Soz.Ganymed.Org
  Mallinger Natalie - Einleitung zu: "Die Unorganisierbare Bildungsreform"

Texte

LVAs

Links

Kontakt

Forum

Index


 

Mallinger Natalie

Einleitung zu: "Die Unorganisierbare Bildungsreform"

Zwanzig Jahre versuchten die Vereinigten Staaten Lösungen für die Organisationsprobleme der Gesellschaft zu finden: innovation, testing, dissemination, team-taeaching,.........

Diese Wörter verraten bereits den Import aus den angelsächsischen Länden. Doch die USA ist schon lange kein Vorbild mehr.

Bei der Beurteilung der Bildungsreformen stehen zwei Thesen im Konkurrenzkampf: Die Immunitätstheorie und die Infektionstheorie. Die erste plädiert für gesellschaftlich neutrale Instrumente zur Lösung von Problemen, während die zweite eine eher imperialistisch - kapitalistische Herrschaft bevorzugt. Für die Immunitätstheorie dienen Leistungstests der Feststellung von Fähigkeiten, für die andere Theorie sind sie bloß Mittel zur Unterdrückung.

In den sechziger Jahren versuchte man die Chancengleichheit zu realisieren (Kennedy, Johnson). Diese Politik hat jedoch die Strukturprobleme der amerikanischen Gesellschaft weder gelöst noch entschärft. Dieses Scheitern rief viele Diskussionen über die Organisationsprobleme des Bildungswesens hervor: Wie kann man Reformen organisieren (Innovationsproblem)? Wer soll über die Zukunft unserer Kinder entscheiden (Legitimationsproblem)? Weiters fragt man sich wozu die institutionalisierte Bildung überhaupt gut ist (Relevanzproblem).

Wie sieht das Innovationsproblem in der Praxis aus?

Kann man "Micro-Teaching" beobachten? So wurde festgestellt, daß in einer High-School, wo dieses System praktiziert wurde die Aufnahmegeräte fehlten, daß das bildungstechnologische Arsenal fast ungenutzt war und die meisten Lehrer doch die traditionelle Unterrichtsmethode bevorzugten.

John Goodlad und Frances Klein untersuchten, ob die Ergebnisse und Produkte von Forschung und Entwicklung die Schulen wirklich erreicht haben. Sie stellten fest, daß zehn Neuerungen keinen Eingang im Unterricht gefunden haben.:

1. Bedürfnisorientierung hat traditionelle Ziele nicht verdrängt;
2. Kinder lernen nicht das Lernen sondern nur die Inhalte; Geringe Motivation;
3. Keine Individualisierung des Lernens;
4 Bildungstechnologie ersetzt das Lernen nicht;

Lehrer verlassen sich zu wenig auf Lerntheorien;
Interaktion ist lehrerzentriert
Evaluation beschränkt sich auf Leistungstests;
Es unterrichten fast nur Vollzeit-Lehrer;
Natur- und Sozialwissenschaften werden vernachlässigt;

Spricht man von der Innovationskrise, so fallen zwei Widersprüche auf: Erstens der Widerspruch zwischen einem hochentwickeltem System von Forschung und Entwicklung für das Bildungswesen einerseits und einer konventionellen isolierten Schulpraxis andererseits, und zweitens der Widerspruch einer wissenschafts- und produktionsorientierten bildungstechnologischen Entwicklung zu einer bedürfnisorientierten pädagogischen Fantasie und Spontaneität.

Auch Politik und Verwaltung des Bildungswesens können die Innovationskonflikte nicht lösen - deshalb spricht man von einer Innovationskrise im amerikanischen Bildungswesen.

Die Vereinigten Staaten ziehen eine lokale Gemeinschaft dem staatlichen Handeln vor. "Community" ist das Schlagwort in der amerikanischen Bildungsverwaltungstradition. Die lokale Gemeinschaft soll über Erziehung und Bildung der Kinder entscheiden, doch dieser traditionelle Glaube bringt Ungleichheit und Unfreiheit mit sich.

Die Innovations- und Legitimationsprobleme wurden lange von den Sozialisationsproblemen verdeckt: Wer die Schule hat, hat die Zukunft.

Verringert eine Politik der Chancengleichheit wirklich die Unterschiede zwischen Schwarzen und Weißen? Viele Menschen fragen sich, ob die Schule überhaupt etwas bewirkt im Leben. Der Zweifel an der sozialen und individuellen Funktion der institutionalisierten Bildung nimmt zu (Relevanzkrise).

Die Relevanzzweifel begannen mit der Kritik am Curriculum. Weder die Inhalte noch die Methoden des schulischen Unterrichts entsprachen dem Stand der Erziehungswissenschaften.

Diese Kritik verstärkte sich mit der Entdeckung des "hidden curriculum". Dieser soll die Sozialisation viel effektiver steuern als der Lehrplan einer Schule. Der Schüler unterwirft sich Verhaltensvorschriften und Kleiderordnungen.

Christopher Jencks meinte, daß das Bildungswesen keinesfalls die Einkommensunterschiede in der amerikanischen Gesellschaft ausgleichen würde. Offene Systeme müssen Stabilität und Wandel gewährleisten.

Verwaltung in geschlossenen Systemen kann nach Rechtsstaats- und internen Effektivitätsgesichtspunkten definiert werden, während Verwaltung im offenen System Stabilitäts- und Veränderungsbedürfnisse vereinigen soll.

Die Entscheidungsstruktur des Legitimationsproblems beruht auf der Autonomie des Schuldistrikts. Diese spezielle Körperschaft ist auf keinen Fall mit der "Kommunalverwaltung" zu vergleichen. Die ganze Schulverwaltung hängt von ernannten School-Boards ab. Staatliche Stellen nehmen nur einen geringen Platz ein.

Der Relevanzzweifel ist groß: Welche Gesellschaft wäre wohl bereit Einrichtungen durch die öffentlichen Haushalte zu finanzieren, die nur dem Vergnügen dienen und nicht der Erhaltung der bestehenden Qualifikationsstruktur?

Ivan Illich hat dazu eine theoretische Alternative entwickelt: Er nennt sie das "De- Schooling-Programm", das aber in erster Linie auf die Entwicklungsländer bezogen war.

Eine praktische Alternative liefern die "Free Schools", wo Eltern und Lehrer kleine Schulen gründeten.

Der Begriff der Innovation dient überwiegend einer modischen Anpassung der Verwaltungswissenschaften an eine politische Entwicklung, die von der Verwaltung Veränderungen verlangt, ohne sie instand zu setzen.

Die Relevanzkrise hingegen hat den Blick wieder zu den Fragen der gesellschaftlichen und individuellen Bedeutung der institutionalisierten Bildung gelenkt.