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Organisierte Wissensarbeit - Ökonomie des Wissens

Vorbemerkung: Bei der Durchsicht der Zeitschriften bin ich im September 98 auf den Beitrag von Helmut Willke im Heft 3/98 der "Zeitschrift für Soziologie" zum Thema "Organisierte Wissensarbeit" gestoßen. Ich hatte den Eindruck, daß ein solcher Aufsatz in einer soziologischen Zeitschrift fehl am Platz ist und habe deshalb einen kurzen Diskussionsbeitrag geschrieben, um meine Bedenken zu artikulieren.
Anfang Dezember hat mir die Redaktion der Zeitschrift mitgeteilt, daß sie meine Text nicht abdrucken will, um den Autor nicht in die Situation zu bringen, politisch argumentieren zu müssen.
Da ich nach wie vor der Meinung bin, daß es der Soziologie nicht gut tut, die Grenzen zur sogenannten Management-Theorie zu verwischen, will ich von der Möglichkeit Gebrauch machen, meine Kritik am oben genannten Beitrag via Netz zur Diskussion zu stellen.


Organisierte Wissensarbeit ­ Ökonomie des Wissens
Anmerkungen zum Beitrag von Helmut Willke im Heft 3/98 der "Zeitschrift für Soziologie"

Das Thema Wissensmanagement scheint an Aktualität zu gewinnen. Soziologen (gilt auch für die weibliche Form), die ein Minimum an benchmarking betreiben, ist es sicherlich nicht entgangen, daß damit ein Versuch lanciert wird, die Karten neu zu mischen. Ein flüchtiger Blick in diesbezügliche Publikationen (z.B. Probst / Raub / Romhardt 1997) vermittelt jedoch rasch den Eindruck, daß hier der Wunsch am Werk ist, das Rad neu zu erfinden. Zusätzliche Nahrung findet sich einstellende Skepsis im Hinweis, das Thema Wissensmanagement scheine eine Managementmode zu sein, "als 'noch ein' Beitrag im Reigen unzähliger und in ihrer Absolutheit allesamt gescheiterten Erfolgskonzepte für ein zunehmend verwirrtes Management, als oberflächliches Recycling eines reichlich abgenutzten, wenn auch keineswegs umgesetzten Topos, nämlich der lernenden Organisation" (Schneider 1966, S. 7).

Der Beitrag von H. Willke über "organisierte Wissensarbeit" läuft auf eine systemtheoretische Nobilitierung des Wissensmanagements hinaus. Die Delegitimierung alles ökonomisch nicht relevanten Wissens ist in ihren Konsequenzen fatal. Dem Beitrag ist dies insofern nicht ohne weiteres zu entnehmen, als er Bekanntes in umständlicher Weise neu formuliert, in diesen Neuformulierungen zentrale Begriffe wie Wissen, Management, Beratung als unproblematisch voraussetzt und darüber hinaus sich durch die Verwendung immunisierender Formeln mit einigem Geschick der Kritisierbarkeit zu entziehen sucht.

Die Renaissance des Themas der Wissensgesellschaft ist, wie der Willke ausdrücklich betont, bezeichnenderweise nicht der Soziologie und auch nicht der Politikwissenschaft, sondern der Management-Theorie zu verdanken. Soziologisches Denken ist seiner Ansicht nach auf Personen und ihre Handlungen fixiert. Die Idee emergenter systemischer Qualitäten sei diesem Denken zwar nicht ganz fremd, doch die Systematisierung dieser Idee im Modell der Autopoiese gelte der traditionellen Soziologie als Teufelswerk. Für unumgänglich hält er, zur Kennt nis zu nehmen, was den Vertretern des Managements selbstverständlich ist: Die Transformation von der Arbeits- und Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft. Diese Wissensgesellschaft existiert zwar noch nicht, wirft aber ihre Schatten voraus. Der Wandel ist fundamental und nur schwer zu beschreiben, weil er weit in die Tiefenstrukturen der Reproduktion hinabreicht (S. 163).

Eines der Kernelemente dieser Transformation von der Industrie- zur Wissensgesellschaft soll jene Wissensarbeit sein, die personale und organisationale Momente in eine neue Synthese überführt. Es handelt sich dabei nicht um Wissen im Kontext von Arbeit, sondern eher um die Rekonstruktion von Arbeit auf der Basis ubiquitärer Expertise im Kontext intelligenter Organisationen. Die Konsequenzen eines solchen Perspektivenwechsels werden als weitreichend dargestellt: Kernbereiche der ökonomischen Theorie der Firma wie der soziologischen Theorie der Organisation seien neu zu schreiben.

Als übergreifende Idee des Textes fungiert die Überzeugung, daß die Möglichkeit von Wissensarbeit und Wissensmanagement die Logik der Operationsweise von Organisationen verändert. Die mit den bisherigen Steuerungsmedien von Macht und Geld verbundenen ungelösten Probleme führten zur Logik des Wissens, dem Anspruch des Vorranges überlegener Expertise, was letztlich die Implementierung einer Ökonomie des Wissens bedinge. Das konkrete gegenständliche Interesse gilt der Wissensarbeit in jenen Unternehmensformen, die einerseits von intelligenten Infrastrukturen, andererseits aber vom "Kognitariat", den Wissensarbeitern der modernen Gesellschaften abhängig sind. Das neue Konzept des Kognitariates, offensichtlich ein Komplementärbegriff zum Proletariat, übernimmt Willke von A. Toffler: Kognitarier sind Wissensarbeiter, die selbst über ihre Produktionsmittel "Wissen, Information und Einschätzung" verfügen. Offensichtlich zielt das neue Konzept auf jenen Sachverhalt, den S. Mallet schon 1969 mit dem Begriff einer "neuen Arbeiterklasse" umschrieben hatte. Bereits damals scheint klar gewesen zu sein, daß "das Gleichgewicht des organisierten Kapitalismus nur in dem Maße gesichert werden kann, wie es ihm gelingt, sich der freiwilligen Mitarbeit der zur Produktion beitragenden Klassen zu versichern" (Mallet 1972, S, 42).

Es ist daher nur logisch, daß sich das Management der Informationsbestände und der Bewußtseinslagen der Beschäftigten zu bemächtigen sucht, was beim Willke als Renaissance der Wissensgesellschaft apostrophiert wird. Deren Beschreibung bezieht sich auf jene Phänomene, die von anderen als Tertiarisierung der Produktionsprozesse bezeichnet werden. Insofern ist die höhere Bewertung der Wissensanteile keine große Novität. Neu ist allerdings die Akzentsetzung. Denn ungeachtet der heute unübersehbaren Krisenphänomene des Kapitalismus spricht Willke umstandslos von einem Sieg der Gesellschaftsform der kapitalistischen Demokratie über den Sozialismus, vom Bedeutungsverlust des Nationalstaates und der herkömmlichen Produktionsfaktoren (Land, Kapital, Arbeit), davon, daß der Wohlfahrtsstaat an seinen Überforderungen zerbricht, weil die Wirtschaft global organisiert und daher nicht mehr kontrollierbar sei. Der entscheidende Produktionsfaktor sei nun die Expertise im Sinne von intellektuellem Kapital. Der Erfolg im globalen Wettbewerb hänge einerseits an der organisationalen Lernfähigkeit, andererseits an der organisationalenInnovationskompetenz als generischen Kernkompetenzen (S.163).

Der Grund dafür, daß Managementtheorie und ­praxis so vehement von der Idee und der Vision "eines intelligenten" Unternehmens erfaßt worden sind, hängt nach Willke mit der sogenannten Globalisierung zusammen. Ganze Sektoren wie Unterhaltungsindustrie, kommerzielle Einrichtungen der Fort- und Weiterbildung, wachsen zusammen. Damit eröffnen sich übergreifende globale Märkte für Wissensinhalte und Expertise, die Transformation des Wissens der Organisationsmitglieder in Wissen der Organisationen dient der Konstitution von organisationalem Wissen. Wie dies geschieht, wird im Rückgriff auf Nonakas Modell der "organisational knowledge creation" und auf die Vorschläge D. Leonard-Bartons exemplifiziert. Ersterer hängt sein Modell der Wissensgenerierung an den Unterscheidungen zwischen explizitem und implizitem, personalem und organisationalem Wissen auf, letztere bedient sich der Differenzierungen von innen und außen, von Gegenwarts- und Zukunftsbezogenheit. Einfache Kreuztabellierungen mit Hilfe dieser Unterscheidungen machen dem Leser begreiflich, wie einfach es ist, durch Modifikation der Regelsysteme neue organisatorische Quellen der Innovation zu erschließen. Um ganz sicher zu gehen, die Visionen der Experten des Managements nicht zu verfälschen, zitiert Willke (S. 166) wörtlich: Ein intelligentes Unternehmen ist "eine Firma, die in erster Linie Information und Intelligenz managt und koordiniert, um den Kundenbedürfnissen zu entsprechen".

In systemtheoretischer Betrachtungsweise ist davon auszugehen, daß die Veränderung eines Elementes die Veränderung der Positionen der anderen Elemente des Systems zur Folge haben muß. Dies bedeutet im vorliegenden Falle eine Relativierung des Wissenschaftssystems für Erzeugung, Beurteilung, Kanonisierung und Revision des erzeugten Wissens einerseits, einen Zwang zur Rentabilisierung des verfügbaren Wissens andererseits. Indem letzteres zum neuen dominanten Produktionsmittel avanciert, führt die mit dem Kostenansatz verbundene Sensibilität für Kosten und Nutzen von Informationen, Wissen und Expertise dazu, daß es sich Organisationen nicht mehr leisten können, vorhandenes Wissen ungenützt zu lassen und erforderliches Wissen nicht zu generieren. Klarer läßt sich das Bekenntnis zur Notwendigkeit der Bewirtschaftung des Wissens nicht ausdrücken: Mit der Entdeckung ungeahnter Produktions- und Innovationsreserven wird aus der Möglichkeit des Wissensmanagements postwendend ein Zwang dazu. Aus dem Rohstoff Wissen sind expertisegestützte Geschäftsideen zu entwickeln und alle nur denkbaren Kernkompetenzen und Kernfähigkeiten zu entwickeln.

Vom Umfang her ist bei Willke jener Abschnitt der bedeutendste, in dem an Hand der Beschreibung der Aktivitätsfelder Unternehmensberatung und Finanzdienstleistungen die Operationsweise von organisierter Wissensarbeit exemplifiziert wird. Der schon früher entstandene Eindruck, daß hier nahtlos, ohne den geringsten Versuch einer kritischen Distanzierung, unmittelbar Anschluß an die Doktrinen des Managements gesucht wird, bestätigt sich. Hauptproblem des Wissensmanagements ist das Zusammenspiel von personalem und organisationalem Wissen, die Notwendigkeit, daß Personen und Organisationen in komplementärer Weise Wissen produzieren, sich wechselseitig ihr Wissenspotential zur Verfügung stellen. In der praktischen Umsetzung dieser Wunschvorstellung sieht Willke jedoch beträchtliche Schwierigkeiten. Dies deswegen, weil man nahezu nichts über organisationale Intelligenz im Sinne einer emergenten Eigenschaft organisierter Sozialsysteme wisse. Von der frühen Arbeit von Wilensky über 'organisational intelligence' (1967) hält Willke fest, daß wissensbasiertes Arbeiten zur Voraussetzung habe, daß Professionelle und Experten sich in ihrer Arbeit nicht allzu drastisch behindern. Wie unrealistisch es ist, zu erwarten, daß Mitarbeiter sich ohne Gegenleistung von ihrem je spezifischen Fachwissen, ihrem Eigentum, zu trennen bereit sind, geht auch aus der frühen Untersuchung P. Blaus über die Beamten einer Bundespolizeibehörde hervor (vgl. Homans 1967). Hinweisen auf Beschreibungen von Organisationen, in denen hochrangige Wissensarbeit im Zusammenspiel von personaler und organisationaler Wissensarbeit bestens funktionieren soll, ist also mit einiger Vorsicht zu begegnen.

Der Ausbau des Wissensmanagements bei den global players der Beratung wird als Reaktion auf massive Kritik an deren Arbeit dargestellt, wobei auf die Inhalte dieser Kritik keinerlei Bezug genommenen wird. Daß der gestiegene Bedarf an Beratung mit den ausgedünnten Personalständen (lean management) zu tun haben könnte, kommt ebensowenig zur Sprache wie die Tatsache, daß sich im Beratungsfeld auch eine Unzahl von Scharlatanen tummelt, die sich vor allem um ihre eigenen Geschäfte kümmern Micklethwait / Wooldrige 1996, S. 282). Die generelle Problematik der Beratung, von I. Illich bereits vor Jahren als Entmündigung durch Experten apostrophiert, wird mit Hinweisen auf die Paradoxien dieses Geschäftes, das von der realen oder konstruierten Ignoranz der Klienten lebt, aus der Welt geschafft. Verbal distanziert sich Willke zwar von einer Orientierung an der trivialen Richtschnur wirtschaftlicher Performanz, doch ist dies wohl nicht mehr als der Versuch, sich gegen kritische Einwände abzusichern. Die beiden wörtlichen Zitate aus Quinn (1992) lassen keinen Zweifel daran, worum es sich bei 'intelligenten Unternehmen' handelt: Personales und organisationales Wissen sind so zu koordinieren, wie es die optimale Anpassung an die Kundenbedürfnisse verlangt.

Es ist zweifellos ein gewisses Verdienst Willkes, daß er organisierte Wissensarbeit bzw. Wissensmanagement zum expliziten Thema macht und damit die Frage aufwirft, was dies für die Soziologie bedeutet. Doch so, wie er die von der sogenannten Management-Theorie vorgegebene Melodie übernimmt, läuft die Argumentation in eine gefährliche Richtung. Denn es bedarf keiner großen Phantasie, sich auszurechnen, wohin dies am Ende führt. Wenn Wissen nur noch als Innovationskompetenz honoriert und allein von seiner Relevanz für die Befriedigung von Kundenbedürfnissen her definiert wird, so zeigt sich unmißverständlich, welche Rolle dem Wissen zugedacht ist: ein Instrument im internationalen Konkurrenzkampf zu sein. Für diesen sind Sozialwissenschaften nicht nur nutzlos, sondern sogar ein Störfaktor insofern, als sie das Elend der Ausgebeuteten und den skandalösen Luxus der Reichen zur Sprache zu bringen in der Lage sind (Sélis / Hirt 1998, S. 61). Versuche, der neuen Wissensmaschinerie des Kapitalismus zu einem besseren Funktionieren zu verhelfen und legitimatorische Schützenhilfe leisten zu wollen, können also nur ein Schuß sein, der nach hinten losgeht. Angemessener wäre wohl der Appell: "Kognitarier aller Länder, vereinigt euch!"

Literatur

Homans, G.C., 1967: Soziales Verhalten als Austausch, in: Hartmann, H. (Hg.), Moderne amerikanische Soziologie. Stuttgart: Enke
Mallet, S., 1972 (frz. 1969): Die neue Arbeiterklasse. Neuwied und Berlin: Luchterhand
Micklethwait, J. / Wooldrige A., 1996: The Witch Doctors. New York: Random House
Nonaka, I./Takeuchi, H., 1997: Die Organisation des Wissens. Frankfurt/M.: Campus
Probst, G./Raub, St./Romhardt, K., 1997: Wissen managen: Wie Unternehmen ihre wertvollste Ressource nützen. Frankfurt/M.: Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH
Schneider, U. (Hg.), 1996: Wissensmanagement. Frankfurt/M.: Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH
Sélis, de G. / Hirtt, N., 1998: Tableau noir. Résister à la privatisation de l' enseignement. EPO: Bruxelles

P.S. (2. Jänner 1999): Hinter Willkes Plädoyer für "Organisierte Wissensarbeit" scheint die Sorge zu stehen, daß die Soziologie im Geschäft der Fabrikation von Expertisen zur Modernisierung der Gesellschaft zu wenig präsent ist. Das ist sicher richtig, soferne man der Ansicht ist, Modernisierung bedeute Globalisierung und unter Globalisierung sei die Adaptierung von Wirtschaft und Gesellschaft an die Verwertungsbedingungen der Finanzmärkte.

Jenen, die mit dieser Konzeption von Modernisierung nicht einverstanden sind, bleibt immerhin die Möglichkeit, sich durch die Erstellung von "Gegenexpertisen" einzumischen. Dazu Michel Vakaloulis von Paris VIII: "Das kritische Denken und die Logik der sozialen Emanzipation haben eine über Jahre dauernde Krise durchgemacht. Doch in den 90er Jahren sind Elemente substantieller Kritik entstanden, die es jedoch noch nicht erlauben, eine neue Vision der Welt zu konstruieren". Dies führt, mit einer gewissen Zwangsläufigkeit, zur Notwendigkeit von Gegen-Expertisen. (Vgl. dazu "La contre-expertise économique crédibilise la gauche radicale", in Le Monde v. 29./30. Nov., S. 6). In derselben Nummer von Le Monde, Susan George: "Die Dinge kommt erneut in Bewegung. Ich glaube, ich habe mich, seit dem Ende des Vietnam Krieges, nie so gut gefühlt die heute. Die Jungen beginnen sich heute wieder zu rühren."
Vereinigungen eines neuen Militantismus von Experten unterschiedlichster Herkunft:
Attac - Association pour une taxation des transferts financières pour l'aide aux citoyens
Acpir - Accord des citoyens et de peuples sur les investissements et la richesse
RAI - Réseau d'alerte contre les inégalités
Raison d'Agir - Vereinigung von Sozialwissenschaftlern (im Umkreis von P. Bourdieu) zum Kampf gegen den zunehmenden Antiintellektualismus und die kollektive Demobilisierung)
ADIE - Association pour le droit à l'initiative économique (in Nantes, für Arbeitslose)
RTS - Reclaim The Street (in England)

Kontaktmöglichkeiten:
http://attac.org/
http://igc.org/labornet/ (unten auf der home-page, das LabourNet-Austria)
http://www.essential.org/mdc/
http://www.oneworld.org/europe/
http://www.mygale.org/03/neuf/