Andrea Schanza
Localism oder "Über die politische Funktion traditionaler Organisationsformen im amerikanischen Bildungswesen"
Richter, Seite 21 bis 43
Die öffentliche Schulverwaltung wird in Schuldistrikte (school district) eingeteilt. Diese sind mit den Kommunen weder
juristisch noch geographisch eine Verwaltungseinheit.Ein Drittel der Distrikte hat weniger als 300 Schüler. Andererseits gibt
es Schuldistrikte, die ganze Großstädte umfassen. So begann man, die kleineren Distrikte zusammenzulegen und die
größeren in Unterdistrikte aufzuteilen.
Die Schuldistrikte werden von Laiengremien (School-Boards) verwaltet, welche von der Bevölkerung des entsprechenden
Distrikts gewählt werden. Die School-Boards ernennen einen Superintendent der mit einem Stab die Schulen hauptamtlich
verwaltet.
Die Schulen gehören dem Volk, nicht dem Staat oder der Nation. Der Lokalismus soll Gleichheit, Demokratie und die
Befriedung der Bildungsbedürfnisse gewährleisten. Um dies zu erreichen folgt das Organisationsmodell der lokalen
Schulverwaltung den Prinzipien der Pluralität und der Neutralität.
Pluralität: das School-Board repräsentiert die Community, nicht besondere InteressenNeutralität: der Superintendent ist
der Bildung verpflichtet, nicht der Politik, der Religion, der Wirtschaft usw.
Das Pluralitätsprinzip:
Das typische School-Board besteht aus sechs Mitgliedern die für drei Jahre gewählt werden: eine Hausfrau, ein
Kaufmann, ein Rechtsanwalt, ein Arzt, ein Bankier oder Fabrikant, ein Vertreter (oder Angestellter oder
Arbeiter).Dies entspricht aber oft nicht der sozialen Zusammensetzung einer Community.
Weiters wurde von der Bildungsverwaltungsforschung festgestellt, daß die lokale Schulverwaltung nicht in der
Community herrscht, sondern diverse Gruppierungen, die ihre Interessen vertreten. Dies währen z.B. der Bürgermeister, der
Superintendent, Lehrer, Eltern usw. Michael B. Katz (1971) hat die Entwicklung der Schulverwaltung in Boston
beschrieben und die These aufgestellt, daß sich um die Mitte des letzten Jahrhunderts die bürokratische Organisationsform
gegen den demokratischen Lokalismus durchgesetzt hat, weil sie der Durchsetzung bürgerliches Klasseninteressen dient.
Die Reproduktion der sozialen Ungleichheit durch das Bildungswesen führt Samuel Bowels (1971) auf zwei im
Schulverwaltungssystem liegende Gründe zurück, nämlich einerseits darauf, daß die Oberschicht die Erziehungsziele und
Erfolgskriterien nach Klasseninteressen definiert und andererseits, daß die überwiegende Finanzierung des Schulwesens
durch die lokale Grundsteuer zu extremer Ungleichheit der Schuldistrikte der Reichen und der Armen in der finanziellen
Ausstattung, das heißt letztlich in der Erziehung führt.
Das Neutralitätsprinzip:
Im Organisationsmodell des demokratischen Lokalismus erscheint der Superintendent als neutraler Beamter. In
Wirklichkeit sind die Superintendenten kraftvolle Politiker. In den Großstädten haben Superintendenten oftmals ein höheres
Gehalt als der Bürgermeister, besitzen zum Teil lebenslange Verträge oder werden immer wieder gewählt, während die
Mitglieder der School-Boards nur kurze Zeit amtieren.
Schuldistrikt School-Board Superintendent
dieses Machtgefälle scheint nicht mehr aufrecht zu sein!
Weiß und Schwarz - Reich und ArmDie Ungleichheit im Bildungswesen der Vereinigten Staaten besitzt viele
Dimensionen, von denen die von Schwarz und Weiß sowie Reich und Arm die krassesten sind.
Schwarze Kinder erreichten bei standardisierten Leistungstest sowie bei Intelligenztests durchschnittlich 15 Punkte weniger
als weiße. Sie genossen um ca. ein Jahr weniger Schulbildung als weiße Kinder.Noch viel krasser ist der Unterschied
zwischen armen und reichen Kindern. Bei den oben erwähnten Tests erreichte arme Kinder ebenfalls ca . 15 Punkte weniger
als reiche Kinder. Die Differenz in der Dauer des Schulbesuches beträgt ca. 4 Jahre.
(persönliche Bemerkung: Im Vergleich Schwarz-Weiß werden sowohl die armen und die reichen weißen Kinder mit den
armen und den reichen schwarzen Kindern verglichen. Da der Anteil der Schwarzen unter der Armen vermutlich höher ist als
der Anteil der Schwarzen unter den Reichen, bezweifle ich die Gültigkeit der ersten Aussagen und vermute, daß die zweite
Aussage auch für Schwarze gültig ist.)
1954 wurde das Rassentrennungsgesetz im Schulwesen für Verfassungswidrig erklärt. Die Umsetzung der Rassenintegration
erwies sich jedoch als sehr schwierig. Auf die Details möchte ich nicht näher eingehen, da sie ohnehin bekannt
beziehungsweise erahnbar sind.
Aus schwarzen und weißen Schulen wurden dennoch nicht gemischte Schulen. Der Grund? Die rassische Trennung der
Wohngebiete. Um dem entgegenzuwirken wurden Kinder von einem Wohngebiet in die Schule eines anderen Wohngebietes
gefahren.
Die Ungleichheit zwischen armen und reichen Schulen beruht auf der Ungleichheit armer und reicher Schuldistrikte sowie
auf den ungleichen Ausgaben der Staaten für das Bildungswesen. Im Jahr 1969-1970 wurden im Staat New York 1.237
Dollar pro Schüler und im Staat Alabama 438 Dollar pro Schüler ausgegeben. Die Höhe der lokalen Finanzierung beruht auf
Bewertung und Besteuerung des Eigentums.
Community
Die Ungleichheit in der amerikanischen Erziehung muß bis zu einem gewissen Grade um der Demokratie willen
hingenommen werden - so lautet die Verteidigung des Lokalismus: Nur der Lokalismus kann die lokalen
Bildungsbedürfnisse befriedigen; nur der Lokalismus vermag eine wahrhaft demokratische Organisation der Schulverwaltung
durch community-control zu gewährleisten.
Nach dem Gesetz entscheidet der Schuldistrikt über das Curriculum - in der Wirklichkeit bestimmt jedoch eine Vielzahl
"überlokaler" Organisationen über Ziele, Inhalte, Organisation und Methoden des Unterrichts an den amerikanischen
Schulen. Die Mitsprache des Staates ist minimal.Viele Schulen in den Vereinigten Staaten legen Wert auf ein "Gütesiegel".
Die Evaluierung erfolgt aber nicht von staatlicher Seite sondern von privaten Unternehmen die Marktgesetzen unterliegen.
Über die Hälfte aller Lehrer an öffentlichen Schulen sind in der National Education Association (NEA) organisiert. Diese ist
nicht nur als Interessenvertretung sondern auch als Professionalisierungsinstitut tätig.
Das Schulbuch wird zum Teil durch das als "package" organisierte integrierte Curriculum verdrängt, das Bücher für Lehrer
und Schüler, Filme und Dias, sonstige Materialien sowie Tests zusammenfaßt. Die Entscheidung für ein solches "package"
beschränkt die weiteren lokalen curricularen Entscheidungen außerordentlich; die Auswahl unter verschiedenen packages ist
- im Vergleich zum Schulbuch - denkbar gering.
Fragt man danach, wer diese neuen Großcurricula bestimmt, so zeigt sich ein komplexes Bild aus Wissenschaft, Stiftungen
und Verlagen.
|