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Domestizierte Gewerkschaften

4 Eine neue Gewerkschaft des sozialen Widerspruchs? (S. 109 - 151)

In völlig überraschender Weise haben, nach einem langen Niedergang des Syndikalismus, einige Organisationen in den 90er Jahren versucht, ein neues Modell zu finden, das offener und kämpferischer ist. Dieser neue Syndikalismus hat einige spektakuläre Siege errungen. Mehrere Zehntausende von unterbezahlten in der Gebäudereinigung Beschäftigten haben sich nach der Kampagne "Justice for Janitors" (J for J") gewerkschaftlich organisiert, die von der SEIU in mehreren Städten lanciert worden ist. Dieselbe Organisation hat im Februar 1999 in gleicher Weise einen historischen Sieg errungen, als sie nach einer Kampagne in Süd-Kalifornien 74.000 Hilfskräfte in der Hauskrankenpflege, die nur den Minimallohn erhalten haben, gewerkschaftlich erfaßten: dies war der größte Sieg einer Gewerkschaftsorganisation seit der Einführung des Syndikalismus bei General Motors durch die United Auto Workers im Jahre 1937. Der Gewerkschaft HERE ist es ebenfalls gelungen, eine große Zahl von unterbezahlten Hotelangestellten zu rekrutieren, vor allem in den riesigen Kasinos von Las Vegas, wo in den letzten Jahren mehr als 32.000 Arbeiter der Gewerkschaft beigetreten sind. Im Juni 1999 konnte die UNITE, die Gewerkschaft des Textil- und Konfektionsbereiches, im größten Textilbetrieb, der während 93 Jahren das Symbol des Widerstandes gegen die Gewerkschaften im Süden der USA gewesen ist, den Ablauf der Ereignisse beeinflussen. Dieses neue Modell der gewerkschaftlichen Aktion hat darüber hinaus andere Protestgruppen dazu angeregt, sich am Kampf zu beteiligen und Kampagnen zu starten, um die katastrophale Situation der unterbezahlten amerikanischen Arbeiter zu verbessern. Damit ist es dem Syndikalismus des sozialen Widerstandes in exemplarischer Weise gelungen, die neuen und unerwarteten Quellen gesellschaftlicher Gegenmacht herauszustellen. Um wirklich abschätzen zu können, was diese neue Situation für die Zukunft bedeuten kann, gilt es zu verstehen, daß es sich dabei um eine Antwort auf ein ganzes Bündel von Zwängen, die von der amerikanischen Gesellschaft ausgehen, und insbesondere auf die Methode des Patronates handelt, die darin besteht, im Kernbereich der amerikanischen Produktion Zonen zu schaffen, in denen Gewerkschaften verboten sind. Um den Weg, den der neue Syndikalismus zurückgelegt hat und die damit für die Zukunft bestehenden Möglichkeiten begreifen zu können, hat man zu berücksichtigen, daß diese Siege gleichzeitig das Resultat besonderer Umstände des lokalen Kontextes wie auch der Kreativität einer neuen Generation militanter Gewerkschafter sind.

Der Syndikalismus in "verbotener Zone" (S. 110-114)

Überraschenderweise wurden die Siege der Gewerkschaften der 90er Jahre im ungünstigsten Zeitpunkt errungen, d.h. nach zwei Jahrzehnten heftigster Attacken von Seiten des amerikanischen Patronates. Die demographischen Veränderungen der Lohnarbeiterschaft und die strukturellen Verschiebungen der Wirtschaft waren bei den Schwierigkeiten der Gewerkschaften ebenso von großem Gewicht. Die Auswirkungen dieser Situation wurden zusätzlich verstärkt durch einen feindseligen institutionellen Kontext. Seit dem Beginn der 80er Jahre stellten die Frauen, die Minoritäten und die Immigranten einen immer größeren Anteil an der amerikanischen Lohnarbeiterschaft. Sie waren mehrheitlich nicht in der Industrie beschäftigt, die sich in einer Phase der Rezession befand, sondern im expandierenden Sektor der Dienstleistungen. Dabei handelte es sich im allgemeinen um weniger interessante Beschäftigung als jene der Arbeiter - mit schlechterer Bezahlung, häufig ohne Krankenversicherung und ohne Altersfürsorge, meistens auch nur auf Zeit oder unter prekären Umständen. Wenn dieser Zustand dem Großteil der Amerikaner für völlig normal vorkam, so galt dies keineswegs für eine Reihe von europäischen Ländern, wo die Löhne des Dienstleistungsbereiches in etwa jenen in der Industrie vergleichbar sind und wo alle Beschäftigten eine Kranken- und Altersversicherung haben, einen geregelten Urlaub und andere gesetzlich vorgeschriebene Sozialleistungen. Doch im amerikanischen institutionellen Kontext hat das wachsende Ausmaß unzureichend remunerierter Beschäftigung im Bereich der Dienstleistungen und die Verringerung interessanter Industriearbeitsplätze zu einem Rückgang der Löhne in der ganzen Arbeitswelt geführt und die Spannungen erhöht zwischen den weißen Arbeitern, die noch im Genuß eines Systems von privaten Dienstleistungen standen, und den im Dienstleistungsbereich Beschäftigten, vorwiegend farbige Frauen, die so etwas nicht hatten.

Auf diese Weise hat die Unnachgiebigkeit des Patronates, in Verbindung mit dezentralisierten Institutionen der Regelung des amerikanischen Arbeitsmarktes, eine für die Gewerkschaften äußerst feindselige Umwelt geschaffen. Jene ökonomischen Bereiche, wo sie mächtig gewesen waren und in der Nachkriegszeit ein "privates System eines Wohlfahrtsstaates" einrichten konnten, schienen nun ihrer Kontrolle zu entgleiten, dies umso mehr, als sich das Patronat daran machte, in vielen Bereichen der Produktion das durchzusetzen, was man "verbotene Zonen" nennen könnte. Diese Situation schien darüber hinaus auch deswegen besonders besorgniserregend zu sein, speziell im Bereich der Dienstleistungen, wo die Arbeitskräfte und die Arbeitsbedingungen sehr problematisch gewesen sind und wo die Gewerkschaften weder über ausreichende Erfahrungen noch über genug Bastionen verfügten, von denen aus neue Initiativen hätten ergriffen werden können. Der einzige Bereich, für den es noch einige Hoffnung gab, war der öffentliche Bereich, wo man noch Druck erzeugen konnte, sowohl auf politischer wie auch auf sozialer Ebene, um die Arbeitgeber daran zu hindern, in ähnlicher Weise aggressive Kampagnen gegen die Gewerkschaften durchzuführen wie dies im privaten Sektor der Fall gewesen ist. Konfrontiert mit der neuen Realität, schwankten hier die Gewerkschaftsführungen zwischen der Suche nach Verständigung und schroffer Ablehnung. Verständigung deswegen, weil die Gewerkschaften sonst alle Versuche, Fuß zu fassen, aufgegeben hätten - und dies zum Zeitpunkt, da ihnen klar wurde, daß ihre seit Jahrzehnten verfolgen Taktiken, besonders bei den Wahlen des NLRB, nicht mehr erfolgversprechend waren. Im Jahre 1985, einer Periode massiver Desyndikalisierung, wurde nach den Wahlen des NLRB jährlich lediglich 1% der Arbeiterschaft des privaten Sektors rekrutiert.

Eine andere, noch gefährlichere Einstellung, doch kennzeichnend für den Großteil der Gewerkschaftsführung, bestand in der simplen Negation der Krise. Während der Jahre, als die Situation imme schlechter wurde, schlugen sich der Leiter der diversen Sektoren der AFL-CIO auf die Seite von George Meany, der 1970 erklärt hatte: "Warum sollten wir uns Sorgen machen um die Rekrutierung (...)? Um es klar zu sagen, früher haben mich die Mitglieder und ihre Anzahl beunruhigt, doch das ist nun lange vorbei, denn meiner Ansicht nach ist dies bedeutungslos". Andere Leitungsfiguren sprachen davon, "die Karren im Kreis aufzustellen" oder "zu warten, bis das Gewitter vorbei ist". Es gab auch solche, welche die Krise verleugneten, indem sie die Statuten ihrer Gewerkschaft dahingehend neu interpretierten, daß nur noch jene Bereiche dazugehörten, in denen es noch Mitglieder gab. So hat z.B. die UAW den ganzen Bereich der neuen Subkontraktoren, die alle nicht-syndikaliserte Betriebe gründeten, sich selbst überlassen; die lokalen Führer der UFCW haben ihren Zuständigkeitsbereich derart neu definiert, daß die großen Einkaufszentren, wo sie ehedem versucht hatten, Fuß zu fassen, nun nicht mehr als zu ihnen gehörig bezeichnet wurden. Oder anders gesagt, der Großteil des Führungspersonals ist Gefangener einer Kultur der Etablierung (von Gewerkschaften) gewesen, deren Grundlagen eine andere ökonomische Realität und bereits verschwundene Beziehungen von Arbeiter-Patronat-Regierung gewesen sind. Dies ist auch die Erklärung dafür, daß ihre Reaktion auf die Krise völlig ineffizient gewesen ist (was auch ihre Machtlosigkeit unterstreicht).

Die politischen Konsequenzen dieser Angleichung und dieser Verleugnung haben die Krise nur noch verstärkt. Als die Führung versuchte, eine immer kleiner werdende Mitgliederzahl besser abzusichern, war sie umso weniger geneigt, eine erweiterte Arbeiterklasse zu verteidigen. Als sie dann begann, dies zu tun, wurde sie umgehend diskreditiert: der Ärger, zu dem die Gewerkschaften und ihre wenig repräsentativen Mitglieder geworden waren, konnte nur der Stärkung der Überzeugung dienen, die Gewerkschaftsbewegung sei lediglich eine bornierte Gruppierung zur Verteidigung privilegierter Interessen, eine in der politischen Kultur Amerikas verachtete Kategorie.

Ende der 80er Jahre schien der völlige Zusammenbruch der Gewerkschaftsbewegung unmittelbar bevorzustehen. Selbst ihre Sympathisanten begannen vorauszusagen, daß bis zum Beginn des neuen Jahrtausends der Grad der Syndikalisierung auf unter 5% fallen würde, was zum Verschwinden ihrer institutionellen Präsenz und ihres politischen Einflusses führen würde. Dem amerikanischen Patronat war es gelungen, selbst in Regionen, wo die Gewerkschaft früher große Erfolge verbuchen konnten, für Gewerkschaften "verbotene Zonen" einzurichten, und da es unmöglich zu sein schien, in den Privatbetrieben noch neue Mitglieder zu rekrutieren, schien das pessimistische Szenario unvermeidbar zu sein.

Neue Praktiken, neue Möglichkeiten (S. 114-122)

Auf diesem Hintergrund des Niedergangs und der paralysierten Rekrutierung suchte eine kleine Zahl militanter Gewerkschafter aus dem nicht-industriellen Sektor nach neuen Methoden, um die Arbeiter zu organisieren: sie bemühten sich darum, die Gewerkschaftsbewegung im Dienstleistungsbereich und im öffentlichen Sektor neu aufzubauen, was oft besagen sollte: Arbeiter zu kontaktieren, die zu Minoritäten gehörten, Frauen und Immigranten, die man alle für bisher nicht mobilisierbar hielt. Durch ihre Aktion geriet diese Initiative auch auf anderen Ebenen in Widerspruch zu den überlieferten Ideen des Gewerkschaftsmanagements: dem Neoliberalismus gegenüber kritisch eingestellt, sahen sie das Ziel der Rekrutierung nicht nur in einer Erhöhung der Mitgliederzahlen, sondern vor allem darin, den Arbeitern die Möglichkeit zu geben, direkt ihrer kollektiven Macht Ausdruck zu geben, um mit dem Patronat zu verhandeln. Doch im Gegensatz zu den 30er Jahren, als die Militanten neue Formen der Rekrutierung fanden zur Transformation der syndikalen Bewegung, arbeiteten diese neuen Militanten in Strukturen, die über lange Zeit das Management der Gewerkschaften unterstützt hatten; sie wollten so der Sache nach im Gehäuse der alten eine neue Bewegung schaffen. Sie versuchten behutsam, den bürokratischen Strukturen der Gewerkschaft und den Institutionen der Regierung, welche der Konfliktregelung in der Arbeitswelt zu dienen hatten, eine neue Orientierung zu geben.

Dieser neue Syndikalismus läßt sich durch die Angabe eines halben Dutzends von Taktiken genauer charakterisieren, durch die er sich von jenen des Gewerkschaftsmanagements unterscheidet:

Erstens, statt zu versuchen, durch Kampagnen, die von oben kommen, jene zu organisieren, die es noch nicht sind und ihnen die Gewerkschaften als rentables System zur Verteidigung der Interessen der Beitragszahler zu "verkaufen", bemühten sich die Gewerkschafter des sozialen Widerstands (social movement unionists)darum, die Organisationen zu Instrumenten der Solidarität werden zu lassen, was den Beschäftigten die Möglichkeit geben sollte, ihre Probleme am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft kollektiv zu lösen.

Zweitens, diese Gewerkschafter nahmen sich die Unternehmen vor durch Kampagnen, deren Ziel es war, das so ungleiche Kräfteverhältnis zwischen Unternehmern und Beschäftigten in ein neues Gleichgewicht zu bringen. Die "Kampagne der Destabilisierung der Unternehmen" ist eine von der "Neuen Linken" adaptierte Taktik aus der Zeit, als diese nach Mitteln suchte, dem Vietnamkrieg ein Ende zu setzen; diese Kampagnen suchen generell jene zentralen Elemente der sozialen Netze, die sie konstituieren, gegen das Unternehmen in Stellung zu bringen. Nach eingehenden Recherchen über die Gläubiger, die Klienten, die Aktionäre und die Filialen eines Unternehmens werden verletzbare Stellen definiert, die dann bei einer auf mehreren Ebenen angesiedelten Kampagne das Ziel von Angriffen sind, um den Widerstand des Unternehmers zu brechen. So kann beispielsweise eine Kampagne dieser Art damit beginnen, religiöse Gruppen zu identifizieren, die Verbindungen mit einem Konzern aufrechterhalten, der sich einer Syndikalisierung der Beschäftigten in den Weg stellt, die Gewerkschaft organisiert dann eine öffentliche Kampagne, um den Widerspruch anzuprangern, der zwischen den Prinzipien der Kirche und jenen des Unternehmens besteht, und dies in der Erwartung, daß die religiöse Gruppierung auf das Unternehmen Druck ausübt, den Widerstand gegen die Syndikalisierung aufzugeben. Weiters kann die Gewerkschaft Untersuchungen anstellen über die Filialen des Unternehmens, alle beeinträchtigenden Informationen veröffentlichen, z.B. über Gesundheit und Sicherheit beeinträchtigende Arbeitsbedingungen, oder inakzeptable Politiken der Preisbildung. Jede Information, die eventuell die Beziehungen des Unternehmers mit seinen Klienten, mit den Investoren, mit den Politikern oder den Behörden der Regulation kompromittieren könnte, gilt während dieser Kampagnen als berechtigte und zielführende Waffe. Diese Taktik impliziert die Anerkennung des fundamentalen Widerspruchs zwischen Patronat und Gewerkschaften, die von der amerikanischen Gewerkschaftsführung aufgegeben worden ist, jedoch mit der grundsätzlichen Kritik des amerikanischen Kapitalismus, mit dem sich diese neue Form des Syndikalismus identifiziert, kohärent ist.

Drittens, der Syndikalismus des Widerspruchs sucht die traditionellen und routinisierten Formen der Anerkennung, auf die sich die Gewerkschaften lange stützten, zu überwinden, d.h, die offiziellen Wahlen zum NLRB (4). Mit Hilfe von politischem Druck oder von Kampagnen zur Destabilisierung von Unternehmen oder auch von beidem gleichzeitig verlangt die gewerkschaftliche Bewegung die Anerkennung, wenn 50% plus einem der Beschäftigten eine Charta unterschreiben, in der sie die gewerkschaftliche Anerkennung verlangen. Diese Technik, als "card check recognition" bezeichnet, mag als nur wenig radikal erscheinen, da sie in Ländern wie Kanada und Großbritannien den Stellenwert einer offiziellen Prozedur hat. Doch die Tatsache, daß im amerikanischen Kontext die Arbeiter die bürokratischen Wege umgehen und eine direkte Anerkennung durch den Unternehmer verlangen, ist eine wirkliche Herausforderung. Wenn sie auf diese militante Strategie zurückgreifen, verlangen die Gewerkschaften oft auch, daß hohe Autoritäten von Gemeinden oder Religionen die Zählung der Karten bestätigen. So können die Gewerkschaften nicht nur einen für sie auf jeden Fall ungünstigen Weg umgehen, sondern gleichzeitig auf die Unternehmer Druck ausüben, die nun zu Akteuren der Unrechtmäßigkeit werden durch eine Prozedur, die schwerer zu manipulieren ist als das System der NLRB.

Viertens, ist diese neue Form des Syndikalismus sehr bewußt in der Nähe der sozialen Solidarität angesiedelt womit, in ihrer Rhetorik, die Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung an eine breitere Bewegung zurückgebunden ist, welche eine breite Demokratie und eine soziale Bürgerschaft verteidigt und so den Anschluß an die weltweiten Kämpfe gegen die neoliberale Ökonomie vollzieht. Die traditionellen Forderungen der Gewerkschaft hinsichtlich der Löhne und Sozialleistungen sind nach wie vor an der Tagesordnung und Bestandteil des sozialen Kampfes, doch haben sie heute ihren Platz in einem sehr viel breiteren Diskurs, der an die Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der allgemeinen Menschenrechte heranreicht. Dies bedeutet eine wichtige Änderung im Vergleich zu dem, was man früher als den kalten Pragmatismus des "alimentären Syndikalismus" bezeichnete.

Fünftens, es ist ein kreativer Syndikalismus: die innovativen Strategien und alle Arten der neuen Erfahrungen finden volle Anerkennung. Wegen des widrigen sozialen Kontextes stimmen die Militanten darin überein, daß es keine fertig formulierte Lösung geben kann, keine überall anwendbare Taktik, und daß die Unternehmer nicht wissen sollen, was ihnen bevorsteht, um sich nicht darauf vorbereiten zu können. Die Rekruteure sollen nicht immer dieselben Taktiken anwenden, sie müssen damit einverstanden sein, rasch neue Techniken zu erfinden, sobald die Arbeitgeber gelernt haben, die alten zu neutralisieren. Die Militanten vertreten in gleicher Weise die Ansicht, das die Verwendung multipler Strategien es ihnen erlaubt, Krisen herbeizuführen, was ihnen dann ein Pfand in die Hand gibt, um den Forderungen der Arbeiter Genüge zu tun. All dies begünstigt offensichtlich das Experiment und die Innovation.

Schließlich sind für den Syndikalismus des Widerstandes, der die Transformation akzeptiert, die Erfolge wieauch die Niederlagen Teil eines lange dauernden Prozesses. Die Erfolge werden als Beweis verstanden dafür, daß diese Form der gewerkschaftlichen Aktion trotz eines politisch und ökonomisch widrigen Umfeldes zum Erfolg führen kann, während die Niederlagen nur eine noch größere Erfindungsbereitschaft auszulösen vermögen. Dies in einer Art, daß beispielsweise nach dem Scheitern einer Kampagne zur Rekrutierung des Instandhaltungspersonals in einem Sub-Unternehmen die Militanten darauf verzichtet haben, dieses Unternehmen selbst sich vorzunehmen, das nach den gesetzlichen Vorgaben der Vereinigten Staaten als offizieller Arbeitgeber betrachtet wird. Sie haben aber beschlossen, sich in der nächsten Kampagne die wirklichen "Arbeitgeber" vorzuknöpfen, um künftighin mit diesem Ausdruck jene moralische Person zu bezeichnen, die wirkliche Macht über das Leben der Arbeiter ausübt. Für die Syndikalisten bedarf jede Kampagne, ob sie nun erfolgreich ist oder nicht, einer Analyse als Vorbereitung für die nächste. Mit anderen Worten, der Syndikalismus ist zu einer Bewegung geworden.

Die soziale Dynamik dieses neuen Syndikalismus stellt einen totalen Wechsel dar im Vergleich zur bornierten Einstellung und zum engen Horizont des Gewerkschaftsmanagements. Statt die Konflikte auf die Orte der Arbeit zu beschränken, werden diese nun auf die Gemeinschaft und die Gesellschaft ausgeweitet. Man verlangt bei den Versammlungen der Gläubigen und von den Mitgliedern der religiösen Gemeinschaften, sie mögen in den Kämpfen, die das tägliche Leben erschüttern, eher mit den Arbeitern gemeinsame Sache machen als sich an jene Autoritäten zu wenden, welche diese Störungen zu beseitigen suchen. Der Sache nach ist der Syndikalismus des sozialen Widerstandes eine Ermutigung dazu, eine neue Kultur der Solidarität zu schaffen: seine Art, die Arbeiter zu organisieren, ruft danach, daß sich ein immer größerer Teil der Gemeinschaft den Bemühungen anschließt, welche für die Beachtung der fundamentalen Rechte der Arbeiter plädieren, besonders für die Rechte jener, welche in der neuen Ökonomie am meisten marginalisiert und bedroht sind. Als John Sweeney 1995 zum Präsidenten der AFL-CIO gewählt wurde, hat die neue Direktion mehrere Initiativen ergriffen, um die der Föderation angeschlossenen Gewerkschaften dazu zubringen, neue Mitglieder unter dem Banner von "Changing to Organize, Organizing to Change"anzuwerben. Diese Initiativen faßten eine große Zahl der Praktiken des neuen Typs von Gewerkschaften zusammen. Beispielweise hatte Sweeney eine Abteilung für Rekrutierung geschaffen mit dem Ziel, die angegliederten Gewerkschaften zu unterstützen und Projekte der Rekrutierung in großem Maßstab, d.h. in verschiedenen Teilen des Landes und zwischen verschiedenen Gewerkschaften, zu koordinieren; mehrere dieser Projekte sind experimentelle Modelle der Solidarität zwischen den Gewerkschafen geworden, ebenso zwischen Gewerkschaften und Gemeinden. Da dieses Projekt ein entsprechendes Personal erforderte, wurde das Budget der Abteilung für Rekrutierung aufgestockt, um so in systematischer Weise eine neue Generation gewerkschaftlicher Rekruteure heranzubilden, die aus Arbeitern und Studierenden ausgewählt worden sind.

Der Eintritt der Studenten in die Gewerkschaftsbewegung hat die Föderation dazu gezwungen, mit der Unterstützung von Sweeney und den anderen Führern der AFL-CIO, dauerhafte Beziehungen mit den universitären Kampussen, den ethnischen Gemeinschaften und den religiösen Organisationen aufzunehmen. Dies war der Beginn des Programms "Gewerkschaftliche Sommer", welche jährlich an die Tausend Studierende zusammenbrachten, die während mehrerer Wochen an den Kampagnen der Rekrutierung teilnahmen. Der Name selbst dieses Programms verbindet in symbolischer Weise die Bewegung der Gewerkschaft mit der historischen Bewegung für die Bürgerrechte: er spielt auf den "Sommer für die Freiheit" an, eines der berühmtesten Ereignisse der 60er Jahre, als die Studierenden der Universitäten des Nordens sich in den Süden begaben, um sich am Kampf für die Gleichstellung der Schwarzen zu beteiligen. Durch diese Annäherung vermittelt das Programm den Jugendlichen ein "gestyltes" Image der Gewerkschaften, indem sie sich als eine moralische Angelegenheit präsentieren, die verteidigt zu werden verdient.

Die Administration von Sweeney hat von den nationalen Gewerkschaften ebenfalls verlangt, 30% ihres Budgets für Rekrutierung zur Verfügung zu stellen, weil sie der Ansicht war, wenn sie diese Vorgabe akzeptierten, sie auch in grundlegender Weise gezwungen waren, ihre Praxis des Syndikalismus zu verändern. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten die Gewerkschaften sich weniger mit einzelnen Konflikten beschäftigen und sich mehr auf die kollektive Aktion ihrer Mitglieder stützen.

Indessen, trotz des Wechsels in der Ausrichtung der AFL-CIO und des beeindruckenden Wachstums der SEIU (die zur größten nationalen Gewerkschaft in der Vereinigten Staaten geworden ist), bleibt die Schaffung eines Syndikalismus des sozialen Widerstandes eine unglaublich schwierige Aufgabe. Vor allem auch deswegen, weil dieser Syndikalismus sich mit gigantischen oppositionellen Ressourcen konfrontiert sieht, welche das Patronat, vor allem in der Industrie, angehäuft hat. Hier sind die Unternehmen entschlossen, die gewerkschaftliche Rekrutierung abzulehnen, und die Unternehmer greifen auf die durchaus glaubhafte Drohung zurück, im Falle einer gewerkschaftlichen Organisation ihrer Beschäftigten die Produktion ins Ausland zu verlagern. Aber es ist auch mit einem mächtigen Widerstand von seiten zahlreicher lokaler und nationaler Gewerkschaftsführer zu rechnen, die vom Modell des Managements der Gewerkschaften und der korporatistischen Mentalität, die es impliziert, nicht abrücken wollen. Man kann sich vorstellen, daß sie den Initiativen der AFL-CIO solange widerstehen werden, bis die Gewerkschaften des Widerstandes ihre wirkliche Kapazität aufgezeigt haben, gegen die antisyndikalistische Welle des Patronates einen Damm zu errichten. Tatsächlich interessieren sich nur 10 von 64 nationalen Gewerkschaften, die in der AFL-CIO zusammengeschlossen sind, für die Rekrutierung neuer Mitglieder, und im Inneren dieser 10 Gewerkschaften gibt es eine große Zahl von lokalen Sektionen, welche sich weigern, die neuen Praktiken zu übernehmen. Darüber hinaus hat die AFL-CIO nur wenig Möglichkeiten, ihre Mitglieder zu was auch immer zu zwingen; im Gegensatz zu den europäischen gewerkschaftlichen Föderationen ist die AFL-CIO eine dezentralisierte und freiwillige Föderation der angeschlossenen Gewerkschaften, die selbst keine eigenen Mitglieder hat. In einer ersten Phase hat diese Dezentralisation es möglich gemacht, den Prozess der Erneuerung zu lancieren (sonst hätte die SEIU, auf sich allein gestellt, niemals so erfolgreich rekrutieren können, wie es ihr den 80er Jahren und zu Beginn der 90er Jahre gelungen ist). Doch es ist eine zweiseitiges Schwert, denn die Führung der Föderation, die eine komplette Erneuerung der angeschlossenen Gewerkschaften verlangt, verfügt über wenig Mittel, sie zu zwingen, dem auch Folge zu leisten.

Der Erfolg dieses neuen Syndikalismus ist keineswegs garantiert, doch was er verspricht, ist durchaus real. Er ist in der Lage gewesen, das Verhältnis der Kräfte und die Politik in ganz konkreten Situationen zu verändern: beim unterbezahlten Gebäudepersonal und den Hotel-Angestellten in zwei amerikanischen Städten, die zu Symbolen der Auswüchse des Kapitalismus geworden sind, Los Angeles und Las Vegas.

Ein "Schulbeispiel" Los Angeles (S. 123-133)

Eine Reihe von Rekrutierungskampagnen zeigt, besser als jede andere Aktion, die Verheißungen auf, deren Träger dieser neue Syndikalismus ist. Es handelt sich dabei besonders um die Kampagne mit der Bezeichnung "Justice for Janitors", die zu Beginn der 80er Jahre gestartet worden ist, als John Sweeney Präsident der SEIU gewesen ist. Die Geschichte dieser Kampagne mag als exemplarisch gelten, denn nahezu alle Akteure der Arbeitswelt sind dabei vertreten: kapitalistische Investoren; unterbezahlte und notleidende Arbeiter; immigrierte Arbeitskräfte in großer Zahl und bedroht, sowohl ökonomisch wie auch juridisch; radikale syndikalistische Reformatoren; Syndikalisten der alten Garde in ihrer oligarchischen Abgrenzung; kommunitäre Militante, die eine Bewegung von Sympathisanten in voller Expansion darstellen; und, in der Mitte von all dem, ein offener Klassenkonflikt, in dem sich Gewinner und Verlierer der gegenwärtigen amerikanischen Ökonomie gegenüberstehen.

Die SEIU ist 1920 gegründet worden, damals als eine Gewerkschaft, welche das Personal der Instandhaltung von Gebäuden mit kommerzieller Nutzung repräsentierte. Wie schon weiter oben gesagt (Kap. 3) hat sie in den 60er Jahren einige Bereiche der rasch expandierenden Wirtschaft angeschlossen, besonders in der Sozialassistenz, bei den Büroangestellten des Privatsektors wie auch beim medizinischen Hilfspersonal. Die SEIU konnte sich also in einer Zeit weiterentwickeln, in der andere ihre Mitglieder verloren und konnte so den Rückgang der eigenen Mitglieder durch Neuzugänge kompensieren, während die großen Unternehmen begannen, ihren Bereich für Reinigung und Instandhaltung umzugestalten. Bis dahin hatte das Personal für Instandhaltung direkt für die Gebäudeeigentümer oder deren Verwalter gearbeitet. Die Gewerkschaften verhandelten meistens mit den Vereinigungen der Eigentümer, die den Bereich einer ganzen Stadt abdeckten und die im allgemeinen ihr Vermögen an Ort und Stelle erworben hatten. Unter solchen Bedingungen konnten die Gewerkschaft in zahlreichen kommerziellen Zentren mächtige lokale Sektionen aufbauen. Doch diese Situation löste sich im Laufe der 80er Jahre auf, zunächst als sich die Zahl der kommerziellen Zentren rasch erhöhte, dann aber als sie wegen der katastrophalen Senkung der Mieten in Konkurs gingen; an die Stelle der Eigentümer traten nationale und internationale Investoren. Die Verwalter der Gebäude begannen dann die Reinigung und die Erhaltung der Gebäude an andere Firmen zu übertragen, wobei sie oft nicht-syndikalisierten Betrieben den Vorzug gaben.; so ging es mit den Löhnen rasant abwärts, die Arbeitsbedingungen verschlechterten sich, und dies umso mehr, als die Krise der 80er Jahre eine internationale gewesen ist und einen massiven Zuzug von Immigranten auslöste, die keine andere Wahl hatten, als für diese Sub-Unternehmer zu arbeiten. Diese Situation war besonders dramatisch in Los Angeles.

Es war also nötig, in diesem Kontext neue Strategien zu erfinden, um die Schwierigkeiten der Syndikalisierung zu überwinden, und es war wenig naheliegend, daß solche von der alten Garde lokaler Sektionsvorsitzender der SEIU, die schon lange Jahre diese Posten besetzten und sich für die Veränderungen kaum interessierten, kommen konnten; sie erfreuten sich immer einer großen Autonomie und konnten ihre Sektionen leiten, ohne daß die nationale Direktion die Nase in ihre Angelegenheiten stecken konnte. Sollte hier alles beim Alten bleiben, so bedeutete dies mittelfristig das völlige Verschwinden der Gewerkschaften in diesem Bereich. Doch als John Sweeney Präsident der SEIU wurde, stellte er eine große Zahl nationaler Funktionäre ein und bediente sich der Technik der "Bevormundung" - was ihm erlaubte, die Leitung der lokalen Sektionen zu übernehmen, wenn deren Führung korrupt oder inkompetent gewesen ist - um eine Taktik der aggressiven Rekrutierung zu propagieren. Es sind diese neuen nationalen Funktionäre (die zur SEIU mit einer Erfahrung der "Neuen Linken" und der ihnen nahestehenden kommunitären Bewegung gekommen sind), welche die Idee der Kampagne "Justice for Janitors" hatten und die durch die Einführung der Bevormundung die Schwierigkeiten der Rekrutierung, die von den lokalen Oligarchien her kamen, umgehen konnten.

Im Jahre 1988 startete die nationale Direktion der SEIU die Kampagne "J for J" in Los Angeles (Kalifornien), einer aufstrebenden Metropole, gekennzeichnet durch eine lange und gewalttätige antisyndikalistische Geschichte, wo immer eine Politik der niederen Löhne und der "industriellen Freiheit"verfolgt worden ist - ein Ausdruck, der in allen Leitartikeln der Los Angeles Times bis zum Beginn der 60er Jahre als Code-Wort dafür verwendet worden ist, um die Abwesenheit von Gewerkschaften zu signalisieren. In L.A. fanden die Funktionäre des "J for J" eine Lohnarbeiterschaft vor, die sich mehrheitlich aus Immigranten zusammensetzte, von denen viele keine Papiere hatten und illegal eingewandert waren. Wenige Jahre zuvor war eine riesige Welle Spanischsprechender (Hispanics) nach L.A. gekommen und die Verwalter der Gebäude nützten deren prekäre Situation aus, um die Verträge zu verletzen, die sie mit den syndikalisierten Arbeitskräften (größtenteils Afro-Amerikaner) verbanden, und um neue Verträge mit Subunternehmern abzuschließen, welche die Immigranten um die Hälfte des Lohnes arbeiten ließen. Nach den herkömmlichen Kriterien konnten diese Immigranten von den Gewerkschaften nicht erfaßt werden: weil sie illegal eingewandert waren und keine Papiere hatten, mußten sie, nach vorherrschender Meinung, ihre Situation im Zusammenhang mit der Situation sehen, in der sie in ihren Herkunftsländern gewesen wären, wo die Arbeitsbedingungen noch miserabler gewesen sind; und da man sie wieder dorthin zurückschicken konnte, mußten sie notwendigerweise jeder Konfrontation mit den Polizeikräften aus dem Wege gehen. Darüber hinaus hatten diese Einwanderer ohne Papiere, auch wenn sie vorwiegend spanischsprechender Herkunft waren, nur wenig Kontakt untereinander, weil sie aus verschiedenen Ländern kamen - aus Mexiko, San Salvador oder Guatemala.

So war es in L.A. schwierig, die Gewerkschaften zu entwickeln, da die lokalen Führer der Gewerkschaft nichts anderes kannten als das Management der Gewerkschaften. Die lokale Sektion der SEIU, die sich des Reinigungspersonals (die Sektion 399) annehmen sollte, hatte de facto jede Politik der Rekrutierung aufgegeben und zog es vor, sich mit den Mitgliedern zu beschäftigen, größtenteils medizinisches Hilfspersonal. Ihre Führung mißtraute der Kampagne "J for J", teils auch deswegen, weil sie sich darüber im Klaren gewesen ist, daß die brutale Ankunft neuer eingewanderter Mitglieder ihre politische Rolle an der Spitze der lokalen Sektion in Frage stellen konnte. Die nationale Administration der Gewerkschaft hat sie also zur Kampagne "J for J" zwingen müssen und dadurch während ihrer ganzen Dauer große Spannungen erzeugt.

Die mit der Kampagne betrauten Funktionäre begannen sich dafür zu interessieren, wie die Betriebe funktionierten, in denen das Reinigungspersonal beschäftigt war. Ein universitärer Forscher mit einer Ganztagsverpflichtung - zu dem später dann die Forscher der nationalen Direktion hinzukamen - sammelte die Informationen über die Eigentümer und die Struktur der Führung des Personals für die Reinigung und Erhaltung der Gebäude, die in Los Angeles kommerziellen Zwecken dienten. Diese Forscher erstellten eine Statistik über den Sektor, also Informationen, die bisher lediglich von den Unternehmen selbst bereitgestellt worden waren. Mit Hilfe dieser Statistik konnte man erkennen, daß es beispielsweise enorme Unterschiede in den Löhnen gab, zwischen den diversen Regionen, zwischen Städten und Vororten, und sie zeigte auch, daß viele der Unternehmen von L.A. "auf allen Klavieren spielten", d.h. daß sie gleichzeitig gewerkschaftlich organisierte und nicht-organisierte Arbeitseinheiten beschäftigten, die unter sehr unterschiedlichen Bedingungen zu arbeiten hatten. Diese Analyse ist ein sehr starkes Argument für die gewerkschaftliche Rekrutierung geworden, denn sie zeigte die Vorteile auf, welche mit einer Syndikalisierung verbunden sein kann.

Diese Untersuchungen haben es ebenfalls erlaubt, jene zu identifizieren, bei welchen die wirkliche Macht in diesem Sektor liegt. Weil das Büro der Kampagne "J for J" von Anfang an entschieden hatte, die offizielle Struktur gewerkschaftlicher Repräsentation des NLRB zu umgehen, verfing sie sich nicht in den engen juridischen Definitionen, was ein "Unternehmer" ist, und war daher völlig frei für die Konzeption einer Kampagne, welche auf die institutionellen Akteure abzielte, denen eine reale Macht über das Leben der Arbeiter zukam. Es war nun klar, daß jene, welche die reale Macht hatten und den Sektor kontrollierten, nicht die etwas zweifelhaften Betriebe in Sub-Unternehmerschaft waren, sondern daß es zwei Schlüssel-Akteure gab: die Eigentümer der Gebäude, die zu reinigen waren, und die großen Dienstleistungskonzerne (deren Leitung sich in Dänemark befindet und in Belize, und die in derartiger Geschwindigkeit fusionierten, daß es schwierig war, sich über ihre wirkliche Identität im Klaren zu sein), die im Großteil der Fälle die letzten Mit-Unterzeichner der gewerkschaftlichen Verträge waren. Die Eigentümer der Gebäude waren sehr verletzbar, nicht nur deswegen, weil sie letztlich von den Leistungen des Reinigungspersonals abhängig waren, sondern auch deswegen, weil in Anbetracht der öffentlichen Meinung und der sozialen Agitation ihre Profite von der Reputation ihrer Prestigeobjekte und deren Belegungsdichte abhängig waren. Darüber hinaus - und dies unterstreicht das Talent der Forscher, die über diese Kampagne gearbeitet haben - hätten die Eigentümer der Gebäude eine Niederlage zweifellos viel leichter akzeptiert als die Sub-Unternehmer, weil eine Vereinbarung mit den Gewerkschaften für sie vergleichsweise weniger kostet. Denn während die Löhne und Sozialleistungen einen beträchtlichen Anteil der Ausgaben für die Sub-Unternehmer ausmachen, sie sich also ablehnend gegenüber gewerkschaftlichen Forderungen verhalten, kosten die Löhne des Reinigungspersonals den Verwaltern/Eigentümern höchstens ungefähr fünf Cents pro Dollar, den die Miete abwirft. Von den Gewerkschaften für als akzeptabel angesehene Löhne zuzugestehen würde ihre Kosten also lediglich um einen oder zwei Cents erhöhen - also ein Summe, die für die Mieten keine Auswirkungen hat. Die Eigentümer aufs Korn zu nehmen würde also das, was bisher der schwache Punkt der Gewerkschaften gewesen ist - die extreme Flexibilität des generalisierten Systems der Sub-Unternehmerschaft und die Logik großer Kapitalbewegungen - zu einem strategischen Vorteil werden lassen. Da die Interessen der Eigentümer keineswegs jene der externen Sub-Unternehmer sind, könnten sie leichter mit den Forderungen der Gewerkschaft einverstanden sein; und da das ganze System in hohem Maße zentralisiert und hierarchisiert ist, würde sich ein Erfolg an der Spitze unvermeidlicherweise von oben nach unten, bis zum Arbeiter auswirken, so wie auch das Wasser von einem Dach abwärts rinnt. Sogar das System einer Kandidatur mit einer Vorankündigung von 30 Tagen ließ sich zum Vorteil der Gewerkschaft ausnutzen. Nachdem die Kampagne "J for J" eine Beschäftigungsgarantie für das Reinigungspersonal sichergestellt hat, durch Druck auf die Eigentümer, sie nicht gegen anderes Personal auszutauschen, konnten die Militanten letztere dazu verpflichten, den Sub-Unternehmern ein Ultimatum von 30 Tagen zu stellen, was darauf hinauslief zu sagen, "wenn ihr die Gewerkschaften nicht akzeptiert, so seid ihr gekündigt".

Diese Strategie ist elegant und einfach gewesen, doch, wie ein für "J for J" Zuständiger es formulierte, ist die Einfachheit oft außerordentlich komplex. Das richtige Ziel zu finden, war wesentlich, doch für den Erfolg nicht ausreichend. Denn dazu war es nötig, das Personal der Reinigung selbst zu mobilisieren, unter Verwendung der Forschungsergebnisse als Mittel, ihm das Wie begreiflich zu machen. Wenn dieses Personal einmal begriffen hat, um was es geht - die für die Kampagne Zuständigen haben dafür viel Zeit aufgewendet - so haben auch die Angestellten verstanden, daß es für ihren Erfolg unabdingbar war, auf die Eigentümer der Gebäude und die wichtigsten Sub-Unternehmer Druck auszuüben. Die Forschungsarbeiten haben ebenfalls dazu beigetragen, sie zu motivieren. Als sie erfuhren, wie wenig ein angemessener Lohn die Eigentümer kosten würde, gerieten sie in Zorn: einer der Militanten von "J for J" notierte, daß die Lohnempfänger besonders "in Wut gerieten, als sie erfuhren, daß eine Lohnerhöhung lediglich den hundersten Teil eines Dollars ausmachen würde".

Neben den Untersuchungen, welche die Militanten von "J for J" durchführten, griffen sie auch auf juridische Störmanöver zurück, indem sie die Arbeitgeber beschuldigten, bestimmte Gesetze, die sich auf Gesundheit und Sicherheit bezogen, zu verletzen. Die Leitung der Kampagne hat seit ihrer Ankunft in L.A. damit begonnen, den Arbeitern eine bessere Kenntnis ihrer legalen Rechte zu vermitteln und hat ihnen zu ihrer Verteidigung technische und finanzielle Hilfe zur Verfügung gestellt. Sie hat auch jedesmal, wenn ein Subunternehmer einen militanten Gewerkschafter kündigte, wegen "illegaler Praktiken am Arbeitsplatz" Klage erhoben. Diese gesetzlich völlig legalen Taktiken bedeuteten für die Sub-Unternehmer eine schwere ökonomische Bürde, denn sie rechneten die Honorare für ihre Advokaten zu den normalen Kosten ihrer Tätigkeit, doch wurde damit auch den Arbeitern klar gemacht, daß eine Gewerkschaft noch vor ihrer offiziellen Anerkennung gewisse Vorteile bringen konnte. Die Militanten des "J for J" bezeichneten dies "als Gewerkschaft agieren ohne Vertrag". Die Kampagne transformierte auch die legale Bürokratie, eine ursprünglich zur Unterdrückung der Arbeiter konzipierte Struktur, in eine Struktur zu deren Schutz und ließ sie auch begreifen, daß sie im Kontext eines ständigen sozialen Kampfes um die Kontrolle ihres Arbeitsplatzes agierte.

Die Militanten stützten sich in massiver Weise auf gewaltfreie direkte Aktionen, die in der Stadt Los Angeles selbst zu Störungen der Ordnung führten. Sie haben so zum Beispiel eine Reihe von Manifestationen inszeniert, bei denen die ärmsten Arbeiter der Stadt mit der begüterten Welt der Gebäudeeigentümer und den reichen Unternehmern, denen sie die Büro vermieteten, miteinander in Kontakt treten konnten. Eine dieser Manifestationen spielte sich in einem Luxus-Club ab, der vom Eigentümer einer großen Reinigungsfirma und von gut bezahlten Rechtsanwälten besucht wurde; die Arbeiter skandierten Slogans und hoben Plakate in die Höhe, auf denen die miserablen Löhne geschrieben standen, die sie nach der Reinigung dieser Räumlichkeiten erhielten. Bei einer anderen Manifestation haben die Arbeiter vor einem sehr teuren Restaurant in L.A., wo gerade ein hoher Angestellter ihres Bereiches dinierte, ein Straßentheater aufgeführt. Diese Manifestationen, öffentliche "Rituale der Beschämung", brachten den Arbeitern, indem sie die Ungleichheit zwischen den Elendslöhnen des Reinigungspersonals und dem ostentativen Reichtum der Gebäudeeigentümer und der Unternehmensdirektoren herausstellten, die Unterstützung der Bevölkerung.

Diese Manifestationen waren von Anfang an darauf ausgelegt, eine möglichst große mediale Aufmerksamkeit zu erreichen und dabei gleichzeitig die von den Arbeitern einzugehenden Risiken zu minimieren; erst später wurden sie von den Funktionären gebeten, an Aktionen teilzunehmen, mit denen sie riskierten, eingesperrt zu werden oder ihre Stelle zu verlieren. Man mußte diesen Arbeitern zuerst beibringen, ein kollektives Vertrauen aufzubauen, bevor sie den Nutzen einer gewerkschaftlichen Organisation und der Teilnahme an Manifestationen verstehen konnten, um sie dann später auch bewußt den Konsequenzen und Risiken ihres Engagements zustimmen zu lassen. In der Folge haben die Militanten von "J for J", je nachdem wie groß der öffentliche Druck auf die Eigentümer/Direktoren geworden war, den Konflikt dadurch angeheizt, daß sie die Arbeiter dazu ermutigten, sich auf immer riskantere Aktionen des zivilen Ungehorsams einzulassen: Verkehrsblockaden, Besetzung von Gebäudeeingängen und Störung von geschäftlichen Konferenzen, indem sie in die Räumlichkeiten eindrangen, dabei Sprüche absangen und die Abfallkörbe umstießen.

Die Kampagnen von "J for J" übten auch einen starken politischen Druck aus. Damals trugen sich die Investoren mit der Absicht, in L.A. ein neues Bürogebäude zu errichten. Doch dazu brauchten sie die Zustimmung der Community Redevelopement Authority der Stadt, und bei dieser Gelegenheit haben sich die Militanten der Kampagne gewichtige Verbündete gesucht.

Diese Taktiken haben es ihnen erlaubt, langsam aber sicher an Boden zu gewinnen und im Frühjahr 1989 hat das Reinigungspersonal einen Vertrag abgeschlossen, der sich auf mehrere wichtige Gebäude im Stadtzentrum bezog, und so in einem Aufwaschen auch die Anerkennung als Gewerkschaft erreicht. Im folgenden Sommer konzentrierte sich die Kampagne auf das Nobelviertel Century City, ein wichtiges Machtzentrum in L.A. Dort wählte sie sich zur Zielscheibe einen internationalen Sub-Unternehmer im Reinigungssektor mit Sitz in Dänemark, International Service System (ISS), der sich geweigert hatte nachzugeben. Nach einem Jahr von Auseinandersetzungen nach dem Muster, das den Erfolg im Stadtzentrum möglich gemacht hatte, mußten die Militanten einsehen, daß sie gegenüber dieser dänischen Unnachgiebigkeit weniger wirkungsvoll agierten. So beschlossen sie, einen Streik zu organisieren. Dann beschleunigte sich der Rhythmus der Kampagne recht rasch. Die Manifestationen fanden täglich statt, wobei die Manifestanten Spruchbänder trugen und durch ihren Marsch in der Mitte der Straße den Verkehr blockierten. Bei wichtigeren Ereignissen drangen Hunderte von Manifestanten, Arbeiter und Bewohner ihres Quartiers, in die Gebäude ein, wo Streikende waren, und forderten Gerechtigkeit für die Beschäftigten. (Die kommunitären Sympathisanten schufen übrigens in Eile ihre eigene Organisation - Solidarity with Justice for Janitors.) Die Spannung stieg rapid an und die Polizei nahm einige präventive Arrestationen nicht-gewalttätiger Demonstranten vor, mit dem Vorwand des Verdachtes, sie wollten die Gebäudeeingänge und den Verkehr blockieren. Diese Arrestationen hatten ein großes Echo und ließ die Unterstützung des Reinigungspersonals anwachsen.

Nach drei Streikwochen attackierten während einer nicht-gewalttätigen Manifestation die Polizisten die Manifestierenden und haben vor den Fernsehkameras mehrere Personen schwer verletzt und bei einer schwangeren Frau eine Fehlgeburt provoziert. Die Polizei wurde einhellig verurteilt, der Bürgermeister von L.A. und die Gewerkschaften des Reinigungspersonals anderer Städte machten Druck, das ISS möge Maßnahmen der Konfliktregelung ergreifen Und schließlich hat die Auseinandersetzung Gus Bevona, den konservativen Präsidenten der SEIU von New York, wo auch die Gebäude der ISS ihren Sitz hatten, zum Handeln gezwungen Bis daher wollte er keinerlei Druck auf die ISS zur Unterstützung der Beschäftigen von L.A. ausüben. Doch selbst unter Druck drohte Bevona dem Präsidenten der ISS, in deren Gebäude in New York ein Chaos anzurichten, wenn das Unternehmen die Probleme nicht regle. Noch am selben Tag wurde eine Vereinbarung mit dem Instandhaltungspersonal von L.A. unterzeichnet, die Lohnerhöhungen festschrieb, eine Krankenversicherung, Urlaub und bezahlten Krankenstand wie auch die Anerkennung der Gewerkschaft. In kurzer Zeit waren 90% der Beschäftigten, welche die wichtigsten Wolkenkratzer von Los Angeles reinigten, der Gewerkschaft beigetreten.

Die Immigranten in vorderster Linie (S. 133-140)

Dieser recht ansehnliche Erfolg hat dem Reinigungspersonal unmittelbar die Rolle der Avantgarde einer Neudefinition des Syndikalismus in den Vereinigten Staaten eingebracht. Die Kampagne war der Beweis dafür, daß die direkte Konfrontation und ein strategisches Ziel ein Mittel gegen den Niedergang der Gewerkschaften sein konnte und aufgezeigt, daß ein Syndikalismus des sozialen Widerstandes die Unterstützung der Öffentlichkeit mobilisieren konnte, was seit den großen Jahren der CIO nicht mehr der Fall gewesen war. Die Kampagne hat auch klar gemacht, daß die immigrierten Beschäftigten viel Courage hatten und solidarisch gewesen sind. Weit davon entfernt, gelehrige Knechte zu sein, wie viele der Gewerkschaftsfunktionäre dachten und es sich die Unternehmer erhofften, zeigten sich die immigrierten Arbeiter von einer Seite, die ihnen nicht nur die Unterstützung ihrer Kollegen, sondern in gleicher Weise auch die ihrer Familie, der Freunde und Nachbarn einbrachte. Alle, von den Rechtsanwälten des Patronates bis zur alten Garde der Gewerkschafter und nebenbei auch die ständigen Mitarbeiter von "J for J" waren überrascht festzustellen, daß diese Arbeiter nicht nur bereit waren, den Hauptverantwortlichen der Kampagne zu folgen, sondern daß ihre Energie und ihr Engagement schließlich noch größer waren als bei jenen.

Ein solcher Militantismus und eine solche Solidarität standen in diametralem Widerspruch zum Vorurteil, demzufolge es unmöglich sein sollte, die Immigranten zu syndikalisieren. Binnen Kurzem ist klar geworden, daß ihre realen Lebensumstände eine kollektive Aktion begünstigen konnten, wenn die Bedingungen gleich waren wie bei jenen, welche die Kampagne "J for J" ausgelöst hatten . Die immigrierten Arbeiter legten viel Wert auf die ethnischen sozialen Netze, um in den Genuß einer kommunitären Unterstützung zu kommen und um ihre wesentlichen Bedürfnisse nach Arbeit und Unterkunft zu befriedigen; diese Netze waren zuvor von den Sub-Unternehmern angezapft worden, um ein gelehriges Personal für die Reinigung zu rekrutieren; doch die Kampagne "J for J" hatte aufgezeigt, daß dasselbe Netz sehr wohl auch dem Aufbau einer Solidarität dienen konnte. Was den unerwarteten Militantismus und den ausgeprägten Sinn für die Kollektivität betrifft, so läßt sich dieser großteils mit der Erfahrung erklären, welche diese Immigranten in ihren Herkunftsländern gemacht hatten. Denn ein großer Teil dieser Arbeiter hatte letztlich ihre Länder wegen ihrer linken politischen Ansichten oder wegen ihres gewerkschaftlichen Engagements verlassen müssen. Diese Erfahrungen geben ihnen eine Vorstellung, welche Risiken sie mit der Kampagne "J for J"eingingen; wie es ein Militanter ausdrückte: "in Salvador, wenn du für die Gewerkschaften gewesen bist, hat man dich umgebracht; hier verliert man lediglich eine Arbeit und 4,25 $ in der Stunde (ein Elendslohn)".

Die Kampagne Justice for Janitors hat ebenfalls aufgezeigt, welches Niveau der Mobilisierung erreicht werden mußte, um die konstitutionellen Vorteile, deren sich das Patronat erfreute, aus dem Wege zu räumen. Der überraschende Sieg des Reinigungspersonals im Jahre 1990 war nicht ausreichend, um aus Los Angeles eine Bastion der Gewerkschaft zu machen, doch sie war ein wichtiger Anstoß dazu, daß die Einwohner der Stadt weiter gingen als man sonst diesbezüglich erwarten durfte. Vor allem schien es plötzlich möglich zu sein, die immense im Ausland geborene und unterbezahlte Arbeiterpopulation gewerkschaftlich zu organisieren. Nach dem Erfolg der Kampagne für das Reinigungspersonal wurden andere Initiativen ergriffen, um die immigrierten Arbeiter zu organisieren, unter anderem auch bei den Angestellten und Arbeitern von Fabriken, die Räder produzierten, bei den Bauarbeitern, bei jenen in der Konfektionsindustrie, im Transportwesen und bei den medizinischen Hilfskräften der Hauskrankenpflege. Nicht wenige dieser Kampagnen schlugen fehl, doch eine von ihnen, jene die es erlaubte, 74 000 Hilfskräfte der Hauskrankenpflege gewerkschaftlich zu organisieren, war der größte Erfolg der Gewerkschaftsbewegung seit den 30er Jahren.

Eine andere Konsequenz des Erfolges von 1990 ist die Auslösung einer Dynamik gewesen, die schließlich dazu führte, der County Federation of Labor von Los Angeles ein neues Leben einzuhauchen: diese apathische CLC ist zu einer der wichtigsten politischen Kräfte in Süd-Kalifornien geworden. Im Jahre 1996 sind die Instandhaltungsarbeiter die wichtigste Stütze von Miguel Contreras gewesen, dem ersten Spanisch-Sprechenden, der im Bezirk Los Angeles an die Spitze der Föderation für Arbeit gewählt worden ist. Hand in Hand haben das Personal für Instandhaltung und die Föderation eine breite politische Mobilisierung der Hispanier der Stadt organisiert und so das Verhältnis der politischen Kräfte radikal verändert. Diese organisatorischen und politischen Erfolge sind ein Beleg dafür, daß der Syndikalismus des Widerstandes in der Lage ist, zumindest neue und unerwartete Möglichkeiten der Veränderung in der sozialen Welt sichtbar zu machen.

Doch zeigten sich bei dieser Gelegenheit auch gewisse Elemente des Widerstandes gegen die syndikale Erneuerung, selbst bei so progressiven Organisationen wie der SEIU. Letztendlich hätte der interne Widerstand der Sektion 399 die Entwicklung des neuen Syndikalismus in Los Angeles beinahe zum Stillstand gebracht. Denn die Führung dieser Sektion hatte es abgelehnt, ihre Macht zu teilen und alle Bemühungen bekämpft, die aus ihr eine Organisation gemacht hätten, welche eine große Mobilisierung der Basis auslösen und das Instandhaltungspersonal im Kampf gegen seine Unternehmer unterstützen will. Die Jahre nach dem Eintritt der Hispanier in die Sektion 399 waren durch die Entwicklung interner Fraktionen gekennzeichnet. Das Personal der Instandhaltung mußte Taktiken anwenden, die es ihm erlaubt hätten, ihre Unternehmer anzugreifen, um interne Änderungen auszulösen: die Mitglieder haben einen Hungerstreik lanciert, auf dem Parkplatz der Gewerkschaft sich häuslich eingerichtet und beschlossen, dort so lange zu bleiben, bis sie in ihrer gewerkschaftlichen Organisation eine reale Entscheidungsbefugnis erhielten. Dies reichte jedoch nicht aus, um in der Sektion 399 Veränderungen durchzusetzen, sodaß das nationale Büro intervenieren mußte. Eine der letzten Aktionen von Sweeney, vor seinem Wechsel von der Präsidentschaft der SEIU an die Spitze der AFL-CIO bestand darin, diese lokale Sektion unter Vormundschaft zu stellen, was es dann im Endeffekt dem Reinigungspersonal von L.A. möglich gemacht hat, diese zu verlassen und mit anderen Beschäftigten aus dem Instandhaltungsbereich eine eigene gewerkschaftliche Sektion auf nationaler Ebene zu bilden. So ist den Beschäftigten die Installation einer Gewerkschaft gelungen, was es ihnen erlaubte, wirkliche Entscheidungen zu treffen und die Leitung zu bestimmen, womit auch deutlich wurde, wie sehr der Syndikalismus des Widerstandes von internen Reformen der Gewerkschaften selbst abhängig ist.

Im April 2000 hat das Instandhaltungspersonal von L.A. einen zweiten Streik ausgelöst und dadurch gezeigt, wie diese Form der gewerkschaftlichen Aktion neue Praktiken der Solidarität hervorbringen und in der Auseinandersetzung neue soziale Akteure anziehen konnte. Zur Unterstützung des Instandhaltungspersonals hatte die Bezirks-Vereinigung für Arbeit eine Kampagne zur Unterstützung der Verhandlungen lanciert, welche die Gewerkschaftsbewegung von L.A. zu einer Gesellschaft der gegenseitigen Hilfe werden ließ für alle jene lokalen Sektionen, deren Verträge im Jahre 2000 ausliefen. Sie hat ein Lager für Nahrungsmittel geschaffen und sich verpflichtet, den streikenden Arbeitern wöchentliche Zuteilungen zur Verfügung zu stellen. Sie hat alle Gewerkschaften dazu aufgerufen, das Instandhaltungspersonal aktiv zu unterstützen. Mehrere Gewerkschaften haben Hilfe geleistet, unter anderem auch solche wie die Teamsters und dieOperating Engineers, welche sich den nicht-qualifizierten Beschäftigen gegenüber bislang niemals solidarisch gezeigt hatten.

Überdies haben sich auch neue Gruppen in des Kampf des Personals der Instandhaltung eingeschaltet. Denn seit 1990 ist die Gewerkschaft dieser Arbeiter von der ganzen Stadt die aktivste gewesen und hatte die Wahl mehrerer politischer Repräsentanten ermöglicht; ihr Streik fand also die Unterstützung des Großteils der Gewählten, auch von einigen Mitgliedern des Parlamentes des kalifornischen Staates, der gesamten Gemeindevertretung und sogar des republikanischen Bürgermeisters. Diese Unterstützung war keineswegs nur eine Formsache: Mitglieder der Gemeindevertretung wurden festgehalten wegen zivilen Ungehorsams; Mitglieder des Staatsparlamentes haben an den Verhandlungen teilgenommen und auf nationaler Ebene tätige Politiker haben in den Versammlungen das Wort ergriffen. Eine für religiöse und kommunitaristische Vereinigungen repräsentative Gruppe leistete Unterstützung - und nicht wenige von ihnen sind übrigens wegen zivilen Ungehorsams während des Streiks festgehalten worden. Siebzehn Tage später haben die Streikenden mit dem größten Sub-Unternehmer des Landes einen für sie günstigen Vertrag unterzeichnet und dadurch einmal mehr den Beweis erbracht, zu welcher Mobilisierung das Reinigungspersonal imstande war, um über mächtige Unternehmer des Dienstleistungsbereiches triumphieren zu können. Auf diese Art und Weise hat sich die Gewerkschaftsbewegung von Los Angeles ein neues öffentliches Image zugelegt.

Die von der Kampagne "J for J" ausgelöste Bewegung breitet sich in Los Angeles weiterhin aus. Kurz nach dem Streik von 2000 haben sich das Instandhaltungspersonal und andere immigrierte Arbeiter beim Streik der städtischen Bus-Chauffeure, vorwiegend Afro-Amerikaner, den Streikposten angeschlossen. Deren Unterstützung ist deswegen bemerkenswert gewesen, weil die Wirtschaft in Los Angeles, in einen weitreichenden Transformationsprozess involviert, die Rivalität zwischen den schwarzen Arbeitern und den Immigranten noch bewußt verstärkt hatte. Die Schwarzen hatten ihre Beschäftigung verloren (oft eine gut bezahlte in den Fabriken), während die Immigranten solche fanden (unterbezahlte im Dienstleistungsbereich). Diese ökonomischen Transformationen führten häufig zu Spannungen, die täglich in den städtischen Bussen zum Ausdruck kamen, in denen die Afro-Amerikaner meistens die Kondukteure der eingewanderten Arbeiter, der Passagiere sind. Es ist daher erstaunlich, daß die beiden Gruppen beim Streik der Bus-Kondukteure, wegen der Senkung der Löhne und der Versuche, das Bus-Netz zu privatisieren, gemeinsame Sache machten; dieses gegenseitige Einverständnis ist überdies zum Teil von der Bezirksföderation für Arbeit organisiert worden. Dies alles ist möglich geworden auf Grund der Tatsache, daß im vorangegangenen Jahrzehnt in Los Angeles neue Gruppen geschaffen worden sind (in diesem speziellen Fall eine zweisprachige Gewerkschaft der Benützer der öffentlichen Transporte) und neue Räume für soziale Forderungen geöffnet worden sind (die Streikposten der Autobus-Schaffner und die Versammlungen, die bezweckten, auf den Gemeinderat von Los Angeles Druck auszuüben, um eine für die Arbeiter günstige Regelung zu erlangen). In diesen Räumen haben sich die verschiedenen Gruppen von Arbeitern und die kommunitären Militanten getroffen, um ihre Probleme zu diskutieren und ein gemeinsames Vorgehen zu organisieren.

L.A. ist Zeuge einer Hoffnung der Transformation des Syndikalismus und der Öffnung geworden, die es erlaubte, aus einer für ihre antigewerkschaftliche Politik bekannten Stadt eine wahre Bastion des Syndikalismus zu machen. Ende der 80er Jahre, am Beginn der Kampagne "J for J", schien die Situation sehr schlecht zu sein, doch im Jahre 2000 hat Los Angeles gezeigt, wie eine Gewerkschaft die Lebensbedingungen - und das Leben selbst - der armen Arbeiter in den Vereinigten Staaten verändern konnte. Die Stadt ist zu einem Schulbeispiel geworden, das es erlaubt, den Beweis dafür anzutreten, daß ein neuer Stil des Syndikalismus dazu in der Lage ist, neue Gruppen an den kollektiven Kampf heranzuführen.

Die neuere Geschichte der Arbeiter von L.A. hat auch in gleicher Weise auf einige Schwierigkeiten hingewiesen, mit denen der Syndikalismus des sozialen Widerstandes sich auseinanderzusetzen hatte. Los Angeles ist heute jenes Gebiet, in dem es in den USA im Bereich der Produktion von Gütern am meisten Beschäftigung gibt, und dennoch wurden hinsichtlich der Organisation einer großteils immigrierten Arbeiterschaft bislang wenig Fortschritte erzielt. Dies führt zur Überlegung, daß im Augenblick selbst die fortschrittlichsten Gewerkschaften und CLC nicht in der Lage sind, im nötigen Ausmaß Kräfte zusammenzubringen oder hinreichend wirksame Strategien zu entwickeln, um in die "verbotene Zone" einzudringen, zu der heute für die Gewerkschaften der industrielle Bereich geworden ist. Die Geschichte der Sektion 399 der SEIU ist auch ein Beispiel dafür, wie das bürokratische Erbe des Gewerkschaftsmanagements den Syndikalismus des Widerstandes scheitern lassen kann. Die in Las Vegas gemachten Erfahrungen, lediglich auf der anderen Seite der Wüste von Mohab gelegen, scheint jedoch gerade das Gegenteil zu beweisen: die Praktiken der Gewerkschaftsbewegung des sozialen Widerstandes können dazu führen, bestimmte der am meisten korrumpierten und reaktionärsten Formen des Syndikalismus zu eliminieren.

Las Vegas organisieren (S. 140-150)

Der Fall von Las Vegas ist ein anderes "Schulbeispiel". Auch dort hat der Syndikalismus des sozialen Widerstandes das soziale und politische Terrain einer Stadt von Grund auf verändert, wo noch kurz zuvor eine solcher Wechsel nicht vorstellbar gewesen ist. Seit Jahren ist Las Vegas eine jener Städte gewesen, wo der Syndikalismus ein verzerrtes Image hatte, für korrumpiert und "maffios" galt, eine Bild, das häufig vom Patronat beschworen wurde, um die Kampagnen der Syndikalisierung zu bekämpfen. Die Korruption hatte in den 50er und 60er Jahren um sich gegriffen, als James Hoffa Senior, der damalige Präsident der Teamsters Union, die Pensionsfonds seiner Gewerkschaft dazu benutzte, die Entwicklung von Las Vegas zu finanzieren: denn damals waren die Banken wenig geneigt dazu, in einen so zweifelhaften Sektor wie jenen der Glücksspiele viel zu investieren. Am Ende der Vereinbarung, die zwischen den Eigentümern der Casinos und Hoffa abgeschlossen wurde, hatten die LKW-Fahrer und die Hotelangestellten von Las Vegas Anspruch auf gute Verträge und hohe Löhne; auf der anderen Seite die Unternehmer aber die Garantie, es mit einer sicheren Belegschaft zu tun zu haben, mit einer konzilianten Gewerkschaft, womit sich Möglichkeiten ergaben, Geld für Investitionen aufzunehmen.

Diese Situation dauerte an bis in die Mitte der 70er Jahre, als die großen Unternehmen begannen, in Las Vegas zu investieren und so das Geld der Maffia zu ersetzen. Auf jeden Fall wollten diese neuen Investoren nichts mehr mit der Korruption der Hotelgewerkschaft (HERE, Sektion 226) zu tun haben. Sie nahmen nun mehr und mehr eine gewerkschaftsfeindliche Haltung ein. Die Komplizität zwischen Gewerkschaftsführern und Maffia löste sich auf, mehr aus Gründen der Finanzierung als aus gewerkschaftlichen Problemen. Nach einem vom amerikanischen Senat angeforderten Bericht über finanziellen Diebstahl wollten die maffiösen Gangster sich der Gelder der Gewerkschaft des medizinischen Hilfspersonals bemächtigen, was Al Bramlet, der den Gangstern bislang nahestehende Gewerkschaftsführer aber ablehnte. So wurde er 1977 gekidnappt und dann am Stadtrand ermordet.

Die Gewerkschaft von Bramlett war wegen ihrer Verbindungen zur Korruption und der Gefügigkeit ihrer Mitglieder schlecht darauf vorbereitet, die antigewerkschaftlichen Praktiken der großen Unternehmen zu bekämpfen, die Las Vegas von seinem Ruf als "Stadt der Sünde" befreien wollten, um daraus einen Ort für Familienurlaube zu machen; um diese Ziele zu erreichen, wollten sie die Arbeitskosten senken. Ermutigt durch die gewerkschaftsfeindliche Atmosphäre der frühen 80er Jahre - die Epoche Ronald Reagans - und konfrontiert mit der Konkurrenz anderer Städte in den Vereinigten Staaten, wo die Glücksspiele legalisiert worden waren, gründeten die Unternehmer, denen die Casinos gehörten, die Nevada Resort Association und versuchten, die Gewerkschaften der Casinos, der Hotels und Restaurants von Las Vegas zu eliminieren. Dies gelang ihnen 1984 beinahe durch die Anstiftung eines Streikes, was ihnen die Möglichkeit gab, Streikbrecher aufmarschieren zu lassen, damit die Casinos trotzdem offen bleiben, und einen lokalen Richter dahin zu bringen, die Streikposten zu verbieten; in der Folge verlangten sie von der Polizei, 900 Beschäftigte festzunehmen, welche sich der Verfügung des Richters widersetzten.

Selbst die nichtkorrumpierten Gewerkschaften lösten sich vor soviel Unnachgiebigkeit und Repression schließlich auf . Die Sektion 226 hätte sicher dasselbe Schicksal erfahren ohne die Anwesenheit von Vincent Siraballa, des nationalen Direktors der HERE für Rekrutierung und seiner Gruppe professioneller Rekruteure. HERE ist wie die SEIU zunächst eine der AFL angeschlossene Berufsgewerkschaft für wenig qualifiziertes Personal gewesen; es handelte sich dabei um eine dezentralisierte Organisation mit einer starken Tradition lokaler Autonomie, was, wie bereits zu sehen war, von seiner Struktur her gleichzeitig die Korruption und die Innovation begünstigte. Doch im Gegensatz zur SEIU stand HERE nicht unter der Leitung eines Reformators der Art Sweeney und war nicht eine expandierende Gewerkschaft. Da sie über weniger finanzielle Ressourcen verfügte, war es schwierig, Neuerungen durchzusetzen. Doch dies alles hinderte Sirabella und andere Gewerkschafter wie John Wilhelm (der heute die HERE leitet) nicht daran, im Jahre 1984 mit neuen Techniken der Rekrutierung und unterschiedlichen Modellen des Syndikalismus zu experimentieren. Besonders Wilhelm hat Anfang der 80er Jahre eine neueartige Kampagne mit dem Ziel gestartet, die Büroangestellten der angesehenen Universität YALE an der Ostküste der US gewerkschaftlich zu organisieren. Die Kampagne zur Rekrutierung dieser Beschäftigten, die bis dahin außerhalb der Gewerkschaften standen, dauerte vier Jahre und hat den Beweis dafür erbracht, daß es möglich ist, die Basis zu direktem Engagement zu stimulieren. Damals registrierten die Journalisten die "große Solidarität" der Angestellten und zahlreiche Militante der HERE bedienen sich heute noch der in Yale erfundenen Techniken, um effiziente Komitees von Angestellten "an der Basis" zu bilden.

In Anbetracht der hoffnungslosen Situation der Sektion 226 wurde eine Gruppe von Rekruteuren (einige von ihnen hatten an der Kampagne in Yale teilgenommen) nach Las Vegas geschickt. Mit der Hilfe von Mitgliedern der Basis, radikalisiert durch die massiven Arrestationen, riefen sie die 17000 streikenden Beschäftigten dazu auf, den Kampf fortzusetzen. Sie erreichten schließlich die Unterzeichnung einer Vereinbarung mit nahezu allen Hotels und Casinos, gegen die sie sich aufgelehnt hatten. In den folgenden Jahren diente der Erfolg dieser direkten Auseinandersetzung mit den Autoritäten als Bezugspunkt, um die Belegschaften während einer ganzen Reihe recht harter Konfrontationen zu mobilisieren. Mögen auch die durch die Gewerkschaft im Jahre 1984 erreichten Erfolge im Vergleich mit der katastrophalen gewerkschaftlichen Situation dieses Zeitabschnittes beeindruckend sein, so hatte die Sektion 226 doch auch eine Niederlage hinzunehmen. Sechs großen Casinos war es gelungen, die Streikbrecher zu halten und die Akkreditierung der Gewerkschaft wieder rückgängig zu machen. Die Rekruteure der HERE begriffen, daß sie nun die Gewerkschaft völlig neu aufzubauen hatten, etwa so wie Wilhelm es bei der Universität Yale gemacht hatte, und sie machten mit den streikenden Militanten der Basis gemeinsame Sache. Es ging ihnen dabei vorwiegend darum, die langjährigen Mitglieder bei der Stange zu halten, trotz der schwierigen Erfahrungen mit dem Streik von 1984, und dies durch eine direkte Aktion mit dem Ziel, den Syndikalismus zu stärken und sich nicht lediglich darauf zu beschränken, die bestehenden lokalen Sektionen zu verteidigen und ihren Einflußbereich auszuweiten; in gleicher Weise legten sie mehr Wert darauf, neue Mitglieder zu rekrutieren als sich um eine Erhöhung der Löhne zu kümmern. Zur Zeit der neuen Vertragsverhandlungen, im Jahre 1989, organisierte die Sektion 226 gewaltige militante Manifestationen, eine Aktion, welcher die großen Casinos nichts entgegenzusetzen hatten. Die Sektion 226 hat ebenfalls Verträge verlangt - und bei einigen der wichtigsten Casinos auch erhalten - , durch welche ein "card check system" für künftige Rekrutierungskampagnen eingerichtet wurde, ein sehr wichtiges Zugeständnis, das sich als Schlüssel für künftige gewerkschaftliche Erfolge erweisen sollte. Im amerikanischen Gewerkschaftsjargon spricht man daher von "verhandeln, um zu rekrutieren", eine Taktik, welche mehr und mehr sich des Syndikalismus des sozialen Widerstandes bedient. Ohne sie hätten zahlreiche Erfolge, erfochten in heißen Kämpfen, die aus Las Vegas eine syndikalisierte Stadt gemacht haben, niemals errungen werden können.

Bestimmte Casinos waren jedoch entschlossen, nicht dem Beispiel jener zu folgen, die 1989 und in den 90er Jahren Verträge unterzeichnet hatten, so daß die Sektion 226 sie mit neuen scharfen Auseinandersetzungen konfrontieren mußte. Im Jahre 1990 hat die Gewerkschaft, unterstützt von der städtischen Gemeinschaft der Schwarzen, nach einem zehn Monate dauernden Streik sich gegen eines von ihnen durchgesetzt; doch ein anderer Streik, angezettelt beim Casino Frontier, dauerte mehr als sechs Jahre und ist zum zeitlich längsten amerikanischen Streik der Nachkriegszeit geworden. Dabei gab es dramatische Momente und auch Momente der großen Solidarität: Manifestationen mit mehr als 20 000 Teilnehmern legten das Zentrum des Stadtviertels, wo die Casinos waren, völlig lahm; ein Marsch von 500 km durch die Wüste von Mohab wurde organisiert, um publikumswirksam auf das Schicksal der Streikenden aufmerksam machen; die Mitglieder der Sektion 226 haben mit großer Mehrheit eine 40prozentige Erhöhung ihrer Beiträge beschlossen, damit die Gewerkschaft die Streikenden unterstützen könne, ohne auf die Mittel zurückgreifen zu müssen, die für die Anwerbung neuer Mitglieder gebraucht wurden. Während der sechs Jahre des Streiks hat nicht ein einziger Angestellter den Cordon der Streikposten durchbrochen. Letztendlich errangen die Streikenden 1998 den Sieg, nachdem die AFL-CIO politischen Druck dahingehend ausgeübt hatte, daß den Eigentümern von Frontier der Entzug der Lizenz angedroht wurde.

Während des Streiks gegen Frontier hat die Sektion 226 immer auch Rekrutierungskampagnen durchgeführt, was wenige Gewerkschaften taten, auch jene nicht, die nicht gleichzeitig in einen harten und medial beachteten Streik verwickelt gewesen waren. Diese Kampagnen haben manchmal zu langen Auseinandersetzungen geführt, besonders mit der MGM, die 1993 das damals größte Casino-Hotel der Welt eröffnete - mit 5005 Zimmern. Das neue Casino hat seine Absicht verkündet, die Gewerkschaften zu verbieten und das "card check system" nicht anzuerkennen. Es bedurfte über Jahre dauernder massiver Manifestationen und Besetzungen der Räumlichkeiten, um den Widerstand der MGM zu brechen, dies auch deswegen, weil das Unternehmen den Anspruch erhob, Eigentümer des Gehsteiges vor dem Hotel zu sein und die Manifestanten, die sich dort aufhielten, festnehmen ließ. Es ist auch notwendig gewesen, auf Guerilla-Techniken zurückzugreifen. Die Forscher von HERE sind auch bestens für ihre Geschicklichkeit bekannt, sowohl im Gewerkschafts- wie auch im Geschäftsmilieu, sich bei ihrer Verteidigung des gewerkschaftlichen Anliegens der Wall Street zu bedienen und haben diesbezüglich bei der Hochfinanz Untersuchungen gemacht, um Mittel zu finden, auf die MGM Druck auszuüben. So konnten sie beispielsweise herausfinden, daß die ausgewiesenen Gewinne überhöht waren, und sie haben hinsichtlich dieser Überbewertung einen Forschungsbericht in Umlauf gesetzt, um damit die Investoren aufzustacheln, eine Einstellung der antigewerkschaftlichen Aktionen zu verlangen. Die Forschungen und die Manifestationen sind eine Beitrag zum Sieg der Gewerkschaften gewesen, der unmittelbar nach der Unterzeichnung der Vereinbarung mit Frontier bekanntgegeben worden ist. Diese Unterzeichnung hat auch die AFL-CIO dazu veranlaßt, nach der Wahl von Sweeney, mit der Ausübung von politischem Druck zugunsten von Rekrutierungskampagnen einverstanden zu sein. 1997 wollte die MGM in Detroit, einem historischen Zentrum der Automobil-Gewerkschaften, wo die Glücksspiele legalisiert worden waren, ein Casino eröffnen. Das Unternehmen mußte eine der drei Spiel-Lizenzen der Stadt bekommen, was HERE und ihre Verbündeten so lange verhindern konnten als die MGM ihren Widerstand gegen die Kampagnen der Rekrutierung in Las Vegas aufrechterhielt. Zu guter letzt nahm das Unternehmen Verhandlungen mit der Sektion 226 auf.

Diese langen und schweren Kämpfe wären ohne die Hilfe der nationalen Logistik von HERE und ohne eine beträchtliche Anstrengung der Basis nie zu gewinnen gewesen. Denn um unnachgiebigen Unternehmern die Stirn zu bieten und in der Finanzwelt Untersuchungen durchzuführen, sind tatsächlich wichtige finanzielle Mittel unabdingbar. Die Kampagne, die sich auf Frontier bezog, kostete schätzungsweise 26 Millionen Dollar, wobei ein Teil dieses Geldes von den Beitragserhöhungen bei der Sektion 226 kam, ein anderer Teil von der AFL-CIO, aber auch von der nationalen Gewerkschaft. Letztere hatte ebenfalls ihre besten Rekruteure und Forscher entsandt, unter ihnen auch John Wilhelm, der dort 1987 eintraf; ihm schreibt man auch zu, daß die Gewerkschaft in Las Vegas erfolgreich sein konnte.

Diese finanziellen Mittel und diese Funktionäre wären jedoch zum Erfolg keineswegs ausreichend gewesen ohne eine breite Mobilisierung der Basis. Im Gegensatz zu Los Angeles, wo die permanenten Mitarbeiter vonJustice for Janitors bereits eine Immigrantengemeinschaft vorfanden, die sie mobilisieren konnten, hatten die Rekruteure der HERE in Las Vegas beim Nullpunkt zu beginnen. Sich auf seine Erfahrungen bei Yale beziehend richtete Wilhelm Komitees ein, die von den Angestellten in jeder beruflichen Sektion der Hotels geleitet wurde. In der Sektion 226 dominierten üblicherweise die Barmänner und das Bedienungspersonal bei Banketten, eine sehr qualifizierte Gruppe von Angestellten (und meist auch Weiße), doch Wilhelm und seine Mitarbeiter bestanden darauf, ein Netz von Gewerkschaftvertretern auch unter den weiblichen Hausangestellten und dem schlecht bezahlten Küchenhilfspersonal einzurichten, die oft den Minderheiten zugehörig waren. Dieses Kontingent "unsichtbarer Arbeitskräfte", das ebenso rasch anwuchs wie die Mega-Casinos (das Hotel MGM mit seinen 5005 Zimmern beschäftigt Equipen von Zimmermädchen von mehreren hundert Frauen), hat einen enormen Beitrag zur Expansion der Gewerkschaft und seiner militanten Orientierung geleistet. Die 1000 Mitglieder des City-Wide Organizing Committee, einer Organisation zur Koordination der Bemühungen der Basismitglieder um die Rekrutierung der gewerkschaftlich Nicht-Organisierten, haben viel zur Entstehung von Solidarität und zur Bildung von gewerkschaftlichem Führungspersonal beigetragen; darüber hinaus hat die Sektion, statt lediglich von bezahlten "Konfliktagenten" zu verlangen, für die Beschäftigten die Schwierigkeiten zu beheben, Gruppen von Mitgliedern dazu ermuntert, sich kollektiv damit zu beschäftigen, und damit der Mobilisierung der Beschäftigten selbst an ihrem Arbeitsplatz den Vorrang eingeräumt gegenüber der Mobilisierung bürokratischer Techniken. Die Erfahrung der massiven Arrestationen und der langdauernden Manifestationen hat aus den Hotelangestellten von Las Vegas überzeugte Militante gemacht, welche, wie ein Journalist bemerkt hat, "sich mit einer Begeisterung in den gewerkschaftlichen Militantismus gestürzt haben, wie man sie seit den großen Manifestationen der 30er Jahre nicht mehr gesehen hat".

Der Militantismus der Arbeiter und ihre Überzeugung, daß es nötig ist, "zu verhandeln um zu rekrutieren", führten zu einer beeindruckenden Steigerung der Zahl der gewerkschaftlich Organisierten. Die Gewerkschaftssektion, die 1989 18 000 Mitglieder zählte, hat heute deren 50 000: bei keiner anderen lokalen Sektion des amerikanischen Privatsektors hat es derartige Neuanwerbungen gegeben. Dies hat eine beträchtliche Verbesserung der Lebensbedingungen der im Dienstleistungsbereich Beschäftigten ermöglicht - Las Vegas ist heute die einzige Stadt der Vereinigten Staaten, wo sich der Dienstleistungssektor angemessener Löhne erfreut.

Die Sektion 226 betrachtet sich heute als den Ursprung einer Stärkung der gewerkschaftlichen Bewegung in Las Vegas, sie ist auch der Beweis dafür, daß ein Syndikalismus des Widerstandes sich zu erneuern und Anstoß zu einer viel weiterreichenden Mobilisierung zu sein vermag. Die Sektion hat die Rekrutierungskampagnen anderer Gewerkschaften in den Spitälern und auf dem Bau unterstützt, sie hat sich ebenfalls mit einigen Vertretern der Kirchen der Stadt verbündet, von denen seither viele zu Mitgliedern eines ökumenischen Rates für Gerechtigkeit in der Arbeitswelt geworden sind. Dieser Rat, der zur Unterstützung der Kampagnen der Sektion 226 Nachtwachen mit Kerzenlicht organisiert hatte, ist heute besonders aktiv bei der Verteidigung der Gewerkschaft der Holzarbeiter in Las Vegas, welche die vorwiegend immigrierte Arbeiterschaft auf dem Bau zu erfassen sucht und dabei gleichzeitig die in diesem Sektor mißbräuchlichen Praktiken aufdeckt und auf die Verwaltung Druck ausübt, den nicht-syndikalisierten Sub-Unternehmern die Arbeitsmöglichkeiten zu entziehen. In Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Syndikaten hat die Sektion 226 ein "Schwarzbuch der Unternehmer in Nevada" (eine ironische Anspielung auf das "Schwarzbuch der Spieler", das den Casinos dazu dient, bestimmten nicht erwünschten Spielern den Zugang zu den Spielsälen zu verwehren) veröffentlicht und der ökumenische Rat ist dabei, ein juridisches Zentrum für Arbeiter zu eröffnen, wo sich unterbezahlte Beschäftigte über ihre Rechte informieren können und lernen, sich zu organisieren. Alle diese Initiativen sind ein Beleg dafür, daß überall dort, wo der Syndikalismus des sozialen Widerstandes Wurzeln schlagen konnte, die Mobilisierung der Arbeiter möglich wird.

Die Sektion 226, früher ein Beispiel gewerkschaftlicher Korruption, hat gezeigt, daß die gewerkschaftliche Bewegung in der Lage ist sich zu erneuern. Las Vegas gilt heute als "die Stadt der Vereinigten Staaten, wo der Syndikalismus am aktivsten ist". Die Sektion hat Wilhelm dabei unterstützt, die Leitung der nationalen Gewerkschaft zu übernehmen und er verweist auf das Beispiel der Sektion 226, um die Sektionen des Hotelbereichs anderer Städte zu ermuntern, sich dem Syndikalismus des Widerstandes anzuschließen.

Es ist auch erstaunlich festzustellen, daß Las Vegas eine Stadt ist, wo die Mehrheit der Beschäftigten - unterbezahlte Arbeiter im privaten Dienstleistungsbereich - gerade von jenen gestellt wird, die man bisher stets für unfähig hielt, sich zu organisieren; und dennoch ist auf diesem äußerst feindlichen Terrain eine äußerst mächtige gewerkschaftliche Bewegung entstanden Es sind jedoch, trotz des Militantismus und der vor kurzem an den Tag gelegten sozialen Kreativität, lediglich 20% der Arbeitskräfte gewerkschaftlich organisiert. Diese Zahl ist trotzdem beeindruckend, wenn man sie mit dem Durchschnittswert des ganzen Landes vergleicht, wo nur 9% der im Privatsektor Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert sind; sie weist auch in gleicher Weise darauf hin, bis zu welchem Ausmaß eine soziale Bewegung ebensosehr vom Image lebt, das sie von sich selbst gibt wie auch von der Anzahl seiner Mitglieder.