlüsse. Doch die Frage nach den
wissenschaftlichen Anteilen des
Erlernens des Managements wird um so weniger gestellt werden, als sich
andere universitäre
Diskurse einer über anscheinend notwendigen
Qualitätssicherung einlassen, die nun vom
neuen Hochschulmanagement wie eine Rute ins Fenster gestellt wird.
Daß damit der Bock im
Sonntagsgewand des Gärtners auftritt, wird kaum noch von jemanden
wahrgenommen.
Der spektakuläre Bodengewinn, den
managementbezogene Ausbildungen in den letzten
zwanzig Jahren erfahren haben, ist ein globales Phänomen, wobei
zwischen
universitätsinternen und universitätsexternen
Tätigkeiten vielfältige Verflechtungen und
Symbiosen entstanden sind. Wer nicht das Glück hatte, in einer
universitären
Erstqualifikation das Nötige zu erlernen, dem stehen viele
Möglichkeiten offen, gegen gutes
Geld natürlich, das Versäumte nachzuholen. Dazu steht ein
breites Angebot zur Verfügung,
fein abgestuft für unterschiedliche Bedürfnisse, Bedarfslagen
und Geldtaschen. Am einen
Ende stehen die Diplome eines Masters of Buisness Administration
prestigekräftiger
Universitäten wie Harvard, Standford, Chicago, am anderen Ende das
Selbststudium mit
Hilfe von Büchern, Zeitschriften, Kassetten und Materialien zur
Selbstinstruktion. Daneben
gibt es ein ständig wachsendes Angebot von einschlägigen
Konferenzen, Seminaren und
Vorträgen zur Fort- und Weiterbildung, um sich auf den neuesten
Stand der sich rasch
ändernden Moden zu bringen. Hinter allem steht eine gigantische
Management-Theorie-Industrie, deren Einteilung in Buisness Schools,
Beratungsfirmen und
Gurus bestenfalls eine Orientierungshilfe ist, keineswegs aber ein
Spiegelbild der vielfältigen
Interdependenzen zwischen Lehr-, Publikations,- Vortrags- und
Beratungstätigkeiten. Jährlich
werden im Amerika "buisness books" im Wert von 750 Millionen Dollar
verkauft, für
Beratungsdienste geben amerikanische Firmen ebenso jährlich die
ansehnliche Summe von
15 Milliarden Dollar aus. Den Autoren von "In Search of Excellenz", das
mehr als zwei Jahre
die Bestsellerliste der New-York-Times anführte, brachte der
Verkauf von mehr als fünf
Millionen Exemplaren neben einem hübschen Vermögen in bar
zugleich eine Steigerung des
Marktwertes der für andere Betätigungen wie Tagesseminare
oder Einzelvorträge. Erstere
sind um einen Preis von 60.000,-- Dollar zu haben, letztere liegen bei
50.000,- Dollar.
J. Micklethwait und A. Wooldrige (1996, S. 7)
führen den Boom der Management-Theorie
auf folgende drei Revolutionen zurück, die "jeden von uns", wie
sie schreiben, direkt oder
indirekt betreffen: auf die Wiedererfindung des Unternehmens
(reinvention of companies),
die Wiedererfindung der beruflichen Laufbahnen (reinvention of careers)
und die
Wiedererfindung des Regierens (reinvention of goverment). Auf
Unternehmensebene wird
reorganisiert und restrukturiert, auf der Ebenen der Karrieren wird
flexibilisiert, auf der
Ebene der Regierungen wird privatisiert und der öffentliche Dienst
den Gesetzen des Marktes
unterstellt. John Major gestand 1995 in einer parlamentarischen
Anfrage, mindestens 320
Millionen Pfund für Managementberatung ausgegeben zu haben, doch
wahrscheinlich sind es
weit mehr. Damit setzte er nur fort, was die eiserne Lady vor ihm
begonnen hatte: In
Anlehnung an beratende Gremien das Management des gesamten
öffentlichen Sektors
sicherzustellen (a. a. O., S. 281). Jenseits des Atlantiks ist der
Einfluß des Managements auf
die Regierung keineswegs geringer: Hillary Clintons Gesundheitsplan (a.
a. O., S. 9) war
ebenso ein Management-Produkt wie Newt Gingrichs Vertrag mit Amerika.
Vizepräsident Al
Gores Bemühen, die Regierung auf den neuesten Stand der
Managementlehre auszurichten,
ist ebenso bekannt wie Bill Clintons Vorliebe für euphorisierende
Seminare und strategische
Gespräche. Der Glaube an die Macht des Managements ist eine der
wenigen Ideen, die in
beiden Parteien Amerikas uneingeschränkte Anerkennung findet.
Das Beratungsgeschäft ist eine globalisierte
Industrie. Die Hauptfirmen haben alle ihre
Niederlassungen in Europa, das für sie ein noch zu erweiterndes
Marktfeld darstellt. Nach J.
Micklethwait und A. Wooldrige (1996, S. 282) geben zahlreiche Berater
im Privatgespräch
zu, daß ihnen die Regierungen eine phantastische Chance geben, um
teures Geld jene
Produkte nochmals zu verkaufen, die im Privatsektor bereits ausgedient
haben. Daher auch
das Bedauern, dieses große Potential, diese überdimensionale
cash cow erst so spät entdeckt
zu haben.
Die Vorstellungen von Management und die Funktionen des
Managements haben sich also in
den letzten zwanzig Jahren von Grund auf geändert. Aus dem Geiste
des Managements
werden die betrieblichen Gegebenheiten rationalisiert und
reorganisiert. Hier tritt das
Management in seiner Funktion als Knecht des Kapitals in Erscheinung.
In der Beratung
industrieller Komplexe, deren ökonomischen Potential weit
größer ist als jenes einzelner
mittlerer und kleinerer souveräner Länder, erhält das
Management einen schwer zu
überschätzenden Anteil an der Steuerungsfunktion selbst. Die
Möglichkeiten der
Einflußnahme steigen nochmals drastisch an, wenn demokratisch
gewählte Regierungen
exekutieren, was ihnen von Beratungsagenturen oder internationalen
Institutionen empfohlen
wird, die ihr Instrumentarium ursprünglich im Kontext der
Rationalisierung betrieblicher
Abläufe entwickelt haben. Doch entbehrt eine solche Entwicklung
keineswegs der Logik.
Denn Rationalität läßt sich innerhalb der Betriebe um
so kompromißloser durchzusetzen, je
besser es gelingt, auch das gesellschaftliche und soziale Umfeld nach
den selben Prämissen
zu reorganisieren. Derartige Bestrebungen konvergieren durchaus mit den
theoretischen
Postulaten der Rational-Choice-Theorie, soziales Handeln in allen
seinen verschiedenen
Ausprägungen auf ökonomische Ambitionen
zurückzuführen. Neoliberale Orthodoxie als
ideologischer Überbau und gleichgeschaltete Steuerungsinstrumente
im
technisch-praktischem Bereich erweisen sich demnach als
komplementär.
3. Die eigenständigen Kontributionen des
Managements
Als Souffleure und Knechte exekutieren Manager im
Globalen das, was die Neoliberalen
zunächst als Idealvorstellung des Wirtschaftens propagierten. Die
Wortführer des
Managements, die sogenannten Gurus, berufen sich denn auch explizit
darauf, "daß sie
lediglich Anordnungen befolgen", also die Diener makroökonomischer
Kräfte sind, die
jenseits ihrer Einflußmöglichkeiten liegen. Nach
Micklethwait und Wooldrige (1996, S. 9) ist
jedoch die Art und Weise, wie sich diese übergeordneten
Kräfte auf die betroffenen Leute
direkt auswirkten, zusätzlich abhängig vom
Selbstverständnis des Managements, der Theorie
des Managements. Im Verhältnis zur neoliberalen Ökonomie, dem
Makrokonzept, lassen sich
die Theorien des Managements als Theorien mittlerer Reichweite
einordnen, die das
übergeordnete allgemeine Konzept in besonderen Bereichen
konkretisieren. Die
Neuerfindung der Unternehmen, die Neuerfindung der Berufslaufbahnen und
die
Neuerfindung der Regierung, in denen die gegenwärtigen
Revolutionen am deutlichsten
sichtbar und am empfindlichsten spürbar werden, sind demnach die
Kernstücke der Theorie
des Managements. Theorie ist hier also engstens verbunden auch mit der
Praxis des
Managements: Sie enthält Visionen über Wünschenswertes
ebenso wie Annahmen über
Machbares und rationalisierende Darstellung des Gemachten. Theorie ist
die Erfindung all
dessen, was zur bestmöglichen Verwirklichung des neoliberalen
Denkens geeignet ist.
An erster Stelle nennen Micklethwait und Wooldrige
(1996, S. 7) dabei eine Erhöhung des
Druckes, welcher auf die Unternehmen ausgeübt wird, der zu einem
spektakulären
Schrumpfungs- und gleichzeitig zu einem Expansionsprozeß
geführt hat. Von den 1970
fünfhundert führenden amerikanischen Unternehmen bestehen
heute nur noch ein Drittel,
doch sind diese um vieles größer geworden. Parallel dazu
haben sich die Aktionsräume der
Firmen in ebenso spektakulärer Weise erweitert. Multinational
operierende Unternehmen gab
es in den 70er Jahren lediglich einige hundert, heute sind es mehr als
40.000. Der
Geschäftsumfang der zweihundert größten Konzerne
repräsentiert heute mehr als 25 Prozent
der gesamten Aktivitäten der Weltwirtschaft, doch diese
zweihundert Firmen beschäftigen
nur 18,8 Millionen Leute, das sind weniger als 0,75% der global
verfügbaren Arbeitskräfte (J.
Ramonet 1997, S. 1). Der Großteil dieser Mammut-Konzerne ist im
amerikanischen und
angelsächsischen Raum angesiedelt, so daß von dort her eine
starke Vorbildwirkung mit
entsprechenden Anpassungszwängen ausgeht.
Was als Neuerfindung der Karrieren, der Berufslaufbahnen bezeichnet wird, erweist sich als grundlegende Veränderung der bisher vom Arbeitsrecht geregelten Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit dem doppelten Ziel, die Löhne zu senken und Arbeitsplatzsicherheiten abzubauen. Die damit einhergehende dramatische Steigerung der Zahlen der Arbeitslosen ist nicht nur eine unliebsame Begleiterscheinung, sondern ein vorzügliches Mittel, den Lohnanteil am Gesamtprodukt wirksam zu verringern und berufliche Unsicherheit als Normalzustand zu institutionalisieren. Es ist wohl eher Zynismus denn Ironie, wenn als Rezept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eine beschleunigte Anpassung an das amerikanische Wirtschaftssystem empfohlen wird. Hinweise auf leichte Erhöhungen des dortigen Durchschnittseinkommens sind belanglos, solange der Graben zwischen Löhnen und Einkommen immer größer wird. Bestand 1975 zwischen dem durchschnittlichen Jahreseinkommen des Arbeiters im Vergleich zum Einkommen des Unternehmers eine Relation von 1 zu 41, so veränderte sich diese bis 1994 auf 1 zu 187. Der Wert des Mindeststundenlohnes ist von 1979 bis 1995 um 25 Prozent zurückgegangen, während die 20 Prozent der reichsten Familien Amerikas sich 97 Prozent der Zunahme des Wirtschaftswachstums angeeignet haben (S. Halimi 1997, S. 16). Unerwähnt bleibt ebenfalls, daß die Arbeitszeiten amerikanischer Arbeiter erheblich länger sind als die europäischen, jedoch nur zwei Wochen Urlaub pro Jahr gesetzlich garantiert sind.
In England, das mit dem Thatcherismus eine entscheidende Wende zum amerikanischen Wirtschaftsmodell vollzogen hat, zeigen sich ähnliche Gegebenheiten. Bei Verweisen auf erfolgreiche Wirtschaftsdaten wäre vollständigkeitshalber hinzuzufügen, daß die Wirtschaft nicht generell, sondern nur für einen kleinen Teil der britischen Bevölkerung in den letzten 18 Jahren erfolgreich gewesen ist. Sicher für jene fünfhundert reichsten Personen des Landes, deren Vermögen in einem einzigen Jahr um 23 Prozent angestiegen ist. Der elitäre Kreis der Pfund-Milliardäre hat sich ebenfalls in einem einzigen Jahr (1996) von zehn auf sechzehn erweitert. Um zu den zweihundert Reichsten zu gehören, mußte man 1989 zwanzig Millionen Pfund besitzen, 1995 sechzig Millionen und heute (1997) bereits fünfundneunzig Millionen. Der neue Reichtum des schnellen Geldes hat daher dem alten Vermögen längst den ersten Rang abgelaufen: unter den fünfhundert reichsten Briten sind nur 155, die auf dem Erbwege reich geworden sind (vgl. dazu de Beer (a) 1997, S. 16). Von der Kehrseite dieses Wirtschaftswunders künden die geschönten Statistiken weit weniger laut. Die angeblichen niedrigeren Arbeitslosenzahlen im Vergleich zum kontinentalen Europa verschweigen, daß die Frauen das dynamische Element der Gesellschaft geworden sind. Sie sind es, die häufig allein erwerbstätig sind und damit die Männer ersetzen, weil sie flexibler sind, das heißt Teilzeitarbeit verrichten und unqualifizierte Tätigkeiten gegen geringes Geld auszuüben bereit sind. Vollzeitbeschäftigung in unbefristeten Arbeitsverträgen, das für Generationen normale Arbeitsverhältnis, gehört also der Vergangenheit an (de Beer (b) 1997, S. 14). Darüber hinaus beinhaltet die "Neuerfindung" der Karrieren, der Berufslaufbahnen, den Abbau der Sozialversicherungsleistungen, verringerte Entschädigungen bei Arbeitslosigkeit und Kürzung der Alterspensionen und Renten (Maurice 1997, S. 16/17). Die Globalisierung dieser Neuerfindung bedeutet, daß die Kosten der produktiven Arbeit ständig den niedersten Löhnen angepaßt werden, die sich irgendwo auf dem Planeten finden lassen. Die wachsende Masse der Armen und Verarmten hat weder Stimme noch Bedeutung, dienen jedoch als Referenzpunkt, um den Abbau noch bestehender "Privilegien" zu legitimieren (Maurice 1997, S. 18).
Die dritte Neuerfindung bezieht sich auf Reformen
hinsichtlich der Art des Regierens, einem
unverzichtbaren Komplement der beiden anderen Erfindungen. Nach
Micklethwait und
Wooldrige (1996, S. 8) sind die neuen Regierungsformen weit mehr
Theoretiken des
Managements wie P. Drucker und A. Enthoven verpflichtet als
konservativen Philosophen
wie D. Hume und E. Burke. Völlig unabhängig von theoretischen
Begründungen ergibt sich
die heutige Schwächung der Nationalstaaten aus einer gravierenden
Verschiebung der
Gewichte und Märkte. Der Umsatz von General Motors ist
größer als das BNP Dänemarks,
der von Ford größer als das BNP Südafrikas, und der von
Toyota übersteigt das BNP
Finnlands. Dazu kommen noch zwei weitere gewichtige Momente: einerseits
liquidiert die
Globalisierung schrittweise die Binnenmärkte, die einst ein Grund
zur Errichtung der
Nationalstaaten gewesen waren. Andererseits hat die
Finanzökonomie, deren Ausmaße um
ein vielfaches größer sind als jene der realen
Ökonomie, nur schwer abzuschätzende,
jedenfalls aber enorme Möglichkeiten, zögernde Regierungen
auf die Richtungen des
mainstreams einzuschwören. So ist den totalitären Regimen des
Sozialismus im Osten nun
ein neuer Totalitarismus unter dem Diktat der Finanzökonomie
gefolgt (vgl. Ramonet 1997,
S. 1). Während die Ökonomie wächst und wächst,
brechen die Gesellschaften mehr und mehr
in einzelne Stücke auseinander, die immer weniger miteinander zu
tun haben und zu tun
haben wollen. J. Ramonet stellt die keineswegs provokative Frage ob in
einer solchen
Situation nicht die Revolte notwendig, aus dem Recht zum Aufstand nicht
eine Bürgerpflicht
wird?
Abgesehen davon, daß es schwierig ist sich
vorzustellen, wie ein solcher Aufstand aussehen
könnte und wer ihn organisieren sollte, bleibt es dennoch
irgendwie erklärungsbedürftig, daß
der Totalitarismus der pensée unique nicht schon früher
Gegenstand eingehender Reflexion
geworden ist. Zum Teil ist das sicher darauf zurückzuführen,
daß er in doppelter Gestalt
auftritt, als radikalisierte Idee der Freiheit im Neoliberalismus und
gleichzeitig als Praxis des
Rationalen in der Gestalt des Managements. Solange sich dieses auf die
Reorganisation der
betrieblichen Spähren beschränkte, konnten die Bewohner des
Elfenbeinturms noch mit
einiger Gelassenheit dem verhängnisvollem Treiben zusehen, wenn
sie nicht gar versuchten,
auf den nun einmal fahrenden Erfolgszug aufzuspringen. Spätestens
aber dann, wenn sich das
Management den außerökonomischen Bereichen wie Kultur und
Gesundheitswesen, des
gesamten Bildungs- und Sozialbereichs zu bemächtigen suchte, wird
die Frage nach den
konstitutiven Momenten dieses Managements unabweisbar. Denn damit
führt die
Neuerfindung des Unternehmens, der Karrieren und des Regierens zwingend
auch zu einer
Neuerfindung des Menschen und der Gesellschaft, in der dieser lebt.
Daher wird zumindest
vom Standpunkt der Soziologie aus, soferne sie sich für die
Menschen in ihrer Gesellschaft
interessiert und zuständig hält, ein differenzierteres
Verständnis des Managements und seiner
Funktionsweisen zu einer vorrangigen Herausforderung.
4. Götterdämmerung der Theorie des Managements
Die Metapher der Götterdämmerung soll zum
Ausdruck bringen, daß eine lange Phase
stummer Akzeptanz der Verlautbarungen des hegemonialen Denkens nun
nicht mehr wie
bisher nur resignativ als Ausdruck unvermeidlicher
Entwicklungsnotwendigkeiten
hingenommen wird. Von Theorie kann dabei nur in einem sehr weiten Sinne
die Rede sein.
Theorie steht hier für den gesamten Komplex des Argumentierens und
Räsonierens, der im
Zusammenhang mit der Machtergreifung des Managements entstanden ist.
Mit der langen
Phase sind die vergangenen zwei Jahrzehnte gemeint, in denen das
Gebäude des Denkens in
den Kategorien des Management errichtet, erweitert und immer wieder
umgebaut worden ist.
Auffallenderweise ist dieselbe Zeitspanne anzugeben, wenn nach den
Anfängen dessen
gesucht wird, was unter dem Stichwort einer Krise der Soziologie
diskutiert worden ist und
wird. Seit dem Ende der 70er Jahre ist jedenfalls ein Prozeß im
Gange, in dem das
Management an Gewicht zugelegt hat, also fett geworden ist, die
Soziologie jedoch einen
Substanzverlust registrieren muß, also abgemagert ist insofern,
als die Möglichkeiten der
Einflußnahme geringer geworden ist. Zwischen dem fetten und dem
mageren Partner gibt es
kaum eine Basis des Gesprächs und der Kooperation, wahrscheinlich
deswegen, weil beide
weitgehend identische Grundprodukte verwenden, diese jedoch völlig
anders zubereiten.
Theorie des Managements bezieht sich somit auf den Inhalt der
Kochbücher, die dort
vorgeschlagenen Kochrezepte samt den Mengenangaben der diversen
Ingredienzien und der
Art und Weise des Zubereitens.
Kritik an den Kochbüchern kommt teils aus dem Inneren der Gilde der Manager, teils von außen. Massive Kritik von Innen tragen die beiden bereits öfter erwähnten J. Micklethwait und A. Wooldrige vor, beide als Mitarbeiter der Zeitschrift " The Economist" wohl als mit dem Geschäft vertraut zu betrachten. In der Einleitung zu " The Witch Doctors" werden die Theoretiker des Managements, die Gurus der Gilde, als die unerkannten Gesetzgeber der Menschheit bezeichnet, in der zusammenfassenden Synthese wird resümierend festgestellt, daß es sich bei der Theorie des Managements um eine insgesamt unreife Disziplin handle. Ihre Exponenten treten in verschiedenen Gestalten auf: als Theoretiker auf akademischen Boden, als Therapeuten in Ausbildungszentren und als Prediger und Propheten bei Vorträgen und Seminaren. Zwei Merkmale sind es, die schon bei einer kurzen Begegnung mit der Welt der Theorie des Managements hervorstechen: Einerseits, daß sie kommerziell ein enorm einträgliches Geschäft sei, andererseits aber inhaltlich ein offensichtlicher "Mischmasch", wobei zwischen dem einerseits und dem andererseits ein offensichtlich enger Zusammenhang besteht: Präsenz auf dem Markt der Ideen ist nur um den Preis innovativer Produkte zu haben. Daher die auffallende Kurzlebigkeit dessen, was als das am zuverlässigsten zum Ziel Führende gerade angepriesen wird. Eine lange Liste ätzender Kritik an der Theorie des Managements wird in folgenden Punkten zusammengefaßt (a. a. O., S. 322): Es handle sich dabei um eine methodologisch saloppe und stark trendbedingte Apologie einer akademischen Angelegenheit; durch die Verpflichtung auf unablässige Veränderungen stifte sie in den Unternehmen viel Unruhe und Ärger; die Praktiker der Theorien seien Scharlatane der übelsten Sorte, die gigantische Rechnungen stellen dafür, daß sie lediglich Selbstverständlichkeiten, also common sense, in einen grotesken Jargon übersetzten.
Kommt der Bericht über "die Hexenmeister" zum
Ergebnis, daß es notwendig ist, dem
Management gegenüber skeptisch und selektiv zu sein, so hält
er dennoch, trotz deutlicher
Kritik, an der Möglichkeit eines "guten" in Abgrenzung von einem
schlechten Management
fest. Für S. Adams (1996) hingegen kann es so etwas wie gutes
Management gar nicht geben.
Denn ausgehend von der Analyse einer Unzahl von Geschichten vom
Arbeitsplatz entwickelt
er "a sophisticated theory", um das bizarre Verhalten am Arbeitsplatz
zu klären. Kernstück
dieser Theorie ist die Feststellung: Die Leute sind alle Idioten. Ohne
Ausnahme. Idiotie ist im
modernen Zeitalter für viele eine allumfassende
24-Stunden-Situation, zumindest aber ein
Zustand, in den jeder täglich des öfteren verfällt (a.
a. O., S. 3). Wahrgenommen wird wohl
die Idiotie der anderen, selten jedoch die eigene. Daraus leitet S.
Adams den Grundkonflikt
des Geschäftslebens ab: "Wir erwarten, daß andere rational
handeln, obwohl wir selbst
irrational sind" (a. a. O., S. 7).
Das Postulat der Idiotie als Grundexistential des
modernen Menschen führt dann zur
Formulierung des "Dilbert Prinzips". 1979, als Scott ins Arbeitsleben
eingetreten ist, habe
sich das Management noch mit Hilfe des "Peter Prinzips" beschreiben
lassen. Diesem Prinzip
zufolge wurde jeder nach seiner Tätigkeit befördert, stieg so
lange nach oben auf, bis er das
ihm eigene Niveau der Inkompetenz erreicht hatte. Das Dilbert Prinzip
trägt nun einer
anderen Situation Rechnung: Heute werden offensichtlich inkompetente
Beschäftigte direkt
ins Management befördert, ohne je die Phase der temporären
Kompetenz durchgemacht zu
haben. In einer Liste der üblichen Lügen des Managements sind
folgende Aussagen enthalten:
Die Beschäftigten sind unser wichtigstes Kapital; unter dem neuen
Plan können Sie mehr
Geld verdienen; wir haben unsere Organisation erneuert, um
kundenfreundlicher zu sein; die
Zukunft ist vielversprechend; wir belohnen jene, die zur Übernahme
von Risiken bereit sind;
Leistung wird immer belohnt; Bildung hat hohe Priorität; unsere
Belegschaft ist die beste; Ihr
Beitrag ist wichtig für uns" (a. a. O., S. 71f.). Nach Adams
lügt das Management also, baut
Scheinwelten und Fiktionen auf, beutet aus, versteckt sein Tun hinter
einer hochtrabenden
aber hohlen Sprache, dreht dummen Leuten schlechte Produkte an und
bedient sich der
Demütigung anderer als Führungsinstrument.
Wie dieser Film abläuft und welche Elemente
konstitutiv sind für ihn, damit setzt sich auch J.
Sur 1997 auf seiner Suche nach einer Alternative zum Management
auseinander. Dabei
unterscheidet er zunächst drei Verwendungsweisen des Ausdrucks
"Management": Einmal als
durchaus diskutabler Anglizismus im Sinne der Führung oder
Organisation; dann aber als
Ausdruck für die Gesamtheit der Praktiken eines Unternehmens, die
angesprochen sind, wenn
vom Management bei IBM, bei Renault u. a. die Rede ist.
Schließlich aber als Bezugnahme
auf die Ideologie, die diesen Praktiken zugrundeliegt, der von ihr
verkündeten
Zielorientierungen und Methoden sowie Autoren, die sich konstruiert
haben (J. Sur 1997, S,
27). Von Interesse ist vor allem die letztgenannte Bedeutung, aus der
S. Adams die
Formulierung seines Dilbert-Prinzips ableitet, die J. Sur jedoch
anregt, ein "Requiem für das
Management" (a. a. O., S. 25-42) zu schreiben. Dabei geht es ihm vor
allem darum, die
Zusammenhänge zwischen Modernisierung und Regression aufzuzeigen,
die doppelzüngige
Sprachverwendung ins Licht zu rücken und zu verdeutlichen, in
welchem Ausmaß die
Ideologie des Managements letztlich eine Gegenmetaphysik
repräsentiert.
J. Surs kritische Analysen leben aus einer
langjährigen Erfahrung des Umgangs mit jenen, die
Opfer des Managements sind und im Umgang mit diesem ihre eigenen
Überlebenstechniken
entwickelt haben. Er konstatiert eine deutlich spürbare
Veränderung der betrieblichen
Atmosphären seit Beginn der 80er Jahre. Waren diese zuvor bestimmt
von einer
Überzeugung an die Möglichkeit weiterer wirtschaftlicher
Entwicklung bei gleichzeitiger
kritischer Distanz zu ihr, Ausdruck von tradiertem
Arbeiterbewußtsein und Nachhall der
Ereignisse von 1968, so haben sich seither Verhältnisse etabliert,
die vielfaches Unbehagen
mit sich bringen, doch nur schwer zu artikulieren sind. Vor den 80er
Jahren wurde die
Arbeitssituation gelebt als Leiden an einem alten Übel, das jedoch
bekannt war und mit dem
man umzugehen wußte. Die neue Situation ist nun charakterisiert
durch unmittelbare
Bedrohlichkeit, die umso beunruhigender, weil weniger durchschaubar
ist. Die Belegschaften
fühlen sich Angriffen ausgesetzt, die mit Worten und Begriffen
geführt werden, gegen die
Einwände nur schwer zu formulieren sind: es ist vermehrt die Rede
von Kommunikation und
Kooperation, Freiheit und Selbstverantwortung, Gruppenarbeit und
Leistungssteigerung.
Doch alle die schönen neuen Ausdrücke haben einen anderen als
den bisher bekannten Sinn,
stiften daher extreme Konfusion und führen zur Entwicklung von
Reaktionsweisen, die
Schutz bieten sollen vor unverschämten Zugriffen, ohne jedoch den
Anschein von
Widerständigkeit zu erwecken.
Der Triumph des Managements, einer "Denkrichtung, der
das Denken fehlt" (a. a. O. S. 28),
ist für J. Sur nicht allein mit Hinweisen auf die Macht des
liberalen Denkens, auf die
Perfidität von Beratung und beschränktes
Reaktionsvermögen der Arbeitervertretungen zu
erklären. Dazu bedurfte es vielmehr der Komplizität zwischen
den Herren und den Knechten,
bei der die Manipulation der letzteren durch erstere wohl mit im Spiel
gewesen sein mag,
aber nur erfolgreich sein konnte, weil ihr eine Manipulation
größeren Maßstabs bereits
vorangegangen war. Die vorausgehende Manipulation bestand darin,
ökonomische und
finanzielle Belange so sehr in die Mitte zu stellen, daß sich das
kollektive Leben zu einer
inhaltsleeren Abstraktion verflüchtigen mußte. Der Kult des
Wettbewerbs entzieht jeder
Solidarität die erforderliche Grundlage, Denken ist nur dann
legitim, wenn es zu Aktionen
führt oder solche legitimiert. Jenen, die sich eingehender mit dem
Management
auseinandersetzten, war längst klar, daß es auf
unzuverlässigen Grundlagen beruht: seine
ideellen Referenzpunkte hängen in der Luft, seine Pädagogik
ist naiv, sein Sehvermögen
beschränkt. Die Theoretiker des Managements sind Amateure, seine
Praktiker hingegen
Mitläufer, was dazu führen wird, daß sich seine
hochgelobte Wirksamkeit wohl bald in
Nichts auflösen wird. Bislang lebt das Management jedoch
weitgehend davon, daß es einer
aus dem Tritt geratenen Gesellschaften die Möglichkeiten anbietet,
modern zu sein durch
Regression, daß es möglich ist, aus Altem Neues zu machen,
aus Dummheit Intelligenz, aus
Nachlässigkeit Entschiedenheit, aus Egoismus hingegen
Großzügigkeit. Mit äußester
Perversität verbindet das Management die beiden Wege der Flucht
aus der Gegenwart: auf
der einen Seite die Flucht in die Vergangenheit durch die Unterwerfung
unter einen Führer
und die Verehrung des Zwanges, auf der anderen Seite die Flucht in die
Zukunft mit dem
Glauben an die unverselle Machbarkeit durch Eingriffe technischer Art.
Doch auf einer derartigen Basis vermag keine
Gesellschaft auf Dauer zu funktionieren, dies
um so weniger, als mit dem technischen Fortschritt die Anforderungen
steigen und ohne
innerlich beteiligte, motivierte Belegschaften nicht mehr viel zu
machen ist. In dieser
Situation setzt das Management auf die Erzeugung von Angst und beruft
sich auf die
unvermeidlichen Sachzwänge. Damit entsteht der Gegenmythos eines
Glücks ohne Freiheit,
einer Realität ohne Humanität, eine Gegenwart ohne Zukunft.
Dieser Gegenmythos, bedingt
durch das irrationale Dogma von Zwang zu Wettbewerbsfähigkeit und
Effektivität bringt
einen elementaren Realitätsverlust mit sich, der durch die
Berufung auf moralische Werte und
ehrliche Absichten kompensiert werden soll. Mit Händen und
Füßen an den ökonomischen
Determinismus gebunden, punktet das Management mit der Rhetorik der
Werte, des Sinnes
und der Kultur, will damit seine philosphische, soziale, prophetische
und mystische Seite
hervorkehren. Doch man täusche sich nicht, der Rekurs auf nicht
weiter zu diskutierende
Sachzwänge ist das Dogma, das eine neue Transzendenz
begründet, aus der der neue
Totalitarismus sich ableitet.
Die alles wird durch eine äußerst aktive
Propaganda des Managements im eigenen Interesse
noch verstärkt. Seine Doppelzüngigkeit ist bedingt durch die
Verschiedenheit der Adressaten.
Einmal ist es das einfach Volk, für das humoristische Bilder und
Karikaturen geeignet sind,
den Eindruck einer Doktrin des vernünftigen Allgemeinwissens im
Interesse aller zu
erzeugen; dann aber die Eliten, die es auf höherer Ebene
anzusprechen gilt, wo nur mit
abgehobenen Bedeutungen der rechte Ton gefunden werden kann. J. Sur
(1997, S. 35)
verweist dazu auf die Verse, die einer Anleitung zum coaching und zum
team-building
vorangestellt sind:
"im Inneren des Vorgesetzten, ein Held,
im Inneren des Helden, ein Prinz,
im Inneren des Prinzen, ein 'neuer Mensch',
im Inneren des neuen Menschen, der göttliche Geist"
In derartigen Insinuationen zeigt sich der zweifelhafte
Glaube an Höheres, zu dem das
Management berufen ist. Aus diesem Glauben ergibt sich der Hang zur
Distinktion vom
gewöhnlichem Fußvolk, aus dem Geiste der Eroberung wird der
Prinz geboren, der neue
Mensch, in dem das Höchste wohnt. Die sektiererischen Konotationen
dieses neuen
Selbstbewußtseins ergeben sich daraus, daß es nicht
möglich ist, zur gleichen Zeit ein
gewöhnliches Leben zu führen und an der Ausübung der
gesellschaftlichen Herrschaft zu
partizipieren. Objekte dieser Herrschaftsausübung der
Repräsentanten des ökonomischen
Prinzips sind mehr die menschlichen Personen als die
gegenständlichen Dinge, denn die
Ideologie des Zwangs zu Wettbewerb und Konkurrenz führt zur
Etablierung der Evaluation
als Dauereinrichtung ebenso wie zum Ausschluß der
Schwächeren. Manager sein bedeutet
letztlich, dem mysteriösen Zwang eines unbegründbaren "weil"
verpflichtet zu sein, das in der
Gewalt die Grundlage der Geschichte und des Menschen sieht und die
Eigenwertigkeiten des
Alltäglichen und Normalen in Abrede stellt. Der unauflösliche
Widerspruch zwischen
brutaler Herrschaftsausübung und den Appellen zu Kreativität,
Kooperation und
Identifikation findet seinen Ausdruck im Neologismus einer
"Coer-seduction", einer
Mischung von Zwang und Verführung, wobei, wenn das Management
seine beiden Ziele
erreichen will, der Zwang das Wesentliche der Verführung ausmacht.
Für das Management
bedeutet die Ausübung des Zwanges, der Teilhabe an der
Machtausübung ein Lusterlebnis,
für jene, die davon betroffen sind, sind damit hingegen
Erfahrungen von Angst und
Einschränkung verbunden. Da dem Management das Gesetz des Handelns
von außen
vorgegeben ist, muß es ständig erneut diese Kluft
überbrücken zwischen dem, was es ist und
dem, was es vorgibt, zu sein. Das System des Managements ist daher
gezwungen, von einer
Lüge auf die andere auszuweichen (J. Sur 1997, S. 40). Doch auf
die wesentlichen Fragen
nach den Bedingungen der Möglichkeit, frei zu sein, nach der
Existenz der anderen, dem Sinn
des Lebens, Fragen die nicht auf Dauer niederzuhalten sind, hat das
Management keine
Antworten. Daher J. Surs Erwartung, daß die Tage des Managements,
dieser verkehrten
Metaphysik, gezählt sind und es möglich wird, seinen Ideen
und Begierden eine völlig andere
Richtung zu geben.
In ähnlicher Weise diagnostiziert auch M. Villette
(1996, S. 134) eine Krise des
Managements, seiner Prinzipien, Doktrinen und Techniken als einer
Antwort, die bestens zu
einem Problem paßt, "das aber nicht mehr das unsere ist".
Für M. Villette ist das Management
ein Ensemble von Diskursen, technischen Vorkehrungen und Praktiken, die
darauf
ausgerichtet sind, sich die Herrschaft über die Zeit (planen,
prognostizieren), den Raum
(anordnen, konstruieren), Maschinen und technische Objekte (entwerfen,
verbessern,
erhalten), Warenströme und Geldströme, über andere
Personen und auch sich selbst
anzueignen. Er warnt davor, Management mit einer genauen und
adäquaten Kenntnis der
Funktionsweise eines Unternehmens oder eines Marktes zu verwechseln
oder von ihm eine
genaue Beschreibung der wirtschaftlichen Gegebenheiten zu erwarten.
Denn in vieler
Hinsicht erweist sich das Management als Umkehrbild der Realität,
die es zu sanieren
beansprucht, in dem es sie negiert. Analog zur Deutung der Träume
bei S. Freud leben die
Diskurse der Manager davon, ein Gegenbild der Praxis zu erzeugen
(Villette 1996, S. 137). In
einer solchen Sichtweise wird nicht nur Freud bemüht, um das
Zusammenspiel von
konstruierter Welt und verborgener Affektwelt transparent zu machen,
sondern kommt auch
Machiavelli ins Spiel, der wohl wie kein anderer auf die Bedeutung des
Scheins für die
Konstitution des Seins hingewiesen hatte. Daß sich der Schein so
leicht tut, der Realität
gegenüber zu behaupten, hängt damit zusammen, daß er
ein Heilsversprechen in sich birgt.
Was eine nur technische Angelegenheit zu sein scheint, das Hantieren
mit Modellen,
Checklisten und Maßnahmenkatalogen zur Kontrolle von Unsicherheit
und Komplexität, hat
somit auch eine hintergründig religiöse Dimension.
Wenn Manager in verschiedenen Gestalten auftreten,
einmal als Theoretiker, dann aber als
Therapeuten und schließlich als Prediger, Propheten und
Evangelisten (J. Micklethwait, A.
Cooldrige 1996, S. 320), so ist dies kein zufälliges Nebeneinander
völlig voneinander
unabhängiger Rollenspiele. A. Villette (1996, S. 139) sieht darin
viel mehr eine geordnete
Abfolge verschiedener Phasen, wobei der Übergang von der einen zur
anderen einer leicht
nachvollziehbaren Logik entspricht. Zunächst einmal beginnt der
Manager damit, seine
Situation nach den Prinzipien und Techniken, die man ihn gelehrt hat,
in den Griff zu
bekommen. Er engagiert sich für ein Ziel und übernimmt
Verantwortung. Dabei begegnet er
der Widerständigkeit der Objekte, technischen Schwierigkeiten, und
stößt auf den Widerstand
von Subjekten, seien dies Klienten, Lieferanten oder Konkurrenten,
Kollegen oder
Mitarbeiter, die alle auf ihre Weise ebenfalls versuchen, ihre eigene
Situation unter Kontrolle
zu haben und ihre eigenen Ziele zu erreichen. Der Manager ist also
gezwungen, seine Pläne
zu ändern und seine Entwürfe den neuen Gegebenheiten
anzupassen. Aufgrund dieser
Erfahrungen entwickelt er ein neues Verständnis von Management,
wobei den persönlichen
Eigenschaften, die sich aus früheren Erfahrungen ergeben, weit
mehr Bedeutung zugewiesen
wird. Er verläßt sich nun nicht mehr auf seine Techniken und
Programme, sondern auf seine
Intuition und Improvisationsfähigkeit. Er fühlt sich als die
geborene Führerpersönlichkeit, die
instinktiv das Richtige findet. Damit sind die erreichten Ergebnisse
nicht mehr die Folge
rationaler Vorgehensweise, sondern anderen Gründen zuzuschreiben.
Und wenn er nun
anfängt, Unzulänglichkeiten der Gegenwart mit Versprechungen
für eine bessere Zukunft zu
kaschieren, Analysen durch Loblieder zu ersetzen, sich selbst und die
anderen im Hinblick
auf bestimmte Symbole, Rituale und Fetische zu reorganisieren, so hat
er die Wissenschaft
hinter sich gelassen und in der Magie eine neue Zuflucht gefunden. Der
natürliche
Wachstums- und Reifungsprozeß eines Managers entspricht also
folgendem Schema: er
beginnt mit dem Glauben und Anspruch, seinen Betrieb mit
wissenschaftlich fundierten
Grundlagen führen und steuern zu können. Darauf folgt eine
Phase der Verunsicherung und
der Suche nach anderen und "besseren" Theorien, die dann
überleiten zu einer dritten Phase,
die auf der Basis des Irrationalismus wieder neue Sicherheiten bringt.
Eine im Wesentlichen gleichlautende Kritik an den
Theorien und Praktiken des Management
enthält J. P. Le Goffs Arbeit über " Le Mythe de l'
Enterprise" aus dem Jahre 1992. Sie
versteht sich als Kritik des Managements und seiner Ideologie, die
heute die Grenzen der
Betriebszäune übersteigt und auf jeden beliebigen anderen
gesellschaftlichen Kontext
gleichsam als Rezept zur Verbesserung seiner Funktionsweisen
übertragen wird. Das
Unternehmen tritt damit an jenen Platz, der früher der Familie
zugeschrieben wurde, nämlich
Urbild und Keimzelle der Gesellschaft zu sein.
Im Vorwort zur zweiten Auflage 1995 spricht J. P. Le
Goff von einer sich ankündigenden
Krise der Ideologie des Managements. Als Anzeichen dafür verweist
er auf Schwierigkeiten
der Beratungsfirmen, den Spezialisten für Motivation und
Mobilisierung der
Humanressourcen, sowie auf rückläufige Verkaufszahlen von
Managementliteratur für eilige
Führungskräfte. Außerdem verweist er darauf, daß
die manipulativen Praktiken des
Managements schließlich ein Echo in den Medien finden und die
pathologischen
Konsequenzen der neuen Arbeitsformen in der Öffentlichkeit
diskutiert werden. Reformierbar
ist das Management für ihn nicht über einen Wechsel der
Instrumente und Methoden, sondern
nur über die Anerkennung jener Dimensionen, welche die Basis eines
jeden Unternehmens in
einer demokratischen Gesellschaft sein müssen: zunächst
einmal die Pluralität irreduzibler
Interessen und Ansprüche und, damit zusammenhängend, der
Legitimität von Konflikten;
dann aber ein nicht aufzuhebender Raum der Autonomie, den sich die
Akteure in ihrer Arbeit
zugestehen; und schließlich der Einsicht, daß Zufall und
Unvorhersehbares ein nicht
aufzuhebender, inhärenter Teil jeder Aktivität sind. In den
Ausbildungsgängen für das
Management wird für gewöhnlich eine Geisteshaltung vertreten,
die den genannten drei
Dimensionen die Existenzberechtigung abspricht. In den Betrieben selbst
läuft die Rhetorik
der Selbständigkeit und Verantwortlichkeit des einzelnen in
Verbindung mit einer Inflation
von Evaluations- und Kontrollinstrumenten auf ihre direkte Negation
hinaus.
Handlungsrelevante Anerkennung oder Ablehnung der genannte drei
Dimensionen ist daher
in den Augen J. P. Le Goffs konstitutiv für die Herausbildung von
zwei großen Richtungen
des Managements: auf der einen Seite jene, die sich zu Realismus und
Demokratie bekennt,
auf der anderen aber jene, die sich dem Konzept der Tabula rasa und der
modernistischen
Ideologie verpflichtet fühlt. Im ersten Fall wird
Effektivität dadurch angestrebt, mit Leuten,
so wie sie sind, zu arbeiten, ihre Weiterentwicklung zu fördern
und im sozialen Substrat
jenen Schlüsselfaktor zu sehen, der häufig als "Motivation"
bezeichnet wird. Im zweiten Fall
sind die Ambitionen darauf ausgerichtet, jenen neuen Menschen zu
formen, dessen ein
modernes Unternehmen bedarf, was heißt, bisherige
Arbeitsgewohnheiten und -gesinnungen
radikal zu verändern und im Sinne übergeordneter Interessen
zu vereinnahmen.
Diese Unterscheidung läuft im Prinzip ebenfalls auf
eine Unterscheidung von "gutem" und
"schlechtem" Management hinaus wie bei Micklethwait und Wooldrige, doch
orientierten sie
sich an deutlich anders akzentuierten Kriterien. Überdies sucht Le
Goff, was nicht unwichtig
ist, die Ursprünge der Ideologie des Managements weder in den
Veränderungen zu Beginn
der 80er Jahre dieses Jahrhunderts noch im Neubeginn nach dem Zweiten
Weltkrieg, sondern
in diversen Doktrinen des 19. Jahrhunderts. Diesbezüglich ist auf
die Ordnungsvorstellungen
des Patronats und die religiöse Verherrlichung der Arbeit im
Katholizismus zu verweisen,
insbesondere aber auch auf die Lehren S. Simons (J. P. Le Goff 1995, S.
206f), der gemeinhin
als einer der Gründerväter der Soziologie gilt. Als
Zentralfigur der utopischen Sozialisten
repräsentiert er jene doppelte Tendenz, die, unter anderen, auch
K. Marx später stark
beeindruckt hat: über eine Neuordnung der Produktionsprozesse die
Entwicklung der
Gesellschaft voranzutreiben und zu vollenden. Damit galt es, eine
Technik des Sozialen zu
entwerfen, um die hochgesteckten Ziele erreichen zu können.
Grundlage dieser
Sozialtechnologie sollte eine neue Wissenschaft sein, die das Ancien
Régime samt der
dazugehörenden Religion endgültig hinter sich lassen und ein
glücklicheres Zeitalter einleiten
sollte. Die folgenden Wirtschaftskrisen taten ein übriges, um den
Ruf nach einer
Reorganisation der Wirtschaft zum Zwecke einer Verbesserung der
Gesellschaft als
unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Doch was in deren Namen dann
an Erneuerungen
durchgesetzt worden ist, ist einem völlig anderen Imaginären
verpflichtet, dem
Machbarkeitsdenken im Horizont der neuen neoliberalen Doxa. Vom
größeren Glück für alle
in einer besseren Gesellschaft ist allerdings nicht mehr die Rede. An
dessen Stelle ist die
Freiheit der wenigen getreten, ihr Glück in unbegrenzter
Akkumulation zu suchen, wobei die
Zerstörung der Demokratie als wenig bedeutsame Nebenerscheinung
gerne in Kauf
genommen wird. Dieser Prozeß wird sich so lange fortsetzen, bis
es auf Widerstand stößt.
5. Und zurück zur Soziologie?
Zu Beginn der Überlegungen stand der Hinweis auf den kurzen Frühling der Soziologie, dem dann rasch eine weit weniger bunte und bewegte Phase eines langes Herbstes folgte. Ob das Herbstgrau nicht eigentlich schon ein Winter gewesen ist, mag dahingestellt bleiben, jedenfalls hat die Soziologie überwintert. Mit dem Bild eines Wechsels vom Frühling über den Herbst zum Winter lassen sich auch die Veränderungen der Gesellschaft verdeutlichen, wo offensichtlich ein strenger Winter eingefallen ist, der die Prozesse des Lebens verlangsamt, lähmt und schließlich, kommt der Winter nicht an sein Ende, erstarren läßt. Von dieser Abkühlung und dem damit verbundenen Energieentzug profitierte jedoch die Wirtschaft und die ihr korrespondierende Ideologie im Sinne eines System von Ideen, die reale Prozesse steuern und legitimieren sollen. Dieser Ideologie zufolge ist die Verschärfung der winterlichen Verhältnisse unvermeidlich, wenn es je wieder einen gesellschaftlichen Frühling für jene geben soll, die den Winter überlebt haben. Der Temperatursturz und die steigende Zahl der Frierenden und Erfrorenen nährt seit längerem die Zweifel am Wohlwollen der Wettergötter und ihrer Klugheit. Doch vom Wunsch nach einem anderen Wetter bis zum Entschluß, dieses selbst zu beeinflussen, ist ein weiter Weg. Überdies ist die Frage offen, wer bereit ist, den neuen Wettermachern ins Handwerk zu pfuschen und die Mittel dazu hat, es auch zu tun. Sind dies jene, die am meisten von der Kälte betroffen sind, oder jene, die bislang vergleichsweise komfortabel überwintert haben?
Offensichtlich hat die Entwicklung heute einen Punkt
erreicht, an dem die Wetterprognosen
an Glaubwürdigkeit stark verlieren. Doch Skepsis an der
Richtigkeit ist noch kein
begründetes Wissen um die Falschheit, das für sich alleine
auch noch nicht ausreicht, die
Verhältnisse zu ändern. Eine Änderung ist erst dann zu
erwarten, wenn die Akzeptanz der
vorgelegten Diagnosen und Prognosen sich verringert und in
bewußte Ablehnung übergeht.
Wenn sich die Sozialwissenschaften generell und die Soziologie im
besonderen von dieser
Aufgabe, an einer Entmythologisierung des ökonomischen Terrorismus
mitzuwirken und
dabei eine führende Rolle zu übernehmen, nicht angesprochen
fühlen, besteht die Gefahr, daß
ihr Winterschlaf in definitiver Erstarrung endet und sie selbst binnen
Kurzem ein Fall der
Entsorgung werden. Denn was sollen die Bosse und Knechte der
Ökonomie denn anderes tun,
wenn ihnen daran gelegen ist, ihre Maschine vor störendem
Treibsand zu schützen, und
Bereiche, die keine Profite versprechen, als nutzlos zu liquidieren?
Doch
Entmythologisierung ist nur das eine, das zuwenig ist, wenn es nicht
zur Etablierung anderer
gesellschaftlicher Praktiken führt.
Die Verunsicherung des Managements, geschürt durch
Kritik von innen wie von außen,
eröffnet einen neuen Raum für die Selbstvergewisserung der
Soziologie, die ihrer
Neupositionierung den Weg ebnen kann. Einen ersten Anhaltspunkt dazu
bietet die
Selbstkritik jener Doktrin, die am Anfang dessen stand, was heute als
Terror der Ökonomie
(Forrester 1996) sichtbar und spürbar geworden ist. In einem
nächsten Schritt sind den
beschönigenden Darstellungen der Gegenwart und den Verweisen auf
eine bessere Zukunft
realitätsnähere Analysen und Deskriptionen entgegenzusetzen.
Dies erfordert eine intensivere
Auseinandersetzung mit dem ökonomischen Bereich im engeren Sinne
und führt zur Frage,
inwiefern es unerläßlich ist, die de facto bestehende
Arbeitsteilung zwischen Wissenschaften,
die teils für das Ökonomische, teils für das Soziale
zuständig sind, wieder zurückzuschreiben
und damit die Diskussionen und Themen der früheren politischen
Ökonomie aufzugreifen
bzw. sich für die Möglichkeiten einer neuen
Sozialökonomie zu interessieren. Darüber hinaus
ist zu klären, ob praktisch-intervenierende Aufgaben in einer
Neuorientierung der Soziologie
einen höheren Stellenwert einnehmen können oder das
praktische Geschehen wiederum
anderen Personen bzw. dem Zufall überlassen wird.
Als Ergänzung zur Selbstkritik am Management, wie
sie in "The Witch Doctors" von
Micklethwait und Wooldringe am deutlichsten greifbar wird, wäre
wohl auf die Skepsis der
Ökonomen selbst hinzuweisen, wie sie anläßlich der
50-Jahr-Feier der Mont Pelerin Society
(MPS) Anfang April 1997 im Montreux artikuliert worden ist (vgl.
Schwarz 1997, S. 29). M.
Friedmann hat anläßlich dieser Jubiläumsfeier
anscheinend die Behauptung aufgestellt, die
Unfreiheit sei heute größer als 1947. In den Debatten der
Vereinigung standen laut Bericht
folgende fünf Überlegungen im Vordergrund: zunächst
einmal, daß die Ideale des
Sozialismus heute zwar mehr im Verborgenen blühten, aber ihre
Verführungskraft nicht
verloren hätten; daß der Liberalismus zwar den Kampf der
Weltanschauungen gewonnen
haben, aber die Umsetzung der damit verbundenen Politik
unzulänglich sei; daß die
Demokratie alle Mechanismen in sich berge, um die Freiheit des
Individuums zu Gunsten
eines ausufernden Staates zu unterlaufen; daß der Übergang
von der Wohlfahrtsdiktatur zur
deregulierten Gesellschaft sich als schwieriger erweise, weil er nicht
nur eine technokratische
Lösung der Armutsprobleme sei, sondern auch die Vorstellungen von
Staat und vom
selbstverantwortlichem Leben massiv verändert habe; die
fünfte und letzte Sorge gilt dem
Zerfall der Moral und der Ethik, da eine freie Wirtschaft ohne
allgemeine Akzeptanz einiger
zentraler moralischer Grundwerte nicht funktionieren könne.
Ungeachtet dieser Feststellung
werden aber Vorteile und Nachteile des moralischen Agnostizismus
einander
gegenübergestellt, um schließlich doch der Betonung der
Moral den Vorzug einzuräumen.
Dies deswegen, weil der Liberalismus dem Wohlfahrtsstaat gegenüber
nur dann eine Chance
habe, wenn er sich nicht nur als intellektuell überlegen erweise,
sondern auch seine
moralische Überlegenheit verdeutlichen könne. An der
Behauptung, die MPS, deren
Gründungsjahre in die Frühzeit des kalten Krieges
zurückreiche, habe sich vom Anfang an
nicht als eine rein ökonomische, ja nicht einmal als primär
ökonomische Vereinigung
verstanden, sind Zweifel anzumelden. Statutenmäßig ist zwar
festgehalten, "ihr Ziel ist es
einzig, zur Bewahrung und Verbesserung der freien Gesellschaft
beizutragen, indem sie den
Gedankenaustausch zwischen jenen Geistern fördert, die von
gewissen gemeinsamen Idealen
inspiriert sind". Welcher Art dieser gewissen Ideale sind, ist nicht
mehr näher angegeben.
Möglicherweise sind diese Ideen doch nicht nur Teil einer
abgehobenen, weltfernen
Ideenwelt, wenn in der Ablehnung jeder Kontrolle der
Güterproduktion und der
Einkommensverteilung gravierende Freiheitsbeschränkungen gesehen
werden.
Die Auseinandersetzung mit den dürftigen Theorien
des Managements mag ebensowenig
spannend sein wie eine Beschäftigung mit der konfusen Freiheits-,
Wert- und
Moraldiskussion der Neoliberalen. Doch wenn in ihrem Namen die
Demokratie zerstört, die
Kultur ruiniert und der gesellschaftlichen Regression Vorschub
geleistet wird, dann ist der
Bürger ebenso wie der Wissenschaftler gefordert, Streit zu suchen
und Konflikte auszutragen.
Eine Soziologie, die sich zumindest der Aufgabe stellt, die
Gedankengebäude, Sprach- und
Vorgangsweisen (vgl. D. Courpasson 1997, S. 39) des Managements zu
thematisieren, hat
alle Chancen, verlorenes Terrain zurückzugewinnen, ohne sich auf
uferlose
Weltanschauungskämpfe einlassen zu müssen.
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1 Der Begriff "pensée unique" wurde Anfang 1995 von I. Ramonet erstmals verwendet und dient heute im französischen Sprachraum der Bezeichnung des neoliberalen Gedankengutes
2 Neben dem Staat und den Unternehmen spielen die Non-Profit-Organisationen eine wichtige Rolle; auch bei ihnen werden Managementdefizite festgestellt, die dadurch behoben werden sollen, daß auch, obwohl sie nicht gwinnorientiert, den Gesetzen des Wettbewerbs unterworfen werden. Vgl. dazu R. Purtschert, Nonprofit schützt von Management nicht, 1995.
3 In Le Monde diplomatique, Manière de voir Nr. 32
4 Vgl. The Random House Dictionary of the English Language, Unabridged Edition, New York 1967, p. 869.