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Von der Soziologie zum Management. Und wieder zurück?

Von der Soziologie zum Management. Und wieder zurück?

Otto Nigsch 1997 / 6

1. Problemstellung

In der Erwartung, Sozialwissenschaften generell und die Soziologie im besonderen könnten einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung der Gesellschaft leisten, kam es in den 60er Jahren zur Einführung diesbezüglicher Studienmöglichkeiten auf universitärer Ebene. Die Absolventen sollten viele attraktive Stellen sowohl im Bereich der Verwaltung finden, wo die Rede davon war, das sogenannte Juristenmonopol zu brechen, wie auch im produktiven Sektor, wo sich die Aufgabe stellte, das Zusammenspiel von Mensch und Maschine zu verbessern und darüber hinaus noch einen Bedarf an Experten neuen Zuschnitts im Dienstleistungsbereich abzudecken.

J. Habermas sah damals im Bodengewinn der Sozialwissenschaften bereits ihre Etablierung als fünfte und letzte Fakultät. Nach der Theologie und Philosophie, den Geschichts- sowie Geisteswissenschaften und den Naturwissenschaften diagnostizierte er eine "Wachablösung in der polemischen Rolle des Wortführers, der bestimmt, was als Wissenschaft zu gelten hat" und was nicht (Habermas 1967, S. 24).

Die Realisierung der damals artikulierten Erwartungen ist offensichtlich in nur sehr eingeschränktem Maße eingetreten. Denn nicht nur das Juristenmonopol hat sich als eine uneinnehmbare Festung erwiesen. Auch andere attraktive Tätigkeitsfelder sind für die neuen Experten der sozialen Belange nur schwer zugänglich gewesen. Die neue Wissenschaft bekundet erhebliche Mühe, ihre Erkenntnisse ins Zentrum des öffentlichen Interesses zu rücken und sie in eine gesellschaftlich respektierte Praxis umzusetzen.

Die falsche Einschätzung des Bedarfs an sozialwissenschaftlicher Expertise hat aber auch damit zu tun, daß die erwartete Modernisierung im Sinne einer Humanisierung der Gesellschaft ausgeblieben ist und seit Mitte der 70er Jahre einen völlig anderen Verlauf genommen hat. Dieser andere Verlauf ist wohl hinreichend kommentiert, dadurch aber im wesentlichen kaum beeinflußt worden. Sein hervorstechendstes Merkmal ist die Renaissance des liberalen Denkens, welches das Wachstum der kapitalistischen Ökonomie in enormer Weise beschleunigte, gleichzeitig aber auch das damit verbundene Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnis in eine dominante Position rückte. "La pensée unique"(1)

, dieses eindimensional gewordene Denken, läßt die globale Ordnung als Konstellation ohne Alternativen erscheinen, so daß alles, was in ihrem Namen geschieht, den Status unvermeidlicher Sachzwänge für sich reklamiert. Theoretisch legitimiert sich das eindimensionale Denken durch die Extension des ökonomischen Erklärungsschemas, der Theorie der rationalen Handlungswahl, auf die weiteren gesell-schaftlichen Bereiche, praktisch durch das Bekenntnis zur uneingeschränkten Optimierung der Abläufe in der Verbesserung von Effizienz und Effektivität.

Die Exekution der Optimierungsprozesse fällt in den Zuständigkeitsbereich der Manager, die sich in dafür angebotenen Studien oder diesbezüglichen Lehrgängen eigene Qualifikationen erworben haben. Durchaus vergleichbar den Expansionsprozessen ökonomischer Analyse und Erklärung, wie dies bei der Rational Choice Theorie der Fall ist, beansprucht auch das Management Einfluß auf immer weitere Bereiche(2)

, denen Mißwirtschaft, Inkompetenz unterstellt und letztlich der Untergang prognostiziert wird, sollten sie es, unabsichtlich oder absichtlich, versäumen, ihr Heil in der Anwendung der neuesten Managementempfehlungen zu sehen und zu suchen. Damit wird der ökonomische Imperialimus doppelstöckig, zweigleisig, umfassend, weil er sowohl theoretisch wie auch praktisch für die ganze Bandbreite anstehender Schwierigkeiten und Herausforderungen eine prioritäre Problemlösungskompetenz reklamiert. Das Management beschränkt sich nun nicht mehr darauf, den Ablauf betrieblicher Prozesse nur steuern zu wollen. Heute wird auch das Gesundheitswesen, das Bildungswesen, der Sportbereich, die öffentliche Verwaltung nach seinen Richtlinien reorganisiert, ohne Management geht anscheinend nichts mehr. Krankenhausmanagement und Universitätsmanagement, Weiterbildungsmanagement und Kulturmanagement, Forschungsmanagement und Projektmanagement, Krisenmanagement und Zukunftsmanagement gehören heute zu den Selbstverständlichkeiten reformorientierter Interventionen. Der suggerierte Glaube an mögliche Optimierungen durch Management wird zudem genährt durch ein reichhaltiges Kursangebot ins Selbstmanagement und Sozialmanagement, Management des Kognitiven und des Emotionalen. Management ist das neue Universalinstrument, mit dem sich, wenn überhaupt noch, heute die anstehenden Probleme bewältigen lassen sollen.

Damit dürfte in etwa klar sein, was mit dem Titel "Von der Soziologie zum Management" gemeint ist: Management leistet dasselbe wie die Soziologie, nur viel effizienter, womit konnotiert ist: rascher, billiger, zweckmäßiger, gründlicher, geradliniger, zuverlässiger. Soziologische Expertise läßt sich durch ein rationelleres Konkurrenzprodukt ersetzen, wer als Soziologe/-in sein/ihr Brot verdient oder sich auf so eine Berufstätigkeit vorbereitet, muß mit einer sinkenden Nachfrage nach dem rechnen, was er/sie anzubieten hat. Damit verbundenes Unbehagen ist schwer auf den Begriff zu bringen, wird es angesprochen, stößt es auf wenig Verständnis und Zustimmung. Es wäre also ausreichend Grund für Untergangsstimmung, wenn nicht, zu einer Zeit, in der dem eindimensionalen Denken verpflichtete Orientierungen und Praktiken sich auf breiter Front durchgesetzt zu haben scheinen, von verschiedenen Seiten her fundierte Kritik an diesen Veränderungen angemeldet würde. Im Folgenden geht es also darum, zunächst einmal den Siegeszug des eindimensionalen Denkens zu rekonstruieren (1), den damit verbundenen Standort (2) und die eigenständigen Kontibutionen des Managements darzustellen (3) sowie auf Mängel in der theoretischen Fundierung hinzuweisen (4). Abschließend ist der Frage nachzugehen, ob dadurch nicht eine Situation entstanden ist, die den ursprünglichen Anliegen der Soziologie wieder mehr Raum gibt und welche Art von Soziologie geeignet ist, sich als Alternative zu profilieren (5).



1. Der Siegeszug des eindimensionalen Denkens

Mit dem eindimensionalen Denken ist jenes Denken gemeint, das die ökonomischen und sozialen Veränderungen der neuesten Vergangenheit ausgelöst hat und sie auch rechtfertigen soll. Im französischen Sprachbereich hat sich dafür der Ausdruck "La pensée unique" eingebürgert, für den es weder in der englischen noch in der deutschen Sprache ein adäquates Gegenstück zu geben scheint. Die Konnotationen dieses der geläufigen Umgangssprache zuzurechnenden Begriffes verweisen auf Abgegrenztheit, Ausschließlichkeit, Geschlossenheit, Unbedingtheit einer Doktrin, einer Geisteshaltung, aus der heraus ein radikaler Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft als unumgänglich vorgenommen wird. Der durchzusetzende Wandel des strukturellen Gefüges, der Denk- und Verhaltensweisen erhält den Anstrich einer Entwicklung im Sinne des Fortschritts, der nun aber nicht mehr lokal, regional oder national, sondern nur noch global zu verwirklichen sein soll. La pensée unique ist demnach die Doktrin von der unbedingten Priorität des Wachstums der Wirtschaft nach den Vorgaben des Neoliberalismus im globalen Maßstab. Daß damit die gesellschaftlichen Belange den wirtschaftlichen Erfordernissen untergeordnet werden, ist nur die logische Konsequenz. Zur Diskussion steht also nicht mehr eine Modernisierung im Sinne einer Höherentwicklung der Gesellschaft, sondern die effizientere Bewirtschaftung der Gesellschaft.

Diese Diskussion ist weder neu noch abgeschlossen. Neu ist vielmehr die Situation, die entsteht, wenn das eindimensionale Denken in einem Ausmaß in die Praxis umgesetzt wird, wie dies derzeit der Fall ist. Die dadurch vorangetriebene Globalisierung der Wirtschaft bedeutet auch, wie sich mehr und mehr zeigt, eine Beschränkung der politischen Gestaltungsmöglichkeiten der einzelnen Nationalstaaten. Die Vorgabe verbindlicher Parameter für die Rate der Verschuldung, des noch akzeptablen Budgetdefizites sowie der Höhe der Inflationsrate führt zweifellos zu einer wünschenswerten Konsolidierung der Staatsfinanzen. Fraglich ist eine solche jedoch, wenn sie kurzfristig angestrebt wird und dafür ein hoher Preis zu entrichten ist. Im höchsten Maße bedenklich werden jedoch solche Vorgaben, wenn das Konsolidierungsziel in einem Wege angestrebt wird, der stillschweigend weitreichende Umverteilungsprozesse impliziert. Denn Globalisierung auf dem Boden einer uneingeschränkten Wirtschaftsfreiheit lenkt zunächst den Geldfluß von den Armen zu den Reichen, führt dann aber zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse, die den demokratischen Gesellschaftsformen die Basis entzieht, auf der sie möglich geworden sind.

Zu den damit eingeleiteten Verschiebungen bekennen sich freimütig jene Regierungen als unabdingbar, die sich der "freien" Marktwirtschaft verschrieben haben, nicht aber jene, die noch, zumindest der Rhetorik nach, an einer "sozialen" Marktwirtschaft festzuhalten vorgeben. Die erste Gruppe wird gebildet von den Ländern des angloamerikanischen Kapitalismus wie den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland, Chile u. a., die zweite vor allem von Deutschland, Frankreich, den skandinavischen Ländern und einigen anderen. Es wäre jedoch völlig verfehlt, an ein ungestörtes Nebeneinander verschiedener marktwirtschaftlicher Modelle zu glauben. Denn auf sozial- oder wohlfahrtsstaatliche Modelle wird heute starker Druck ausgeübt, sich dem angloamerikanischen Modell anzunähern und dessen Prämissen zu unterwerfen. Die Vermittlung von Modell und einzelstaatlicher Realität läuft über die Durchsetzung des ultraliberalen Gedankengutes als ökonomischer Normalität und den dazugehörenden Steuerungsmöglichkeiten als unabdingbares Muß im Kampf ums Überleben.

Die Renaissance des Liberalismus, einer Doktrin aus der frühkapitalistischen Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts, wurde bereits in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges eingeleitet. Ziel dieser ersten Bestrebungen war es, den Konzeptionen des New Deal, der amerikanischen Version staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Krisen der 30er Jahre, einen konträren Entwurf entgegenzusetzen. Ging es im New Deal um die Unterstützung der Industrie, der Landwirtschaft, der Arbeitskräfte und Hilfen für Arbeitslose und Arme, um soziale und ökonomische Absicherung für alle (Roohan 1974, S. 604), so verlangten die Neoliberalen von damals die Freiheit des Individuums, die darin besteht, völlig unabhängig von staatlicher Einmischung agieren zu können. Der Staat sollte lediglich den Rahmen für das freie Spiel der Marktkräfte sicherstellen. Alle Mittel der Produktion sollten in privater Hand sein, die Verteilung der Ressourcen, der Investitionen und der Arbeit dem Markt überlassen sein. An die Stelle öffentlicher Programme für die sozial Benachteiligten hatten karitative Akte und private Unterstützung zu treten. Für sein Schicksal sollte ausschließlich jedes Individuum selbst zuständig und verantwortlich sein.

Waren die Neoliberalen in den ersten Nachkriegsjahren noch eine zahlenmäßig verschwindende Minorität unter den Ökonomen, so verfolgten sie doch eine auf eine Langzeitperspektive angelegte Ideen- und Wissenschaftspolitik und konnten dabei von vornherein mit massiver Unterstützung potenter, alteingesessener Industriebetriebe wie Coors (Brauerei), Scaife, Mellon (Metall) und besonders Olin (Chemie) rechnen (vgl. George 1996, S. 17). In Anlehnung an R. Weavers Buch "Ideas have Consequences" (1948) bemühten sich A. F. v. Hayek, M. Friedmann und andere Vertreter der Chicagoer Schule darum, auf akademischem Boden Fuß zu fassen, im Sinne ihres neues Credos zu missionieren und durch eine rege Publikationstätigkeit Einfluß zu gewinnen. Zusätzlich standen in Amerika finanzkräftige Stiftungen wie die Hoover Institution, American Enterprise Foundation, Heritage Foundation, das Cato Institute und das Manhattan Institute für Policy Research als Multiplikatoren des liberalen Gedankengutes zur Verfügung. Gleichzeitig fungierten die genannten Einrichtungen als think-tanks der diversen konservativen Regierungen, mit denen sie wie durch kommunizierende Gefäße verbunden waren: Alte Mitarbeiter Nixons vermochten während Carters Regierungszeit hier komfortabel zu überwintern, wie auch jetzt die Reagan-Busch-Getreuen in der Clinton Ära.

Eine besondere Rolle spielte dabei von Anfang an die Mont-Pelerin-Gesellschaft, in deren Rahmen sich 1947 an die vierzig amerikanische und europäische Persönlichkeiten im schweizerischen Montreux zu einem ersten 10-tägigen Kolloquium einfanden. Zwischen 1947 und 1996 versammelten sich die Mitglieder dieser hohen Gesellschaft insgesamt 27 mal, zuletzt 1994 in Cannes und 1996 in Wien, dem Herkunftsland Hayeks. Die Zahl der Mitglieder ist inzwischen auf über 450 gestiegen, Namensliste ist jedoch keine bekannt, da die Gesellschaft Öffentlichkeit und Medienpräsenz eher meidet, mit Stolz aber darauf hinweist, in ihren Reihen sechs Träger des Nobelpreises für Ökonomie zu haben (George, a.a.O.).

Schon viele Jahre vor ihrem endgültigen Durchbruch wurden also hunderte Millionen von Dollars zum Zwecke der Produktion und Diffusion der neoliberalen Ideologie ausgegeben. Damit wurden die Aktivitäten und Publikationen einzelner Mitarbeiter finanziert, Zeitschriften begründet und auch Lehrstühle gestiftet. Zwischen 1990 und 1993 ist den vier wichtigsten neoliberalen Journalen (The National Interest, The Public Interest, New Criterion und American Spectator) aus diversen Quellen die Summe von 27 Millionen Dollar zugeflossen, während den vier einzigen progressiven Zeitschriften Amerikas (The Nation, The Progressive, In These Times und Mother Jones) insgesamt nur 269.000 Dollar an freiwilligen Beiträgen zugewendet worden ist. Die Olin Foundation stellte schon 1988 55 Millionen Dollar mit dem Zwecke zur Verfügung, "jene ökonomischen, politischen und kulturellen Institutionen zu stärken, welche Grundlage des privaten Unternehmens sind" (Stiftungstext Olin, vgl. George). Mit derartigen Summen werden auch Lehrstühle für Jus und Ökonomie in Harvard, Yale, Stanford, Chicago und vielen anderen Universitäten gestiftet, wobei das Berufungsrecht verständlicherweise dem Geldgeber vorbehalten ist. Raffinierte Öffentlichkeitsarbeit bringt das neoliberale Gedankengut sowohl in die großen Tageszeitungen wie New York Times, der Washington Post und Time wie ebenso auch in die Fernsehkanäle und Programme der Rundfunkstationen.

Nicht zu Unrecht wird daher der Titel des Beitrages von S. George ("Wie das Denken eindimensional wird") geändert und für einen Nachdruck(3)

mit "Die Fabrikation einer Ideologie" überschrieben. Damit kommt zum Ausdruck, daß die weltweite Verbreitung des neoliberalen Gedankengutes weniger der Tatsache zuzuschreiben ist, daß die Zeit reif geworden wäre für die Entstehung einses solchen Denkens, gleichsam als Pendant real ablaufender Entwicklungen. Ganz im Gegensatz zu einem derartigen vereinfachten Glauben an naturbedingte Vorgänge stellt sich der Siegeszug des eindimensionalen Denkens als Ergebnis eines Durchsetzungsprozesses auf breitester Front dar. Die zur Rechtfertigung von ausschließlich privater Initiative und Gestaltung erforderlichen Argumente werden unter Einsatz enormer finanzieller Mittel öffentlichkeitswirksam propagiert und, sofern erforderlich, auch mit Gewalt durchgesetzt. Die marxistische Perspektive hatte derartige Vorgänge auf die präzisere Formel gebracht: " Die herrschenden Gedanken sind die Gedanken der Herrschenden". Sie beschreibt entschieden genauer als R. Weavers Buchtitel "Ideen haben Folgen" (1948), wie die neue Ideologie zu ihrer Vormachtstellung gekommen ist: durch Geld, durch Marketing und Management, die jedoch nur darum so erfolgreich sein konnten, weil auch Wissenschaft käuflich geworden war.



2. Manager, Souffleure und Knechte der Herren

Die platonische Vorstellung von den Ideen, die Folgen haben, unterschlägt also die Tatsache, daß ihrer Realisierung kräftig nachgeholfen werden mußte. Denn die Idee der großen Freiheit für die Wenigen transformiert sich nicht so ohne weiteres in akzeptierte Unfreiheit der Vielen. Dazu bedurfte es zusätzlich noch der Bearbeitung des dazwischenliegenden Raumes, das heißt der Strukturen der Produktion und des gesellschaftlichen Umfeldes, in das diese eingebettet sind. Also eine technisch-praktische Aufgabe, die einer neuen Expertokratie ein diffuses, aber quasi unbegrenztes Aufgabengebiet eröffnen sollte. Ihre Präferenz für den dunkelblauen Anzug, der Farbe der Ruhe und des Vertrauens, antizipiert mit sicheren Instinkt, daß ein Auftritt mit Tarnkappe nur von Nutzen sein kann. Denn Veränderungen, die letztlich allein zur Absicherung und Vergrößerung der Profite durchgesetzt werden, können den davon Betroffenen nie etwas Gutes bringen.

Mit seiner ersten exakten Analyse betrieblicher Arbeitsprozesse ist F. Taylor zu einer bemerkenswerten Berühmtheit gekommen. 1911 veröffentlichte er seine " Principles of scientific Management", das Ergebnis langjähriger Studien über Arbeitszeiten und Arbeitsabläufe. Die Organisation der Arbeit war damit zum Gegenstand wissenschaftlicher Analysen, das heißt der Zerlegung in einzelne Elemente geworden, die dann über die Steuerung der organisatorischen Abläufe wieder in einer neuen Synthese zu besseren Arbeitsergebnissen führen sollten. Nahezu ähnlich wird noch anfangs der 70er Jahre das Management von seiner Funktion her verstanden, die verschiedenen Faktoren der Produktion wie Arbeitskraft, Material und Maschinen zu koordinieren. Gleichzeitig wird darauf verwiesen, daß in der ökonomischen Tradition die Koordinationstätigkeit als solche ebenfalls als Produktionsfaktor gilt. Doch im Unterschied zu Taylor wird nun das Management als "Kunst" des Koordinierens verstanden. Wissenschaft ist es nur insofern, als über genaue Meßprozesse und zahlenmäßig belegte Aussagen subjektiven Bewertungen und Vorurteilen der Boden entzogen wird. Darüber hinausgehende Koordinationsaufgaben zur Erreichung der Ziele einer Organisation sind nicht der Wissenschaft, sondern der "Kunst" zuzuschreiben (Kinnard 1974, S.193). Das Verhältnis von Administration und Management wird hier auch dahingehend bestimmt, daß beide Kontrollfunktionen ausüben, jedoch in unterschiedlicher Weise: die Administration bestimmt die Ziele und legt die Unternehmenspolitik fest, während die Ausführung dieser Politik und Zielerreichung Angelegenheit des Managements ist. Konfusion entstehe dann, wenn das Management die unternehmenspolitischen Entscheidungen zu beeinflussen suche.

Das Verständnis von Management ist demnach seit jeher im Spannungsfeld zwischen verschiedenen Polen angesiedelt. Die Suche nach einem genauen Begriff ist daher müßig, nicht aber die Frage nach den Konnotationen, die jeweils mit ihm verbunden sind. Auch die lexikalischen Befunde verweisen auf eine enorme Vieldeutigkeit des Ausdrucks Management, das vom englischen "manage" abgeleitet ist. Der kleine Larousse verweist unter dem Stichwort "Manager" auf die englische Herkunft des Ausdrucks und sieht das den Manager kennzeichnende Merkmal in seiner Eigenschaft zu dirigieren. Manager ist derjenige, der einen Betrieb führt, der die Interessen einer professionellen Größe (eines Champions) wahrnimmt u.a.m. "To manage" hingegen, früher manege, ist laut einem anderen lexikalischen Befund(4)

vom lateinischen manus herzuleiten, ähnlich wie das italienische maneggiare auf il mano, die Hand, zurückzuführen ist. Die vielfältigen Möglichkeiten des Handgebrauchs spiegeln sich in der Bedeutungsvielfalt von "manage", für die das Lexikon folgendes angibt: 1. Erfolgreich zu Ende bringen, 2. die Verantwortung für etwas (z.B. einen Staat) übernehmen, 3. beherrschen oder beeinflussen (eine Person), 4. eine gerade ablaufende Handlung steuern oder kontrollieren, 5. führen (eine Waffe), 6. etwas zustande bringen, 7. einüben, abrichten (ein Pferd), 8. überlegt umgehen mit (Geld, Ehemann), 9. die Geschäfte führen von ... , 10. erfolgreich vorantreiben trotz (Schwierigkeiten, Widerstände). Als Synonyme für to manage werden angegeben: 1. arrangieren, erfolgreich durchführen (contrive); 4. führen, regulieren, errichten; 5. umgehen mit, manipulieren.

Die menschliche Hand, der äußerste Teil des Armes, läßt sich zu sehr vielseitigen Zwecken verwenden, zum Tasten und streicheln, zum kunstvollen Strich des Malers oder zum Führen einer Schaufel, zum Zählen des Geldes oder zum Schnitt mit dem Messer durch die Kehle eines Opfers. Die Hand ist einzusetzen, um Tätigkeiten auszuführen, die der Kopf geplant hat. Daher auch die Unterscheidung in Handarbeit und Kopfarbeit, wobei die historische Entwicklung zu einer Trennung zwischen beiden und ihrer unterschiedlichen Gewichtung geführt hat. Der Hand-Werker repräsentiert den, der eben vorwiegend seine Hände einsetzt, im Gegensatz zu jenen, die sich die höherwertige Arbeit mit dem Kopf vorbehalten haben. "Hand-Arbeit" ist nur dann positiv besetzt, wenn ihr Produkt durch höher geschätzte Qualitätsmerkmale vom maschinell hergestellten Produkt sich zu unterscheiden vermag. Maschinen, bisweilen auch als totes Kapital bezeichnet, sind jedoch zuerst und vor allem ein Ersatz für die Hände. Durch Maschinen wird händische Tätigkeit substituiert, gleichzeitig aber auch die ursprüngliche Zusammengehörigkeit von Kopf und Hand aufgelöst. Von menschlichen Händen erstellte Maschinen relativieren die Bedeutung der Hand, die überflüssig wird, wenn der Kopf genügend viele und leistungsfähige Maschinen erstellt hat und sich ihrer zu bedienen versteht. Das Hand-Werk, dem noch gestattet war, mit der eigenen Hand ein singuläres Werk zu erstellen, degeneriert zur manpower, zur abstrakten Menschenkraft, die nun mit der Maschine eine neue kopflose Einheit bildet. Der Fernfahrer bedient sein Gerät und steuert es, wächst mit ihm zu einem organischen Ganzen zusammen, doch wohin er zu fahren hat, das wird von einer anderen Instanz diktiert. Obschon der LKW ein Instrument des Lenkers ist, sind beide, die Mensch-Maschinen-Synthese, ein Instrument in der Hand eines anderen, der den Warentransport organisiert, um damit Geld zu verdienen.

An die Stelle der ursprünglichen Einheit von Kopf und Hand, steuernder Kopfarbeit und ausführender Handarbeit, tritt also eine andere Konfiguration, in der das ursprünglich Vereinte nun auseinandergefallen ist. Wie der Bereich der Hand sich vergrößert durch die Reichweite des Vermögens der Maschinen, so beschränkt sich auch der Kopf nicht mehr auf das bloße Entwerfen, auf die Formulierung von Zielen, sondern kümmert sich gleichzeitig auch noch um die Art und Weise der Verwirklichung des Entwurfes. Im Zerfallen der ursprünglichen Einheit von Kopf und Hand kommt es gleichzeitig zu deren Reproduktion an den nun voneinander getrennten beiden Polen: der Verlängerung der Handarbeit durch die Maschinen korrespondiert eine Erweiterung der Kopfarbeit in der Besorgung der Umsetzungsplanung. Handarbeit konserviert eine auf Kopfarbeit bezogenen Komponente insofern, als Maschinen der Montage, der Bedienung und Wartung bedürfen. Auf der Gegenseite erhält die Kopfarbeit eine explizit instrumentelle Komponente, wie sie im Begriffspaar von Administration und Management sichtbar geworden ist, wobei das Management als Ausführungsinstrument der Administration in Erscheinung tritt.

Strukturell zeigt sich eine klare Verdoppelung der ursprünglichen Polarität von Kopf und Hand, Idee und Instrument, Theorie und Praxis. Management repräsentiert demnach jene Handkomponente der Kopfarbeit, jene instrumentelle Seite des Ideellen, die auf die konkrete Steuerung der Mensch-Maschinen-Einheit als Instrument der Produktion spezialisiert ist. Bildlich gesprochen ist der Manager der Diener jenes Herrn, der nicht selbst die Tätigkeit der anderen Diener zu koordinieren und zu kontrollieren in der Lage oder dies zu tun nicht willens ist. Für den Fall, daß dem Herrn die Übersicht fehlt und/oder er überdies entscheidungschwach ist, nicht bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, sucht er Rat bei seinem Kammerdiener, der dadurch eine beträchtliche Aufwertung erfährt. Auf jeden Fall repräsentiert der Manager den Knechten gegenüber immer den Herrn, ungeachtet dessen, in welchem Verhältnis er selbst zu diesem steht, ob in einem unter-, gleich- oder übergeordneten Verhältnis. Von daher wird es auch verständlich, daß sich Management definitorisch nicht fassen läßt. Denn es gehört alles dazu, was die Tätigkeit der Herren ihren Knechten gegenüber charakterisiert: anregen, führen, steuern, Verantwortung tragen, beherrschen, beeinflussen, abrichten, regulieren, manipulieren, u.a.m, wird jedoch im Auftrag eines anderen ausgeführt.

Es versteht sich von selbst, daß in einer Wirtschaft, die zunehmend weniger von unternehmerischen Patronen und Patriarchen dirigiert wird, die Einflußbereiche des Managements kontinuierlich zunehmen müssen. Dies bedeutet aber andererseits auch, daß der Bedarf an Personal, das bereit und geeignet ist, derartige Funktionen auszuüben, ständig größer werden muß. Den vermehrten Beschäftigungsmöglichkeiten entspricht eine enorme Steigerung der Studentenzahlen auf derartige Tätigkeiten vorbereitender Studienrichtungen samt einer damit sich legitimierenden Aufblähung der Personal- und Lehrdeputate, wobei nicht einmal mehr darüber diskutiert wird, in welchem Verhältnis Management zum tradierten Selbstverständnis der Wissenschaften steht. Tant mieux! Der akademische Ritterschlag ist jedoch ein willkommenes Mittel, sich beim kleinen Mann zusätzlichen Respekt zu verschaffen und im Namen der objektiven Wissenschaft eine Vielfalt von immer sachlich Notwendigem einzufordern. Zweifel an derart von allem überflüssigen Ballast befreiten Studiengängen bringt ein kursierender Witz auf den Punkt: Studierende der Handelswissenschaften lernen nichts, doch dies in mehreren Sprachen. So die späte Umsetzung der Hegelschen Gleichsetzung von Sein und Nichts (Enzyklopädie § 87) in die praktizierte Studienrealität. Studien haben sich auf das Notwendige zu beschränken, nur Fachbezug ist erwünscht, das Komplexe ist durch Einfaches zu erklären, die Orientierung an KISS (Keep It Stupide Simple, vgl. Madauss 1991, S. 32) garantiert Verständlichkeit und rasche Studienabschlüsse. Doch die Frage nach den wissenschaftlichen Anteilen des Erlernens des Managements wird um so weniger gestellt werden, als sich andere universitäre Diskurse einer über anscheinend notwendigen Qualitätssicherung einlassen, die nun vom neuen Hochschulmanagement wie eine Rute ins Fenster gestellt wird. Daß damit der Bock im Sonntagsgewand des Gärtners auftritt, wird kaum noch von jemanden wahrgenommen.

Der spektakuläre Bodengewinn, den managementbezogene Ausbildungen in den letzten zwanzig Jahren erfahren haben, ist ein globales Phänomen, wobei zwischen universitätsinternen und universitätsexternen Tätigkeiten vielfältige Verflechtungen und Symbiosen entstanden sind. Wer nicht das Glück hatte, in einer universitären Erstqualifikation das Nötige zu erlernen, dem stehen viele Möglichkeiten offen, gegen gutes Geld natürlich, das Versäumte nachzuholen. Dazu steht ein breites Angebot zur Verfügung, fein abgestuft für unterschiedliche Bedürfnisse, Bedarfslagen und Geldtaschen. Am einen Ende stehen die Diplome eines Masters of Buisness Administration prestigekräftiger Universitäten wie Harvard, Standford, Chicago, am anderen Ende das Selbststudium mit Hilfe von Büchern, Zeitschriften, Kassetten und Materialien zur Selbstinstruktion. Daneben gibt es ein ständig wachsendes Angebot von einschlägigen Konferenzen, Seminaren und Vorträgen zur Fort- und Weiterbildung, um sich auf den neuesten Stand der sich rasch ändernden Moden zu bringen. Hinter allem steht eine gigantische Management-Theorie-Industrie, deren Einteilung in Buisness Schools, Beratungsfirmen und Gurus bestenfalls eine Orientierungshilfe ist, keineswegs aber ein Spiegelbild der vielfältigen Interdependenzen zwischen Lehr-, Publikations,- Vortrags- und Beratungstätigkeiten. Jährlich werden im Amerika "buisness books" im Wert von 750 Millionen Dollar verkauft, für Beratungsdienste geben amerikanische Firmen ebenso jährlich die ansehnliche Summe von 15 Milliarden Dollar aus. Den Autoren von "In Search of Excellenz", das mehr als zwei Jahre die Bestsellerliste der New-York-Times anführte, brachte der Verkauf von mehr als fünf Millionen Exemplaren neben einem hübschen Vermögen in bar zugleich eine Steigerung des Marktwertes der für andere Betätigungen wie Tagesseminare oder Einzelvorträge. Erstere sind um einen Preis von 60.000,-- Dollar zu haben, letztere liegen bei 50.000,- Dollar.

J. Micklethwait und A. Wooldrige (1996, S. 7) führen den Boom der Management-Theorie auf folgende drei Revolutionen zurück, die "jeden von uns", wie sie schreiben, direkt oder indirekt betreffen: auf die Wiedererfindung des Unternehmens (reinvention of companies), die Wiedererfindung der beruflichen Laufbahnen (reinvention of careers) und die Wiedererfindung des Regierens (reinvention of goverment). Auf Unternehmensebene wird reorganisiert und restrukturiert, auf der Ebenen der Karrieren wird flexibilisiert, auf der Ebene der Regierungen wird privatisiert und der öffentliche Dienst den Gesetzen des Marktes unterstellt. John Major gestand 1995 in einer parlamentarischen Anfrage, mindestens 320 Millionen Pfund für Managementberatung ausgegeben zu haben, doch wahrscheinlich sind es weit mehr. Damit setzte er nur fort, was die eiserne Lady vor ihm begonnen hatte: In Anlehnung an beratende Gremien das Management des gesamten öffentlichen Sektors sicherzustellen (a. a. O., S. 281). Jenseits des Atlantiks ist der Einfluß des Managements auf die Regierung keineswegs geringer: Hillary Clintons Gesundheitsplan (a. a. O., S. 9) war ebenso ein Management-Produkt wie Newt Gingrichs Vertrag mit Amerika. Vizepräsident Al Gores Bemühen, die Regierung auf den neuesten Stand der Managementlehre auszurichten, ist ebenso bekannt wie Bill Clintons Vorliebe für euphorisierende Seminare und strategische Gespräche. Der Glaube an die Macht des Managements ist eine der wenigen Ideen, die in beiden Parteien Amerikas uneingeschränkte Anerkennung findet.

Das Beratungsgeschäft ist eine globalisierte Industrie. Die Hauptfirmen haben alle ihre Niederlassungen in Europa, das für sie ein noch zu erweiterndes Marktfeld darstellt. Nach J. Micklethwait und A. Wooldrige (1996, S. 282) geben zahlreiche Berater im Privatgespräch zu, daß ihnen die Regierungen eine phantastische Chance geben, um teures Geld jene Produkte nochmals zu verkaufen, die im Privatsektor bereits ausgedient haben. Daher auch das Bedauern, dieses große Potential, diese überdimensionale cash cow erst so spät entdeckt zu haben.

Die Vorstellungen von Management und die Funktionen des Managements haben sich also in den letzten zwanzig Jahren von Grund auf geändert. Aus dem Geiste des Managements werden die betrieblichen Gegebenheiten rationalisiert und reorganisiert. Hier tritt das Management in seiner Funktion als Knecht des Kapitals in Erscheinung. In der Beratung industrieller Komplexe, deren ökonomischen Potential weit größer ist als jenes einzelner mittlerer und kleinerer souveräner Länder, erhält das Management einen schwer zu überschätzenden Anteil an der Steuerungsfunktion selbst. Die Möglichkeiten der Einflußnahme steigen nochmals drastisch an, wenn demokratisch gewählte Regierungen exekutieren, was ihnen von Beratungsagenturen oder internationalen Institutionen empfohlen wird, die ihr Instrumentarium ursprünglich im Kontext der Rationalisierung betrieblicher Abläufe entwickelt haben. Doch entbehrt eine solche Entwicklung keineswegs der Logik. Denn Rationalität läßt sich innerhalb der Betriebe um so kompromißloser durchzusetzen, je besser es gelingt, auch das gesellschaftliche und soziale Umfeld nach den selben Prämissen zu reorganisieren. Derartige Bestrebungen konvergieren durchaus mit den theoretischen Postulaten der Rational-Choice-Theorie, soziales Handeln in allen seinen verschiedenen Ausprägungen auf ökonomische Ambitionen zurückzuführen. Neoliberale Orthodoxie als ideologischer Überbau und gleichgeschaltete Steuerungsinstrumente im technisch-praktischem Bereich erweisen sich demnach als komplementär.



3. Die eigenständigen Kontributionen des Managements

Als Souffleure und Knechte exekutieren Manager im Globalen das, was die Neoliberalen zunächst als Idealvorstellung des Wirtschaftens propagierten. Die Wortführer des Managements, die sogenannten Gurus, berufen sich denn auch explizit darauf, "daß sie lediglich Anordnungen befolgen", also die Diener makroökonomischer Kräfte sind, die jenseits ihrer Einflußmöglichkeiten liegen. Nach Micklethwait und Wooldrige (1996, S. 9) ist jedoch die Art und Weise, wie sich diese übergeordneten Kräfte auf die betroffenen Leute direkt auswirkten, zusätzlich abhängig vom Selbstverständnis des Managements, der Theorie des Managements. Im Verhältnis zur neoliberalen Ökonomie, dem Makrokonzept, lassen sich die Theorien des Managements als Theorien mittlerer Reichweite einordnen, die das übergeordnete allgemeine Konzept in besonderen Bereichen konkretisieren. Die Neuerfindung der Unternehmen, die Neuerfindung der Berufslaufbahnen und die Neuerfindung der Regierung, in denen die gegenwärtigen Revolutionen am deutlichsten sichtbar und am empfindlichsten spürbar werden, sind demnach die Kernstücke der Theorie des Managements. Theorie ist hier also engstens verbunden auch mit der Praxis des Managements: Sie enthält Visionen über Wünschenswertes ebenso wie Annahmen über Machbares und rationalisierende Darstellung des Gemachten. Theorie ist die Erfindung all dessen, was zur bestmöglichen Verwirklichung des neoliberalen Denkens geeignet ist.

An erster Stelle nennen Micklethwait und Wooldrige (1996, S. 7) dabei eine Erhöhung des Druckes, welcher auf die Unternehmen ausgeübt wird, der zu einem spektakulären Schrumpfungs- und gleichzeitig zu einem Expansionsprozeß geführt hat. Von den 1970 fünfhundert führenden amerikanischen Unternehmen bestehen heute nur noch ein Drittel, doch sind diese um vieles größer geworden. Parallel dazu haben sich die Aktionsräume der Firmen in ebenso spektakulärer Weise erweitert. Multinational operierende Unternehmen gab es in den 70er Jahren lediglich einige hundert, heute sind es mehr als 40.000. Der Geschäftsumfang der zweihundert größten Konzerne repräsentiert heute mehr als 25 Prozent der gesamten Aktivitäten der Weltwirtschaft, doch diese zweihundert Firmen beschäftigen nur 18,8 Millionen Leute, das sind weniger als 0,75% der global verfügbaren Arbeitskräfte (J. Ramonet 1997, S. 1). Der Großteil dieser Mammut-Konzerne ist im amerikanischen und angelsächsischen Raum angesiedelt, so daß von dort her eine starke Vorbildwirkung mit entsprechenden Anpassungszwängen ausgeht.

Was als Neuerfindung der Karrieren, der Berufslaufbahnen bezeichnet wird, erweist sich als grundlegende Veränderung der bisher vom Arbeitsrecht geregelten Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit dem doppelten Ziel, die Löhne zu senken und Arbeitsplatzsicherheiten abzubauen. Die damit einhergehende dramatische Steigerung der Zahlen der Arbeitslosen ist nicht nur eine unliebsame Begleiterscheinung, sondern ein vorzügliches Mittel, den Lohnanteil am Gesamtprodukt wirksam zu verringern und berufliche Unsicherheit als Normalzustand zu institutionalisieren. Es ist wohl eher Zynismus denn Ironie, wenn als Rezept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eine beschleunigte Anpassung an das amerikanische Wirtschaftssystem empfohlen wird. Hinweise auf leichte Erhöhungen des dortigen Durchschnittseinkommens sind belanglos, solange der Graben zwischen Löhnen und Einkommen immer größer wird. Bestand 1975 zwischen dem durchschnittlichen Jahreseinkommen des Arbeiters im Vergleich zum Einkommen des Unternehmers eine Relation von 1 zu 41, so veränderte sich diese bis 1994 auf 1 zu 187. Der Wert des Mindeststundenlohnes ist von 1979 bis 1995 um 25 Prozent zurückgegangen, während die 20 Prozent der reichsten Familien Amerikas sich 97 Prozent der Zunahme des Wirtschaftswachstums angeeignet haben (S. Halimi 1997, S. 16). Unerwähnt bleibt ebenfalls, daß die Arbeitszeiten amerikanischer Arbeiter erheblich länger sind als die europäischen, jedoch nur zwei Wochen Urlaub pro Jahr gesetzlich garantiert sind.

In England, das mit dem Thatcherismus eine entscheidende Wende zum amerikanischen Wirtschaftsmodell vollzogen hat, zeigen sich ähnliche Gegebenheiten. Bei Verweisen auf erfolgreiche Wirtschaftsdaten wäre vollständigkeitshalber hinzuzufügen, daß die Wirtschaft nicht generell, sondern nur für einen kleinen Teil der britischen Bevölkerung in den letzten 18 Jahren erfolgreich gewesen ist. Sicher für jene fünfhundert reichsten Personen des Landes, deren Vermögen in einem einzigen Jahr um 23 Prozent angestiegen ist. Der elitäre Kreis der Pfund-Milliardäre hat sich ebenfalls in einem einzigen Jahr (1996) von zehn auf sechzehn erweitert. Um zu den zweihundert Reichsten zu gehören, mußte man 1989 zwanzig Millionen Pfund besitzen, 1995 sechzig Millionen und heute (1997) bereits fünfundneunzig Millionen. Der neue Reichtum des schnellen Geldes hat daher dem alten Vermögen längst den ersten Rang abgelaufen: unter den fünfhundert reichsten Briten sind nur 155, die auf dem Erbwege reich geworden sind (vgl. dazu de Beer (a) 1997, S. 16). Von der Kehrseite dieses Wirtschaftswunders künden die geschönten Statistiken weit weniger laut. Die angeblichen niedrigeren Arbeitslosenzahlen im Vergleich zum kontinentalen Europa verschweigen, daß die Frauen das dynamische Element der Gesellschaft geworden sind. Sie sind es, die häufig allein erwerbstätig sind und damit die Männer ersetzen, weil sie flexibler sind, das heißt Teilzeitarbeit verrichten und unqualifizierte Tätigkeiten gegen geringes Geld auszuüben bereit sind. Vollzeitbeschäftigung in unbefristeten Arbeitsverträgen, das für Generationen normale Arbeitsverhältnis, gehört also der Vergangenheit an (de Beer (b) 1997, S. 14). Darüber hinaus beinhaltet die "Neuerfindung" der Karrieren, der Berufslaufbahnen, den Abbau der Sozialversicherungsleistungen, verringerte Entschädigungen bei Arbeitslosigkeit und Kürzung der Alterspensionen und Renten (Maurice 1997, S. 16/17). Die Globalisierung dieser Neuerfindung bedeutet, daß die Kosten der produktiven Arbeit ständig den niedersten Löhnen angepaßt werden, die sich irgendwo auf dem Planeten finden lassen. Die wachsende Masse der Armen und Verarmten hat weder Stimme noch Bedeutung, dienen jedoch als Referenzpunkt, um den Abbau noch bestehender "Privilegien" zu legitimieren (Maurice 1997, S. 18).

Die dritte Neuerfindung bezieht sich auf Reformen hinsichtlich der Art des Regierens, einem unverzichtbaren Komplement der beiden anderen Erfindungen. Nach Micklethwait und Wooldrige (1996, S. 8) sind die neuen Regierungsformen weit mehr Theoretiken des Managements wie P. Drucker und A. Enthoven verpflichtet als konservativen Philosophen wie D. Hume und E. Burke. Völlig unabhängig von theoretischen Begründungen ergibt sich die heutige Schwächung der Nationalstaaten aus einer gravierenden Verschiebung der Gewichte und Märkte. Der Umsatz von General Motors ist größer als das BNP Dänemarks, der von Ford größer als das BNP Südafrikas, und der von Toyota übersteigt das BNP Finnlands. Dazu kommen noch zwei weitere gewichtige Momente: einerseits liquidiert die Globalisierung schrittweise die Binnenmärkte, die einst ein Grund zur Errichtung der Nationalstaaten gewesen waren. Andererseits hat die Finanzökonomie, deren Ausmaße um ein vielfaches größer sind als jene der realen Ökonomie, nur schwer abzuschätzende, jedenfalls aber enorme Möglichkeiten, zögernde Regierungen auf die Richtungen des mainstreams einzuschwören. So ist den totalitären Regimen des Sozialismus im Osten nun ein neuer Totalitarismus unter dem Diktat der Finanzökonomie gefolgt (vgl. Ramonet 1997, S. 1). Während die Ökonomie wächst und wächst, brechen die Gesellschaften mehr und mehr in einzelne Stücke auseinander, die immer weniger miteinander zu tun haben und zu tun haben wollen. J. Ramonet stellt die keineswegs provokative Frage ob in einer solchen Situation nicht die Revolte notwendig, aus dem Recht zum Aufstand nicht eine Bürgerpflicht wird?

Abgesehen davon, daß es schwierig ist sich vorzustellen, wie ein solcher Aufstand aussehen könnte und wer ihn organisieren sollte, bleibt es dennoch irgendwie erklärungsbedürftig, daß der Totalitarismus der pensée unique nicht schon früher Gegenstand eingehender Reflexion geworden ist. Zum Teil ist das sicher darauf zurückzuführen, daß er in doppelter Gestalt auftritt, als radikalisierte Idee der Freiheit im Neoliberalismus und gleichzeitig als Praxis des Rationalen in der Gestalt des Managements. Solange sich dieses auf die Reorganisation der betrieblichen Spähren beschränkte, konnten die Bewohner des Elfenbeinturms noch mit einiger Gelassenheit dem verhängnisvollem Treiben zusehen, wenn sie nicht gar versuchten, auf den nun einmal fahrenden Erfolgszug aufzuspringen. Spätestens aber dann, wenn sich das Management den außerökonomischen Bereichen wie Kultur und Gesundheitswesen, des gesamten Bildungs- und Sozialbereichs zu bemächtigen suchte, wird die Frage nach den konstitutiven Momenten dieses Managements unabweisbar. Denn damit führt die Neuerfindung des Unternehmens, der Karrieren und des Regierens zwingend auch zu einer Neuerfindung des Menschen und der Gesellschaft, in der dieser lebt. Daher wird zumindest vom Standpunkt der Soziologie aus, soferne sie sich für die Menschen in ihrer Gesellschaft interessiert und zuständig hält, ein differenzierteres Verständnis des Managements und seiner Funktionsweisen zu einer vorrangigen Herausforderung.



4. Götterdämmerung der Theorie des Managements

Die Metapher der Götterdämmerung soll zum Ausdruck bringen, daß eine lange Phase stummer Akzeptanz der Verlautbarungen des hegemonialen Denkens nun nicht mehr wie bisher nur resignativ als Ausdruck unvermeidlicher Entwicklungsnotwendigkeiten hingenommen wird. Von Theorie kann dabei nur in einem sehr weiten Sinne die Rede sein. Theorie steht hier für den gesamten Komplex des Argumentierens und Räsonierens, der im Zusammenhang mit der Machtergreifung des Managements entstanden ist. Mit der langen Phase sind die vergangenen zwei Jahrzehnte gemeint, in denen das Gebäude des Denkens in den Kategorien des Management errichtet, erweitert und immer wieder umgebaut worden ist. Auffallenderweise ist dieselbe Zeitspanne anzugeben, wenn nach den Anfängen dessen gesucht wird, was unter dem Stichwort einer Krise der Soziologie diskutiert worden ist und wird. Seit dem Ende der 70er Jahre ist jedenfalls ein Prozeß im Gange, in dem das Management an Gewicht zugelegt hat, also fett geworden ist, die Soziologie jedoch einen Substanzverlust registrieren muß, also abgemagert ist insofern, als die Möglichkeiten der Einflußnahme geringer geworden ist. Zwischen dem fetten und dem mageren Partner gibt es kaum eine Basis des Gesprächs und der Kooperation, wahrscheinlich deswegen, weil beide weitgehend identische Grundprodukte verwenden, diese jedoch völlig anders zubereiten. Theorie des Managements bezieht sich somit auf den Inhalt der Kochbücher, die dort vorgeschlagenen Kochrezepte samt den Mengenangaben der diversen Ingredienzien und der Art und Weise des Zubereitens.

Kritik an den Kochbüchern kommt teils aus dem Inneren der Gilde der Manager, teils von außen. Massive Kritik von Innen tragen die beiden bereits öfter erwähnten J. Micklethwait und A. Wooldrige vor, beide als Mitarbeiter der Zeitschrift " The Economist" wohl als mit dem Geschäft vertraut zu betrachten. In der Einleitung zu " The Witch Doctors" werden die Theoretiker des Managements, die Gurus der Gilde, als die unerkannten Gesetzgeber der Menschheit bezeichnet, in der zusammenfassenden Synthese wird resümierend festgestellt, daß es sich bei der Theorie des Managements um eine insgesamt unreife Disziplin handle. Ihre Exponenten treten in verschiedenen Gestalten auf: als Theoretiker auf akademischen Boden, als Therapeuten in Ausbildungszentren und als Prediger und Propheten bei Vorträgen und Seminaren. Zwei Merkmale sind es, die schon bei einer kurzen Begegnung mit der Welt der Theorie des Managements hervorstechen: Einerseits, daß sie kommerziell ein enorm einträgliches Geschäft sei, andererseits aber inhaltlich ein offensichtlicher "Mischmasch", wobei zwischen dem einerseits und dem andererseits ein offensichtlich enger Zusammenhang besteht: Präsenz auf dem Markt der Ideen ist nur um den Preis innovativer Produkte zu haben. Daher die auffallende Kurzlebigkeit dessen, was als das am zuverlässigsten zum Ziel Führende gerade angepriesen wird. Eine lange Liste ätzender Kritik an der Theorie des Managements wird in folgenden Punkten zusammengefaßt (a. a. O., S. 322): Es handle sich dabei um eine methodologisch saloppe und stark trendbedingte Apologie einer akademischen Angelegenheit; durch die Verpflichtung auf unablässige Veränderungen stifte sie in den Unternehmen viel Unruhe und Ärger; die Praktiker der Theorien seien Scharlatane der übelsten Sorte, die gigantische Rechnungen stellen dafür, daß sie lediglich Selbstverständlichkeiten, also common sense, in einen grotesken Jargon übersetzten.

Kommt der Bericht über "die Hexenmeister" zum Ergebnis, daß es notwendig ist, dem Management gegenüber skeptisch und selektiv zu sein, so hält er dennoch, trotz deutlicher Kritik, an der Möglichkeit eines "guten" in Abgrenzung von einem schlechten Management fest. Für S. Adams (1996) hingegen kann es so etwas wie gutes Management gar nicht geben. Denn ausgehend von der Analyse einer Unzahl von Geschichten vom Arbeitsplatz entwickelt er "a sophisticated theory", um das bizarre Verhalten am Arbeitsplatz zu klären. Kernstück dieser Theorie ist die Feststellung: Die Leute sind alle Idioten. Ohne Ausnahme. Idiotie ist im modernen Zeitalter für viele eine allumfassende 24-Stunden-Situation, zumindest aber ein Zustand, in den jeder täglich des öfteren verfällt (a. a. O., S. 3). Wahrgenommen wird wohl die Idiotie der anderen, selten jedoch die eigene. Daraus leitet S. Adams den Grundkonflikt des Geschäftslebens ab: "Wir erwarten, daß andere rational handeln, obwohl wir selbst irrational sind" (a. a. O., S. 7).

Das Postulat der Idiotie als Grundexistential des modernen Menschen führt dann zur Formulierung des "Dilbert Prinzips". 1979, als Scott ins Arbeitsleben eingetreten ist, habe sich das Management noch mit Hilfe des "Peter Prinzips" beschreiben lassen. Diesem Prinzip zufolge wurde jeder nach seiner Tätigkeit befördert, stieg so lange nach oben auf, bis er das ihm eigene Niveau der Inkompetenz erreicht hatte. Das Dilbert Prinzip trägt nun einer anderen Situation Rechnung: Heute werden offensichtlich inkompetente Beschäftigte direkt ins Management befördert, ohne je die Phase der temporären Kompetenz durchgemacht zu haben. In einer Liste der üblichen Lügen des Managements sind folgende Aussagen enthalten: Die Beschäftigten sind unser wichtigstes Kapital; unter dem neuen Plan können Sie mehr Geld verdienen; wir haben unsere Organisation erneuert, um kundenfreundlicher zu sein; die Zukunft ist vielversprechend; wir belohnen jene, die zur Übernahme von Risiken bereit sind; Leistung wird immer belohnt; Bildung hat hohe Priorität; unsere Belegschaft ist die beste; Ihr Beitrag ist wichtig für uns" (a. a. O., S. 71f.). Nach Adams lügt das Management also, baut Scheinwelten und Fiktionen auf, beutet aus, versteckt sein Tun hinter einer hochtrabenden aber hohlen Sprache, dreht dummen Leuten schlechte Produkte an und bedient sich der Demütigung anderer als Führungsinstrument.

Wie dieser Film abläuft und welche Elemente konstitutiv sind für ihn, damit setzt sich auch J. Sur 1997 auf seiner Suche nach einer Alternative zum Management auseinander. Dabei unterscheidet er zunächst drei Verwendungsweisen des Ausdrucks "Management": Einmal als durchaus diskutabler Anglizismus im Sinne der Führung oder Organisation; dann aber als Ausdruck für die Gesamtheit der Praktiken eines Unternehmens, die angesprochen sind, wenn vom Management bei IBM, bei Renault u. a. die Rede ist. Schließlich aber als Bezugnahme auf die Ideologie, die diesen Praktiken zugrundeliegt, der von ihr verkündeten Zielorientierungen und Methoden sowie Autoren, die sich konstruiert haben (J. Sur 1997, S, 27). Von Interesse ist vor allem die letztgenannte Bedeutung, aus der S. Adams die Formulierung seines Dilbert-Prinzips ableitet, die J. Sur jedoch anregt, ein "Requiem für das Management" (a. a. O., S. 25-42) zu schreiben. Dabei geht es ihm vor allem darum, die Zusammenhänge zwischen Modernisierung und Regression aufzuzeigen, die doppelzüngige Sprachverwendung ins Licht zu rücken und zu verdeutlichen, in welchem Ausmaß die Ideologie des Managements letztlich eine Gegenmetaphysik repräsentiert.

J. Surs kritische Analysen leben aus einer langjährigen Erfahrung des Umgangs mit jenen, die Opfer des Managements sind und im Umgang mit diesem ihre eigenen Überlebenstechniken entwickelt haben. Er konstatiert eine deutlich spürbare Veränderung der betrieblichen Atmosphären seit Beginn der 80er Jahre. Waren diese zuvor bestimmt von einer Überzeugung an die Möglichkeit weiterer wirtschaftlicher Entwicklung bei gleichzeitiger kritischer Distanz zu ihr, Ausdruck von tradiertem Arbeiterbewußtsein und Nachhall der Ereignisse von 1968, so haben sich seither Verhältnisse etabliert, die vielfaches Unbehagen mit sich bringen, doch nur schwer zu artikulieren sind. Vor den 80er Jahren wurde die Arbeitssituation gelebt als Leiden an einem alten Übel, das jedoch bekannt war und mit dem man umzugehen wußte. Die neue Situation ist nun charakterisiert durch unmittelbare Bedrohlichkeit, die umso beunruhigender, weil weniger durchschaubar ist. Die Belegschaften fühlen sich Angriffen ausgesetzt, die mit Worten und Begriffen geführt werden, gegen die Einwände nur schwer zu formulieren sind: es ist vermehrt die Rede von Kommunikation und Kooperation, Freiheit und Selbstverantwortung, Gruppenarbeit und Leistungssteigerung. Doch alle die schönen neuen Ausdrücke haben einen anderen als den bisher bekannten Sinn, stiften daher extreme Konfusion und führen zur Entwicklung von Reaktionsweisen, die Schutz bieten sollen vor unverschämten Zugriffen, ohne jedoch den Anschein von Widerständigkeit zu erwecken.

Der Triumph des Managements, einer "Denkrichtung, der das Denken fehlt" (a. a. O. S. 28), ist für J. Sur nicht allein mit Hinweisen auf die Macht des liberalen Denkens, auf die Perfidität von Beratung und beschränktes Reaktionsvermögen der Arbeitervertretungen zu erklären. Dazu bedurfte es vielmehr der Komplizität zwischen den Herren und den Knechten, bei der die Manipulation der letzteren durch erstere wohl mit im Spiel gewesen sein mag, aber nur erfolgreich sein konnte, weil ihr eine Manipulation größeren Maßstabs bereits vorangegangen war. Die vorausgehende Manipulation bestand darin, ökonomische und finanzielle Belange so sehr in die Mitte zu stellen, daß sich das kollektive Leben zu einer inhaltsleeren Abstraktion verflüchtigen mußte. Der Kult des Wettbewerbs entzieht jeder Solidarität die erforderliche Grundlage, Denken ist nur dann legitim, wenn es zu Aktionen führt oder solche legitimiert. Jenen, die sich eingehender mit dem Management auseinandersetzten, war längst klar, daß es auf unzuverlässigen Grundlagen beruht: seine ideellen Referenzpunkte hängen in der Luft, seine Pädagogik ist naiv, sein Sehvermögen beschränkt. Die Theoretiker des Managements sind Amateure, seine Praktiker hingegen Mitläufer, was dazu führen wird, daß sich seine hochgelobte Wirksamkeit wohl bald in Nichts auflösen wird. Bislang lebt das Management jedoch weitgehend davon, daß es einer aus dem Tritt geratenen Gesellschaften die Möglichkeiten anbietet, modern zu sein durch Regression, daß es möglich ist, aus Altem Neues zu machen, aus Dummheit Intelligenz, aus Nachlässigkeit Entschiedenheit, aus Egoismus hingegen Großzügigkeit. Mit äußester Perversität verbindet das Management die beiden Wege der Flucht aus der Gegenwart: auf der einen Seite die Flucht in die Vergangenheit durch die Unterwerfung unter einen Führer und die Verehrung des Zwanges, auf der anderen Seite die Flucht in die Zukunft mit dem Glauben an die unverselle Machbarkeit durch Eingriffe technischer Art.

Doch auf einer derartigen Basis vermag keine Gesellschaft auf Dauer zu funktionieren, dies um so weniger, als mit dem technischen Fortschritt die Anforderungen steigen und ohne innerlich beteiligte, motivierte Belegschaften nicht mehr viel zu machen ist. In dieser Situation setzt das Management auf die Erzeugung von Angst und beruft sich auf die unvermeidlichen Sachzwänge. Damit entsteht der Gegenmythos eines Glücks ohne Freiheit, einer Realität ohne Humanität, eine Gegenwart ohne Zukunft. Dieser Gegenmythos, bedingt durch das irrationale Dogma von Zwang zu Wettbewerbsfähigkeit und Effektivität bringt einen elementaren Realitätsverlust mit sich, der durch die Berufung auf moralische Werte und ehrliche Absichten kompensiert werden soll. Mit Händen und Füßen an den ökonomischen Determinismus gebunden, punktet das Management mit der Rhetorik der Werte, des Sinnes und der Kultur, will damit seine philosphische, soziale, prophetische und mystische Seite hervorkehren. Doch man täusche sich nicht, der Rekurs auf nicht weiter zu diskutierende Sachzwänge ist das Dogma, das eine neue Transzendenz begründet, aus der der neue Totalitarismus sich ableitet.

Die alles wird durch eine äußerst aktive Propaganda des Managements im eigenen Interesse noch verstärkt. Seine Doppelzüngigkeit ist bedingt durch die Verschiedenheit der Adressaten. Einmal ist es das einfach Volk, für das humoristische Bilder und Karikaturen geeignet sind, den Eindruck einer Doktrin des vernünftigen Allgemeinwissens im Interesse aller zu erzeugen; dann aber die Eliten, die es auf höherer Ebene anzusprechen gilt, wo nur mit abgehobenen Bedeutungen der rechte Ton gefunden werden kann. J. Sur (1997, S. 35) verweist dazu auf die Verse, die einer Anleitung zum coaching und zum team-building vorangestellt sind:

"im Inneren des Vorgesetzten, ein Held,

im Inneren des Helden, ein Prinz,

im Inneren des Prinzen, ein 'neuer Mensch',

im Inneren des neuen Menschen, der göttliche Geist"

In derartigen Insinuationen zeigt sich der zweifelhafte Glaube an Höheres, zu dem das Management berufen ist. Aus diesem Glauben ergibt sich der Hang zur Distinktion vom gewöhnlichem Fußvolk, aus dem Geiste der Eroberung wird der Prinz geboren, der neue Mensch, in dem das Höchste wohnt. Die sektiererischen Konotationen dieses neuen Selbstbewußtseins ergeben sich daraus, daß es nicht möglich ist, zur gleichen Zeit ein gewöhnliches Leben zu führen und an der Ausübung der gesellschaftlichen Herrschaft zu partizipieren. Objekte dieser Herrschaftsausübung der Repräsentanten des ökonomischen Prinzips sind mehr die menschlichen Personen als die gegenständlichen Dinge, denn die Ideologie des Zwangs zu Wettbewerb und Konkurrenz führt zur Etablierung der Evaluation als Dauereinrichtung ebenso wie zum Ausschluß der Schwächeren. Manager sein bedeutet letztlich, dem mysteriösen Zwang eines unbegründbaren "weil" verpflichtet zu sein, das in der Gewalt die Grundlage der Geschichte und des Menschen sieht und die Eigenwertigkeiten des Alltäglichen und Normalen in Abrede stellt. Der unauflösliche Widerspruch zwischen brutaler Herrschaftsausübung und den Appellen zu Kreativität, Kooperation und Identifikation findet seinen Ausdruck im Neologismus einer "Coer-seduction", einer Mischung von Zwang und Verführung, wobei, wenn das Management seine beiden Ziele erreichen will, der Zwang das Wesentliche der Verführung ausmacht. Für das Management bedeutet die Ausübung des Zwanges, der Teilhabe an der Machtausübung ein Lusterlebnis, für jene, die davon betroffen sind, sind damit hingegen Erfahrungen von Angst und Einschränkung verbunden. Da dem Management das Gesetz des Handelns von außen vorgegeben ist, muß es ständig erneut diese Kluft überbrücken zwischen dem, was es ist und dem, was es vorgibt, zu sein. Das System des Managements ist daher gezwungen, von einer Lüge auf die andere auszuweichen (J. Sur 1997, S. 40). Doch auf die wesentlichen Fragen nach den Bedingungen der Möglichkeit, frei zu sein, nach der Existenz der anderen, dem Sinn des Lebens, Fragen die nicht auf Dauer niederzuhalten sind, hat das Management keine Antworten. Daher J. Surs Erwartung, daß die Tage des Managements, dieser verkehrten Metaphysik, gezählt sind und es möglich wird, seinen Ideen und Begierden eine völlig andere Richtung zu geben.

In ähnlicher Weise diagnostiziert auch M. Villette (1996, S. 134) eine Krise des Managements, seiner Prinzipien, Doktrinen und Techniken als einer Antwort, die bestens zu einem Problem paßt, "das aber nicht mehr das unsere ist". Für M. Villette ist das Management ein Ensemble von Diskursen, technischen Vorkehrungen und Praktiken, die darauf ausgerichtet sind, sich die Herrschaft über die Zeit (planen, prognostizieren), den Raum (anordnen, konstruieren), Maschinen und technische Objekte (entwerfen, verbessern, erhalten), Warenströme und Geldströme, über andere Personen und auch sich selbst anzueignen. Er warnt davor, Management mit einer genauen und adäquaten Kenntnis der Funktionsweise eines Unternehmens oder eines Marktes zu verwechseln oder von ihm eine genaue Beschreibung der wirtschaftlichen Gegebenheiten zu erwarten. Denn in vieler Hinsicht erweist sich das Management als Umkehrbild der Realität, die es zu sanieren beansprucht, in dem es sie negiert. Analog zur Deutung der Träume bei S. Freud leben die Diskurse der Manager davon, ein Gegenbild der Praxis zu erzeugen (Villette 1996, S. 137). In einer solchen Sichtweise wird nicht nur Freud bemüht, um das Zusammenspiel von konstruierter Welt und verborgener Affektwelt transparent zu machen, sondern kommt auch Machiavelli ins Spiel, der wohl wie kein anderer auf die Bedeutung des Scheins für die Konstitution des Seins hingewiesen hatte. Daß sich der Schein so leicht tut, der Realität gegenüber zu behaupten, hängt damit zusammen, daß er ein Heilsversprechen in sich birgt. Was eine nur technische Angelegenheit zu sein scheint, das Hantieren mit Modellen, Checklisten und Maßnahmenkatalogen zur Kontrolle von Unsicherheit und Komplexität, hat somit auch eine hintergründig religiöse Dimension.

Wenn Manager in verschiedenen Gestalten auftreten, einmal als Theoretiker, dann aber als Therapeuten und schließlich als Prediger, Propheten und Evangelisten (J. Micklethwait, A. Cooldrige 1996, S. 320), so ist dies kein zufälliges Nebeneinander völlig voneinander unabhängiger Rollenspiele. A. Villette (1996, S. 139) sieht darin viel mehr eine geordnete Abfolge verschiedener Phasen, wobei der Übergang von der einen zur anderen einer leicht nachvollziehbaren Logik entspricht. Zunächst einmal beginnt der Manager damit, seine Situation nach den Prinzipien und Techniken, die man ihn gelehrt hat, in den Griff zu bekommen. Er engagiert sich für ein Ziel und übernimmt Verantwortung. Dabei begegnet er der Widerständigkeit der Objekte, technischen Schwierigkeiten, und stößt auf den Widerstand von Subjekten, seien dies Klienten, Lieferanten oder Konkurrenten, Kollegen oder Mitarbeiter, die alle auf ihre Weise ebenfalls versuchen, ihre eigene Situation unter Kontrolle zu haben und ihre eigenen Ziele zu erreichen. Der Manager ist also gezwungen, seine Pläne zu ändern und seine Entwürfe den neuen Gegebenheiten anzupassen. Aufgrund dieser Erfahrungen entwickelt er ein neues Verständnis von Management, wobei den persönlichen Eigenschaften, die sich aus früheren Erfahrungen ergeben, weit mehr Bedeutung zugewiesen wird. Er verläßt sich nun nicht mehr auf seine Techniken und Programme, sondern auf seine Intuition und Improvisationsfähigkeit. Er fühlt sich als die geborene Führerpersönlichkeit, die instinktiv das Richtige findet. Damit sind die erreichten Ergebnisse nicht mehr die Folge rationaler Vorgehensweise, sondern anderen Gründen zuzuschreiben. Und wenn er nun anfängt, Unzulänglichkeiten der Gegenwart mit Versprechungen für eine bessere Zukunft zu kaschieren, Analysen durch Loblieder zu ersetzen, sich selbst und die anderen im Hinblick auf bestimmte Symbole, Rituale und Fetische zu reorganisieren, so hat er die Wissenschaft hinter sich gelassen und in der Magie eine neue Zuflucht gefunden. Der natürliche Wachstums- und Reifungsprozeß eines Managers entspricht also folgendem Schema: er beginnt mit dem Glauben und Anspruch, seinen Betrieb mit wissenschaftlich fundierten Grundlagen führen und steuern zu können. Darauf folgt eine Phase der Verunsicherung und der Suche nach anderen und "besseren" Theorien, die dann überleiten zu einer dritten Phase, die auf der Basis des Irrationalismus wieder neue Sicherheiten bringt.

Eine im Wesentlichen gleichlautende Kritik an den Theorien und Praktiken des Management enthält J. P. Le Goffs Arbeit über " Le Mythe de l' Enterprise" aus dem Jahre 1992. Sie versteht sich als Kritik des Managements und seiner Ideologie, die heute die Grenzen der Betriebszäune übersteigt und auf jeden beliebigen anderen gesellschaftlichen Kontext gleichsam als Rezept zur Verbesserung seiner Funktionsweisen übertragen wird. Das Unternehmen tritt damit an jenen Platz, der früher der Familie zugeschrieben wurde, nämlich Urbild und Keimzelle der Gesellschaft zu sein.

Im Vorwort zur zweiten Auflage 1995 spricht J. P. Le Goff von einer sich ankündigenden Krise der Ideologie des Managements. Als Anzeichen dafür verweist er auf Schwierigkeiten der Beratungsfirmen, den Spezialisten für Motivation und Mobilisierung der Humanressourcen, sowie auf rückläufige Verkaufszahlen von Managementliteratur für eilige Führungskräfte. Außerdem verweist er darauf, daß die manipulativen Praktiken des Managements schließlich ein Echo in den Medien finden und die pathologischen Konsequenzen der neuen Arbeitsformen in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Reformierbar ist das Management für ihn nicht über einen Wechsel der Instrumente und Methoden, sondern nur über die Anerkennung jener Dimensionen, welche die Basis eines jeden Unternehmens in einer demokratischen Gesellschaft sein müssen: zunächst einmal die Pluralität irreduzibler Interessen und Ansprüche und, damit zusammenhängend, der Legitimität von Konflikten; dann aber ein nicht aufzuhebender Raum der Autonomie, den sich die Akteure in ihrer Arbeit zugestehen; und schließlich der Einsicht, daß Zufall und Unvorhersehbares ein nicht aufzuhebender, inhärenter Teil jeder Aktivität sind. In den Ausbildungsgängen für das Management wird für gewöhnlich eine Geisteshaltung vertreten, die den genannten drei Dimensionen die Existenzberechtigung abspricht. In den Betrieben selbst läuft die Rhetorik der Selbständigkeit und Verantwortlichkeit des einzelnen in Verbindung mit einer Inflation von Evaluations- und Kontrollinstrumenten auf ihre direkte Negation hinaus. Handlungsrelevante Anerkennung oder Ablehnung der genannte drei Dimensionen ist daher in den Augen J. P. Le Goffs konstitutiv für die Herausbildung von zwei großen Richtungen des Managements: auf der einen Seite jene, die sich zu Realismus und Demokratie bekennt, auf der anderen aber jene, die sich dem Konzept der Tabula rasa und der modernistischen Ideologie verpflichtet fühlt. Im ersten Fall wird Effektivität dadurch angestrebt, mit Leuten, so wie sie sind, zu arbeiten, ihre Weiterentwicklung zu fördern und im sozialen Substrat jenen Schlüsselfaktor zu sehen, der häufig als "Motivation" bezeichnet wird. Im zweiten Fall sind die Ambitionen darauf ausgerichtet, jenen neuen Menschen zu formen, dessen ein modernes Unternehmen bedarf, was heißt, bisherige Arbeitsgewohnheiten und -gesinnungen radikal zu verändern und im Sinne übergeordneter Interessen zu vereinnahmen.

Diese Unterscheidung läuft im Prinzip ebenfalls auf eine Unterscheidung von "gutem" und "schlechtem" Management hinaus wie bei Micklethwait und Wooldrige, doch orientierten sie sich an deutlich anders akzentuierten Kriterien. Überdies sucht Le Goff, was nicht unwichtig ist, die Ursprünge der Ideologie des Managements weder in den Veränderungen zu Beginn der 80er Jahre dieses Jahrhunderts noch im Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern in diversen Doktrinen des 19. Jahrhunderts. Diesbezüglich ist auf die Ordnungsvorstellungen des Patronats und die religiöse Verherrlichung der Arbeit im Katholizismus zu verweisen, insbesondere aber auch auf die Lehren S. Simons (J. P. Le Goff 1995, S. 206f), der gemeinhin als einer der Gründerväter der Soziologie gilt. Als Zentralfigur der utopischen Sozialisten repräsentiert er jene doppelte Tendenz, die, unter anderen, auch K. Marx später stark beeindruckt hat: über eine Neuordnung der Produktionsprozesse die Entwicklung der Gesellschaft voranzutreiben und zu vollenden. Damit galt es, eine Technik des Sozialen zu entwerfen, um die hochgesteckten Ziele erreichen zu können. Grundlage dieser Sozialtechnologie sollte eine neue Wissenschaft sein, die das Ancien Régime samt der dazugehörenden Religion endgültig hinter sich lassen und ein glücklicheres Zeitalter einleiten sollte. Die folgenden Wirtschaftskrisen taten ein übriges, um den Ruf nach einer Reorganisation der Wirtschaft zum Zwecke einer Verbesserung der Gesellschaft als unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Doch was in deren Namen dann an Erneuerungen durchgesetzt worden ist, ist einem völlig anderen Imaginären verpflichtet, dem Machbarkeitsdenken im Horizont der neuen neoliberalen Doxa. Vom größeren Glück für alle in einer besseren Gesellschaft ist allerdings nicht mehr die Rede. An dessen Stelle ist die Freiheit der wenigen getreten, ihr Glück in unbegrenzter Akkumulation zu suchen, wobei die Zerstörung der Demokratie als wenig bedeutsame Nebenerscheinung gerne in Kauf genommen wird. Dieser Prozeß wird sich so lange fortsetzen, bis es auf Widerstand stößt.



5. Und zurück zur Soziologie?

Zu Beginn der Überlegungen stand der Hinweis auf den kurzen Frühling der Soziologie, dem dann rasch eine weit weniger bunte und bewegte Phase eines langes Herbstes folgte. Ob das Herbstgrau nicht eigentlich schon ein Winter gewesen ist, mag dahingestellt bleiben, jedenfalls hat die Soziologie überwintert. Mit dem Bild eines Wechsels vom Frühling über den Herbst zum Winter lassen sich auch die Veränderungen der Gesellschaft verdeutlichen, wo offensichtlich ein strenger Winter eingefallen ist, der die Prozesse des Lebens verlangsamt, lähmt und schließlich, kommt der Winter nicht an sein Ende, erstarren läßt. Von dieser Abkühlung und dem damit verbundenen Energieentzug profitierte jedoch die Wirtschaft und die ihr korrespondierende Ideologie im Sinne eines System von Ideen, die reale Prozesse steuern und legitimieren sollen. Dieser Ideologie zufolge ist die Verschärfung der winterlichen Verhältnisse unvermeidlich, wenn es je wieder einen gesellschaftlichen Frühling für jene geben soll, die den Winter überlebt haben. Der Temperatursturz und die steigende Zahl der Frierenden und Erfrorenen nährt seit längerem die Zweifel am Wohlwollen der Wettergötter und ihrer Klugheit. Doch vom Wunsch nach einem anderen Wetter bis zum Entschluß, dieses selbst zu beeinflussen, ist ein weiter Weg. Überdies ist die Frage offen, wer bereit ist, den neuen Wettermachern ins Handwerk zu pfuschen und die Mittel dazu hat, es auch zu tun. Sind dies jene, die am meisten von der Kälte betroffen sind, oder jene, die bislang vergleichsweise komfortabel überwintert haben?

Offensichtlich hat die Entwicklung heute einen Punkt erreicht, an dem die Wetterprognosen an Glaubwürdigkeit stark verlieren. Doch Skepsis an der Richtigkeit ist noch kein begründetes Wissen um die Falschheit, das für sich alleine auch noch nicht ausreicht, die Verhältnisse zu ändern. Eine Änderung ist erst dann zu erwarten, wenn die Akzeptanz der vorgelegten Diagnosen und Prognosen sich verringert und in bewußte Ablehnung übergeht. Wenn sich die Sozialwissenschaften generell und die Soziologie im besonderen von dieser Aufgabe, an einer Entmythologisierung des ökonomischen Terrorismus mitzuwirken und dabei eine führende Rolle zu übernehmen, nicht angesprochen fühlen, besteht die Gefahr, daß ihr Winterschlaf in definitiver Erstarrung endet und sie selbst binnen Kurzem ein Fall der Entsorgung werden. Denn was sollen die Bosse und Knechte der Ökonomie denn anderes tun, wenn ihnen daran gelegen ist, ihre Maschine vor störendem Treibsand zu schützen, und Bereiche, die keine Profite versprechen, als nutzlos zu liquidieren? Doch Entmythologisierung ist nur das eine, das zuwenig ist, wenn es nicht zur Etablierung anderer gesellschaftlicher Praktiken führt.

Die Verunsicherung des Managements, geschürt durch Kritik von innen wie von außen, eröffnet einen neuen Raum für die Selbstvergewisserung der Soziologie, die ihrer Neupositionierung den Weg ebnen kann. Einen ersten Anhaltspunkt dazu bietet die Selbstkritik jener Doktrin, die am Anfang dessen stand, was heute als Terror der Ökonomie (Forrester 1996) sichtbar und spürbar geworden ist. In einem nächsten Schritt sind den beschönigenden Darstellungen der Gegenwart und den Verweisen auf eine bessere Zukunft realitätsnähere Analysen und Deskriptionen entgegenzusetzen. Dies erfordert eine intensivere Auseinandersetzung mit dem ökonomischen Bereich im engeren Sinne und führt zur Frage, inwiefern es unerläßlich ist, die de facto bestehende Arbeitsteilung zwischen Wissenschaften, die teils für das Ökonomische, teils für das Soziale zuständig sind, wieder zurückzuschreiben und damit die Diskussionen und Themen der früheren politischen Ökonomie aufzugreifen bzw. sich für die Möglichkeiten einer neuen Sozialökonomie zu interessieren. Darüber hinaus ist zu klären, ob praktisch-intervenierende Aufgaben in einer Neuorientierung der Soziologie einen höheren Stellenwert einnehmen können oder das praktische Geschehen wiederum anderen Personen bzw. dem Zufall überlassen wird.

Als Ergänzung zur Selbstkritik am Management, wie sie in "The Witch Doctors" von Micklethwait und Wooldringe am deutlichsten greifbar wird, wäre wohl auf die Skepsis der Ökonomen selbst hinzuweisen, wie sie anläßlich der 50-Jahr-Feier der Mont Pelerin Society (MPS) Anfang April 1997 im Montreux artikuliert worden ist (vgl. Schwarz 1997, S. 29). M. Friedmann hat anläßlich dieser Jubiläumsfeier anscheinend die Behauptung aufgestellt, die Unfreiheit sei heute größer als 1947. In den Debatten der Vereinigung standen laut Bericht folgende fünf Überlegungen im Vordergrund: zunächst einmal, daß die Ideale des Sozialismus heute zwar mehr im Verborgenen blühten, aber ihre Verführungskraft nicht verloren hätten; daß der Liberalismus zwar den Kampf der Weltanschauungen gewonnen haben, aber die Umsetzung der damit verbundenen Politik unzulänglich sei; daß die Demokratie alle Mechanismen in sich berge, um die Freiheit des Individuums zu Gunsten eines ausufernden Staates zu unterlaufen; daß der Übergang von der Wohlfahrtsdiktatur zur deregulierten Gesellschaft sich als schwieriger erweise, weil er nicht nur eine technokratische Lösung der Armutsprobleme sei, sondern auch die Vorstellungen von Staat und vom selbstverantwortlichem Leben massiv verändert habe; die fünfte und letzte Sorge gilt dem Zerfall der Moral und der Ethik, da eine freie Wirtschaft ohne allgemeine Akzeptanz einiger zentraler moralischer Grundwerte nicht funktionieren könne. Ungeachtet dieser Feststellung werden aber Vorteile und Nachteile des moralischen Agnostizismus einander gegenübergestellt, um schließlich doch der Betonung der Moral den Vorzug einzuräumen. Dies deswegen, weil der Liberalismus dem Wohlfahrtsstaat gegenüber nur dann eine Chance habe, wenn er sich nicht nur als intellektuell überlegen erweise, sondern auch seine moralische Überlegenheit verdeutlichen könne. An der Behauptung, die MPS, deren Gründungsjahre in die Frühzeit des kalten Krieges zurückreiche, habe sich vom Anfang an nicht als eine rein ökonomische, ja nicht einmal als primär ökonomische Vereinigung verstanden, sind Zweifel anzumelden. Statutenmäßig ist zwar festgehalten, "ihr Ziel ist es einzig, zur Bewahrung und Verbesserung der freien Gesellschaft beizutragen, indem sie den Gedankenaustausch zwischen jenen Geistern fördert, die von gewissen gemeinsamen Idealen inspiriert sind". Welcher Art dieser gewissen Ideale sind, ist nicht mehr näher angegeben. Möglicherweise sind diese Ideen doch nicht nur Teil einer abgehobenen, weltfernen Ideenwelt, wenn in der Ablehnung jeder Kontrolle der Güterproduktion und der Einkommensverteilung gravierende Freiheitsbeschränkungen gesehen werden.

Die Auseinandersetzung mit den dürftigen Theorien des Managements mag ebensowenig spannend sein wie eine Beschäftigung mit der konfusen Freiheits-, Wert- und Moraldiskussion der Neoliberalen. Doch wenn in ihrem Namen die Demokratie zerstört, die Kultur ruiniert und der gesellschaftlichen Regression Vorschub geleistet wird, dann ist der Bürger ebenso wie der Wissenschaftler gefordert, Streit zu suchen und Konflikte auszutragen. Eine Soziologie, die sich zumindest der Aufgabe stellt, die Gedankengebäude, Sprach- und Vorgangsweisen (vgl. D. Courpasson 1997, S. 39) des Managements zu thematisieren, hat alle Chancen, verlorenes Terrain zurückzugewinnen, ohne sich auf uferlose Weltanschauungskämpfe einlassen zu müssen.

Literatur

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Schwarz G., Jede Generation muß sich ihre Freiheit verdienen. Mont-Pelerin- 50 Jahre danach, in: NZZ Nr. 101 von 3./4.5. 1997, S. 29

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1.

1 Der Begriff "pensée unique" wurde Anfang 1995 von I. Ramonet erstmals verwendet und dient heute im französischen Sprachraum der Bezeichnung des neoliberalen Gedankengutes

2.

2 Neben dem Staat und den Unternehmen spielen die Non-Profit-Organisationen eine wichtige Rolle; auch bei ihnen werden Managementdefizite festgestellt, die dadurch behoben werden sollen, daß auch, obwohl sie nicht gwinnorientiert, den Gesetzen des Wettbewerbs unterworfen werden. Vgl. dazu R. Purtschert, Nonprofit schützt von Management nicht, 1995.

3.

3 In Le Monde diplomatique, Manière de voir Nr. 32

4.

4 Vgl. The Random House Dictionary of the English Language, Unabridged Edition, New York 1967, p. 869.