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Domestizierte Gewerkschaften

5 Zwei Szenarien für die Zukunft (S. 151 - 164)

Die jüngere Geschichte dieses neuen Syndikalismus in Los Angeles und Las Vegas zeigt, daß er sich vom Gewerkschaftsmanagement der Nachkriegszeit radikal unterscheidet. Er stellt daher für die amerikanischen Gewerkschaften gleichzeitig eine Verheißung wie auch eine reelle Möglichkeit dar, endlich eine ausreichend mächtige Widerstandsbewegung aufzubauen, um ein entschieden antigewerkschaftliches System anzugreifen. Wenn sich dies verwirklichen lassen sollte, so wären die Implikationen nicht nur für die amerikanischen Arbeiter äußerst weitreichend, sondern auch, wegen der dominierenden Stellung der Vereinigten Staaten in der Weltwirtschaft, für alle Lohnabhängigen. Doch ist hinzuzufügen, daß die Verwirklichung dieses Versprechens noch weit entfernt ist.

Welche Zukunft hat die amerikanische Gewerkschaftsbewegung? Man kann zwei Möglichkeiten sehen: entweder führen diese offensichtlich vielversprechenden Änderungen zu nichts oder es gelingt, den neueren Bemühungen zum Aufbau einer syndikalistischen Bewegung, in den USA Kräfte zur Etablierung einer gerechteren Gesellschaft freizusetzen und gleichzeitig auch Versuche zu torpedieren, das "amerikanische Modell" zu exportieren.

Im ersten Szenario bleiben Erfolge wie jene in Los Angeles und Las Vegas isolierte Einzelfälle, der Syndikalismus verzichtet auf die Konstruktion einer allgemeinen Bewegung und der Grad der Syndikalisierung setzt seinen Rückgang fort. In diesem Fall verlieren immer mehr Amerikaner die Befugnis, über ihr Leben als Arbeiter zu entscheiden und lediglich einige hochqualifizierte Berufsgruppen oder Inhaber von strategischen Positionen (wie professionelle Athleten, Techniker im medizinischen Bereich und Lehrer an öffentlichen Schulen) sind weiterhin gewerkschaftlich organisiert und können sich einer sozialen Sicherheit erfreuen, wie sie die europäischen Arbeiter in ihrer Gesamtheit erreicht haben. Je nachdem, wie stark der Grad der Syndikalisierung zurückgeht, verlieren die Gewerkschaften ihre Regulierungsmacht und die bereits erschreckenden Lohnunterschiede können nur noch größer werden.

Darüber hinaus wird in diesem Szenario der schwache politische Einfluß auf die demokratische Partei völlig verschwinden. Auch wenn es richtig ist, daß die amerikanischen Gewerkschaften keinen den anderen Gewerkschaften kapitalistischer Länder vergleichbaren politischen Einfluß haben, so sind sie heute nahezu die einzigen, die sich in der Gesellschaft mit der Forderung bemerkbar machen, die sozialen Sicherheiten zu verbessern. Oder allgemeiner formuliert, nur der Syndikalismus kann auf nationaler Ebene eine Anhebung der Mindestlöhne, der sozialen Sicherheit und Urlaube für Eltern durchsetzen. Er ist in gleicher Weise eine der wenigen politischen Kräfte, die öffentlich ihre Stimme gegen die "freihandelsorientierten" Projekte des Patronates erheben können, und er hat sich als stark genug gezeigt, im Kongress ausreichend viele Stimmen zusammenzubringen, um einige der extremsten Vorhaben des Patronates zu blockieren. Sollte der Grad der Syndikalisierung brutal zurückgehen, so würde der Syndikalismus alle politische Macht verlieren und die progressiven politischen Kräfte wären ebenfalls geschwächt. Die Unternehmer könnten dann in den Vereinigten Staaten und im Ausland nach Gutdünken schalten und walten, noch mehr als dies heute der Fall ist.

Gewisse Bedrohlichkeiten, die entweder der Gewerkschaftsbewegung äußerlich oder der gewerkschaftlichen Organisation und ihrer Kultur immanent sind, sind Anlaß dazu, dieses Szenario für plausibler zu halten als das andere.

Denn zunächst einmal steht das Patronat den Gewerkschaften gegenüber in gewalttätiger Abwehrposition. Wie wir gezeigt haben, unterstützen die amerikanischen Institutionen zur Steuerung des Arbeitsmarktes diese Haltung und begünstigen jene, die der Syndikalisierung mit Erfolg zu widerstehen vermögen. Die Geschichte lehrt auch, daß das amerikanische Patronat es immer bestens verstanden hat, sich den gewerkschaftlichen Taktiken anzupassen und offensichtlich reagiert es auch diesmal auf die Taktiken, welche der neue Syndikalismus des Widerstandes anwendet. In Kalifornien haben sich die Beratungsfirmen auch darauf spezialisiert, Techniken anzuwenden, welche die neuen Taktiken des zivilen Ungehorsams und die gewerkschaftliche Anerkennung durch "card check", welche die Gewerkschaften bei ihren Kampagnen der Rekrutierung anwenden, konterkarieren sollen. Die Arbeitsgesetze sind immer zugunsten der Unternehmer formuliert. Dazu kommt, daß die Ereignisse des 11. Septembers die Aufgabe der Gewerkschaften noch spürbar erschwert haben: zunächst einmal, weil in Zeiten der Rezession die Rekrutierung schwieriger ist, dann aber auch, weil das Patronat derzeit damit beginnt, die militanten Gewerkschafter zu entlassen.

Doch die Opposition des Patronates ist nicht die einzige der Kräfte, welche sich für die Transformationen der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung als bedrohlich erweisen. Es gibt auch ernstzunehmende innere Hindernisse: die Mehrheit der amerikanischen Gewerkschaften hat sich noch immer nicht zu jenem Typ von Praktiken des Widerstandes bekannt, den wir hier skizziert haben, und diese Gewerkschaften sind auch weit entfernt davon, jene drastischen Änderungen vorzunehmen, die für die Rekrutierung gewerkschaftlich nicht erfaßter Arbeiter und für den Kampf gegen eine entschlossene Ablehnung von seiten des Patronates unerläßlich sind. Der voluntaristische und dezentrale Charakter der AFL-CIO, die nur dank der Beiträge der angeschlossenen Gewerkschaften existieren kann, gibt dieser keinerlei Macht, Zwang auszuüben und verbietet es ihr, die Gewerkschaften anders als durch Überredung zur Durchführung fundamentaler Reformen zu verpflichten.

Der Dachverband unternimmt in dieser Richtung große Bemühungen. Doch fällt es ihm schwer, zu einem greifbaren Ergebnis zu kommen. Alle zur Gewerkschaftsbewegung Gehörenden wissen, daß ihre Macht schwinden und sie selbst sich auflösen würde, wenn sie nicht mit mehr Aggressivität neue Mitglieder anwerben. Die einfache Feststellung dieser Tatsache bedeutet einen immensen Wandel in der Organisation. Doch eine kurzfristige Logik der "Verteidigung der aktuellen Mitglieder" strebt tendenziell danach, die Oberhand zu gewinnen, weil dies der Alltagslogik der Tätigkeiten der Gewerkschaftsführung entspricht: es ist das, was ihnen den Zugang zu einem wichtigen Posten ermöglich hat und auch erlaubt, diesen zu behalten. Offensichtlich sind Sweeney und seine Verbündeten der Hoffnung, daß dann, wenn der neue Syndikalismus zu ausreichend guten Ergebnissen führt, jene, die sich ihm nicht angeschlossen haben, politisch schwächer werden und zur Änderung gezwungen sind (wie dies nach den Wahlen zum AFL-CIO im Jahre 1995 der Fall gewesen ist). Doch bislang hat sich eine große Zahl nationaler Gewerkschaftsführer diesbezüglich als schwerhörig erwiesen. Eine realistische Analyse läßt vermuten, das wahrscheinlich nur 10 der 64 in der AFL-CIO zusammengeschlossenen Gewerkschaften damit einverstanden sind, der Politik einer aggressiveren Rekrutierung zu folgen.

Wie wir bereits gesehen haben, riskieren die Gewerkschaften, wenn sie nach dem dringenden Rat Sweeneys und der Reformorientierten 30% ihres Budgets für Rekrutierung aufwenden, und die für Repräsentation und Vertretung der Interessen der Mitglieder bestimmten Mittel reduzieren, einen Mißerfolg bei den Wahlen, da die Gewerkschaftsführung ihre Positionen den Mitgliedern verdankt. Es trifft auch zu, daß die Mitglieder der Mehrheit der amerikanischen Gewerkschaften nie darauf vorbereitet worden ist zu begreifen, was ein Syndikalismus des Widerstands für den Syndikalismus bedeuten kann, ja nicht einmal zu begreifen, daß der Syndikalismus auch etwas anderes sein könnte als eine Reihe von bürokratischen Prozeduren, für die ein mehr oder weniger weit vom Arbeitsplatz entferntes bezahltes Personal und Angestellte der Gewerkschaft zuständig sind.

Es ist wichtig, klar zu sehen. Die enge Geisteshaltung ist keineswegs konstitutiv für die amerikanischen Lohnarbeiter. Sie ist das historische Produkt einer politischen Kultur, die enge Grenzen zieht zwischen dem Realismus und der Utopie. So beruht beispielsweise in einer Gesellschaft, die den Begriff der "Klassen" gleichsam aus ihrem Diskurs eliminiert hat, auch die Idee selbst nur noch auf Euphemismen (schönen, leeren Worten). Die gleiche Gesellschaft stößt sich daher auch in keiner Weise an in der Sache "außerordentlichen" Ungleichheiten, deren Grundlage soziale Klassenzugehörigkeiten sind (die sichtbar werden in der immensen Disparität der Verteilung des Reichtums, der Einkommen, der Bildung, der sozialen Sicherheit, der Wohnung und vielen anderen Bereichen der sozialen Infrastruktur). Wir gehören also zu einer Gesellschaft, welche total in Klassen gespalten ist, aber wir haben nicht Mut, uns dies zuzugestehen. John Sweeney wie auch die Gewerkschaftsführer und Politiker in seinem Umfeld haben, politisch gesehen, nicht das Recht, den Ausdruck "Arbeiterklasse" zu verwenden, obwohl diese das einzige Ziel all ihrer Bemühungen ist. Sie haben Ausdrücke wie "Arbeiterfamilien", "Arbeiter aus der Mittelschicht" (manchmal auch "arme Arbeiter", wenn sie nicht anders können), weil diese es erlauben, den Kontext des Klassenkampfes nicht anzusprechen und den Eindruck zu erwecken, die soziale Ordnung nicht in Frage zu stellen.

Auf der anderen Seite haben diese Erfahrungen eines Syndikalismus des sozialen Widerstandes jenseits der speziellen und engen Kontexte einen beispielhaften Wert und eröffnen in der Praxis viel weitere politische Möglichkeiten als jene, die in den USA an der Tagesordnung sind. Wenn es möglich ist, für die amerikanischen Arbeiter eine andere Zukunft zu erhoffen, und gerade daran glauben wir, so werden die Erfahrungen von Los Angeles und Las Vegas keine Einzelfälle bleiben, sondern sie werden der Sauerteig sein für eine ausreichend mächtige Bewegung des Widerstandes, um sich mit dem Patronat in allen Bereichen der Wirtschaft anzulegen. Eine von den Perspektiven eines Syndikalismus des Widerstandes gestärkte gewerkschaftliche Bewegung, eine Bewegung, die wir in verschiedenen Formen entstehen sehen, würde die soziale Landschaft verändern. Sie wäre irgendwie das einzige institutionelle Gegengewicht zur Dampfwalze die amerikanischen Neoliberalismus im Inneren der Gesellschaft selbst.

Darf man erwarten, daß diese Bewegung sich ausbreitet von einem Ende des Landes bis zum anderen? Die Ereignisse von Los Angeles und Las Vegas haben ein außerordentlich großes mediales Echo gefunden - dies ist seit langer Zeit zum ersten Mal gewesen, daß die Aktion der Gewerkschaften in den großen Medien und der öffentlichen Meinung so eng mit dem Kampf der armen und marginalisierten Arbeiter verbunden worden ist. Die diesen Ereignissen zugewandte Aufmerksamkeit und die Öffnung anderer Gewerkschaften für die Bewegung des syndikalen Widerstandes haben sich schon auf mehrere Dutzend andere Städte auszuwirken begonnen, auch auf so große Städte wie Atlanta, Boston, Cleveland, Milwaukee, Minneapolis und Seattle. Wenn die lokalen gewerkschaftlichen Sektionen und die CLC sich zusammentun, um im progressiven Sinne zu handeln, so wird das Ergebnis sicher nicht so spektakulär sein wie das, was wir in Los Angeles und Las Vegas gesehen haben, doch stellt dies trotzdem einen Schritt nach vorne dar im Vergleich mit der früheren Politik. Die Tatsache, daß fast ein Viertel der CLC des Landes - welche die Hälfte der Gewerkschaftsmitglieder in den USA repräsentieren - verlangt haben, sich dem Programm "Union Cities"der AFL-CIO anzuschließen, verweist in dieselbe Richtung. Dies zeigt auch, daß die CLC den Anschluß an die aufbrechende soziale Bewegung suchen, daß sie anders als in der Vergangenheit arbeiten möchten, und daß sie damit einverstanden sind, daß man ihnen dabei die Vorgangsweise erklärt. Dies ist nicht nichts: es handelt sich dabei um eine wichtige Änderung, wenn man bedenkt, daß die CLC noch vor wenigen Jahren unter der Fuchtel des konservativsten Gewerkschaftsmanagements gestanden sind, das jeden Kontakt mit den progressiven Bewegungen des Widerstandes ablehnte oder von fundamentalen sozialen Veränderungen nichts hören wollte.

Während der Kampagnen in Los Angeles und Las Vegas haben viele Organisationen, die recht unterschiedliche Gruppierungen vertraten, der Gewerkschaftsbewegung ihre Unterstützung angeboten; die kollektiven Energien und die erfinderischen Strategien, die damals entstanden sind, haben zum Ausdruck eines viel weiteren Verständnisses von Solidarität geführt in einer Gesellschaft, wo so etwas bereits unvorstellbar geworden war. Ähnliche Dynamiken lassen sich auch andernorts beobachten. So haben beispielsweise Anfang der 90er Jahre, zur Zeit, als die Kampagnen wie Justice for Janitors Aufmerksamkeit zu erwecken begannen, kommunitäre Gruppen von Baltimore an der Ostküste eine Kampagne zur gesetzlichen Absicherung "angemessener Löhne gestartet, welche die städtischen Sub-Unternehmer (z.B. Einheiten zur Verteilung von Unterstützungen für die Ärmsten, welche in der Stadt gehörenden Gebäuden Restaurants führen oder Dienstleistungen der städtischen Verwaltung erbringen) dazu verpflichten sollte, ihren Beschäftigten einen "angemessenen Lohn" zu zahlen, d.h. einen Lohn, der es einem Vollzeitbeschäftigten und seiner Familie erlaubt, oberhalb der Armutsgrenze zu leben. (Viele der Sub-Unternehmer in den Städten zahlen bedeutend weniger, was auch teilsweise erklärt, warum es in den 80er Jahren in den USA eine derartige Welle von Privatisierungen städtischer Dienstleistungen gegeben hat.) Die Idee einer Kampagne für einen "angemessenen Lohn" wurde von der Bevölkerung mit großem Wohlwollen aufgenommen, denn sie erlaubt eine moralische Kritik jener, die damit einverstanden sind, direkt oder indirekt öffentliches Geld für die Schaffung von Arbeitsplätzen zu verwenden, die es den Arbeitern und ihrer Familien nicht möglich machen, der Armut zu entkommen. Sie wurde auch deswegen so gut aufgenommen, weil sie jenen Unternehmen neue Normen vorgibt, die nicht zum öffentlichen Sektor gehören. Früher wären Kampagnen dieser Art vom Großteil der Gewerkschaftsführer heruntergemacht worden, zunächst einmal deswegen, weil die Idee von gewerkschaftsfremden Militanten gekommen ist, dann aber auch deswegen, weil sie Angst hatten, daß ein verpflichtender Minimallohn destabilisierende Konsequenzen hat, denn bestimmte ihrer Mitglieder hätten das Interesse an kollektiven Verhandlungen verlieren können. Doch in Baltimore hat die Teilnahme der AFSCME, einer der Gewerkschaften, die sich wie SEIU und HERE aktiv zu verändern suchten, zum Erfolg der Kampagne beigetragen. Seither ist die Bewegung für einen "angemessenen Lohn", im allgemeinen in Verbindung mit den fortschrittlichen lokalen Gewerkschaften, zur wichtigsten der nationalen Volksbewegungen geworden, die es ablehnen, einer Zunahme der ökonomischen Ungleichheit tatenlos zuzuschauen, und heute haben schon mehr als 50 Städte Gesetze erlassen, die in der einen oder anderen Form einen "angemessenen Lohn" vorschreiben.

Es ist durchaus erfreulich zu sehen, wie der neue Präsident der Universität Harvard, Lawrence Summers, ein angesehener Ökonom, die Leitung der angesehensten aller amerikanischen Universitäten im Anschluß an einen Konflikt übernommen hat, der einen allen ökonometrischen Berechnungen widersprechenden Verlauf genommen hatte. Wenige Monate zuvor, im April 2001, hatten die Studenten mit der in der Universitätsgeschichte am längsten dauernden Besetzung der Gebäude begonnen und das Büro des Präsidenten während dreier Wochen blockiert. Wie schon erwähnt, forderten sie für die Angestellten von Harvard, die mit der Reinigung befaßt waren, mit dem Service der Mahlzeiten oder mit Wachdiensten, einen "angemessenen Lohn": ein großer Teil von ihnen hatte zwei oder drei Beschäftigungen, um ihre Familie ernähren zu können. Eine große Zahl von Studenten besetzte die Büroräume des Präsidenten, wurde von hunderten unterstützt, die draußen blieben, während die Angestellten auf der Straße manifestierten und allabendlich Versammlungen abhielten, am Fuße der strengen Fassaden von Harvard Slogans skandierten. Mindestens 400 Professoren der Universität unterzeichneten eine Petition zugunsten der Okkupation und der Kampagne für ein "angemessenes Salär". Die Leitung von Harvard, die für der Dauer der Besetzung durch die Studierenden Verhandlungen ausschloß, ließ sich jedoch darauf ein, als die Gewerkschaften der Region von Boston und die Führung der AFL-CIO auf dem Universitätsgelände eintrafen, um die Bewegung zu unterstützen. Die lokale Sektion der HERE hat ihre Mitglieder dazu ermächtigt, aus Solidarität ebenfalls in Streik zu treten, die Studierenden wurden Ehrenmitglieder der Gewerkschaft und die Sektion beschloß, die Zurücknahme der Sanktionen gegen die Studierenden in ihren eigenen Forderungskatalog aufzunehmen. Diese Aktionen in ihren Gesamtheit zwangen die Universität, ihren Angestellten beträchtliche Lohnerhöhungen und bestimmte Rechte zuzugestehen. Diese Auseinandersetzung ist soziologisch gesehen wichtig gewesen aus einer Reihe von Gründen. Sie spielte sich ab in der ältesten und angesehensten der Universitäten des Nordostens - sie verfügt über ein Budget, das größer ist als das vieler multinationaler Firmen. Der Konflikt ist ausgelöst worden auf die Initiative der Studierenden selbst, auf Grund ihrer Kontakte mit dem Personal der Universität, und die Studierenden kämpften für eine Sache, die nicht die ihre war, sondern jene einer Arbeiterklasse, die im Prinzip nicht existent war. Diese ungleiche Allianz erinnert an die Vereinigung der "Teamsters und Turtles" im Jahre 1999 in Seattle. Diese beiden Beispiele bezeugen das Entstehen einer neuen Bewegung des Widerspruchs, die auch die solidesten Klassenbarrieren in Frage zu stellen vermag.

Wie die Kampagnen "anti-sweatshop", die an den amerikanischen Universitäten entstanden sind, haben die Kämpfe für einen "angemessenen Lohn", eine potentielle Bewegung des Protestes hervorgerufen. Sie sind organisiert worden von militanten Studierenden, von denen einige an den "Gewerkschaftlichen Sommern" der AFL-CIO Ende der 90er Jahre teilgenommen haben - wenn auch im Großteil der Fälle der studentische Militantismus in keiner Weise den Gewerkschaften etwas schuldig ist. Diesen Kampagnen ist es bestens gelungen, der aktuellen Generation von Studenten bewußt zu machen, daß die großen Unternehmen die Arbeiter ausbeuten: sie stellten schließlich Verbindungen her zwischen militanten Studierenden und Gewerkschaftern, auf persönlicher oder organisationeller Ebene, und haben den Studierenden dadurch das Vergnügen eines Sieges über mächtige Institutionen bereitet.

Der Erfolg der Kampagnen "anti-sweatshop" hat es möglich gemacht, eine grundsätzliche moralische Kritik und ausgefeilteste Techniken des Kampfes miteinander zu verbinden. Es ist bekannt, daß die Universitäten mit den Lieferanten von T-shirts, von Polos und anderem Zubehör, die ihren Namen und ihr Logo tragen, äußerst lukrative Verträge abschließen. Diese Lieferanten schließen ihrerseits Verträge ab mit Herstellern als Sub-Unternehmer, deren Produktion im allgemeinen die "Ausbeutung der Arbeiter" in Asien oder anderen Billiglohnländern zur Voraussetzung hat. In den Vereinigten Staaten beläuft sich das Geschäftsvolumen im Bereich Konfektion und Souvenirs der University shops auf 2,5 Milliarden $ und sie werfen erhebliche Gewinne ab. So hat beispielsweise die Universität Michigan, eine der wichtigsten, im Jahre 1998 5,7 Million $ an Provisionen erhalten.

Es sind die Aktionen und das öffentliche Image einer innovationsfreundlichen Gewerkschaftsbewegung, welche diese Bewegung inspiriert haben, an der sich Studierende, junge Arbeiter und das universitäre Lehrpersonal beteiligten. Da es im politischen Lexikon Amerikas keine Kritik der Ausbeutung der Arbeiter gibt, ist dies von großem Nutzen für das Verständnis, die Kritik und den Kampf gegen die Ausbeutung, der sich die großen Unternehmen verschrieben haben. In der Vereinigten Staaten setzt die soziale Mobilisierung oft eine moralische Kritik voraus und eine weitreichende Vision, und deswegen hat sich diese Bewegung entwickelt. Der Militantismus der Studierenden hat in den USA eine lange Geschichte - Bürgerrechtsbewegung, Bewegung gegen der Vietnam-Krieg und Kampf gegen die Apartheid - doch hat er sich erst in der jüngsten Zeit gegen die Multinationalen Konzerne gerichtet. Bislang hat es keine politische oder institutionelle Grundlage gegeben, die einen Bezugsrahmen zu Verfügung stellt, um die gewohnheitsmäßige, "normale" Ausbeutung der Arbeiter in Frage zu stellen. Doch diese nimmt in dem Maße Gestalt an, wie die Bewegung "anti-sweatshop" die ökonomischen Praktiken der moralischen Analyse unterzieht, nach dem Vorbild der Studierenden der Mittelschichten.

Der Erfolg dieser Bewegung läßt sich an der Tatsache messen, daß die neoliberalen Ökonomen gezwungen worden sind, ihre mit Eiche getäferten Büros zu verlassen, um die von der Bewegung aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Die Militanten von "anti-sweatshop" und die Verfechter eines "angemessenen Lohnes"werden in den Leitartikeln der Zeitungen und den Fernsehnachrichten häufig verleumdet (da es eine private und deregulierte Fernsehindustrie gibt, haben die billig produzierenden Informationskanäle über das Kabel eine solche Reichweite pro Stunde, daß sie eine ganze Armee von Ökonomen und Experten der zweiten Garnitur beschäftigen). Doch seit Jahrzehnten haben weder die wichtigsten neoliberalen Ökonomen noch die sakrosankten Journalisten es für nötig erachtet, auf das zu reagieren, was von der Linken kommt, was immer es auch sei.

Man kann in gleicher Weise den Erfolg und die Breite der Bewegung des Widerstandes an der Tatsache messen, daß die Grenzen zwischen den Gruppen, deren politische Aktion beschrieben worden ist und den Gewerkschaften, welche Kampagnen zur Rekrutierung organisieren, im Begriffe sind sich aufzulösen. So werden des öfteren gewerkschaftliche Rekruteure an Koalitionen (in denen zu Beginn zahlreicher Kampagnen für einen "angemessenen Lohn" viele gewerkschaftliche und kommunitäre Organisationen zusammenfinden) "verliehen", die in Orientierung an der Formel "Jobs with Justice" entstehen, um sie dann in die Lage zu versetzen, ihre eigenen Kampagnen durchzuführen. Die militanten Studenten unterhalten ebenso häufige Kontakte mit den gewerkschaftlichen Funktionären der UNITE (der Gewerkschaft der in der Konfektionsindustrie Beschäftigten), um die Kampagnen "anti-sweatshop" zu organisieren. In gleicher Weise sind derzeit die Universitätslehrer in den Versammlungen des CLC gern gesehene Gäste. Man kann sogar Mitglieder einer religiösen ökumenischen Gruppe Seite an Seite mit den Postbediensteten einesWorkers' Center sehen, wo sie die immigrierten Arbeitern in juridischen Angelegenheiten beraten, etc. Derartige gegenseitige Beziehungen stellen für die amerikanische Arbeiterbewegung der Nachkriegszeit etwas völlig Neues dar und sind für sich selbst schon ein Indiz für das Entstehen einer Protestbewegung, die in dem Maße breiter wird, als sie nicht mehr nur allein aus gewerkschaftlichen Organisationen sich zusammensetzt, sondern auch aus Organisationen, die mit der Gewerkschaft nichts zu tun haben.

Die Rekonstruktion der Arbeiterbewegung beruht also heute nicht mehr auf der Gründung neuer Gewerkschaften oder der Anwerbung neuer Mitglieder, sondern, wie wir aufzuzeigen versucht haben, in der Besetzung des Raumes zwischen den Gewerkschaften. Die uns bekannten Beispiele des Syndikalismus des sozialen Widerstandes lassen uns annehmen, daß neue Räume und neue Organisationen entstanden sind, wo die Arbeiter, die Immigranten, die Militanten der Friedensbewegung sowie diverse ethnische Gruppen sich gegenseitig treffen und gemeinsam agieren können. Und so wird es möglich, zum ersten Mal seit Jahrzehnten, neue soziale Hoffnung entstehen zu lassen und zu pflegen.

Wir fühlen uns in keiner Weise verpflichtet, mit einem positiven Ausblick zu schließen (wie in den Filmen Hollywoods), aber wir können mit guten Gründen behaupten, daß die Gewerkschaftsbewegung, mag ihre Position auch nach wie vor schwach sein, heute ein anderes Bild zeigt; sie setzt sich zusammen aus einer Konstellation von Gruppen, Institutionen und Bewegungen, die sich vorrangig mit jenen Fragen beschäftigen, die mit der sozialen Gerechtigkeit zu tun haben. Bedeutet dies, daß es möglich sein wird, die enormen Hindernisse zu beseitigen, welche im Wege stehen, um auf die amerikanische Gesellschaft einen wirklichen Einfluß ausüben zu können? Dies ist keineswegs sicher, doch die Frage bleibt bestehen. Das dabei Bedeutsame ist darin zu sehen, daß man heute, zum ersten Mal seit Jahrzehnten, der Meinung sein kann, daß so etwas möglich ist.